Protokoll der Sitzung vom 18.11.2015

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 142. Sitzung des 15. Landtags von Baden-Württemberg.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, heute ist der „Tag 5“ nach den islamistischen Massakern in Paris. Das Geschehene ist angesichts der Meldungen der letz ten Stunden jedoch genauso präsent. Wir spüren, dass sich un sere Gefühle auffächern. Wir sind betroffen und getroffen. Wir sind herausgefordert und gewillt, konsequent zu reagieren.

Aber wir sehen zunehmend, dass uns eine komplizierte Auf gabe gestellt ist – eine Aufgabe, die mehr verlangt als herge brachte Reflexe, eine Aufgabe, an der wir alle miteinander wachsen müssen. Das ist uns hier im Landtag von BadenWürttemberg bewusst.

Deshalb haben wir uns in wohltuend raschem Konsens dar auf verständigt, heute Morgen ein gemeinsames Zeichen der vier Fraktionen und der Regierung zu setzen – ein Zeichen, das Orientierung bieten und Vertrauen schaffen soll, ein Zei chen überdies an unsere französischen Nachbarn, Freunde und Partner. Es gilt, klare Worte, aber zugleich die richtigen Be griffe zu finden. Es gilt, die sich verstärkenden Ängste in der Bevölkerung aufzunehmen und doch differenziert zu argu mentieren. Unerlässlich ist die Bereitschaft, nüchterne, ja selbstkritische Analysen anzustellen und dann auch unbeque me, weil illusionslose Folgerungen nicht zu scheuen.

Ein Zeitungskommentar hat den archaisch-hasserfüllten Ter ror der Dschihadisten verglichen mit einem Ungeheuer, das seine Tentakel um die gesamte freie Welt schlingen will und dessen viele Köpfe und Arme immerfort nachzuwachsen scheinen, wenn man sie abschlägt. Das ist ein gutes Bild, denn es macht deutlich: Nicht allein wehrhafte Entschlossenheit ist geboten, sondern im selben Maß auch kluge Besonnenheit – jene Besonnenheit, die sich aus begangenen Fehlern speist.

Das wiederum schließt ein: Unser Mut zu der Freiheit, die wir meinen, darf nicht erlahmen. Die notwendige Kraft vermittelt Empathie mit den Opfern. Empathie als Kern der Realpolitik, das sind wir ihnen und uns schuldig.

Deshalb wollen wir heute als Erstes gemeinsam innehalten, um zu zeigen: Wir trauern um die wahllos und perfide Ermor deten. Wir nehmen Anteil am Leid der Angehörigen. Wir wün schen den Verletzten vollständige Genesung an Leib und See le. Wir fühlen mit den Traumatisierten und hoffen, dass sie den Horror verarbeiten können.

Unsere menschliche Verbundenheit relativiert sich nicht, wenn wir zu erkennen geben, dass uns in diesen Tagen auch der Tod

unseres Altbundeskanzlers Helmut Schmidt berührt. Im Ge genteil: Helmut Schmidt, der unerschütterliche Freund Frank reichs, der überzeugte Europäer, Seite an Seite mit Valéry Gis card d’Estaing Wegbereiter der Europäischen Union.

Helmut Schmidts politisches und persönliches Ethos war, mo ralische Legitimität und pragmatische Rationalität in Deckung zu bringen und sich so in der übernommenen Führungsver antwortung tatsächlich zu bewähren. Das gelang ihm selbst unter schwierigsten Umständen. Helmut Schmidt: wahrlich ein Großer. Seine scharfsinnige und ebendeshalb wohltuende Autorität wird uns fehlen.

Finden wir uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Da men und Herren, jetzt umso nachdrücklicher in jener konzen trierten Stille zusammen, die unsere unbeugsame Einigkeit manifestiert.

Ich bitte Sie, sich von Ihren Plätzen zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich zu einer Schweige minute von ihren Plätzen.)

Ich danke Ihnen.

(Die Anwesenden nehmen ihre Plätze wieder ein.)

Wir kommen nun zu unseren üblichen Bekanntgaben:

Urlaub für heute habe ich Herrn Abg. Dr. Bullinger, Herrn Abg. Lucha und Frau Abg. Schmid erteilt.

Krankgemeldet sind Frau Ministerin Öney, Herr Abg. Bayer, Herr Abg. Blättgen, Frau Abg. Heberer und Herr Abg. Kunz mann.

Aus dienstlichen Gründen entschuldigt hat sich ganztägig Frau Ministerin Altpeter.

Meine Damen und Herren, eine Zusammenstellung der E i n g ä n g e liegt Ihnen vervielfältigt vor. – Sie nehmen davon Kenntnis und stimmen den Überweisungsvorschlägen zu.

Im Eingang befinden sich:

1. Schreiben des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Oktober 2015, Az.:

1 BvR 354/11 – Verfassungsbeschwerde gegen § 7 des Kindertages betreuungsgesetzes wegen des Verbots des Tragens einer religiös mo tivierten Kopfbedeckung

Überweisung an den Ständigen Ausschuss

(Präsident Wilfried Klenk)

2. Mitteilung des Rechnungshofs vom 30. Oktober 2015 – Beratende

Äußerung „Landesbetriebe“ – Drucksache 15/7606

Überweisung an den Ausschuss für Finanzen und Wirtschaft

3. Mitteilung der Landesregierung vom 27. Oktober 2015 – Bericht über

aktuelle europapolitische Themen – Drucksache 15/7616

Überweisung vorberatend an den Innenausschuss, den Ausschuss für Finanzen und Wirtschaft und den Ausschuss für Integration sowie fe derführend an den Ausschuss für Europa und Internationales

4. Mitteilung des Rechnungshofs vom 12. November 2015 – Ergebnis

bericht 2015 – Drucksache 15/7667

Überweisung an den Ausschuss für Finanzen und Wirtschaft

5. Mitteilung der Landesregierung vom 10. November 2015 – Informa

tion über Staatsvertragsentwürfe; hier: Entwurf des Neunzehnten Staatsvertrags zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Neunzehnter Rundfunkänderungsstaatsvertrag) – Drucksache 15/7680

Überweisung an den Ständigen Ausschuss

Meine Damen und Herren, wir haben heute ein Geburtstags kind in unseren Reihen. Lieber Kollege Andreas Deuschle, im Namen aller Abgeordneten gratuliere ich Ihnen herzlich zum Geburtstag und wünsche Ihnen viel Glück im neuen Lebens jahr.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Debatte der Fraktion der CDU, der Fraktion GRÜNE, der Fraktion der SPD und der Fraktion der FDP/DVP – Die Terroranschläge in Paris

Meine Damen und Herren, die Fraktionen haben für diese De batte eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion festgelegt. Ich darf die Mitglieder der Landesregierung bitten, sich eben falls an den vorgegebenen Redezeitrahmen zu halten.

Ich erteile das Wort für die CDU-Fraktion dem Fraktionsvor sitzenden Wolf.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herzlichen Dank, dass es uns gemeinsam ge lungen ist, zu ermöglichen, diese Debatte auch gemeinsam zu führen.

Als man sich am Wochenende Gedanken darüber machte, wel che Themen in der heutigen Debatte eine Rolle spielen könn ten, war sehr schnell klar, dass dies vor allem auch die Stun de, dass dies der Moment ist, in dem ein Parlament aufgeru fen und gefordert ist, ein Signal der Geschlossenheit auszu senden. Es gibt Momente, in denen sich parteipolitische Aus einandersetzungen verbieten, um genau dieser Geschlossen heit Ausdruck zu verleihen und um in dieser Geschlossenheit auch besondere Stärke zu vermitteln.

Die Anschläge in Paris erschüttern uns alle. Wir stehen eng und fest an der Seite unserer Freundinnen und Freunde in Frankreich – in tiefer Freundschaft und ebenso in tiefer Trau er. Unsere Gedanken sind in diesen Tagen bei all denen, die Verwandte, Freunde und Bekannte durch den feigen Terror der Islamisten verloren haben. Die feigen Angriffe sollten nicht nur Paris treffen. Sie zielten auf das Leben aller freien Menschen ab, und sie wurden von Mördern verübt, die genau diese Freiheit hassen. Die Angriffe trafen Paris, sie trafen Menschen freitagabends beim Essen im Restaurant, beim Konzertbesuch, beim Ausgehen, mitten im Leben und mitten in der Stadt, mitten unter uns.

Ihr Ziel waren deshalb wir alle – unsere pluralistische Demo kratie und unser freies Leben. Mehr noch: Die Schüsse und Bomben von Paris galten der Menschlichkeit an sich. Sie tra fen tatsächlich ins Herz aller denkenden und fühlenden Men schen überall auf der Welt.

Der Terror des Islamischen Staates verneint und vernichtet al les, woran wir glauben, alles, was uns ausmacht, was Aufklä rung, Vernunft und der Kampf für Freiheit, Gleichheit, Brü derlichkeit bewirkt und ermöglicht haben. Die Terroranschlä ge sind nicht nur ein Angriff auf Frankreich, sie sind auch ein Angriff auf unsere Werte, ein Angriff auf unsere Freiheit, ein Angriff auf unsere Demokratie und ein Angriff auf die frei heitlichen Gesellschaften im Herzen Europas.

Der radikale Islamismus ist das böseste Geschwür, das sich in unserer menschlichen Zivilisation ausbreiten will. In völliger Perversion beruft er sich dabei auf eine Religion, aber gewalt same Radikalisierung steht im Widerspruch zu jeder Religi on. Es gibt in jeder Religion eine Handlungsmaxime und ein absolutes Gut, und das ist das menschliche Leben selbst. Die ses Leben und seine Würde sind unantastbar; das gilt in allen großen Weltreligionen. Wer sich gegen das Leben und seine Würde stellt, stellt sich gegen den Kernbestand aller großen Weltreligionen.

Meine Damen und Herren, Ziel der terroristischen Barbarei ist es, Hass und Angst zu schüren. Aber wir lassen uns von Terrorismus nicht einschüchtern. Genau das dürfen wir nicht zulassen. Deshalb sind Signale dieser gemeinsamen Debatte so wichtig. Ja, da sind wir geschlossener denn je – im gemein samen Kampf gegen den Terrorismus.