Dies sagte nicht etwa ein Oppositionspolitiker über den Ge setzentwurf zur Inklusion, sondern der Behindertenbeauftrag te der Landesregierung Gerd Weimer bei der öffentlichen An hörung im Bildungsausschuss am 1. Juli. Der Behindertenbe auftragte bestätigte damit die FDP/DVP-Fraktion in ihrer Hal tung,
(Lachen des Abg. Thomas Poreski GRÜNE – Abg. Thomas Poreski GRÜNE: Fragen Sie ihn mal, ob er das auch so sieht!)
dass es dem Gesetzentwurf gutgetan hätte, wenn sich GrünRot frühzeitig für die Opposition und für die möglicherweise kritischen, aber an der Sache orientierten Stimmen der Exper ten geöffnet hätte.
Eine solche interfraktionelle Arbeitsgruppe mit externen Sach verständigen hatte die FDP/DVP-Fraktion bereits am 11. De zember 2013 vorgeschlagen, nachdem der Kultusminister den Start der Inklusion verschoben hatte. Eigentlich hätte es im Interesse aller im Landtag vertretenen Fraktionen sein müs sen, ein Inklusionskonzept zu entwickeln, das den Regierungs wechsel überdauert. Eine interfraktionelle Bearbeitung hätte die Chance geboten, dem Gesetzentwurf diejenige Reife zu geben, die ihm nun leider fehlt.
Das haben jedenfalls die Sachverständigen bei der öffentli chen Anhörung im Bildungsausschuss zum Ausdruck ge bracht. Obwohl sich alle Sachverständigen im Grundsatz zur Inklusion bekannt haben, haben die kritischen und besorgten Stimmen bei Weitem überwogen, und sie haben zahlreichen Nachbesserungsbedarf angemahnt. Den schien die Koalition aber nicht hören zu wollen und unterband die Möglichkeit, die Anregungen im Ausschuss in den Gesetzentwurf einzuar beiten.
Erstens: Kritische Stimmen kamen u. a. von den freien Schu len. Obwohl sich zahlreiche Sonderschulen in freier Träger schaft befinden, hat die Landesregierung erst kurz vor der Vor lage des Gesetzentwurfs zur Inklusion Gespräche mit den Pri vatschulverbänden aufgenommen. So konnten zahlreiche of fene Fragen nicht geklärt und wesentliche Anliegen der frei en Schulen nicht in den Gesetzentwurf aufgenommen werden. Offen ist u. a., wie eine gleichberechtigte Einbeziehung der freien Schulen in die regionale Planung, Bildungswegebera tung und Umsetzung der Inklusion eingebunden werden kann. Auch würde die vorgesehene Bezuschussung von Schülerin nen und Schülern in Inklusionsklassen und -gruppen an frei en Schulen eine finanzielle Schlechterstellung gegenüber der
bisherigen Finanzierungspraxis bedeuten, wie auch die Sach verständigen der Privatschulverbände ausführten.
Deshalb kann die FDP/DVP-Fraktion Artikel 2 des Gesetz entwurfs Drucksache 15/6969, der das Privatschulgesetz än dert, nicht mittragen. Stattdessen schlagen wir vor, dass die Landesregierung das Versäumte nachholt und unverzüglich in Gespräche mit den Privatschulverbänden eintritt, um in den angesprochenen ungeklärten Fragen eine Verständigung zu er zielen.
Zweitens: Besorgte Stimmen vor allem vonseiten der Lehrer- und Beamtenvertretungen und der Körper- und Mehrfachbe hinderten bezogen sich auf die Zukunft der Sonderschulen. Nach Auffassung der FDP/DVP-Fraktion sind die Leistungen der baden-württembergischen Sonderschulen im Bereich der Bildung und Förderung von jungen Menschen mit Behinde rungen herausragend und unverzichtbar. Wir Freien Demo kraten treten deshalb dafür ein, dass die Existenz der Sonder schulen gesichert bleibt. Mehr Wahlmöglichkeiten entstehen nach unserer Einschätzung vor allem, indem sowohl Sonder schulen als auch Inklusionsangebote an allgemeinen Schulen bestehen.
Auf meine Frage nach der Zukunft der Sonderschulen antwor tete der Landes-Behindertenbeauftragte, dass unklar sei, wie die Schullandschaft zukünftig aussehe. In ähnlicher Weise wird auch im Gesetzentwurf der Landesregierung das mögli che Ausbluten der Sonderschulen billigend in Kauf genom men. Mehr noch: Die Sonderschulen sollen nach dem Willen von Grün-Rot im Schulgesetz die Bezeichnung „Schule“ ver lieren und künftig „Sonderpädagogische Bildungs- und Bera tungszentren“ heißen. Damit der Schulstatus der Sonderschu len eindeutig im Gesetz festgeschrieben bleibt, beantragt die FDP/DVP-Fraktion, die Bezeichnung „Sonderschule“ beizu behalten und um den Zusatz „mit sonderpädagogischem Bil dungs- und Beratungszentrum“ zu ergänzen. Schülerinnen und Schüler wollen in eine Schule gehen, nicht in ein Zentrum.
Zudem soll im Gesetz festgeschrieben werden, dass die Son derschulen mit sonderpädagogischem Bildungs- und Bera tungszentrum für die fachliche Betreuung und Unterstützung der allgemeinen Schulen bei ihren Inklusionsangeboten zu ständig sind. Immerhin hat die Landesregierung auf die Kri tik der Verbände reagiert und unter dem Stichwort „Koopera tive Organisationsformen“ die Außenklassen in den Gesetz entwurf aufgenommen. In der Begründung ist der Begriff „Außenklassen“ sogar explizit aufgeführt. Seitens der FDP/ DVP-Fraktion begrüßen wir dies ausdrücklich, denn die Au ßenklassen sind mit ihrer Anbindung an die Sonderschulen und Platzierung an den Regelschulen vielerorts die ideale Ko operationsform.
Drittens: Vor allem die Vertreter der Eltern und der LAG SELBSTHILFE mahnten Qualitätssicherung an. Wenn das wichtige gesellschaftspolitische und bildungspolitische Vor haben der Inklusion längerfristig ein Erfolg werden soll, muss auch nach Auffassung der FDP/DVP-Fraktion großer Wert auf die Qualität der sonderpädagogischen Bildung und Betreuung in den Inklusionsklassen bzw. -gruppen gelegt werden.
Wir schlagen daher vor, zur Qualitätssicherung eine unabhän gige Einrichtung mit der wissenschaftlichen Begleitung der Umsetzung der Inklusion zu betrauen und dem Landtag hier
zu regelmäßig zu berichten. Der Bericht sollte jeweils vor den Beratungen über einen regulären Haushalt erfolgen, damit der Haushaltsgesetzgeber gegebenenfalls darauf reagieren kann. In dem Bericht sollten neben statistischen Angaben zum Aus baustand der Inklusion vor allem auch qualitative Aspekte ei ne Rolle spielen. Dabei ist u. a. zu überprüfen, ob eine ausrei chende Versorgung mit Sonderschullehrkräften sichergestellt ist und ob das Konzept der gruppenbezogenen Inklusion um gesetzt ist bzw. inwieweit Einzelinklusion oder die Bildung gemischter Gruppen mit unterschiedlichen Förderschwer punkten vermieden werden konnte.
Weitere Anträge zielen auf mehr Planungssicherheit für Schu len und Schulträger, den Abbau von Hemmnissen beim Ein satz von Privatschullehrkräften an staatlichen Schulen und ei nen Zustimmungsvorbehalt des Bildungsausschusses bei der Inklusionsverordnung, in der wichtige Fragen geklärt werden müssen.
Ohne diese Änderungen und Maßnahmen kann die FDP/DVPFraktion dem Gesetzentwurf nicht zustimmen, gerade weil wir Freien Demokraten die Inklusion befürworten und weil wir der Ansicht sind, dass wir den Kindern mit Behinderun gen den höchsten Qualitätsstandard bei ihrer Förderung schul dig sind.
Zustimmen werden wir hingegen dem zweiten vorliegenden Gesetzentwurf, der auf der Finanzierungsvereinbarung mit den Kommunen zur Inklusion beruht. Die kommunalen Lan desverbände haben hierzu ihr grundsätzliches Einverständnis signalisiert. Hier scheint anders als beim ersten Gesetzentwurf eine tragfähige Arbeitsgrundlage für die Beteiligten geschaf fen worden zu sein.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Es ist ei ne Frage der Menschenwürde, dass die Teilhabe eines Men schen an unserer Gesellschaft nicht davon abhängen darf, ob er eine Behinderung hat oder nicht. Ich denke, dass wir es nur in einem breiten gesellschaftlichen Bündnis schaffen, dass die ses sehr ambitionierte Ziel in allen gesellschaftlichen Berei chen auf lange Sicht Realität werden kann.
Mit den beiden Gesetzen, die heute zur Abstimmung stehen, stellen wir im Bildungsbereich die Weichen in diese Richtung, die Weichen hin zu einer inklusiven Gesellschaft. Deswegen rufe ich nochmals alle auf, diesen Gesetzentwürfen zuzustim men.
Inklusion, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist nicht nur eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe; sie muss vor allem auch ein gesamtgesellschaftliches Anliegen sein. Diesem An
liegen hat sich die Landesregierung verpflichtet. Ich weiß, dass auch die Opposition dieses Ziel der Umsetzung der In klusion im Grunde teilt. Deswegen danke ich Ihnen auch für diese entsprechenden Aussagen.
Die Bedeutung der Inklusion reicht dabei ganz sicher weit über den Bildungsbereich hinaus. Wir sind auf allen gesell schaftlichen Ebenen aktiv, um diesem Ziel einer stärkeren Teilhabe von Menschen mit Behinderungen gerecht zu wer den und näherzukommen. Dies können Sie auch am Beispiel des Aktionsplans zur Umsetzung der UN-Behindertenrechts konvention sehr deutlich nachvollziehen.
Gerade im Bildungsbereich treffen wir immer wieder auf die intensivsten Diskussionen. Aber gerade im Bildungsbereich ist die Inklusion für viele Menschen auch besonders gut greif bar. Als Eltern, als Lehrerin oder Lehrer oder auch als Schü lerin oder Schüler haben sie einen ganz unmittelbaren Bezug zur Schule. Jeder von uns hat selbst eine Schule besucht und dort auch seine eigenen Erfahrungen gesammelt. Schule ist in unserer Gesellschaft heute, gerade was die Lebensphase der Kinder und Jugendlichen angeht, ein Ort, an dem auch sehr viel Prägendes hinsichtlich der Persönlichkeit eines Menschen geschieht. Deswegen halte ich es gerade auch im Hinblick auf die Entwicklung der Persönlichkeiten der Schülerinnen und Schüler in unserem Land für besonders wichtig, dass wir die sen Anspruch der gesellschaftlichen Teilhabe auch an unseren Schulen umsetzen, und zwar nicht nur im Interesse der Kin der mit Behinderungen, sondern insbesondere auch im Inter esse der Kinder ohne Behinderungen.
Ich freue mich daher über die Aufmerksamkeit für dieses The ma, denn ich bin überzeugt, dass eine intensive gesellschaft liche Diskussion auch einen wichtigen Beitrag zum Erfolg dieses Vorhabens insgesamt leisten kann. Mit der Verabschie dung der Gesetzentwürfe sind wir mitnichten am Ende einer Entwicklung angekommen, sondern wir legen damit letztlich erst den fundierten Grundstein dafür, dass diese Entwicklung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten bei uns in BadenWürttemberg erfolgen kann.
Zentrales Element der Änderung des Schulgesetzes – darauf möchte ich nochmals hinweisen – ist die Einführung eines El ternwahlrechts. Wir sind überzeugt, dass den Eltern von Kin dern mit einer Behinderung in unserer offenen und toleranten Gesellschaft die Entscheidung freistehen muss, ob ihr Kind an einer allgemeinen Schule oder einer Sonderschule lernen soll.
Dies ist auch die logische Konsequenz aus der Abschaffung der Pflicht zum Besuch einer Sonderschule. Gleichzeitig stel len wir damit sicher, dass die allgemeinen Schulen künftig noch mehr von der großen Erfahrung und der hohen Kompe tenz der Sonderpädagogik profitieren können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dass sich die Son derschulen in diesem Sinn neben ihrer Aufgabe, eigene schu lische Angebote vorzuhalten, auch zu Beratungszentren, zu Zentren sonderpädagogischer Kompetenz, weiterentwickeln sollen, ist nichts Ungewöhnliches, sondern aus dieser Ent wicklung heraus sehr stringent und logisch.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer sich an dem Be griff „Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren“ stößt,
der sollte einen Blick darauf werfen, dass dies – auch auf Bun desebene – ein sehr gängiger Begriff ist, auch wenn es um Äu ßerungen der Kultusministerkonferenz zu diesem Thema geht.
Neben ihren eigenen Bildungsangeboten sollen diese Schulen nämlich gerade verstärkt allgemeine Schulen bei der Umset zung der Inklusion beraten und unterstützen.
Ich möchte es an dieser Stelle nochmals ganz deutlich sagen: Inklusion ist mitnichten eine Bewegung, die sich gegen die sonderpädagogische Kompetenz der Pädagoginnen und Päd agogen richtet. Mitnichten! Wir brauchen, damit Inklusion ge lingen kann, hohe sonderpädagogische Kompetenz bei unse ren Lehrkräften. Deswegen halte ich es für ganz wichtig, dass wir hier in Baden-Württemberg auch in der Lehrerausbildung diese hohe Kompetenz mit einem grundständigen Studium der Sonderpädagogik aufrechterhalten.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, meine sehr ge ehrten Damen und Herren, dass Inklusion nicht nur einen Teil der Bildungs- oder Schullandschaft betreffen darf. Inklusion muss für alle Schulen im Land ein Thema sein, damit auch wirklich die entsprechende Wirkung eintreten kann.
Deswegen darf es für diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe weder eine Ausnahme für einzelne Schularten geben, noch wollen wir Schwerpunktschulen etablieren.
Ich glaube, es war auch Ergebnis der Anhörung, dass der ganz große Teil der angehörten Verbände und Vertreter deutlich ge macht hat: Durch eine Titulierung als Schwerpunktschulen würden wir eine neue Exklusion innerhalb des allgemeinen Schulsystems riskieren. Deswegen ist es richtig, dass wir grundsätzlich von der Kompetenz der einzelnen Schule aus gehen und nicht von vornherein Schwerpunktschulen definie ren.
Klar ist, dass der Weg zu einem inklusiven Bildungssystem nur über eine schrittweise Entwicklung führen kann und nicht jede Schule von heute auf morgen ein inklusives Bildungsan gebot machen kann. Klar ist aber auch, dass mit dem neuen Gesetzentwurf jede Schule dazu aufgefordert ist, sich auf die sen Weg zu machen.
Bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfs haben wir sehr gro ßen Wert darauf gelegt, einen möglichst pragmatischen An satz zu finden, der Anstrengungen erfordert, aber gleichzeitig auch niemanden überfordert, und dennoch dem Anspruch der UN-Behindertenrechtskonvention und vor allem auch den Be dürfnissen der jungen Menschen im Land und deren Eltern gerecht wird. Diese Arbeit hat Zeit gebraucht. Aber diese Zeit war gut investiert, denn wir konnten im Austausch mit vielen unmittelbar Betroffenen auch viele der Sorgen und Nöte, aber insbesondere auch der Hoffnungen, die in diesem Bereich vor handen sind, aufnehmen und in diesem Gesetzentwurf zusam menführen.
Die Änderung des Schulgesetzes ist ein Startschuss für ein Langzeitprojekt, das in den kommenden Jahren und Jahrzehn ten mit Leben gefüllt, vorangetrieben und mit Sicherheit auch an manchen Stellen an neue Entwicklungen angepasst wer den muss.
Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir dürfen auch nicht so tun, als ob in Baden-Württemberg Inklusion nicht bereits an vielen Stellen sehr erfolgreich umgesetzt wür de. Deswegen würde es mich freuen, wenn wir den Lehrerin nen und Lehrern an den Schulen, an denen Inklusion bereits intensiv und erfolgreich umgesetzt wird, auch unsere Hoch achtung aussprechen. Wir haben dort hervorragende Beispie le dafür, dass sowohl die Eltern von behinderten Kindern als auch die Eltern von nicht behinderten Kindern mit großer Be geisterung – das wird auch durch die Bertelsmann-Studie be stätigt – diese Modelle weiterführen wollen.
Es wurde ebenfalls bereits angesprochen: Wir konnten uns Ende Juni mit den Kolleginnen und Kollegen aus dem Bil dungsausschuss in Südtirol einen unmittelbaren Eindruck da von verschaffen, wie Inklusion in einem Bildungssystem aus sieht, das bereits in den Siebzigerjahren konsequent in Rich tung Inklusion ausgerichtet wurde. In Südtirol ist das gemein same Lernen von Kindern mit und Kindern ohne Behinderun gen mittlerweile selbstverständlich. Dennoch arbeitet man auch heute noch an weiteren Verbesserungen, wie beispiels weise bei der Frage des Übergangs in den Beruf.
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, insbesonde re Frau Kollegin Stolz, ich glaube, bei dem Besuch wurde sehr deutlich: Es gibt keine immerwährende Weisheit, die noch da zu in Gesetze oder Verordnungen gegossen werden kann. Des halb gilt hier wie im Bildungsbereich insgesamt: Gerade wenn es um Themen der Inklusion geht, gerade wenn es um die Um setzung der Inklusion geht, wird es auch noch in 20 und in 30 Jahren wichtig sein, dass die Rahmenbedingungen, die wir schaffen, die Möglichkeit eröffnen, im Einzelfall die richti gen, am Wohl des Kindes orientierten Modelle aufzusetzen. Das ist die Stärke unseres Vorschlags, und ich glaube, die Schulverwaltung hat dies auch erkannt, meine sehr geehrten Damen und Herren.