Über die inhaltlichen Punkte, über die wesentlichen Neuerun gen bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheid haben wir dis kutiert: Absenkung der Quoren, Verlängerung der Fristen, Er weiterung der möglichen Themen, die diesen Beteiligungs möglichkeiten unterworfen sind. Nach meinem Dafürhalten sind die nun gefundenen Regelungen ein wirklich guter Kom promiss auf dem Weg zu mehr direkter Bürgerbeteiligung, weil sie auch den Interessen der Kommunen, beispielsweise in Sachen Rechts- und Planungssicherheit, Rechnung tragen.
Ein weiterer wichtiger Schritt zum Ausbau der direkten De mokratie ist, dass künftig auch Einwohnerinnen und Einwoh ner, die keine EU-Staatsangehörigkeit besitzen, Anträge für Einwohnerversammlungen und Einwohneranträge unterzeich nen dürfen. Ihnen werden damit – das ist ein wichtiger Bei trag zu einer demokratischen Grundlage auf der kommunalen Ebene – kommunalverfassungsrechtliche Mitwirkungsmög lichkeiten eröffnet, die sie bislang nicht hatten, die sie dann wirklich zu Mitbürgerinnen und Mitbürgern, zu Mitgestaltern und Mitmachern auf der kommunalen Ebene befähigen, in dem sie ihnen diese Möglichkeiten einräumen.
Meine Damen und Herren, eine Gesellschaft wird – wie ich finde, zu Recht – auch immer daran gemessen, wie sie mit Kindern und Jugendlichen umgeht. Eine Demokratie braucht auch Nachwuchs im klassischen Sinn. Demokratie und all das, was Demokratie beinhaltet, bekommt man nicht in die Wiege gelegt; man muss sich selbst ständig messen lassen und dar an selbst arbeiten. Demokratie muss auch gelernt sein. Des halb ist es wichtig, dass wir Kindern und Jugendlichen ent sprechende Möglichkeiten einräumen, sich politisch zu inte ressieren und – wenn sie interessiert sind – sich dann auch po litisch zu engagieren. Deshalb stärken wir mit diesem Gesetz auch die Rechte von Kindern und Jugendlichen.
Damit ermöglicht diese Regierung den Jugendlichen – an die ser Stelle ist noch einmal an das bereits verwirklichte Kom munalwahlrecht ab 16 Jahren und an die damit eröffnete Mög
lichkeit, auf der kommunalen Ebene wählen zu dürfen, zu er innern – eine frühzeitige Partizipation am kommunalen Ge schehen. Sie gibt Jugendlichen die Möglichkeit, sich mit ih ren Vorstellungen, mit ihren Begabungen und auf ihre Art und Weise in die Politik einzubringen. Ich bin zutiefst überzeugt: Davon werden wir alle profitieren.
Doch neben den Kindern und Jugendlichen haben wir auch deren Eltern im Blick. Mit dem Gesetzentwurf soll die Ver einbarkeit von kommunalpolitischem Engagement und Fami lie gefördert werden. So wird die Erstattung von Betreuungs aufwendungen verankert. Auf diese Weise wird Menschen, die sich neben der Erziehung, neben der Pflege von Familien angehörigen in kommunalen Gremien einbringen, geholfen, beide sehr herausfordernden Aufgaben parallel wahrnehmen zu können. Übrigens wird dies in einer örtlichen Satzung ge regelt, also in Verantwortung derer, die vor Ort in den Gremi en sitzen.
Ein weiteres Anliegen des Gesetzentwurfs ist die größere Transparenz in kommunalen Gremien. Diese ist essenziell für eine lebendige, eine wahrnehmbare Demokratie; denn diese lebt von informierten Bürgerinnen und Bürgern. Der Zugang zu Informationen, meine Damen und Herren, ist Grundlage für die Teilhabe an einem politischen Geschehen. Deshalb sind im Gesetzentwurf der Zugang zu Sitzungsunterlagen von Ge meinderat bzw. Kreistag wie auch die Veröffentlichung von Gemeinderats- und Kreistagsbeschlüssen im Internet vorge sehen.
Außerdem werden die Möglichkeiten für öffentliche Vorbe ratungen in den Ausschüssen erweitert, um auch hier mehr Transparenz zu schaffen.
Meine Damen und Herren, ein weiterer zentraler Baustein der Reform für eine lebendige Demokratie auf kommunaler Ebe ne ist die Verankerung von Fraktions- und Minderheitenrech ten in der Gemeindeordnung, das heißt, dass dies letztlich von den Betroffenen selbst geregelt wird.
Also: Nicht die Landesregierung gibt direkt vor, wie es ge macht werden soll, sondern die kommunale Selbstverwaltung. Dieser räumen wir durch diese Art der Regelung nach wie vor einen hohen Stellenwert ein.
Erstmals werden in Baden-Württemberg auf kommunaler Ebene auch Fraktionen gesetzlich verankert. Sie erhalten ei gene Rechte, beispielsweise zu eigenen Äußerungen im Amts blatt. Das ist in einem entsprechenden Redaktionsstatut eben falls vor Ort zu regeln.
Meine Damen und Herren, wir stärken auch die Minderhei ten im Gemeinderat und im Kreistag, wenn es beispielsweise darum geht, Verhandlungsgegenstände auf die Tagesordnung zu bringen, bzw. wenn es um die Unterrichtung durch den Bürgermeister geht. Auch da senken wir die entsprechenden Quoren. Ich finde, wir haben hier ein ausgewogenes Maß ge funden angesichts der unterschiedlichen Interessen, die auch in unseren interfraktionellen Diskussionen zum Ausdruck ge kommen sind.
Meine Damen und Herren, wir bauen darauf, dass die Gemein den und die Kreise die jetzt zur Diskussion stehenden Ände
rungen am gesetzlichen Rahmen verantwortungsvoll und ei genständig ausfüllen werden. Ich habe darauf hingewiesen, welche Instrumentarien wir vorgegeben haben.
Durch überlegte Regelungen zum Inkrafttreten und für Über gangsbestimmungen unterstützen wir die Kommunen bei der Umsetzung der neuen Rechtslage und kommen damit einem Anliegen der kommunalen Ebene entgegen.
Meine Damen und Herren, ich hatte eingangs gesagt, dass Willy Brandt mehr Demokratie gefordert hat. Mit „Mehr De mokratie in den Kommunen“ war der entsprechende Abschnitt im Koalitionsvertrag dieser Regierung überschrieben. Diesem Anspruch werden wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gerecht. Wir sorgen dafür, dass sich die starke, die bewährte Demokratie auf kommunaler Ebene auch zukünftig lebendig und vielfältig weiterentwickeln kann. Deshalb baue ich nach wie vor auf eine breite Unterstützung bei diesem Vorhaben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Präsidium hat für die Aussprache eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt.
Herr Präsident, sehr ver ehrte Damen und Herren! Wer in den vergangenen Jahren die Reden und Debatten in diesem Hohen Haus, auch die Reden von Regierungsmitgliedern, verfolgt hat, der hörte oft sehr Widersprüchliches – so auch heute.
Immer wieder wurde hier der Eindruck vermittelt, unser Land befände sich in einem schlechten Zustand.
(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Seit vier Jahren nicht mehr! – Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Was? – Abg. Claus Schmiedel SPD: Was? Es ist in bestem Zustand!)
Sogar von einem desolaten Zustand wurde immer wieder ge sprochen – Herr Schmiedel, auch von Ihnen. Die Worte „Alt last“ und „Erblast“ wurden genannt.
Hören Sie doch einmal zu. – Dieselben Personen haben dann an anderer Stelle und zu anderer Zeit unser Ländle gelobt und erklärt, es sei überall spitze und stehe an vorderster Stelle.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Claus Schmiedel SPD: Die Straßensanierung war überfäl lig! Altlast!)
Genauso ist es mit der Kommunalpolitik. Immer wieder – so auch heute Morgen – wurde die Kommunalpolitik gelobt, wur de hervorgehoben, was für erfolgreiche Gemeinden wir hier hätten, welche Qualität unsere Bürgermeister hätten – Letzte
(Abg. Walter Heiler SPD: Stimmt das nicht? – Ge genruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das wol len wir Ihnen zugestehen, Herr Heiler!)
Doch, das stimmt. Das ist richtig so. Das kann ich nur un terstreichen. Auch die vielen Menschen, die sich ehrenamt lich im Gemeinderat, in den Vereinen engagieren, all dies ist als ein wichtiger Baustein unseres demokratischen Gemein wesens immer wieder lobend erwähnt worden.
Doch dieser Gesetzentwurf, den uns der Herr Innenminister soeben sehr temperamentvoll und mit großen Schlagworten vorgestellt hat, ist für mich genau das Gegenteil. Wir sehen hier genau diesen Widerspruch. Schlagworte wie „Mehr De mokratie“, „Mehr Transparenz“, „Mehr Rechte für Minder heiten“, „Bessere Integration“, das alles ist lobenswert und richtig,
aber in Wirklichkeit ist das, was dieses Gesetz beinhaltet, ein Misstrauensvotum gegenüber den Gemeinden und Bürger meistern.
Sie bringen explizit zum Ausdruck, dass Sie den frei und de mokratisch gewählten Gemeinderäten nicht zutrauen, ihre ur eigensten Angelegenheiten selbst zu regeln.
Denn was für einen Sinn macht es, wenn in einem Gesetz die Frist für die Einladung zu Gemeinderatssitzungen – ich möch te fast sagen: stundengenau – festgelegt wird?
Ist es die Angelegenheit des Gesetzgebers, hier zu regeln und in ein Gesetz zu schreiben, wo und wie Beratungsunterlagen eingesehen werden können? Auch das soeben so lobend und laut erklärte Recht, Fraktionen bilden zu können, wird in ein Gesetz geschrieben. Das sind doch Selbstverständlichkeiten, die seit Jahren praktiziert werden.