Protokoll der Sitzung vom 11.03.2015

(Abg. Klaus Käppeler SPD: Was schlagen Sie denn vor?)

Wir Freien Demokraten halten an unserer Auffassung fest, dass es sich bei der grün-roten regionalen Schulentwicklung in Wahrheit um ein Schulschließungsbeschleunigungspro gramm mit Beteiligungsfeigenblatt handelt, liebe Kollegin nen und Kollegen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU – Oh-Rufe von den Grünen und der SPD – Abg. Jörg Fritz GRÜNE: Das sagt er, ohne rot zu werden!)

Dabei hätte eine echte regionale Schulentwicklung, wie sie der FDP vorschwebt, durchaus eine Chance bedeutet, nämlich die Chance, dass die Verantwortlichen vor Ort selbst über das Schulangebot bei sich entscheiden.

(Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)

Das würde aber Mut bedeuten, den die grün-rote Koalition und auch ihr zweiter Kultusminister eben nicht hatten. Denn die Landespolitik müsste ein Stück weit Einfluss an die Ver antwortlichen vor Ort abgeben. Man könnte für jede Bildungs region ein Budget aus den ihr zustehenden Ressourcen be rechnen und sie dann entscheiden lassen, ob man hier eine Re alschule und ein Gymnasium fortführt, dort eine Verbundschu le aus Hauptschule, Werkrealschule und Realschule bildet, an einem anderen Ort eine Gemeinschaftsschule einrichtet usw. usf.

(Zuruf des Abg. Klaus Käppeler SPD)

Der Ausbau von Ganztags- und Inklusionsangeboten würde sinnvollerweise in diese regionale Schulentwicklung integ riert.

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Warum haben Sie es dann nicht gemacht?)

Natürlich braucht man auch ein Verfahren für den Fall, dass hinsichtlich von Schulstandorten keine Einigkeit erzielt wer den kann. Aber ein faires Schiedsverfahren mit Kompensati

onsmöglichkeiten wäre etwas anderes als ein unfairer Verdrän gungswettbewerb, der im Übrigen auch der Qualität des Bil dungsangebots in keiner Weise nützt.

(Zuruf von der SPD: Und was habt ihr gemacht?)

Kurz: Eine Schulentwicklung mit konsequent regionaler Ver antwortung könnte vor Ort einen Schulfrieden bewirken, der eine Voraussetzung für ein prosperierendes und erfolgreiches Bildungswesen in Baden-Württemberg darstellt. Deshalb ist eine umfassende regionale Schulentwicklung auch ein we sentlicher Bestandteil unseres liberalen Schulfriedenskon zepts.

Abschließend noch eine rechtliche Frage von möglicherwei se weitreichender politischer Bedeutung. Am 19. November hat das Bundesverfassungsgericht ein Urteil gefällt, das Aus wirkungen auf Baden-Württemberg haben könnte. Die Ge meinde Seifhennersdorf hat gegen das Land Sachsen geklagt, weil die örtliche Mittelschule gegen ihren Willen im Rahmen einer regionalen Schulnetzplanung geschlossen werden soll te.

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Das war doch eine schwarz-gelbe Regierung!)

Das Bundesverfassungsgericht urteilte nun zugunsten der kla genden Gemeinde und hat den Kommunen ein – Zitat – „wirk sames Mitentscheidungsrecht“ u. a. bei Schulschließungen zu gesprochen. An den Kultusminister richtet sich nun die Fra ge, welche Schlüsse aus dem Urteil des Bundesverfassungs gerichts für Baden-Württemberg möglicherweise zu ziehen sind bzw. wie er darauf zu reagieren gedenkt. Sehr geehrter Herr Kultusminister, ich bin sehr gespannt auf die Antwort auf diese Frage.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Für die Landesregie rung erteile ich das Wort Herrn Kultusminister Stoch.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Zunächst einmal gestatte ich mir den Hinweis, lieber Herr Kollege Kern, dass eine Stellungnahme aus dem August 2012 zu einem An trag aus dem Juli 2012 – also in einer Phase, in der die Ge spräche zur Ausgestaltung und Umsetzung der regionalen Schulentwicklung noch in keiner Weise konkretisiert waren – schlicht und einfach zwingenderweise kürzer ausfallen muss.

(Abg. Claus Schmiedel SPD zu CDU und FDP/DVP: Modernes Antiquariat! Habt ihr nichts Gescheiteres?)

Ich sage es einmal ganz deutlich: Manchmal spricht auch die Länge der Antwort eine gewisse Sprache bezüglich der Qua lität der Fragen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Manchmal!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, um noch einmal die Grundzüge zu verdeutlichen: Seit August 2014 ist nun – ich sage: endlich – die regionale Schulentwicklung für Baden

Württemberg in Kraft. Diese Gesetzesänderung war und ist für die Weiterentwicklung der Schullandschaft

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

gerade in Baden-Württemberg von – ich sage es bewusst – historischer Bedeutung. Dieser Gesetzesänderung ging eine sehr, sehr intensive Diskussion über die richtige Strategie und die Ausgestaltung der Prozesse und Verfahren voraus. Ich möchte Ihnen deshalb noch einmal kurz erläutern, weshalb der Handlungsdruck in diesem Bereich so groß war.

Sehr geehrter Herr Kollege Traub, wie Sie auf die Idee kom men, dass unsere schulischen Strukturen, was die Demogra fie angeht, offensichtlich keiner Veränderung unterliegen, müssen Sie mir schon irgendwann noch einmal erläutern. Da vor, dass die demografische Entwicklung und vor allem auch das veränderte Schulwahlverhalten der Eltern seit vielen Jah ren an sehr vielen Schulen zu einem ganz erheblichen Schü lerzahlenrückgang führt, können Sie doch nicht ernsthaft die Augen verschließen. Vor dieser Entwicklung haben Sie – des wegen haben Sie heute mit dem, was Sie hier gesagt haben, konsequent gehandelt – über Jahre die Augen verschlossen. Sie haben das Land und vor allem die Kommunen mit diesen Problemen schlicht alleingelassen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, in den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Einschulungen an unseren Grundschu len – das ist keine überraschende Erkenntnis – um rund ein Fünftel gesunken, im Jahr 2012 sogar auf den niedrigsten Wert seit 1987. Die Prognosen zeigen eindeutig, dass die Schüler zahlen auch in Zukunft weiter stark zurückgehen werden, und zwar vor allem dort, wo wir die größten Probleme auf uns zu kommen sehen, nämlich im ländlichen Raum. Sie haben das auch beschrieben. Aber diese Entwicklung kommt doch nicht überraschend.

Mitte der Sechzigerjahre lag die durchschnittliche Geburten rate in Baden-Württemberg noch bei über 2,5 Kindern pro Frau. Seit Mitte der Siebzigerjahre bis heute liegt dieser Wert konstant bei unter 1,5 Kindern, aktuell bei knapp 1,4 Kindern.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer vor diesem Hin tergrund so tut, als ob schulische Strukturen und Schulstand orte endlos so weiterexistieren könnten, der verschließt schlicht die Augen vor der Realität, Herr Kollege Traub. Ich glaube, damit werden Sie Ihrer Aufgabe auch als Parlamenta rier in keiner Weise gerecht.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Kommen wir zum Bereich der weiterführenden Schulen. Dort haben wir die Hauptschulen, die noch bis Mitte der Siebziger jahre nicht ohne Grund den Namen Hauptschule trugen. Dies ist die Schulart, die den größten Anteil der Übergänger von der Grundschule auf die weiterführende Schule aufgenommen hat. Aber dieser Trend war doch schon lange absehbar durch brochen.

Wir hatten im Jahr 2001 noch 40 000 Fünftklässler an unse ren Hauptschulen in Baden-Württemberg – 40 000 an über 1 200 Standorten. Im Jahr 2011 – da gab es noch eine verbind liche Grundschulempfehlung – waren es noch etwas über

23 000. Das ist quasi eine Halbierung der Schülerzahlen an dieser Schulart. In dieser Zeit sind 400 Schulstandorte schlicht und einfach von der Bildfläche verschwunden. Warum? Weil Sie keinerlei Konzepte hatten und bis heute keine Konzepte haben, wie wir diese Schulstandorte im ländlichen Raum er halten können.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, aufgrund der Vor hersehbarkeit dieser Entwicklung hätte schon vor Jahren – und zwar in Zeiten, als CDU und FDP/DVP gemeinsam regiert haben –

(Zuruf des Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP)

gehandelt werden müssen, um gemeinsam mit den Kommu nen tragfähige Konzepte in der Fläche des Landes zu retten und zu erhalten.

Passiert ist schlicht und einfach überhaupt nichts. Dies hat in der Vergangenheit immer öfter zu einer unkontrollierten Auf gabe von Schulstandorten geführt. Insbesondere in ländlichen Räumen hat es doch dazu geführt, dass in Kommunen mit zwi schen 3 000 und 8 000 Einwohnern immer mehr Schulstand orte in Gefahr gerieten bzw. geschlossen werden mussten.

Angesichts Ihrer Bilanz in diesem Bereich muss ich nun in der Begründung zu dem heute diskutierten Antrag von Herrn Hauk, Herrn Wacker und der Fraktion der CDU lesen – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –:

Die CDU-Landtagsfraktion setzt sich dafür ein, dass es nicht zu einer willkürlichen Schließung von Schulen kommt. Deshalb wird eine Bildungspolitik und Schulent wicklungsplanung zum Wohle der Bevölkerung in ganz Baden-Württemberg erwartet.

Da frage ich mich: Wie heuchlerisch kann man denn noch sein, wenn man jahrelang nichts getan hat, Schulstandorte hat sterben lassen und jetzt so tut, als wäre man der Retter der Schulen im ländlichen Raum? Das ist – mit Verlaub – lächer lich.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Die verbindliche Grundschul empfehlung haben Sie abgeschafft, nicht wir!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie haben über Jah re die Hände einfach in den Schoß gelegt, tatenlos dabei zu gesehen, wie eine Vielzahl von Schulen insbesondere im länd lichen Raum immer kleiner wurden oder gar schließen muss ten.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Sie haben die Schul art schlechtgeredet! Das war das Problem!)

Es war Ihnen bewusst, dass hier dringend gehandelt werden musste. Ich weiß, dass bereits Kultusminister in Ihrer Regie rungszeit bewusst und sehr wohl zu Recht diese Fragen ge stellt haben. Aber die deutlichen Signale insbesondere aus der CDU-Fraktion waren, dass man davon bitte schön die Finger lassen solle, man könne sich dieselben nämlich verbrennen.

(Zuruf von der SPD: Aha!)

Deswegen hat man schlicht und einfach weggesehen. Sie sind Ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Und Sie haben jahrelang die Hauptschule als „Restschule“ diffamiert! Jahrelang!)