Protokoll der Sitzung vom 27.01.2016

Damit sind wir beim Thema Ausbildung. Hier komme ich zu einem sehr zentralen Punkt, der auch schon von meinen Vor rednern angesprochen worden ist. Was die Ausbildung von Pflegekräften insgesamt betrifft, müssen wir unserer Meinung nach deutlich sagen: Die dreijährige Fachausbildung, die wir haben, bleibt eine wichtige Säule und bleibt die Basis für die berufliche Bildung. Aber wir brauchen in der Tat auch eine Teilakademisierung. Ein bestimmter Prozentsatz der in der Pflege tätigen Personen sollte akademisch ausgebildet wer den; denn Pflege wird immer komplexer und immer schwie riger. Die Patienten kommen mit immer komplizierteren Krankheitsbildern in die Kliniken. Daher ist es wichtig, die Möglichkeit zu schaffen, einen Teil der Pflegekräfte auch aka demisch auszubilden.

Wir stellen uns bei dieser Gelegenheit vor, dass wir die Aus bildung nicht nur akademisch ausrichten, sondern sie auch kombiniert in der Weise gestalten, dass sie innerhalb eines ge meinsamen Campus stattfindet, in dem die Ausbildung für al le Gesundheitsberufe in Verbindung mit medizinischen Stu diengängen stattfinden kann. Auf diese Weise kann jeder von den Professionen der anderen jeweils profitieren und kann die se kennenlernen. So ist es möglich, das von uns ebenfalls ver folgte Ziel, nämlich die Einrichtung interdisziplinärer Versor gungsteams, zu erreichen.

Ich sehe, dass meine Sprechzeit bereits abgelaufen ist,

(Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Die Frau Präsi dentin ist nachsichtig!)

möchte mich aber namens meiner Fraktion kurz noch dem Lob anschließen, das meine Vorredner zum Ausdruck gebracht haben. Auch ich meine, dass unsere Zusammenarbeit sehr konstruktiv war. Wir haben uns bemüht, viel voneinander zu lernen und vieles beizutragen, und das Ergebnis zeigt, dass wir die Kernbotschaften wirklich gut formulieren und heraus arbeiten konnten. Wir konnten zum Ausdruck bringen, dass wir das Thema Pflege sehr ernst nehmen und dies für ein zen trales politisches Thema halten, das wir angehen müssen, für das wir viel Energie, aber auch einiges an finanziellen Mitteln brauchen und für das wir auch eine Menge Fantasie brauchen.

Ich bedanke mich ganz besonders bei meiner grünen Gruppe: bei Manfred Lucha, Charlotte Schneidewind-Hartnagel und Thomas Poreski und natürlich bei unseren beiden parlamen

tarischen Beraterinnen, Kirsten Koners und Tanja Urban. Da rüber hinaus schließe ich mich dem Lob meines Kollegen Kunzmann ausdrücklich an.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der CDU sowie Abge ordneten der SPD und der FDP/DVP)

Für die SPD-Landtags fraktion erteile ich das Wort Herrn Abg. Hinderer.

Frau Präsidentin, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Sie ahnen, nein, Sie wissen es: Am The ma Pflege kommt keiner von uns vorbei, sei es, dass wir selbst einmal pflegebedürftig werden, oder sei es, dass wir Angehö rige haben, die der Pflege bedürfen. Deshalb ist es gut, wenn wir uns vergegenwärtigen, wie wir selbst oder unsere Ange hörigen im Pflegefall behandelt werden wollen.

Ich denke, was wir von einer guten Pflege erwarten ist nicht mehr, aber auch nicht weniger als die Achtung und die Auf rechterhaltung der Menschenwürde. Es geht also um ethische Fragen im Krankheitsfall oder am Ende des Lebens. Denn richtig ist: Rein wirtschaftlich gesehen lohnt sich eine Inves tition in alte, in pflegebedürftige Menschen, in sterbende Men schen im Rahmen der Palliativpflege eher nicht. Aber eine so ziale Gesellschaft darf nicht in solchen Kategorien denken, und wir Sozialdemokraten denken schon gleich gar nicht in solchen Kategorien.

Bei der Pflege geht es also um eine Investition in Menschen würde, um gelebte Nächstenliebe und damit um Solidarität zwischen den Generationen. Für uns Sozialdemokraten stand daher im Mittelpunkt unserer Enquetearbeit der Satz: Nicht zuletzt in der Pflege zeigt sich, wie sozial eine Gesellschaft ist.

(Beifall des Abg. Gernot Gruber SPD)

Ich würde schon behaupten: Diese Grundhaltung prägen auch die über 1 000 Seiten des Abschlussberichts und die über 600 Empfehlungen. An dieser Stelle ist ein breiter Konsens ent standen.

Es ist höchste Zeit, dass wir uns um die Zukunft der Pflege kümmern. Daher war ich froh und bin dankbar, dass alle vier Fraktionen einvernehmlich diese Enquetekommission bean tragt haben. Meine Vorredner und meine Vorrednerin haben es bereits gesagt: Die Situation in der Pflege ist heute schon angespannt, und der demografische Wandel wird die Lage noch verschärfen. Man kann es ganz kurz fassen: Uns fehlen die pflegenden Hände. Die Pflege in der Familie – hier wer den momentan noch zwei Drittel der Pflegearbeit geleistet – wird schwieriger. Die Kinder leben häufig weit entfernt, müs sen arbeiten und mobil sein. In der professionellen Pflege ha ben wir heute schon den Fachkräftemangel. Uns sind, u. a. im Rahmen von Ortsterminen, Pflegeheime bekannt geworden, die aufgrund von Personalmangel oder Personalknappheit nicht so viele Bewohnerinnen und Bewohner aufnehmen kön nen, wie sie gern wollten und eigentlich auch könnten.

Unsere Schlussfolgerung, die Schlussfolgerung der SPD, aus unserer intensiven Arbeit in der Enquete lautet daher: Die Zu kunft der Pflege hängt für uns von folgenden Punkten ab: Ers

tens müssen wir die familiäre Pflege stärken, zweitens müs sen professionelle Pflegekräfte im Beruf gehalten werden und drittens müssen möglichst viele Auszubildende für Pflegebe rufe gewonnen werden können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen)

Familiäre Pflege stärken: Familien brauchen Unterstützung und Beratung. Viele Menschen – vor allem Frauen – schrän ken sich in ihrem Beruf ein oder geben ihren Job auf, um pfle gebedürftige Eltern oder Schwiegereltern zu pflegen. Wäh rend dieser Pflegearbeit besteht das Risiko der Verarmung und in der Folge der Altersarmut. Deshalb sind die Ansätze im Pflegezeit- und im Familienpflegezeitgesetz des Bundes zur Vermeidung der Verarmung aus unserer Sicht völlig richtig. Sie müssen aber weiterentwickelt und noch stärker an die Le benswirklichkeit angepasst werden.

Wir sehen auch die Notwendigkeit, Pflegezeiten in der gesetz lichen Rentenversicherung im gleichen Umfang wie Kinder erziehungszeiten anzuerkennen.

Familiäre Pflege führt auch nicht selten zu Überforderungssi tuationen. Wir dürfen pflegende Angehörige da nicht allein lassen, sondern brauchen präventive Angebote. Wir wollen Familien im Pflegealltag entlasten und setzen uns für ein flä chendeckendes Netz von Tages- und Kurzzeitpflegeeinrich tungen ein. Momentan gibt es zu wenig Plätze und zu lange Wartelisten.

Familienangehörige brauchen oft schnelle, aber auch qualifi zierte Hilfe, wenn der Pflegefall plötzlich eintritt oder die Krankenhausentlassung sehr schnell vonstattengeht. Oft müs sen innerhalb weniger Tage emotional schwierige Entschei dungen getroffen und umfangreiche Anträge gestellt werden. Beratung, Unterstützung und individuelle Lösungen sind ge fragt. Hierfür müssen die Beratungsstrukturen verbessert wer den.

Wir setzen uns daher weiterhin und nachdrücklich für einen flächendeckenden, wohnortnahen Ausbau der Pflegestütz punkte ein. Wir begrüßen es, dass auf Drängen von Sozialmi nisterin Katrin Altpeter die verantwortlichen Kommunen und Kassen vor Kurzem die Zahl der Pflegestützpunkte von 48 auf 72 erhöht haben. Der Ausbau muss aber noch weitergehen.

Stichwort Fachkräftesicherung: Wir müssen, wir wollen Fach kräfte in der Pflege halten. Wir können es uns nicht mehr leis ten, dass hoch qualifizierte Pflegekräfte nach wenigen Jahren die Pflege verlassen. Schichtdienst, Wochenendarbeit, geteil te Dienste, unfreiwillige Teilzeit, Holen aus dem Frei usw. sind wenig motivierende Arbeitsbedingungen.

Die Vereinbarkeit von Pflegeberuf, Familie und Freizeit ist nicht leicht. Wir haben gehört: An der Bezahlung liegt es zu nächst gar nicht so sehr. Sie ist zunächst ordentlich, wenn ta riflich bezahlt wird, aber sie ist, bezogen auf die Arbeitsbe dingungen, aus unserer Sicht zu niedrig.

Vor allem müssen die Rahmenbedingungen der Arbeit verbes sert werden. Viele Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber – das ha ben wir auch gehört; die Dienste – sind hierzu bereit. Im en gen Korsett der Pflegeversicherung fehlt es ihnen aber am not wendigen Geld. Das heißt für uns: Wir brauchen mehr Geld im System. Dieses Geld muss vor allem für mehr Personal in

den Einrichtungen eingesetzt werden, um die Arbeitsdichte zu reduzieren. Pflegekräfte wollen und brauchen mehr Zeit für die Pflege.

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Deshalb steht auch unsere Forderung nach Festlegung ver bindlicher Personalschlüssel, die aber über dem derzeitigen Niveau in Baden-Württemberg liegen müssen, und dies so wohl in der Altenpflege als auch im Krankenhaus.

Notwendig ist auch die Refinanzierung von Tariflöhnen. Für den Bereich des SGB XI hat die SPD im Bund dies im Pfle gestärkungsgesetz durchgesetzt. Eine entsprechende Rege lung brauchen wir auch für den Bereich des SGB V, das heißt in der Krankenversicherung.

Unnötige – ich sage ausdrücklich: unnötige – bürokratische Lasten werden von Pflegekräften zu Recht oft als verlorene Zeit für die Arbeit mit den Bewohnern, mit den Patienten kri tisiert. Entsprechend arbeiten wir an Modellen, die die Pflich ten zur Dokumentation verringern – eines wurde vorhin schon genannt –, ohne aber die Qualitätssicherung zu gefährden.

Wir wollen auch den Berufsstand der Pflegenden stärken, da mit professionell Pflegende selbstbewusst und auf Augenhö he mit anderen Gesundheitsberufen agieren können. Sie müs sen z. B. ihre Ausbildungsinhalte mitbestimmen können und bei Normierungen im Bereich der Pflege mitreden können.

Wie eine solche Stärkung erfolgt, wollen wir mit den Pflege kräften diskutieren. Wenn am Ende eines solchen Beteili gungsprozesses die professionell Pflegenden eine Pflegekam mer wollen und zur Finanzierung dieser auch bereit sind, wer den wir sie auch ermöglichen und die Rahmenbedingungen schaffen.

Entsprechend begrüßt und unterstützt die SPD-Landtagsfrak tion den von Sozialministerin Altpeter eingeleiteten Prozess zur Stärkung der Pflegeberufe in Baden-Württemberg.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen)

Letztes Stichwort: Fachkräftegewinnung. Auch im Interesse der Fachkräftegewinnung müssen die Perspektiven im späte ren Beruf – das heißt die Arbeitsbedingungen – einfach gut sein.

Außerdem müssen wir die Attraktivität der Ausbildung ver bessern. Verbessern müssen sich die Ausbildungsbedingun gen. Deshalb verurteilen wir es – das ist deutlich gesagt wor den, auch in verschiedenen Anhörungen –, dass Auszubilden de als billige Arbeitskräfte gesehen und eingesetzt werden. Das ist nicht gut, und das wollen wir ändern. Deshalb muss die Praxisanleitung in einem Personalschlüssel festgelegt und in die Dienstpläne aufgenommen werden. Die hierdurch ent stehenden Kosten müssen über die Pflegeversicherung refi nanziert werden.

Die Attraktivität des Ausbildungsabschlusses soll durch eine gemeinsame Ausbildung – das macht gerade der Bundesge setzgeber – von Kranken-, Alten- und Kinderkrankenpflege rinnen und -pflegern gesteigert werden. Wir setzen uns bei der Einführung einer solchen gemeinsamen Pflegeausbildung aber dafür ein, dass Schwerpunkte in den Bereichen Altenpflege,

Krankenpflege, Kinderkrankenpflege weiterhin möglich sind und auch während der Ausbildung eine Bindung zur Ausbil dungseinrichtung entstehen kann.

Eine Chance, Abiturientinnen und Abiturienten für die Pflege zu gewinnen, sehen wir auch in einer bedarfsgerechten Aka demisierung, in der Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie in den Pflegewissenschaften. Allerdings sagen wir auch, dass der grundständige Beruf – also die examinierten Pflegefachkräf te – schon heute eine gute Voraussetzung bietet, um auch in der Pflege hervorragend arbeiten zu können. Die examinier ten Pflegefachkräfte sind aus unserer Sicht für die Herausfor derung der Zukunft gut vorbereitet.

Nicht zuletzt gilt es auch, das Potenzial ausländischer Pflege fachkräfte noch besser auszuschöpfen und die Verfahren zur Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsabschlüssen noch weiter zu beschleunigen.

Der Vorsitzende der Enquetekommission, Herr Rüeck, hat es vorhin schon gesagt: Bei der Landespressekonferenz wurden wir gefragt, welche Kosten durch die Umsetzung der über 600 Handlungsempfehlungen in unserem Bericht entstehen wür den. Er hat auch gesagt – da hat er ehrlich geantwortet –: „Wir wissen es nicht.“ Viele Maßnahmen betreffen ja auch den Bund oder die Dienste usw. Das konnten wir in der Enquete kommission nicht klären.

Aber für uns, die SPD, steht fest: Mehr Geld für die Pflege werden wir brauchen, mehr Geld in der Pflege ist eine Inves tition in Menschenwürde, gelebte Nächstenliebe und Genera tionensolidarität und damit eine gute Investition.

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Zum Schluss auch von meiner Seite – ich habe sogar noch Re dezeit übrig – noch der Dank. Er richtet sich zunächst an den Vorsitzenden. Herr Kollege Rüeck, vielen Dank für die strin gente und konzentrierte Sitzungsleitung, die es uns immer wieder erlaubt hat, zu einer einigermaßen guten Zeit noch den Zug zu erreichen und zumindest im Sommer vor Einbruch der Dunkelheit wieder im Wahlkreis zu sein – wir haben ja immer freitagmittags getagt.

Vielen Dank für den hohen externen Sachverstand, von dem wir alle in unserer Arbeit profitiert haben. Die Namen wurden schon genannt. Ich erlaube mir, noch einmal dem externen Sachverständigen der SPD-Fraktion, Herbert Weisbrod-Frey, namentlich zu danken.

Ich danke dem Sozialministerium, der Ministerin sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Ministerium. Ich nen ne jetzt einfach einmal Herrn Dr. Grünupp namentlich. Sie richten den herzlichen Dank an die Kollegen aus, die ja auch immer lange bei den Enquetesitzungen dabei waren.

Bevor ich mich bei meinen Kollegen bedanke, noch ein herz liches Dankeschön an die parlamentarischen Beraterinnen und Berater. Ich nenne hier Herrn Dr. Berger. Die Berater haben, glaube ich, mit dazu beigetragen, dass wir so viel Konsens hatten, weil vieles schon im Vorfeld geklärt werden konnte.

Last, but not least: Vielen Dank Sabine Wölfle, Florian Wahl, Thomas Reusch-Frey und Hidir Gürakar, der vertretungswei se dabei war, und natürlich auch unserem Fraktionsvorstand

und unserem Fraktionsvorsitzenden für die gute Unterstüt zung der Arbeit in der Enquetekommission.