Meine Damen und Herren, für die Aussprache über die Regierungserklärung hat das Präsi dium freie Redezeit vereinbart.
Ich erteile in der Aussprache nach § 83 a Absatz 3 der Ge schäftsordnung für die FDP/DVP-Fraktion Herrn Fraktions vorsitzendem Dr. Rülke das Wort.
Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen! Die Schicksale, die die Flücht lingskrise der letzten Wochen und Monate hervorbringt, las sen niemanden unberührt. Sie haben einiges erwähnt: das er trunkene Flüchtlingskind oder auch die Szenen von Familien, die an der ungarischen Grenze am Stacheldraht stehen, die Szenen aus dem Mittelmeer, die wir alle kennen. Niemanden lässt dies unberührt. Deshalb muss auch für alle demokrati schen Kräfte in Deutschland und auch im Land Baden-Würt temberg klar sein: Politisch verfolgte und an Leib und Leben bedrohte Menschen brauchen unsere Hilfe, brauchen unseren Schutz. Diesen Schutz für Verfolgte wollen wir ohne jede Ein schränkung gewähren.
Es war auch gut, dass Sie nochmals – entgegen Ihrem ur sprünglichen Manuskript – das Thema „Gewalt, Gewalt ge gen Flüchtlingsheime“ angesprochen haben. Es ist gut, dass der Landtag von Baden-Württemberg in der vergangenen Wo che ein gemeinsames Zeichen gesetzt hat: Dies dulden wir nicht. Dass etwa in meinem Wahlkreis – in Remchingen – ein für Flüchtlinge vorgesehenes Haus gebrannt hat, beschämt mich ganz persönlich.
Meine Damen und Herren, es ist auch wichtig, das Ehrenamt im Land nicht zu vergessen und deutlich zu machen, was hier geleistet wird. Sie haben gesagt: Ohne das Ehrenamt könnten wir es nicht schaffen. Das zeigt, dass es Grenzen gibt. Aber es ist auch wichtig, deutlich zu machen, was hauptamtlich Tä tige leisten, was der öffentliche Dienst in dieser Zeit leistet. Ich glaube, wenn man sich das anschaut, erkennt man, dass manche ihre Vorurteile, die sie gegen den öffentlichen Dienst im Land Baden-Württemberg und auch anderswo hegen, wirk lich einmal überdenken müssen.
Es ist gut, Herr Ministerpräsident, dass Sie das Schicksal der Menschen, die zu uns kommen, sehr eindringlich in den Blick genommen haben. Mir fehlt aber, Herr Ministerpräsident, der Blick auf diejenigen, die schon da sind. Meine Damen und Herren, die Integrationsfähigkeit jedes Staates findet irgend wo eine Grenze. Das wissen die Menschen im Land BadenWürttemberg und erwarten von der Politik, dass man eben nicht nur die Flüchtlinge in den Blick nimmt, sondern auch die Menschen, die im Land Baden-Württemberg leben; auch sie haben Rechte.
Ich bin nicht sicher, ob alle politischen Entscheidungsträger das so richtig im Blick haben, insbesondere nicht, wenn ich mir die Politik der Bundeskanzlerin in den letzten Wochen an schaue. Man kann mit Flüchtlingen natürlich Selfies machen, die sich über die sozialen Netzwerke in der ganzen Welt ver breiten.
Man kann sagen: „Wir schaffen das.“ Man kann sagen: „Das wäre nicht mehr mein Land, wenn man es anders sähe.“ Da bin ich mit allem d’accord. Man muss das Schicksal der Flüchtlinge in den Blick nehmen. Aber die andere Seite fehlt, nämlich der Blick auf diejenigen, die schon da sind und die sich die Frage stellen: Wann ist die Grenze unserer Leistungs fähigkeit erreicht?
Wenn die Bundeskanzlerin das Dublin-Abkommen bricht und Menschen aus Ungarn ins Land holt, ist dies menschlich ver ständlich. Aber die Frage ist, ob es das richtige Zeichen ist,
einerseits die europäischen Verträge zu brechen und anderer seits zu signalisieren: „Ja, unser Land ist unbegrenzt aufnah mefähig.“ Da hilft es dann auch nicht, sozusagen im Gegen zug das Schengener Abkommen zu brechen und wieder Grenzkontrollen einzuführen, zumal diese Grenzkontrollen überhaupt nichts nutzen; denn jeder, der die deutsche Grenze erreicht und sagt: „Ich möchte einen Asylantrag stellen“, ist einreiseberechtigt. Diese chaotische Politik hilft also gar nichts. Vor diesem Hintergrund wundert es mich schon, dass Sie, Herr Ministerpräsident, das Agieren der Kanzlerin so lo ben.
Die Kanzlerin signalisiert nämlich nicht, dass sie die Befürch tungen der Menschen verstanden hat. Sie signalisiert unbe grenzte Zuwanderung. Das halte ich für falsch, meine Damen und Herren. Deshalb bin ich froh, dass es eben nicht nur die Bundeskanzlerin gibt, sondern auch den Bundespräsidenten, der beides im Blick hat. Wir sind froh, dass wir ihn haben. Sein Satz, der es auf den Punkt bringt, lautet:
Vor diesem Hintergrund, Herr Ministerpräsident, bin ich auch froh, dass Sie in Ihrer jetzigen Regierungserklärung den Satz nicht wiederholt haben, den Sie in der letzten Woche gesagt haben, nämlich den Satz: „Das Boot ist nie voll.“ Dieser Satz ist gefährlich, weil die Menschen im Land Baden-Württem berg ihn falsch verstehen. Sie verstehen ihn nämlich so: Das Boot ist nie voll; unsere Möglichkeiten sind unbegrenzt. Aber unsere Möglichkeiten sind eben nicht unbegrenzt.
Sie haben recht, wenn Sie sagen: „Das Recht auf Asyl ist kein Gnadenakt, sondern ein Grundrecht.“ Niemand will das Recht auf Asyl infrage stellen. Aber klar ist, dass auch die Menschen hier Grundrechte haben.
Sie haben hier einen staatsrechtlichen Exkurs ausgeführt. Der Staatsrechtler Hesse sprach von der praktischen Konkordanz, nämlich davon, dass Grundrechte auch in Konflikt zueinan der geraten können. Da müssen wir eine Balance finden. Wenn wir die Balance finden wollen zwischen den Grundrechten de rer, die zu uns kommen möchten, die einen Anspruch auf Asyl
haben, auf der einen Seite und den Grundrechten derjenigen, die schon hier sind, auf der anderen Seite, muss man beide Gruppen in den Blick nehmen. Die Politik muss zeigen, dass sie handlungsfähig ist, dass sie auch zwischen den unter schiedlichen Gruppen derjenigen, die zu uns kommen, unter scheiden kann – zwischen jenen, die vor dem Tod flüchten, und den Wirtschaftsflüchtlingen. Sonst sinkt die Akzeptanz im Land und geschieht das, was schon lange von allen be fürchtet wird: dass die Stimmung im Land kippt.
Herr Ministerpräsident, Sie haben in Ihrer Regierungserklä rung und auch in der vergangenen Woche an dieser Stelle vom pragmatischen Humanismus gesprochen. Politisch Verfolgte und vom Tod bedrohte Kriegsflüchtlinge genießen unseren Schutz, aber wir sind nicht in der Lage, die reinen Wirtschafts flüchtlinge aufzunehmen; das überfordert uns. Deshalb müs sen wir differenzieren.
Die Frage ist, Herr Ministerpräsident, ob Ihre Regierung auch so handelt, wie Sie reden. Sie haben heute und in der vergan genen Woche deutlich gesagt, dass Sie diese Differenzierung vornehmen. Die Frage ist, ob sich diese Differenzierung dann auch tatsächlich im Regierungshandeln wiederfindet.
Am gestrigen Nachmittag haben Sie im Neuen Schloss die Fraktionsvorsitzenden davon unterrichtet, dass bis zur Mit tagszeit 2 050 Flüchtlinge angekommen seien. Eine Stunde später hat dann Herr Minister Gall im Landtag auf die Frage des Kollegen Glück Auskunft gegeben, dass im Jahr 2015 bis her 1 644 Abschiebungen in Baden-Württemberg stattgefun den haben. Also, an einem halben Tag kommen mehr Flücht linge nach Baden-Württemberg, als im ganzen Jahr abgescho ben werden.
Nun kann man sagen, es gibt diese und jene Schwierigkeit. Andere Regierungen tun sich damit auch schwer. Aber schau en wir uns doch einmal die Zahlen aus der Vergangenheit an: Im Jahr 2010 – unter der schwarz-gelben Landesregierung – sind 4 753 Flüchtlinge nach Baden-Württemberg gekommen, und es gab 843 Abschiebungen. Das heißt, die Zahl der Flücht linge hat sich seit 2010 verzwanzigfacht, aber die der Abschie bungen hat sich nur verdoppelt. Herr Ministerpräsident, da können Sie niemandem erzählen, dass Ihre Regierung richtig handelt. Grün-Rot ist nicht Teil der Lösung, sondern an die ser Stelle Teil des Problems, meine Damen und Herren.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU – Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Das ist doch Quatsch!)
Die Berliner Beschlüsse gehen im Wesentlichen in die richti ge Richtung. Sie haben am gestrigen Nachmittag gefragt, ob die Opposition diese Beschlüsse im Wesentlichen teilt. Wir sind uns einig – das kann ich zumindest für meine Fraktion sagen –, was die Verfahrensdauer betrifft. Es ist gut, sie zu verkürzen, um die Möglichkeit zu bekommen, direkt aus den Erstaufnahmestellen abschieben zu können, und auch das Sig nal in Richtung Balkan und andere Länder zu setzen: „Kommt, wenn ihr schlechte Aussichten auf ein anerkanntes Asylverfah ren habt, nicht auf dem Weg des Asyls, kommt zumindest nicht durch diese Tür.“ Es ist auch gut – Sie haben es gestern zuge sagt –, die Verweildauer in den Erstaufnahmestellen, die zur zeit drei Monate beträgt, zu verlängern. Wir sind uns mit Ih nen darin einig, dies so in Baden-Württemberg umzusetzen.
Ich kann Ihnen für die FDP/DVP-Fraktion auch sagen: Wir sind uns mit Ihnen einig, dass es richtig ist, ein zweites Tor zu öffnen, den Weg in Richtung gesteuerte Zuwanderung, in Richtung Zuwanderungsgesetz zu gehen. Es ist falsch, wenn Fachkräfte, etwa vom Balkan, über das Asylrecht zu uns kom men; aber es ist trotzdem denkbar, dass wir diese Fachkräfte brauchen, beispielsweise für den Pflegebereich. Deshalb ist es richtig, diesen Zugang über ein modernes Zuwanderungs gesetz zu schaffen, und es ist auch richtig, dass mit den Ber liner Beschlüssen in der vergangenen Woche ein erster Schritt in diese Richtung gegangen worden ist.
Es ist aber notwendig – dies sage ich in Richtung CDU-Frak tion –, dies schneller umzusetzen, als es etwa der Kollege Kauder angekündigt hat, der gesagt hat: „Wir machen das viel leicht im Jahr 2017.“ Wir haben die Probleme jetzt,
Es ist auch richtig, in diesem Zusammenhang über die Integ ration zu sprechen, über Sprach- und Integrationskurse für die jenigen, die bleiben dürfen. Insofern ist klar, Herr Minister präsident, dass ich auch Ihr Prinzip mittrage: Wir müssen for dern und fördern. Aber es ist mir zu pauschal, zu sagen: Wir müssen alle, die kommen, fordern und fördern. Vielmehr müs sen wir jene fordern und fördern, die eine Bleibeperspektive haben. Die anderen müssen wir relativ rasch wieder rückfüh ren.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU – Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Das hat er doch gesagt!)
Wer zu uns kommt, den müssen wir fordern, das ist völlig klar, meine Damen und Herren. Auch Flüchtlinge müssen sich än dern, wenn sie sich in unsere Gesellschaft integrieren wollen. Die Werte des Grundgesetzes sowie unsere Rechtsordnung und Kultur sind zu respektieren.
Sie haben nun zugestimmt, dass Albanien, das Kosovo und Montenegro zu sicheren Herkunftsländern werden. An einer anderen Stelle haben Sie, Herr Ministerpräsident, erklärt, die Landesregierung handle schnell. Nun, schnell ist es mit den sicheren Herkunftsländern nicht gerade gegangen. Dort haben Sie hinhaltenden Widerstand geleistet.
Noch am vergangenen Mittwoch haben Sie hier im Landtag – auch Sie persönlich – gegen einen Antrag der beiden Oppo sitionsfraktionen gestimmt,
diese drei Länder zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Am nächsten Tag haben Sie dann in Berlin zugestimmt.
Kollege Schmiedel rief: „Schneller geht es nicht!“ Nein, Herr Kollege Schmiedel, Sie hätten schon einen Tag vorher Gele genheit gehabt, dem zuzustimmen. Das wäre mal eine politi sche Leistung gewesen.
Noch besser wäre es gewesen, wenn Sie es am Montag auf der CDU-Pressekonferenz bereits angekündigt hätten.