Die Vertreter der Wahlkommission haben mich gebeten, mit zuteilen, dass man bei nachfolgenden Wahlen die Wahlum schläge bitte nicht zukleben möge.
Herr Abg. Stächele hat mehr als die Hälfte der abgegebenen gültigen Stimmen erhalten und ist damit gemäß § 4 Abs. 4 der Geschäftsordnung zum Präsidenten des Landtags gewählt.
Herr Alterspräsident, ich nehme die Wahl an und bedanke mich für das ganz große Vertrauen. Danke schön.
Herr Präsident, ich danke Ih nen und gratuliere Ihnen im Namen des ganzen Hauses sehr herzlich zu Ihrer Wahl.
Damit, meine Damen und Herren, ist meine Aufgabe als Al terspräsident erfüllt. Ich darf Sie, Herr Präsident Stächele, bit ten, nach der Gratulationscour die Leitung der Sitzung zu übernehmen.
(Beifall im ganzen Haus – Präsident Willi Stächele nimmt weitere Glückwünsche entgegen. – Unruhe – Abg. Dr. Bernhard Lasotta CDU: Willi, klingel ein mal! – Heiterkeit bei der CDU)
Herr Alterspräsident, liebe Kolle ginnen und Kollegen, sehr geehrte Gäste, meine Damen und Herren! Vielen Dank für das Vertrauen und den ehrenvollen
Auftrag. Ich werde mich diesem Amt mit ganzer Kraft über parteilich und gewissenhaft widmen. Und ich biete Ihnen al len eine vertrauensvolle, verlässliche und unkomplizierte Zu sammenarbeit an. Nehmen Sie mich beim Wort – vor allem die 52 erstmals gewählten Kolleginnen und Kollegen. Es stürmt ja im Moment ungeheuer viel Neues auf Sie ein.
Fast 40 % „Neue“, das ist eine veritable Blutauffrischung. Ich möchte Sie ermutigen, sich nicht nur fraktionsweise zu ver netzen. Versuchen Sie vielmehr bewusst, als „Parlamentsjahr gang 2011“ unser Binnenklima interfraktionell und damit po sitiv zu beeinflussen.
Ganz wichtig ist mir, dass Sie – damit meine ich Sie alle, lie be Kolleginnen und Kollegen – effektiv und effizient arbeiten können: nicht behindert durch Bürokratie, ausgestattet nach dem Stand der Technik, auf Augenhöhe mit der Kommunika tions- und Reflexionskraft unserer modernen Gesellschaft. Die Landtagsverwaltung soll für Sie Dienstleister sein.
Unser Raumbedarf ist unbestritten. Die Planalternativen lie gen auf dem Tisch. Wir sollten gründlich abwägen, aber wir sollten auch bald eine beherzte Entscheidung treffen.
Ich selbst gehöre diesem Hohen Haus inzwischen 19 Jahre lang an. Aber auch als Regierungsmitglied habe ich mich stets bemüht, im Parlament mental verwurzelt zu bleiben. Trotz dem – oder vielleicht gerade deshalb – ist es sicher nachvoll ziehbar, dass ich mich nun als „Erster unter Gleichen“ ein bisschen wie neugeboren fühle. Aber ich werde gern den fri schen Elan, den ich verspüre, einbringen, um den Bürgerin nen und Bürgern Baden-Württembergs unsere parlamentari sche Arbeit näherzubringen und unsere Stellung und Bedeu tung im Räderwerk der Institutionen zu betonen.
Wir müssen wohl neue Formen finden, um das „Gesicht“ des Landtags stärker nach außen zu tragen. Der Landtag soll sich im Land zeigen, damit auch jeweils vor Ort die wichtige Auf gabe von uns Abgeordneten sichtbar wird und nachvollzogen werden kann.
Zum ersten Mal nach den Jahren 1952/1953 wird der Land tagspräsident nicht von der Regierungsmehrheit gestellt. Dies ist im Grunde unerheblich für dessen Kernaufgaben, die da heißen: erstens die Tatkraft und das Ansehen des Parlaments zu mehren, zweitens eine „waffengleiche“ parlamentarische Auseinandersetzung sicherzustellen und drittens Sorge zu tra gen, dass der einzelne Abgeordnete nach besten Kräften bei der Wahrnehmung der individuellen Mandatsverantwortung unterstützt wird.
Speziell insoweit sehe ich mich auch in der Linie meiner Amtsvorgänger, namentlich meines direkten Amtsvorgängers Peter Straub. Deswegen, lieber Kollege Straub, spreche ich Ihnen von dieser Stelle noch einmal ein Dankeschön für all das aus, was Sie in 15 Jahren als Präsident und in den vier Jah ren zuvor als Vizepräsident getan haben – im Landtag und für den Landtag, für Baden-Württemberg, für den Länderparla mentarismus als Kernelement des Föderalismus und auch für das Subsidiaritätsprinzip in Bezug auf die europäische Ebe ne. Dafür nochmals Dank!
Baden-Württemberg stellt sich in diesen Wochen landespoli tisch neu auf; die Veränderungen sind nach der gängigen po litischen Farbenlehre signifikant. Eine Zeitung sprach gar von einer „politischen Kulturrevolution“. Ich rate uns dennoch zu Gelassenheit,
Mit einem Regierungswechsel unter Demokraten beginnt nicht der Untergang – meist allerdings auch nicht ein neues Goldenes Zeitalter.
Der „Job“ der neuen Landesregierung ist einfach und schwie rig zugleich. Sie übernimmt „schließlich keinen Sanierungs fall, sondern ein“ – unbestreitbar – „... erfolgreiches, florie rendes Bundesland“, wie ein Kommentator kürzlich zu Recht bemerkte. Dieser Erfolg verpflichtet uns alle, ihn auch für die Zukunft zu sichern und auszubauen.
Im nächsten Jahr feiern wir Baden-Württemberger den 60. Ge burtstag unseres Landes. In diesen sechs Jahrzehnten sind wir ganz nach oben gekommen, weil es uns gemeinsam stets ge lungen ist, das Bewahren und das Verändern in eine fruchtba re Symbiose zu bringen.
In der Demokratie gibt es keine Stunde null, auch weil sich vieles dem fünfjährigen Raster unserer Wahlperioden entzieht. Ein kluges Wortspiel trifft den Punkt: „Geschichte“ heißt auch „Geschichtetes“. Wir stehen auf den Leistungen unserer Vor gänger, und unsere Werke müssen ein guter Boden für die nächsten Generationen sein.
Von uns gefordert ist also, erneuerungsbereite Entschlossen heit gelungen zu kombinieren mit der Wertschätzung für die langen Linien, die keine „alten Zöpfe“ sind und die es folg lich engagiert fortzuschreiben gilt.
Für das Gestalten unseres Gemeinwesens anspruchsvolle Zie le zu formulieren ist richtig und notwendig. Politik braucht ei ne merkliche Spannung zwischen dem, was ist, und dem, was sein soll.
Aber tief greifende Änderungen umzusetzen ist bekannterma ßen kompliziert angesichts unserer fein gesponnenen Struk turen, angesichts unseres ausdifferenzierten Regelwerks und angesichts einer individualistischen Gesellschaft, die sich an das Gesamtganze im Sinne des Gemeinwohls manchmal nur schwer heranarbeitet – von den faktisch engen finanziellen Spielräumen einmal ganz zu schweigen.
Wir Abgeordneten dürfen uns deshalb nicht als „Alleskönner“ in Szene setzen und die Dinge nicht einfacher darstellen, als sie sind. Seien wir also immer bereit, gleichsam vom anderen Ende her zu denken: von der Frage, welche Mittel und Wege uns tatsächlich zur Verfügung stehen. Dieses im besten Sinn handwerkliche Politikverständnis wirkt zunächst bieder. Wer
aber darauf verzichtet, erleidet bald Schiffbruch, und zwar zu lasten der Glaubwürdigkeit unserer gesamten „Politikerzunft“.
Für politische Ziele zu werben ist demnach bloß ein Teil. Den gleichen Rang hat, die Verfahren und die Abläufe zu skizzie ren und dabei die Zusammenhänge und die Hindernisse zu er klären, und das von vornherein, nicht erst nachträglich, wenn Erwartungen längst geweckt sind.
Momentan findet ein Büchlein Beachtung, in dem wir Politi kerinnen und Politiker als „kleine Wählerhasser“ beschrieben werden. „Mitnichten!“, sagen wir da ganz zu Recht persön lich. Mitnichten! Trotzdem sollten wir selbstkritisch anerken nen: Ja, es gibt manchmal schon die Verlockung, nicht den ei genen Einschätzungen zu folgen, sondern lieber kühl zu kal kulieren, was derzeit vielleicht opportun ist. Ja, es bedarf ei ner gewissen Stärke, nicht den kurzfristig bequemen Weg zu gehen, sondern Probleme mit Klarheit und Wahrheit an der Wurzel zu packen.
Politik lebt auch von der Passion für die eigenen Überzeugun gen. Diese zu verbergen oder zu verbiegen wäre falsch.
Dass die politische Beurteilung einzelner Maßnahmen kont rovers ausfällt, das gehört mithin zum demokratischen Wett bewerb. Daraus folgt: Wenn Parlamentsfraktionen und Parla mentsredner temperamentvoll streiten, deutet das nicht auf ei nen Fehler in der politischen Praxis hin, sondern darauf, dass unsere Demokratie funktioniert. Es dürfen ruhig einmal – das sage ich aus der Erfahrung der letzten 19 Jahre – verbal die Fetzen fliegen. Nicht jedes Wort einer erregten Debatte muss auf die Goldwaage gelegt und danach überdimensioniert als Schlagzeile verewigt werden.
In der vergangenen Wahlperiode haben wir neue Möglichkei ten eröffnet, um die Lebendigkeit und Aktualität unserer Plenardebatten zu erhöhen. Wir sollten diese „Vitalisierungsele mente“ weiterentwickeln. Verbesserungsvorschläge sind noch dem 14. Landtag unterbreitet worden. Die damalige Opposi tion wollte z. B. die Regierungsbefragung munterer machen.
Eine solche Überlegung fällt der Diskontinuität nicht zum Op fer. Aber selbst dann, wenn Standpunkte unversöhnlich auf einanderprallen, sollte unzweifelhaft bleiben, dass wir ein ge meinsames Oberziel haben, um das wir ringen, nämlich das Wohl des Landes und seiner Menschen.
Wie wir sind und wie wir agieren, ist freilich nur das eine; das andere ist, wie über uns berichtet und wie unsere Arbeit dar gestellt wird. Wir werden nicht bloß für das in Haftung ge nommen, was wir tun oder unterlassen, sondern auch für das, was über uns in der Zeitung steht oder über Radio oder Fern sehen ausgestrahlt wird. Deshalb haben wir ein Recht auf ei ne faire öffentliche Behandlung, insbesondere auch, weil un sere zwangsläufig langen Verhandlungs- und Entscheidungs prozesse meist nicht in die Formate der Medien passen kön nen.
Meine herzliche Bitte – von einem, der inzwischen altersge reift diesem Parlament angehört – an die Medienvertreter ist: Begleiten Sie die Arbeit des 15. Landtags von Baden-Würt temberg kritisch, kritisch-konstruktiv, aber tun Sie es so, dass der Eigenwert der Politik und das Grundvertrauen in Abge ordnete nicht mutwillig untergraben werden.
Für mich steht hinter alldem die Frage: Wie können wir die Vertrauensgrundlage der Politik festigen und gegebenenfalls erneuern? Darüber möchte ich mit Praktikern und Wissen schaftlern, jüngeren und älteren Mitbürgern landesweit in ei nen qualifizierten Dialog treten. Auftakt könnte ein öffentli ches Kolloquium hier im Landtag sein.