Protokoll der Sitzung vom 17.12.2015

Die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse ist eine we sentliche Grundlage, um die wirtschaftliche Einbindung von Fachkräften mit Auslandsqualifikation zu verbessern und für den baden-württembergischen Arbeitsmarkt zu nutzen. In vie len Bereichen besteht heute, wie wir wissen, ein Mangel an Fachkräften, der sich durch die demografische Entwicklung noch verstärken wird. Vor diesem Hintergrund können wir es uns nicht leisten, vorhandene Potenziale ungenutzt zu lassen.

Viele nach Baden-Württemberg Zugewanderte haben in an deren Staaten der EU oder des EWR über ein Hochschulstu dium oder eine Ausbildung einen Berufsabschluss erworben, der unserem Qualifikationsniveau entspricht. Doch sie kön nen dieses Potenzial bei uns nicht nutzen, weil es an der An erkennung ihrer beruflichen Qualifikation fehlt. Das bringt weder ihnen noch unserem Standort etwas. Diesen Menschen eine Tätigkeit in ihrem erlernten Beruf zu erleichtern ist da mit ein wichtiger Beitrag zur Standortsicherung sowie zur ge sellschaftlichen und wirtschaftlichen Integration ausländischer Fachkräfte.

Die Bauberufsnovelle sieht Verfahrensänderungen vor, mit denen die Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufs qualifikationen im Interesse der Betroffenen erleichtert und beschleunigt wird. Insbesondere können bei der Anerkennung nun Kompetenzen stärker berücksichtigt werden, die nicht durch eine akademische Ausbildung, sondern durch Berufs praxis oder lebenslanges Lernen erworben wurden.

Außerdem können Ausbildungsdefizite mit Ausgleichsmaß nahmen überwunden werden, z. B. durch betriebliche Anpas sungslehrgänge.

Zur Beschleunigung können Verfahren künftig elektronisch oder unter Einbindung der Behörden des Heimatstaats abge wickelt werden.

Auch einem möglichen Missbrauch wird aktiv vorgebeugt. Über den neu einzuführenden Vorwarnmechanismus informie ren sich Mitgliedsstaaten künftig gegenseitig über Personen, bei denen gerichtlich festgestellt wurde, dass sie sich mit ge fälschten Dokumenten eine Anerkennung verschaffen woll ten.

Zudem werden für die absehbare Einführung des sogenann ten europäischen Berufsausweises für die Berufsgruppe der Architekten und Ingenieure schon jetzt die rechtlichen Grund lagen zu dessen Nutzung geschaffen. Damit wird sicherge stellt, dass zur innerstaatlichen Umsetzung von verpflichten dem EU-Recht keine Zeitverzögerung durch eine erneute Ge setzesänderung eintritt.

Neben diesen EU-rechtlich vorgegebenen Änderungen wer den im Gesetzentwurf weitere berufsrechtliche Regelungen an die Entwicklungen der Berufspraxis angepasst. Dies be trifft etwa die Darstellung typischer Berufsaufgaben von Ar chitekten und Ingenieuren, die Regelung zum Schutz der Be rufsbezeichnung „Ingenieur“ sowie die Ergänzung der den beiden Berufskammern zugewiesenen Aufgaben. Hiermit er reichen wir eine weiter gehende Harmonisierung des Archi tekten- und Ingenieurrechts der Länder und zugleich eine Gleichbehandlung unserer langjährig erfolgreich tätigen Kam mern.

Außerdem werden im Sinne des Verbraucherschutzes die ge setzlichen Bestimmungen zur Versicherungspflicht von Be rufsgesellschaften von Architekten und Beratenden Ingenieu ren überarbeitet und wird die Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung für beide Berufsgruppen landes rechtlich eingeführt. Diese neue Gesellschaftsform, deren lan desrechtliche Einführung von Kammern und Berufsverbän den begrüßt wird, erhöht die Wettbewerbsfähigkeit von Ar chitekten und Ingenieuren.

Die Landesregierung hat sich außerdem dazu entschlossen, im Rahmen dieser Gesetzesänderung die Zuständigkeit für die Anerkennung ausländischer Ingenieurqualifikationen von den Regierungspräsidien auf die Ingenieurkammer zu übertragen. Da gerade diese Entscheidung in den letzten Tagen für etwas Aufruhr gesorgt hat, will ich die Gelegenheit nutzen, die Gründe für diese sehr sinnvolle Entscheidung, der natürlich, wie so oft in der Politik, eine Abwägung vorausgegangen ist, nochmals kurz zu erläutern.

Um gleich mit einigen Mutmaßungen aufzuräumen, will ich gleich folgenden Punkt aufgreifen: Wir forcieren mit dieser Änderung keinen Flickenteppich – so war ja einmal zu lesen – landesspezifischer Regelungen. Das Gegenteil ist der Fall: Von den neun Ländern, in denen die Änderung bereits auf dem Weg ist oder schon abgeschlossen wurde, sehen acht Länder die Zuständigkeit der Ingenieurkammer vor.

Das neue Gesetz schränkt auch nicht, wie von manchen be fürchtet, die Mobilität der Ingenieure ein oder erschwert Zu wanderung. Ganz im Gegenteil: Es erleichtert die Zuwande rung und vor allem die Tätigkeit ausländischer Fachkräfte im erlernten Beruf.

Wir belasten auch die Unternehmen im Südwesten durch die ses Gesetz nicht ungerechtfertigt. Im Gegenteil: Durch die No velle wird sogar die Gründung von Ingenieurgesellschaften erleichtert.

Wir befördern mit diesem Gesetz auch keine „Verkammerung“ der Ingenieure. Denn die Pflichtmitgliedschaft für alle Inge nieure ist weder Gegenstand des Gesetzgebungsverfahrens noch etwa „geheime Absicht“ der Landesregierung.

(Zuruf des Abg. Volker Schebesta CDU)

Es gab entgegen anderslautender Darstellung auch genug Zeit für Einwände. Zum Entwurf der Novelle startete im Septem ber eine sechs Wochen dauernde Anhörung, in der valide Ar gumente hätten vorgebracht werden können bzw. vorgebracht worden sind; sie waren allerdings in den meisten Fällen – das muss ich sagen – auch bekannt.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat sich aus folgenden Gründen für die Zuständigkeit der Ingenieurkam mer entschieden:

Erstens führt die Bündelung bei einer Stelle zu mehr Trans parenz, höherer Fachkompetenz und zur Einheitlichkeit der Anerkennungspraxis.

Zweitens werden die Regierungspräsidien – übrigens im Ein klang mit dem 2012 vorgelegten Ergebnis der Prüfung der Aufgabenstruktur der Regierungspräsidien – entlastet.

Drittens beendet die Übertragung der Zuständigkeit die der zeitige rechtliche Ungleichbehandlung der Ingenieurkammer und der bereits zuständigen – ich unterstreiche: erfolgreich zuständigen – Architektenkammer.

Viertens ist die Kammerzuständigkeit für die Berufsanerken nungsverfahren Standard in den anderen Bundesländern.

Und abschließend: Fünftens kann die künftig EU-rechtlich er forderliche Berücksichtigung von Berufsqualifikationen, die durch Berufserfahrung und lebenslanges Lernen erworben wurden, sinnvoll nur von Personen beurteilt werden, die selbst über die entsprechende Fachqualifikation verfügen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will nicht unge sagt lassen, dass der vorliegende Gesetzentwurf neben der Bauberufsnovelle außerdem Änderungen in zwei weiteren Be reichen vorsieht.

Zum einen ist die Neufassung der Regelungen zur Versiche rungsaufsicht über die Versorgungswerke der Rechtsanwälte, Steuerberater, Architekten und Ingenieure erforderlich gewor den. Zudem bedürfen Vorgaben zur Verwendung und Anlage der Mittel der Versorgungswerke ebenfalls einer Anpassung. Über eine Versicherungsaufsichtsverordnung, deren Rechts grundlage mit dem Änderungsgesetz geschaffen wird, wollen wir hier eine transparente Aufsichtsstruktur schaffen. In die ser Verordnung sollen bestehende Aufsichtsvorgaben zusam mengefasst und so der bislang erforderliche Verweis auf bun desrechtliche Regelungen entbehrlich werden. Das im Jahr 2018 neu entstehende Versorgungswerk der Notarkammer Ba den-Württemberg soll in die Vereinheitlichung der Aufsichts vorgaben einbezogen werden.

Zum anderen ermöglicht der Gesetzentwurf unserer Landes kreditbank – ein weiteres Element, das ich erwähnen möchte –, künftig Entscheidungen über die Bewilligung von Förder leistungen in einem vollautomatisierten Prozess vorzunehmen. Damit können wir einen Beitrag zur bürgernahen und einfa chen Verwaltung, aber auch zur Verwaltungsmodernisierung und zum Bürokratieabbau leisten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sehen: Für ei ne Materie, die nicht von vornherein jedermanns Sache ist, handelt es sich um eine sehr dichte Abfolge von Argumenten, die uns dazu bringt, Ihnen das alles vorzuschlagen und heute hier in der ersten Lesung so einzubringen. Ich bitte Sie um Zustimmung zu den vorgesehenen Gesetzesänderungen und freue mich auf die weiteren Debatten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die Aussprache hat das Präsidium eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt.

Für die CDU-Fraktion darf ich Herrn Abg. Dr. Löffler das Wort erteilen.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Seit November 2013 liegt die Berufs qualifikationsrichtlinie auf dem Tisch – oder besser: in der

Schublade – des Finanz- und Wirtschaftsministeriums. Im kommenden Januar droht ein Vertragsverletzungsverfahren wegen mangelnder Umsetzung.

Jetzt stört hektischer Aktionismus die adventliche Besinnlich keit in der Villa Reitzenstein. In aller Eile verschickte letzte Woche das Staatsministerium im Umlaufverfahren den Ge setzentwurf des Finanz- und Wirtschaftsministeriums zur Än derung des Bauberufsrechts an alle Mitglieder der Landesre gierung.

Elektronisch steht die Drucksache noch immer nicht zur Ver fügung – so viel zur Transparenz –, für eine Beratung im Ka binett war keine Zeit mehr.

(Zuruf des Abg. Paul Nemeth CDU)

Das ist bedauerlich. Denn schon im Frühjahr 2013 hätte die ses Gesetz vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und der Integration ausländischer Fachkräfte einen wichtigen Bei trag für die Wirtschaft unseres Landes leisten und auch den Weg für einen europäischen Berufsausweis ebnen können.

Bei Tariftreue, Bildungszeit, bauordnungsrechtlichem Unsinn oder Freistellung für islamische Feiertage hat sich die Regie rung richtig ins Zeug gelegt und unsere Wirtschaft zwangsbe glückt. Nur wenn es um die Interessen des Mittelstands, der Ingenieure und Architekten in unserem Land, geht, ist sie ziemlich fußkrank unterwegs.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Regulativ und ideologisch greift linke Wirtschaftspolitik eben immer gern in unsere Marktwirtschaft ein. Wie ein wirtschafts politischer Erbschleicher war diese Landesregierung damit beschäftigt, den Nachlass der Vorgängerregierung auszuleben. Gestaltet hat sie ihn nicht.

Wer kann, stimmt mit den Füßen ab. Gestern verkündete der weltgrößte Computerkonzern, der seine Hauptverwaltung, sei ne Forschung und Entwicklung bei uns hat, er werde in Mün chen ein Supercomputerzentrum für die nächste Generation der digitalen Entwicklung bauen und dort 1 000 Arbeitsplät ze schaffen. Schöne Reise des Ministerpräsidenten nach Sili con Valley, San Francisco, Flower-Power – außer Spesen nichts gewesen.

Jetzt wurde aus Angst vor einem Vertragsverletzungsverfah ren hastig und mit heißer Nadel ein Gesetz gestrickt und noch vor Weihnachten durch das Parlament gejagt. Der Gesetzent wurf ist etwas verschachtelt, weil versicherungsaufsichtsrecht liche Bestimmungen, Regelungen für die Versorgungswerke, selbst für das noch zu gründende Versorgungswerk der Notar kammern, und Förderleistungen der Landeskreditbank in ei nem Paket zusammengeschnürt wurden, auch wenn dies, ob jektiv betrachtet, vor dem Hintergrund der Neuregelung der Berufsgesellschaften richtig ist.

Realsatire ist es aber schon, dass die L-Bank künftig Förder leistungen vollautomatisch vergeben darf, weil dies die Gleich stellung von Mann und Frau nicht berührt. So steht es in der Kabinettsvorlage. „Vollautomatisch“ kenne ich sonst nur bei Waschmaschinen.

(Heiterkeit des Abg. Jochen Haußmann FDP/DVP)

In einem Hightechland sollten elektronische Finanztransakti onen eigentlich Standard sein.

Die Anerkennung ausländischer Abschlüsse ist in BadenWürttemberg und in den meisten anderen Bundesländern längst bei den zuständigen Berufskammern als einheitlichen Ansprechpartnern organisiert. Nur für Ingenieure war das bei uns bislang nicht der Fall, obwohl die Ingenieure in unserem Land weltweit einen hervorragenden Ruf genießen. Die Inge nieurkammer feierte gerade ihr 25-jähriges Bestehen. In der Festschrift huldigte der Ministerpräsident die Innovations kraft, die Qualitätssicherung und Weiterbildung als Hauptan liegen der Ingenieurkammer. Das kann ich nur unterstreichen. Beim Festakt durfte ich die Rede des Finanzministers hören – ich war ja nicht zum Vergnügen da –: Vom Minister nur Lob über die Arbeit der Ingenieurkammer, aufrichtig und ehrlich wie Sepp Blatter.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU)

Die Kabinettsvorlage will nämlich die Ingenieurkammer ne ben der Rechtsaufsicht auch der Fachaufsicht unterstellen. Be fremdlich dieses Misstrauen; sonst ist das bei Kammern nicht der Fall. Offenbar gab es Streit in der Regierungskoalition, der Ingenieurkammer die Anerkennung ausländischer Ingeni eurqualifikationen zu übertragen. Der Verband VDI hatte in terveniert. Aber gibt es einen Grund, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu misstrauen, die wir gemeinsam vor 25 Jahren gegründet haben und die Teil der mittelbaren Staats gewalt ist? Ist es das orwellsche Kontrollsyndrom der linken grünen DNA

(Oh-Rufe von der SPD)

oder die vermeintliche Sorge, eine gesetzliche Aufgabenüber tragung führe zu einer Zwangsmitgliedschaft? Eine gesetzli che Pflichtmitgliedschaft gibt das Gesetz nicht her. Ich bin überzeugt, die Ingenieurkammer wird ihre Aufgabe gut, ver antwortungsbewusst und mindestens so kompetent wie die Regierungspräsidien erfüllen – ohne die bürokratischen Dop pelstrukturen einer Fachaufsicht.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Ende.