Protokoll der Sitzung vom 15.07.2015

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Nein!)

Insbesondere durch die überstürzte und unvorbereitete Ab schaffung der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung sin ken an den Haupt- und Werkrealschulen die Schülerzahlen, während die Sitzenbleiberquoten an den Realschulen und Gymnasien besorgniserregend steigen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das wird doch jetzt abgeschafft!)

Grün-Rot hatte also den Problemen des demografischen Wan dels noch wirksame Schützenhilfe geleistet. Leidtragende sind sowohl die kleinen Haupt- und Werkrealschulen als auch je ne Schülerinnen und Schüler, die in der Schule überfordert sind.

Die FDP/DVP-Fraktion ist daher der Meinung, dass junge Menschen entsprechend ihren unterschiedlichen Interessen, Begabungen und Motivationen gefördert werden sollten. Des halb setzen wir uns für den Erhalt eines leistungsorientierten und differenzierten Schulwesens ein. Gerade die Haupt- bzw. Werkrealschulen haben in diesem Sinn über viele Jahre hin weg sehr gute Arbeit geleistet und jungen Menschen eine fun dierte Ausbildung zuteilwerden lassen.

(Zuruf von der SPD: Das bestreitet niemand!)

Mit beeindruckendem Erfolg haben diese Schulen die Her ausforderungen einer zunehmend differenzierten Schüler schaft angenommen und auch gemeistert. Wir Freien Demo kraten fordern deshalb eine Entwicklungsperspektive für die Werkrealschulen, ihren Bildungsgang und ihren Abschluss. Wie von der christlich-liberalen Koalition vorgesehen und von Grün-Rot gekippt, sollen die Werkrealschulen in der zehnten Klasse mit den beruflichen Schulen kooperieren können. So würde das berufspraktische Profil der Werkrealschulen und des Werkrealschulabschlusses gestärkt.

Weiter fordert die FDP/DVP-Fraktion, die Bildung von Ver bundschulen zu erleichtern und Hindernisse dafür abzubau en. Bei einer Verbundschule sollte die Schülerzahl in den Ein gangsklassen beider Schulen für das Erreichen der Mindest schülerzahl addiert werden. Darüber hinaus tritt die FDP/ DVP-Fraktion für eine echte regionale Schulentwicklung ein, das heißt Eigenverantwortung vor Ort statt eines grün-roten Schulschließungsbeschleunigungsprogramms.

(Abg. Beate Böhlen GRÜNE schüttelt den Kopf.)

Man könnte für jede Bildungsregion ein Budget aus den ihr zustehenden Ressourcen berechnen. Die Verantwortlichen vor Ort sollten ihr Schulangebot eigenständig gestalten können. Mit dieser Gestaltungsfreiheit könnte auch in ländlichen Be reichen ein vor Ort passendes Schulangebot geschaffen wer den.

Grün-Rot hingegen bietet einigen Schulstandorten sozusagen als letzten Strohhalm die Gemeinschaftsschule an, und für die anderen wird ein Krokodilstränenkonzert mit der Bezeichnung „Regionale Schulentwicklung“ veranstaltet.

(Heiterkeit des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Klasse!)

Eine regionale Schulentwicklung dagegen, die dem Grund satz „Eigenverantwortung vor Ort“ folgt, sichert den Schul frieden; und stabile Rahmenbedingungen sind die Vorausset zungen dafür, dass unser Bildungssystem in Baden-Württem berg auch in Zukunft erfolgreich arbeiten kann. Deshalb ist eine umfassende regionale Schulentwicklung auch ein we sentlicher Bestandteil unseres liberalen Schulfriedenskon zepts.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Bravo!)

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Stoch das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zu Beginn kurz auf den Titel des Antrags und das eigent liche Thema, die regionale Schulentwicklung, eingehen.

Ich denke, wir alle haben – vor allem auch in vielen Gesprä chen mit den Schulträgern, den Städten und Gemeinden so wie den Landkreisen – erfahren, dass sie schon lange darauf gewartet haben, dass eine regionale Schulentwicklung durch geführt wird, und zwar partnerschaftlich zwischen den Schul trägern und der Schulverwaltung.

(Abg. Beate Böhlen GRÜNE: Ja!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn Sie sich allein die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu der in Sachsen praktizierten zentralen Schulnetzplanung anschauen, dann werden Sie feststellen, dass wir genau das getan haben, was das Bundesverfassungsgericht sagt: Wir haben nämlich unter Beachtung der kommunalen Selbstverwaltung und der Selbstverwaltungshoheit die Schulträger, die Städte und Ge meinden sowie die Landkreise in die regionale Schulentwick lung eingebunden. Das ist ein Gebot der Stunde. Die Kom

munen wollen Teil dieser Entscheidungen sein und nicht, wie in anderen Ländern, von oben herab Entscheidungen vorge setzt bekommen. Deshalb geht, Herr Dr. Kern, Ihr Vorwurf ei nes Schulschließungsprogramms der Landesregierung bzw. der sie tragenden Fraktionen völlig an der Sache vorbei.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Das ist die einzige Chance, eine funktionierende Schulinfra struktur zu haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, dass sich bei einer so tief greifenden Veränderung in unserem Schulsystem na türlich für alle Beteiligten auch Veränderungen nicht nur in der pädagogischen Arbeit ergeben, dürfte eigentlich jedem klar sein. Wenn Sie vor Ort gehen, dann merken Sie sehr schnell, dass gerade die Entwicklung der vergangenen vier Jahre in vielen Schulen unseres Landes im weiterführenden Schulbereich motivierend gewirkt hat und sich viele Lehre rinnen und Lehrer auf den Weg gemacht haben, mit den ver änderten Herausforderungen, mit der Heterogenität an ihren Schulen entsprechend umzugehen.

Ich möchte eines ganz deutlich sagen, Herr Kollege Müller, da Sie heute sehr konzentriert auf die Frage des Verbleibs der Lehrkräfte dieser Schulen eingegangen sind: Wir hatten allein schon im Zeitraum zwischen 2001 und 2011 – in zehn Jahren, in denen Sie wohl unstreitig die Regierung innehatten – in den fünften Klassen unserer Haupt- und Werkrealschulen einen Rückgang von 40 000 auf 23 000 Schülerinnen und Schüler.

In dieser Zeit – das war die Zahl, die vorhin auch von Frau Kollegin Boser genannt wurde – sind über 400 Standorte von Haupt- und Werkrealschulen sukzessive von der Bildfläche verschwunden. Sie werden mir nicht erzählen wollen, Herr Kollege Müller, dass in dieser Zeit nichts getan wurde, um diesen qualifizierten und motivierten Lehrkräften einen guten Einsatzort zu vermitteln. Genau dies, Herr Kollege Müller, ist in der Vergangenheit so gewesen, und dies ist auch aktuelle Praxis in unserer Schulverwaltung.

(Abg. Ulrich Müller CDU: In zehn Jahren 400!)

Ich habe mir, nachdem wir dieses Thema auch hier schon mehrfach diskutiert haben, die Mühe gemacht, bei jedem Kon takt mit unseren Schulämtern auch auf diesen Aspekt hinzu weisen und zu fragen: Wie geht ihr mit diesem Thema um? Mir wird von den Schulämtern mitgeteilt, dass überall, in al len Schulbezirken unseres Landes in der sukzessiven Verän derung, die ja stattfindet – nicht aufgrund des Schließens von Schulstandorten, sondern aufgrund des Auslaufens von Schul standorten –, natürlich noch für eine gewisse Zeit auch Lehr kräfte an diesen Schulen benötigt werden und dass in diesem Prozess des sukzessiven Auslaufens die Lehrkräfte, die an die sen auslaufenden Haupt- und Werkrealschulen nicht mehr ein gesetzt werden können, nach sehr individuellen Gesprächen sehr gut und vor allem auch den Interessen der einzelnen Lehr kraft entsprechend in unserer Schullandschaft eingesetzt wer den. Wir haben keinen einzigen Fall, in dem wir keine Ver wendung für die hoch qualifizierten Lehrkräfte in unserem Land gefunden hätten.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Ulrich Müller CDU: Das ist bei Beamten auch logisch!)

In der Systematik unseres Schulsystems bieten sich natürlich verschiedene Möglichkeiten. Frau Boser hat es vorhin ange sprochen: Die Lehrkräfte haben im Zweifel eine Ausbildung als Grund- und Hauptschullehrkraft. Wenn diese Lehrkräfte im Sekundarbereich einer Hauptschule oder Werkrealschule tätig waren oder sind, dann haben sie sehr häufig – das wird mir so geschildert – nicht die Absicht, zukünftig im Primar bereich – das heißt in der Grundschule – eingesetzt zu wer den. Dort ergibt sich sehr häufig – oft auch sehr wohnortnah – eine Einsatzmöglichkeit, aber sehr häufig sagen diese Lehr kräfte: „Wir wollen weiterhin im Bereich der weiterführen den Schulen tätig sein.“

Da ergeben sich natürlich verschiedene Möglichkeiten. Da er gibt sich die Möglichkeit, an einem anderen Standort einer Haupt- oder Werkrealschule – also in der gleichen Schulart – tätig zu werden. Aber es ergibt sich natürlich auch die Mög lichkeit, diese Lehrkräfte zukünftig mit entsprechender Wei terqualifizierung z. B. auch an Gemeinschaftsschulen, z. B. auch an Realschulen einzusetzen oder, meine sehr geehrten Damen und Herren, auch im Zusammenhang mit Sonderschu len einzusetzen. Denn es ist bereits gängige Praxis, und es ist auch schon zu Ihrer Regierungszeit so gewesen, dass neben Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen teilweise auch andere Lehrkräfte – u. a. auch Grund- und Hauptschullehr kräfte, auch Realschullehrkräfte – an Sonderschulen einge setzt wurden.

Da ist mir ganz wichtig: Wir müssen erreichen, dass wir die Lehrkräfte auf diese neuen Einsätze in anderen Schularten, auch was Veränderungen in der Pädagogik angeht, gut vorbe reiten.

(Abg. Ulrich Müller CDU: So ist es! Ja! Und was ge schieht nun?)

Dafür, meine sehr geehrten Damen und Herren, gibt es – um auf Ihren Antrag zurückzukommen – ein umfangreiches Fort bildungsangebot. Wir sind natürlich laufend dabei, die Bedar fe neu zu erfassen und dieses Fortbildungsangebot auch mög lichst passgenau auf diese Lehrkräfte zuzuschneiden.

Ich kann Ihnen ein Beispiel nennen: Wir haben allein im Be reich der Grundschule fünf fachlich orientierte Module: Um gang mit Heterogenität, Schriftspracherwerb, Beratung, Leis tungsmessung und Bewertung. Wir haben für die Zielschul arten Realschule und Gemeinschaftsschule verschiedene Mo dule auch der fachdidaktischen Aufarbeitung und Verände rung.

Wir wollen – auch im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts; das ist mein Ziel – die Fort- und Weiterbildung so ausgestalten, dass dies, auch was die Besol dungskonsequenzen angeht, entsprechend Berücksichtigung finden kann.

Ich erinnere an die Entscheidung des Bundesverfassungsge richts zu der Situation in Rheinland-Pfalz; Sie haben diese Entscheidung vielleicht zur Kenntnis genommen. Dort war ei ne Lehrkraft, die nach A 12 besoldet wurde, als Hauptschul lehrkraft eingestellt und einer sogenannten Realschule plus eingesetzt worden. Die „Realschule plus“ resultierte aus der Entscheidung der Landesregierung in Rheinland-Pfalz, Haupt-

und Realschulen zusammenzufassen. Diese Lehrkraft in A 12 hatte ihre Tätigkeit an einer Schule ausgeübt, an der viele ih rer Kollegen in A 13 tätig sind – mit den gleichen Schülern, mit den gleichen Klassen umgehend.

Dazu hat das Bundesverfassungsgericht eindeutig gesagt: Ers tens müssen die Lehrkräfte auf diese Aufgabe gut vorbereitet werden, aber zweitens muss auch eine Aufstiegsmöglichkeit bestehen, um hier nicht dauerhaft eine Benachteiligung vor liegen zu haben. Deswegen sind wir – das kann ich Ihnen sa gen – derzeit damit befasst, ein Konzept zu erstellen, das auch einer bestimmten Zahl von Lehrkräften die Möglichkeit gibt, in hoher Qualität eine Fortbildung, eine Weiterbildung für den möglichst guten Einsatz in dieser neuen Schulart zu absolvie ren. Gleichzeitig wollen wir auf der Seite der Besoldung – sei dies durch den Laufbahnwechsel oder eine entsprechende Be förderung – auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungs gerichts entsprechend aufnehmen.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Jetzt, Herr Müller! Passt doch! – Gegenruf des Abg. Ulrich Müller CDU: Davon steht in der Drucksache nichts drin!)

Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren: Wir ha ben in unseren Schulen in Baden-Württemberg eine Situati on, die es uns erlaubt, die Lehrkräfte, die an einzelnen Schul standorten nicht mehr verwendet werden können, an anderen, sehr oft wohnortnahen Schulen einzusetzen – teilweise in an deren Schularten. Dort bekommen die Lehrkräfte von uns durch Fort- und Weiterbildung sowie entsprechende Qualifi zierungsmaßnahmen das notwendige Rüstzeug, das sie brau chen, um an dieser neuen Schule erfolgreich tätig sein zu kön nen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Meine Damen und Her ren, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

(Zurufe: Was?)

Wir kommen zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung des Antrags Drucksache 15/4125 (Geänderte Fassung).

Hierzu liegt der Änderungsantrag der Fraktion der CDU, Drucksache 15/7170, vor, der die Einführung eines neuen Ab schnitts II begehrt. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthal tungen? – Damit ist der Änderungsantrag mehrheitlich abge lehnt.

Wir kommen zum ursprünglichen Berichtsantrag der Frakti on der CDU, Drucksache 15/4125 (Geänderte Fassung), der für erledigt erklärt werden kann. – Sie stimmen zu.

Damit ist Punkt 8 der Tagesordnung erledigt.

Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der heutigen Ta gesordnung angelangt.

Die nächste Plenarsitzung findet morgen, 16. Juli 2015, um 9:30 Uhr statt.