Protokoll der Sitzung vom 06.05.2015

(Vereinzelt Heiterkeit)

Zur historischen Dimension Europas ist heute schon gespro chen worden. Ich freue mich über den breiten Konsens, den wir hier im Haus in wesentlichen Fragen haben. Ich möchte

mich in meinem Wortbeitrag auf den Bericht der Landesre gierung über aktuelle europapolitische Themen konzentrieren und möchte vier Themenfelder herausgreifen, die ich für be deutsam halte.

Die Freihandelsabkommen sind schon angesprochen worden. Sie bieten – ob TTIP, CETA oder TiSA – seit Monaten Ge sprächsstoff und bewegen die Öffentlichkeit. Viel wurde und wird darüber berichtet; dabei stehen Wahrheiten neben Halb wahrheiten und neben viel Spekulativem. Immerhin hat die Berichterstattung insgesamt dazu beigetragen, dass dieser Themenkomplex nun transparenter diskutiert wird, dass Un terlagen und Ergebnisse, soweit dies möglich und vertretbar ist, veröffentlicht werden.

Es ist gut, dass sich die Landesregierung mit Beschluss vom 17. März eindeutig positioniert hat und dass sie klargestellt hat, unter welchen Rahmenbedingungen die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft TTIP eingegangen werden kann: Abbau von Handelshemmnissen für baden-würt tembergische Unternehmen ja, aber keinerlei Absenkung des Schutzniveaus der EU und der Mitgliedsstaaten, sei es beim Verbraucherschutz, sei es bei den Sozialstandards, beim Schutz der Umwelt und beim Klimaschutz, beim Tierschutz, beim Datenschutz, bei Arbeitsschutz und Gesundheitsschutz. Das steht für uns fest.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Ebenso wichtig ist, dass die Landesregierung spezielle Inves titionsschutzvorschriften und private Schiedsgerichte im Ver hältnis zwischen Investor und Staat bei TTIP ablehnt. Sie for dert stattdessen – zu Recht – die Einrichtung eines dauerhaf ten, multilateral legitimierten und rechtsstaatlichen internati onalen Handelsgerichts, das mit unabhängigen, staatlich fi nanzierten Berufsrichtern besetzt ist, über eine Berufungsin stanz verfügt und dem Prinzip der Öffentlichkeit unterliegt.

Ich meine, es muss in jedem Fall sichergestellt werden, dass die Handlungsspielräume sowohl der Europäischen Union als auch der Mitgliedsstaaten und ihrer Parlamente durch Rege lungen zum Investitionsschutz weder direkt noch indirekt be einträchtigt oder eingeschränkt werden.

Ich finde es auch gut, dass die EU-Kommission nun auf die öffentlichen Debatten reagiert. Frau Handelskommissarin Malmström hat ein Konzept für eine Reform des Investitions schutzes vorgelegt, das ebenfalls die mittelfristige Einrichtung eines Handelsgerichtshofs umfasst. Die Kommissarin sagte wörtlich:

Wir wollen die Herrschaft des Rechts, nicht die Herr schaft der Anwälte.

Ich denke, das kann man nur unterstreichen.

Große Hoffnungen in Bezug auf Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen werden an den Europäischen Fonds für strategische Investitionen geknüpft. Der Fonds soll auch da zu dienen, die EU-Mitgliedsstaaten mit wirtschaftlichem Nachholbedarf zu unterstützen und dort Projekte zu realisie ren, deren Ausfall- und Renditerisiko für normale Geschäfts banken zu groß wäre. Allerdings hat dieses Vorhaben einen Webfehler: Von den insgesamt 16 Milliarden € sind 8 Milli arden € durch echte Mittel aus dem EU-Haushalt abgesichert;

hiervon werden 6 Milliarden € aus bestehenden Programmen der EU entnommen, allein 2,7 Milliarden € werden aus dem EU-Forschungsrahmenprogramm Horizon 2020 abgezweigt. Wir sollten jedoch aufpassen, dass Baden-Württemberg, das ebenfalls von Fördermitteln aus diesem Programm profitiert, hier nicht durch Kürzungen benachteiligt wird. Es ist gut, dass die unter etwas seltsamen Umständen zustande gekommene und aus baden-württembergischer Sicht völlig unzureichende bisherige Projektliste inzwischen gegenstandslos ist und dass nun eine neue Liste aufgelegt werden soll.

Zur Europapolitik gehört auch das Thema Entwicklungszu sammenarbeit. Hier geht es um konkrete Unterstützung und Projektarbeit in Ländern, aus denen Menschen aufgrund von Armut und Perspektivlosigkeit fliehen, weil sie sich in Euro pa eine bessere Zukunft erhoffen. Die Bekämpfung von Flucht und Vertreibung in den Herkunftsländern und das Umsteuern in der europäischen Flüchtlingspolitik, die Verständigung auf eine ausgewogene Verteilung und auf gemeinsame Standards bei der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen – die se Themen sind aktuell. Sie liegen auf dem Tisch, und sie sind mindestens ebenso wichtig wie die Rettung von Banken oder die Rettung Griechenlands. Ich will nur darauf hinweisen: Al lein zur Bankenrettung gab es 20 Gipfel auf EU-Ebene. Zur absolut drängenden Flüchtlingsproblematik hat vergangene Woche endlich der erste europäische Gipfel stattgefunden.

Allerdings sind die Ergebnisse nach meinem Geschmack et was mager ausgefallen und daher verbesserungsfähig. Nach dem aktuell rund 3 000 Flüchtlinge aus dem Mittelmeer und damit vor dem sicheren Tod gerettet wurden, hoffe ich, dass die EU-Kommission mit Präsident Juncker an der Spitze in den nächsten Tagen ein Konzept für europaweite Quoten zur Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen präsentieren wird – ein Konzept, dass auch funktioniert und von den Mitglieds staaten akzeptiert werden kann.

Letzter Punkt: Was bringt mir Europa? Kollege Frey hat dar auf hingewiesen: Am 8. Mai jährt sich nicht nur zum 70. Mal das Ende des Zweiten Weltkrieges, sondern wir werden am kommenden Freitag beim diesjährigen Europa-Aktionstag auch mit 200 Schülerinnen und Schülern aus ganz BadenWürttemberg im Landtag diskutieren. Ich freue mich sehr da rauf. Sie, Herr Kollege Frey, haben zu Recht von einem Hö hepunkt gesprochen. Auch wenn mir auf dem Weg nach vorn ein Kollege zugeraunt hat, der eigentliche Höhepunkt am Frei tag sei das Spiel HSV gegen Freiburg,

(Vereinzelt Heiterkeit)

kann ich mich dem nicht anschließen, weil derzeit beide Ver eine mit Europa sehr wenig am Hut haben.

(Zurufe, u. a. des Abg. Walter Heiler SPD)

Der Höhepunkt wird also in der Auseinandersetzung, im Ge spräch mit den jungen Menschen liegen, denen wir die Frage „Was bringt mir Europa?“ schon beantworten müssen.

Europa bedeutet 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Welt kriegs Frieden nach innen und nach außen. Herr Kollege Rein hart hat zu Recht darauf hingewiesen: An diesem Frieden wer den wir auch weiter arbeiten müssen; denn er ist kein Selbst läufer, der für alle Zeit bestehen bleibt. Er ist bedroht durch

eine zunehmende Spaltung in Arm und Reich, durch ein wach sendes soziales Gefälle; damit wächst auch Unfrieden, und die Akzeptanz rechtspopulistischer und rechtsextremer Par teien nimmt zu. Ich möchte schließen mit dem Ausruf: Das dürfen wir alle zusammen nicht zulassen – nicht in Europa, nicht in Deutschland und schon gar nicht in Baden-Württem berg.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Für die FDP/DVP-Frak tion erteile ich Herrn Abg. Reith das Wort.

Herr Präsident, liebe Kollegin nen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! TTIP zieht sich verständlicherweise erneut durch den Bericht zu den europapolitischen Themen. Wieder muss ich feststellen, dass die Regierung eher Campact-Forderungen nahesteht, statt wirklich aufzuklären. Da hilft auch ein TTIP-Beirat nichts, von dem ich bisher nur Ankündigungen gelesen habe, dessen Zusammensetzung und Aufgaben aber nach wie vor unklar sind. Die Landesregierung will das bestehende Schutzniveau nicht durch TTIP beeinträchtigt wissen.

Schiedssprüche lassen sich weltweit wesentlich einfacher durchsetzen als staatliche Gerichtsurteile. In der Praxis kön nen ausländische Schiedssprüche daher sehr viel einfacher und schneller in den USA durchgesetzt werden als deutsche Gerichtsurteile. Ich frage mich: Welches Schutzniveau ist für die Landesregierung höher? Die Umgehung der nationalen Gerichtsbarkeit ist dem überwältigenden Anteil völkerrecht licher Verträge bereits immanent.

Die FDP hat nichts gegen einen internationalen Handelsge richtshof einzuwenden, vorausgesetzt, der Kläger bekommt dort nicht nur sein Recht, sondern auch die Möglichkeit, das Urteil international zeitnah zu vollstrecken.

Die Landesregierung fordert darüber hinaus Ausnahmerege lungen von TTIP. Das ist Campact-„Sprech“ in Reinform. Le sen Sie nicht die Veröffentlichungen vom Wirtschaftsminis ter Gabriel? Er sagt: „Die öffentliche Daseinsvorsorge wird von TTIP nicht angetastet.“ Nein, Sie lesen es nicht oder wol len es nicht wahrhaben, sondern fordern Ausnahmeregelun gen von einer Regelung, die es nicht gibt.

Unterstützen werden wir die Regierung allerdings in ihrer Po sition zum Europäischen Fonds für strategische Investitionen. Denn es geht nicht an, hierzu Mittel aus dem Forschungsrah menprogramm Horizon 2020 zu verwenden.

Positiv zu werten ist auch das Rückkehrkonzept der Regie rung für die im Rahmen des Europapools entsandten Mitar beiter.

Wir werden gleich auch über den interfraktionellen Entschlie ßungsantrag zu Burundi abstimmen. Mit Burundi haben wir uns keinen leichten Partner ausgesucht: Gewalt gegen De monstranten, Unterbrechung von Internet- und Mobiltelefon netz, Schließung von Universitäten und Radiostationen, zu nehmend politisch motivierte Gewalt, Gefahr vor terroristi schen Anschlägen durch die somalische Al-Shabaab-Miliz. Human Rights Watch hat in einem Bericht auf außergericht

liche Hinrichtungen, politisch motivierte Angriffe und Tötun gen, die sowohl von Regierungs- als auch von Oppositions seite während und nach den Wahlen 2010 stattfanden, hinge wiesen.

Die „taz“ hat kommentiert:

Burundi ist eines der kleinsten und ärmsten Länder Afri kas, aber die politische Krise, die der Präsident jetzt vom Zaun gebrochen hat, ist eine der größten und folgen reichsten. Erst vor gut zehn Jahren endete ein Bürger krieg zwischen Tutsi-dominierter Armee und Hutu-Rebel len, der 300 000 der damals rund 6 Millionen Einwohner das Leben kostete.

Die „taz“ fährt in dem Kommentar mit der Einschätzung fort, in Burundi drohe eine Neuauflage des Bürgerkriegs der 1990er-Jahre.

Hoffen wir alle, dass es dazu nicht kommt. Die Entwicklungs zusammenarbeit mit Burundi stand und steht vor einem Di lemma. Wir haben nach dem Ende des Bürgerkriegs versucht, alles dafür zu tun, dass ein erneutes Abgleiten in einen Bür gerkrieg vermieden wird. Andererseits haben wir mit dieser Hilfe die sogenannte Elite des Landes satt gemacht. Was hat sie dazu beigetragen, das Land voranzubringen? Nichts. Die Regierung in Burundi rechnet damit, dass wir uns mit der Si tuation im Land arrangieren.

Aber das tun wir nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ma chen wir klar, dass wir bereit sind, alle entsprechenden Kon sequenzen zu ziehen! Ich habe die Hoffnung, dass unsere heu tige Entschließung zu einer Verbesserung der Situation bei tragen kann. Schließlich stirbt die Hoffnung zuletzt. Aber, wenn ich es offen sagen darf, allzu groß ist meine Hoffnung derzeit nicht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Für die Landesregie rung erteile ich Herrn Europaminister Friedrich das Wort.

Herr Präsident, meine sehr ge ehrten Damen und Herren! Es wurden viele Themen ange sprochen, die in dem Bericht enthalten sind, und einige, die in der Zwischenzeit neu hinzugekommen sind oder sich wei terentwickelt haben – wie immer bei Debatten zu Europabe richten –, da sich der Bericht auf das erste Quartal dieses Jah res bezieht, das bereits abgeschlossen ist.

Ich will für die Landesregierung noch zu ein paar Punkten Stellung nehmen:

Erstens zum Thema „Freihandelsabkommen TTIP“ und zu der eben dazu aufgekommenen Debatte: Ich will klar und deut lich machen – Herr Reith, das ist wohl auch aus dem Be schluss, den die Landesregierung gefasst hat, klar herauszu lesen –: Wir wollen einen erfolgreichen Abschluss der Ver handlungen zu TTIP, und wir wollen, dass TTIP ein Erfolg wird. Damit es ein Erfolg wird, muss es besser werden als das, was bisher darüber bekannt ist.

TTIP ist wie jede Form von Freihandelsabkommen kein Selbstzweck. Es geht darum, gemeinsam mit denen, mit de nen wir verhandeln – in diesem Fall mit den Amerikanern, mit den Vereinigten Staaten von Amerika –, wechselseitig Stan dards anzuerkennen, die nicht unterlaufen werden. Das steht überhaupt nicht im Widerspruch zu dem, was die EU-Kom mission und die Bundesregierung momentan zu TTIP verlaut bart haben, sondern wir bestärken die Verhandler darin, in den Verhandlungen darauf zu achten, dass es nicht zu Einschrän kungen, Absenkungen oder irgendwelchen faulen Kompro missen kommt. Nur damit es zu TTIP kommt, wollen wir bei den Standards, die wir uns angeeignet haben, keine faulen Kompromisse, wir wollen sie aber gern mit den Amerikanern für einen globalen Rahmen gestalten.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Deswegen ist es so wichtig, dass wir insgesamt bei der Frage „Wie sieht denn die institutionelle Ausgestaltung der verschie denen Elemente von TTIP aus?“ – sei es, was das Thema „Ge richtsbarkeit in Streitigkeiten“, was den Investorenschutz an geht, sei es, was die Fragen regulatorischer Zusammenarbeit angeht, sei es, was die Frage angeht: wie wird TTIP eigent lich letzten Endes beschlossen und legitimiert? – auf eine vol le Durchsetzung dessen achten, was wir als demokratischen Rechtsstaat verstehen.

Wir sind nicht bereit – die Amerikaner übrigens auch nicht –, irgendwelche Formen von Zugeständnissen zu machen, dass wir beispielsweise sagen würden: Dann schränken wir halt die demokratischen Mitwirkungsrechte dafür ein bisschen ein, dass wir vielleicht eine Wachstumsoption bekommen. Wir wollen vielmehr, dass wir den globalen Markt, der mit TTIP entsteht, gemeinsam so gestalten, dass es nicht im Wider spruch zu etablierter, funktionaler und rechtsstaatlich legiti mierter Gerichtsbarkeit steht, dass es nicht im Widerspruch dazu steht, dass die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union weiterhin die Möglichkeit haben, selbst zu regulieren und Standards weiterzuentwickeln.

Ganz besonderen Wert – das betonen wir ausdrücklich – le gen wir darauf: Die Mitgliedsstaaten behalten das Recht, al les, was zur öffentlichen Daseinsvorsorge zählt, zu definieren. Das ist eine Debatte, die wir, wenn es um den Europäischen Binnenmarkt geht, immer wieder führen. Denken Sie nur an die Stichworte Sparkassen, Wasserversorgung, Stromversor gung, Kultur, Dienstleistungen und den Bildungsbereich. In der Europäischen Union ist schon heute geregelt, dass das, was Daseinsvorsorge ist, was von der öffentlichen Hand, vor allem von den Kommunen, erbracht wird, in den Mitglieds staaten selbst entschieden wird. Dieses Recht wollen wir be halten.

Es ist möglich, das in TTIP so zu verankern, dass dieses Recht bestehen bleibt. Deswegen gibt es da keinen Widerspruch, sondern wir bestärken die Verhandler darin, genau diese Po sition durchzusetzen, damit öffentlich bleibt, was tatsächlich öffentliche Belange sind.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)