Protokoll der Sitzung vom 16.07.2014

Ihre Änderungsanträge, lieber Kollege Wacker, sind ein Kom pliment, weil Sie im Wesentlichen nichts Ernsthaftes zu mä keln haben.

(Heiterkeit des Abg. Martin Rivoir SPD)

Ein großer Gegenentwurf sieht anders aus als das, was Sie hier vertreten.

(Abg. Georg Wacker CDU: Wir wollen nur Flexibi lität!)

Ich danke also für die Unterstützung, denn anders lässt sich Ihre Aktion „Wir wollen das Haar in der Suppe finden“ nicht erklären.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen – Zuruf des Abg. Georg Wacker CDU)

Bedenklich ist aber, dass Sie den unter Fachleuten eigentlich unumstrittenen Konsens der Notwendigkeit einer rhythmisier ten Gestaltung von Ganztagsschule aufgeben.

(Abg. Georg Wacker CDU: Das habe ich nie infrage gestellt!)

An die Stelle einer Mussformulierung setzen Sie eine Kann formulierung. Aber die große Bedeutung der Rhythmisierung wurde nie bezweifelt. Deswegen bin ich auch so enttäuscht.

Wir haben lange darüber diskutiert, und sie war nie strittig. Beispielsweise sagt die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung, dass Rhythmisierung sehr wesentlich für den Lehr- und Lern vorgang in der Schule und ein wesentlicher Bestandteil von Schulentwicklung ist. Selbst der Aktionsrat Bildung der Ver einigung Wirtschaft in dem von Ihnen so geliebten Bayern kommt ausdrücklich zu dem Schluss, dass Rhythmisierung ei nen besonders starken Effekt auf die Förderung von leistungs schwachen wie leistungsstarken Kindern hat.

Dass Ihnen übrigens die Kinder sozial Schwacher egal sind, haben Sie ja schon bei der IQB-Debatte erfolgreich unter Be weis gestellt.

(Abg. Martin Rivoir SPD: Genau! – Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Vorsicht!)

Gerade in einem wohlhabenden und erfolgreichen Land wie Baden-Württemberg aber – das sage ich Ihnen ausdrücklich – haben die Bürgerinnen und Bürger immer weniger Verständ nis dafür, dass leistungsfähige Kinder nur aufgrund ihrer so zialen Herkunft und wegen des gering gefüllten Geldbeutels durch das Raster fallen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Mit Ihrem Aufweichen einer rhythmisierten Ganztagsschule stellen Sie sich aber einer bestmöglichen Förderung aller Kin der in den Weg.

(Abg. Georg Wacker CDU: Wenn die Eltern das wol len, ist es doch okay!)

Das Ganze wird dann noch gepaart mit dem inhaltlich falschen Ansatz eines Ganztagsschulbesuchs an ein oder zwei Tagen in der Woche. Was das überhaupt noch mit Ganztagsschule zu tun hat, bleibt in der Tat Ihr Geheimnis.

(Abg. Georg Wacker CDU: Sie überholen den Eltern willen!)

Ich sage Ihnen klar: Was das Thema Flexibilität angeht, bin ich auch ein Freund großer Handlungsmöglichkeiten, und die Landesregierung erlaubt vieles. Aber lassen Sie es sich gesagt sein: Die Forderung nach mehr Flexibilität hat ihre Grenze bei der pädagogischen Qualität. Diese Regierung, dieser Minis ter stehen für Qualität an der Schule.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Seit wann? – Abg. Georg Wa cker CDU: Für Qualität und gegen Flexibilität!)

Die flexiblen Angebotsstrukturen außerhalb der Ganztags schule und übrigens auch in den Ferien sind auch ausdrück lich Aufgabe der Kommunen, lieber Kollege Wacker. Das ist auch Teil des Kompromisses gewesen, den wir geschlossen haben.

Was wir heute feststellen können, ist, dass dieses Gesetz – die Kollegin Boser hat da nicht untertrieben – in der Tat ein wei terer großer Meilenstein im grün-roten Bildungsaufbruch ist.

(Abg. Martin Rivoir SPD: Genau!)

Die Ganztagsschule wird heute endlich im Schulgesetz ver ankert. Beginnend bei den Grundschulen schaffen wir die

Grundlage für mehr. Die Privatschulen erhalten übrigens von uns weiterhin ansteigend eine solide Aufstockung der Finan zierung.

Der Gesetzentwurf wird mit qualitativen Veränderungen bei der Schulkonferenz und bei der Schulleiterbesetzung abge rundet. Damit kommen wir Forderungen von Eltern, Schülern und auch der Kommunen nach. Aber insbesondere mit Blick auf die Ganztagsschule können wir heute mit den Worten der GEW-Vorsitzenden Doro Moritz aus der Anhörung sagen: Wo die Vorgängerregierung mit Worten nur gebremst hat, da ge hen wir voran. Wir schaffen ein zukunftssicheres, ein famili enfreundliches und ein bildungsgerechtes Baden-Württem berg.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Dr. Rein hard Löffler CDU: Die Helden vom Erdbeerfeld!)

Für die Fraktion der FDP/ DVP erteile ich das Wort Herrn Abg. Dr. Kern.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Im vorliegenden Gesetzentwurf ist viel von Wahlfreiheit und von Wahlform die Rede. Damit streut Grün-Rot den Menschen in Baden-Württemberg wie der einmal Sand in die Augen. Denn was Grün-Rot in diesem Gesetzentwurf Wahlfreiheit nennt, das nennen Liberale die Wahl zwischen Szylla und Charybdis, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Im Zentrum Ihres Gesetzentwurfs steht nämlich die verpflich tende rhythmisierte Ganztagsschule. Zugegeben: Es mag Schü lerinnen und Schüler geben, für die die verpflichtende rhyth misierte Ganztagsschule die geeignete Schulform ist.

(Abg. Georg Wacker CDU: Jawohl!)

Allerdings beinhaltet die verpflichtende rhythmisierte Ganz tagsschule nicht die Möglichkeit, dass ein Schüler nur vormit tags den Unterricht besucht und nachmittags entweder ein frei williges Angebot der Schule besucht oder eben frei hat. Das könnten die Schüler nur in der offenen Ganztagsschule, die im liberalen Entwurf zur Ganztagsschule im Zentrum stand.

(Lachen des Abg. Siegfried Lehmann GRÜNE)

Die FDP/DVP-Landtagsfraktion hatte vorgeschlagen, dass al le Schulen und nicht nur die Grundschulen das Recht bekom men, ohne Zustimmungsvorbehalt der Schulverwaltung offe ne Ganztagsschule zu werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, das ist eben der Unterschied zwischen Ihnen und uns. Im liberalen Gesetzentwurf hätte der Grundsatz gegolten: Im Zweifel für die Freiheit. Bei Ihnen gilt heute der Grundsatz: Im Zweifel für die Pflicht.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

So hat die grün-rote Landesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem die offene Form der Ganztagsschule nicht

mehr stattfindet. Was im grün-roten Gesetzentwurf als Wahl form bezeichnet wird, ist schlicht Rosstäuscherei. Sie wollen die Menschen glauben lassen, die Wahlform und die offene Form seien mehr oder weniger das Gleiche, denn künftig ha be man bei der Wahlform ja die Möglichkeit, zwischen Halb tag und Ganztag zu wählen. Das einzelne Kind hätte ebenfalls die freie Wahlmöglichkeit. Jeweils zum neuen Schuljahr sei der Wechsel vom Ganztags- in den Halbtagszug oder umge kehrt möglich. Was Grün-Rot aber verschweigt, ist, dass das Kind dann auch gleich die Klasse wechseln muss. Denn an ders als bei der offenen Form lässt die Rhythmisierung nicht zu, dass der Schüler nur vormittags den Unterricht besucht und nachmittags einer anderen Beschäftigung nachgeht.

(Glocke der Präsidentin)

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abg. Boser?

Am Ende sehr gern.

Ganz oder gar nicht Ganztag, das ist das grün-rote Verständ nis von Wahlfreiheit. Gemeinsam mit der CDU-Fraktion be antragt die FDP/DVP-Fraktion deshalb, statt der unechten Wahlform die bereits an vielen Orten praktizierte offene Ganz tagsschule ins Schulgesetz aufzunehmen.

Ähnlich wie die Eltern stehen auch Schulen und Schulträger vor einer unechten Wahlfreiheit. Denn dass sich Grüne und SPD für den Grundsatz „Im Zweifel für die Pflicht“ entschie den haben, macht die Ausgestaltung des Ganztagsschulpro gramms deutlich. Rhythmisierung ist immer vorgeschrieben, auch dann, wenn sich Schule und Schulträger für eine Ganz tagsschule mit drei Tagen à sieben Zeitstunden entscheiden. Dafür gibt es dann aber nur sechs Lehrerwochenstunden. Für vier Tage à acht Zeitstunden gibt es zwölf Lehrerwochenstun den. Schon allein aufgrund dieser Anreizstrukturen werden sich die meisten für vier Tage à acht Zeitstunden entscheiden. Ein Modell „drei Nachmittage verpflichtend, einer mit frei willigen Angeboten“ scheidet durch die von Grün-Rot ge schaffenen Fakten im Grunde aus.

Zugegeben: Im liberalen Gesetzentwurf sind die vorgeschla genen Sätze für Lehrerwochenstunden niedriger. Das hatte aber auch einen guten Grund, denn wir hätten es gern auch den weiterführenden Schulen ermöglicht, Ganztagsschule zu werden, und wir hätten der offenen Ganztagsschule vier Stun den zugewiesen. Die offene Ganztagsschule erhält bei GrünRot gar nichts. Dabei wäre gerade die offene Form ideal für kleinere Kommunen, bei denen der Weg zur nächsten Grund schule weit ist.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Wenn aber die Mehrheit der Eltern für die Ganztagsschule nach dem grün-roten Modell votiert, so hat eine Minderheit der Eltern keine Alternative für eine Halbtagsschule vor Ort, obwohl das Prinzip „Kurze Beine, kurze Wege“ im Grund schulbereich eigentlich Konsens sein sollte.

Würde man dagegen dem liberalen Ganztagsschulmodell den Vorzug geben und den Ausbau der Ganztagsschule konsequent den Verantwortlichen vor Ort überlassen, so könnten diese ihr Ganztagsangebot so gestalten, dass den unterschiedlichen El

ternwünschen und -bedürfnissen auch wirklich Rechnung ge tragen wird.

Wäre Ihnen von Grün-Rot wenigstens bei den Gemeinden mit mehreren Grundschulen an echter Wahlfreiheit gelegen, dann würden Sie konsequenterweise die Schulbezirke abschaffen. Sonst kann es nun passieren, dass die Grundschule im Schul bezirk eine Halbtagsschule bleiben will, die Eltern jedoch ei ne Ganztagsschule wünschen, aber nicht wählen können, da sie die Schulbezirksgrenzen nicht überschreiten können.