Protokoll der Sitzung vom 16.12.2015

Wer dem Gesetz im Ganzen zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. – Gegenprobe! – Stimmenthaltungen? – Damit ist dem Gesetz einstimmig zugestimmt.

Punkt 13 der Tagesordnung ist erledigt.

Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Eu ropa und Internationales zu der Mitteilung der Landesre gierung vom 27. Oktober 2015 – Bericht über aktuelle eu ropapolitische Themen – Drucksachen 15/7616, 15/7709

Berichterstatter: Abg. Josef Frey

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Ausspra che eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt.

Das Wort für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Dr. Reinhart.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Wolfgang, du kannst lange reden! Wir haben noch genug Zeit! Du hast so einen schönen Anzug an! – Abg. Karl-Wil helm Röhm CDU: Wir haben Zeit, Wolfgang!)

Frau Präsidentin, ver ehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir haben zum Abschluss dieses Plenartags ein Thema, das aktueller nicht sein könnte, nämlich europäische Entwicklungen und europä ische Fragen. Sicherlich steht Europa derzeit im Fokus und an einem Scheideweg, weil mehrere Themen der europäischen

Krise im Mittelpunkt stehen. Dem widmet sich auch der Eu ropabericht, wenngleich er eher die Zeit bis zum 30. Septem ber betrifft. Es ist festzustellen, dass bei diesen Themen seit dem eigentlich eher eine Verschärfung als eine Erleichterung eingetreten ist.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Wie wahr!)

Vor diesem Hintergrund haben wir auch heute ein Thema, das genau dies betrifft:

(Der Redner hält einen Zeitungsausschnitt hoch.)

„Eingreiftruppe an EU-Grenze“. Das ist sicherlich das erste Mal, dass wir ein solches Thema haben. Aber es ist ein The ma, das in unsere Vorstellungen passt. Denn wir glauben: Die großen Themen wie aktuell der Terrorismus – denken wir an die Anschläge in Paris –, die große Thematik der Flüchtlings bewegung und der Migration, aber auch die großen Themen der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, die den Bericht noch betroffen haben, müssen eine Gemeinsamkeit in Europa hervorbringen. Ansonsten wird, wenn wir dort nicht Solidarität schaffen, die Skepsis sicherlich eher noch größer und die Akzeptanz eher noch schwieriger.

Die Terroranschläge von Paris waren im Grunde ein Angriff auf unsere europäische Gesellschafts- und Werteordnung. Deshalb gilt es, alles zu tun, um diese Werte und die Freiheit zu verteidigen. Das zeigt sich gerade in der Außenpolitik. Des halb brauchen wir hier ein gemeinsames Vorgehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, nach Jahrzehnten der Erweiterung und Vertiefung der europäischen Integration, die vielleicht in einem ernsthaften Anlauf ihren Höhepunkt erreichten, näm lich in dem Bestreben, damals einen europäischen Verfas sungsvertrag zu schließen, haben wir jetzt eben mehrere Kri sen mit existenziellen Eigenschaften: neben der islamistischen Terrorismusbedrohung die erwähnte Migrationsherausforde rung und die schwelende Krise der Wirtschafts- und Wäh rungsunion, und dies alles in unterschiedlicher Intensität.

Das sind Herausforderungen, die allesamt über die Kraft ei nes einzelnen Staates hinausgehen. Deshalb helfen hier auch nicht nationale Alleingänge, sondern wir brauchen im Grun de für eine gute Zukunft das gemeinsame Europa auch als wichtige Antwort auf die Globalisierung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund hat auch die Kanzlerin in den letzten zwei, drei Tagen – das war weg weisend – eine Richtung gewiesen, wie wir vorangehen müs sen. Zum einen ist dies, die Außengrenzen schützen. Das ist auch unsere Auffassung. Deshalb begrüßen wir den aktuellen Vorschlag der Kommission, der heute auf dem Tisch liegt.

Auch unsere Fraktion hat sich mit den Themen befasst. Wir wollen europaweit feste Kontingente. Wir wollen ein gemein sames europäisches Asylsystem, auch mit gemeinsamen Stan dards. Wir wollen das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten, das ja von der Bundesregierung ausgeweitet wurde, bejahen und ergänzen.

Wir wollen vor allem auch eine sichere Registrierung und Un terbringung von Asylbewerbern. Dazu gehört, dass wir Hot spots einrichten, dass Rücknahmeübereinkommen mit zahl reichen Herkunftsländern geschlossen und vor allem einge halten werden.

Es hat sich gezeigt, dass sich die Verhältnisse auf dem West balkan stabilisiert haben. Es gibt einen Aktionsplan mit der Türkei. Diesen begrüßen wir. Denn gerade davon erhofft man sich – – Deshalb halten wir auch die Vereinbarung mit der 3-Milliarden-€-Hilfe für richtig.

Auch mit den Nachbarstaaten der Bürgerkriegsländer – Syri en, Irak, Jordanien – muss natürlich kooperiert werden.

Wir begrüßen eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspoli tik sowie eine Intensivierung der Entwicklungszusammenar beit – um nur einige Themen hier anzusprechen.

Das heißt, Europa wird weiterhin vor großen und spannenden Herausforderungen stehen. Es wird nur gemeinsam möglich sein, diese großen Themen, die historisch sind, in Europa zu lösen. Ansonsten würde Europa aus meiner Sicht scheitern. Deshalb gilt es hier, die Daumen zu drücken, dass wir auf der europäischen Ebene genau mit diesen Vorschlägen weiterkom men, um diese großen Herausforderungen zu schultern.

Ich darf mich den guten Weihnachtswünschen an dieser Stel le anschließen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich das Wort Herrn Abg. Frey.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Kol leginnen und Kollegen! Herzlichen Dank an die Landesregie rung für den Bericht und ihr darin sichtbar werdendes Enga gement für den Zusammenhalt in der Europäischen Union. Auch Dank an die Kollegen aller Fraktionen dafür, dass wir mit dem gemeinsamen Entschließungsantrag heute noch ein mal deutlich machen, dass uns die Sparkassen und Volksban ken besonders am Herzen liegen und von unserer Seite auch einen besonderen Schutz haben.

Europa beginnt für uns Baden-Württemberger direkt vor der Haustür. Baden-Württemberg engagiert sich in der grenzüber schreitenden Zusammenarbeit wie nie zuvor. Ob entlang des Rheins, der Donau oder der Alpen – das Land nimmt seine Verantwortung für ein Zusammenwachsen der europäischen Gemeinschaft wahr. Wir schlagen dort Brücken zwischen Staaten, Sprachen und Kulturen, wo Rechtspopulisten natio nale Grenzen ziehen wollen.

Dabei zeigt z. B. unsere grenzüberschreitende Kooperation in den Bereichen Wissenschaft, innovative Wirtschaft und For schung, dass dieses Engagement ein Erfolg ohne Grenzen ist. „Erfolg ohne Grenzen“ heißt auch ein Ausbildungsprojekt, bei dem allein 150 Ausbildungsverträge abgeschlossen wurden und in diesem Jahr wahrscheinlich noch einmal 60 neue hin zukommen werden. Dies stärkt die Wirtschaft, den europäi schen Zusammenhalt und das Vertrauen in eine Europäische Union, die für Zukunftsfähigkeit und Weltoffenheit steht.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP)

Die bisherigen Erfolge zeigen: Grün-Rot ist ein Garant dafür, dass sich das Land mit seiner kleinen Außenpolitik für das Projekt Europäische Union und seine Bürgerinnen und Bür ger engagiert. Wir gehen sogar noch einen Schritt weiter. Denn dank Ministerpräsident Kretschmann und Umweltminister Untersteller haben wir in diesem Jahr das „Memorandum of Understanding“ zum Klimawandel mit Kalifornien abge schlossen, das sowohl in Paris als auch in Lyon für große Auf merksamkeit sorgte und breite Unterstützung fand. Mit ihrem persönlichen Einsatz haben der Umweltminister und der Mi nisterpräsident eine beispielhafte Vorreiterrolle eingenommen und gezeigt, dass wir in Baden-Württemberg nicht nur über Länder-, sondern sogar über Kontinentalgrenzen hinweg Ver antwortung übernehmen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Dies ist ebenfalls ein Erfolg ohne Grenzen und hat dazu bei getragen, dass in Paris ein so ambitioniertes Klimaabkommen unterzeichnet wurde, wie es die wenigsten zu hoffen wagten.

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Wir in Baden-Württemberg können eben nicht nur kleinen Grenzverkehr, sondern auch große Außenpolitik.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD – Lachen der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Bescheidenheit ist eine Zier!)

Baden-Württemberg übernimmt hier Verantwortung. Wenn wir über die Grenzen Baden-Württembergs blicken, sehen wir in vielen Regionen wie in unserem Partnerland Burundi Krieg, Hunger, Armut, und wir sehen Menschen, die davor aus ihrer Heimat fliehen müssen bzw. vertrieben werden. Einige davon kommen auch zu uns nach Baden-Württemberg, wo sie sich einordnen und nicht unterordnen – wie Herr Wolf das heute Morgen gemeint hat – sollen. Auch hier dürfen wir keine Grenzen zwischen Menschen, Sprachen und Kulturen ziehen, sondern müssen wir Außengrenzen abbauen, genauso wie Grenzen nach innen abbauen.

Wie groß ist denn der zu befürchtende Schaden für uns alle, wenn Rechtspopulisten nun auch noch Grenzen innerhalb un seres Landes ziehen wollen, Grenzen zwischen der Herkunft und Bildung von Schutzsuchenden, Grenzen zwischen den Religionen, Grenzen zwischen Flüchtlingen erster und zwei ter Klasse? Dies sind Schubladen, in denen braune Kapitel un serer Vergangenheit liegen, nicht aber Erfolgsrezepte für ein weltoffenes und zukunftsfähiges Baden-Württemberg.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und des Abg. Hans Heribert Blättgen SPD)

Der Blick nach Frankreich zeigt, wie verstört eine Gesell schaft reagiert, wenn Abschottung beschrien wird, statt Will kommenskultur und Integration zu leben. Die Rechtspopulis ten haben das beste Stimmergebnis ihrer Geschichte erzielt. Nur durch eine Solidaritätsaktion der Sozialisten und der Grü nen im zweiten Wahlgang konnte eine Regierungsmehrheit des Front National in den Regionen verhindert werden. Wenn aber Herr Sarkozy in den rechtspopulistischen Abgesang un serer Wertegesellschaft mit einstimmt, stärkt er nur deren

Stimmen. Wer weiter nach rechts rückt, vergrößert nur das rechte Spektrum und schwächt die gesellschaftliche und po litische Mitte.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und des Abg. Hans Heribert Blättgen SPD)

Das sollten wir uns auch für Baden-Württemberg merken.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Sehr richtig!)

Natürlich handelt es sich bei der Bewältigung der Flüchtlings frage um eine der größten Herausforderungen für Politik, Staat und Gesellschaft. Genauso wahr ist aber: Wer hier nur Gren zen zieht, spaltet unser Land und unsere Gesellschaft. Denn nur wenn wir Brücken zwischen Menschen und Kulturen schlagen, können diese für ein friedliches Miteinander zusam menfinden. Dies gilt in Baden-Württemberg, Europa, aber auch sonst in der Welt.

Damit dies gelingt, setzt sich dieses Land eben nicht nur bei seiner Außenpolitik für das Miteinander ein, sondern gemein sam mit unserer starken Zivilgesellschaft und offenen Bürger gesellschaft auch bei uns in Baden-Württemberg. Wir BadenWürttemberger haben den großen Vorteil, dass Europa bei uns eben schon vor der Haustür beginnt. Wir sollten daher nicht auf der Schwelle stehen bleiben, sondern den Weg der euro päischen Integration vorangehen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)