Protokoll der Sitzung vom 21.12.2011

(Beifall des Abg. Peter Hofelich SPD)

Für die FDP/DVP-Frak tion erteile ich Herrn Abg. Dr. Kern das Wort.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Dann kommen wir zum Kern der Sache!)

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Wodurch gewinnt Regierungshandeln Glaubwürdigkeit? Zur Glaubwürdigkeit gehört untrennbar, dass man den eigenen Ansprüchen bzw. den eigenen Zielen

gerecht wird. Dies gilt für jede politische Partei. Bei GrünRot thront über allen Ansprüchen und Zielen noch zusätzlich der Anspruch einer Politik des Gehörtwerdens.

Welche Ziele verfolgen Sie nun mit dem vorliegenden Gesetz entwurf? Kurz zusammengefasst: Studiengebühren sollen nie manden vom Studium abschrecken. Außerdem halten Sie die Finanzierung der Hochschulen ausschließlich aus dem allge meinen Steuertopf für sozial gerechter, als wenn diese durch Studiengebühren erfolgt.

(Abg. Jörg Fritz GRÜNE: So ist es!)

Auch die FDP/DVP hat bei diesem Thema eine Handlungs maxime: Jeder junge Mensch soll die bestmöglichen Bil dungschancen haben, unabhängig von seiner sozialen und fi nanziellen Herkunft. Für uns Liberale lautet auch in diesem Zusammenhang die entscheidende Frage nicht: „Wo kommst du her?“, sondern: „Wo willst du hin?“

Als Vertreter der Opposition möchte ich aber im Folgenden Ihren Gesetzentwurf an Ihren eigenen Ansprüchen und Zie len messen. Folgende Fragen müssen dabei beantwortet wer den:

Erstens: Schrecken Studiengebühren tatsächlich von der Auf nahme eines Studiums ab? Nein, das tun sie nicht. Spätestens mit der Veröffentlichung der Studie des Wissenschaftszent rums Berlin vom Oktober dieses Jahres kann diese Frage als geklärt angesehen werden.

Wie sieht es nun mit Ihrer Glaubwürdigkeit aus? Schlecht. Denn mit Ihrem Gesetzentwurf können Sie Ihr Ziel nicht er reichen, weil Gebühren gar nicht vom Studium abschrecken. Würden Sie Ihrem Anspruch, eine Politik des Gehörtwerdens zu betreiben, tatsächlich gerecht, würden Sie die wissenschaft lichen Untersuchungsergebnisse nicht achtlos und wider bes seres Wissen beiseitelassen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Zweite Frage: Sind Studiengebühren sozial ungerecht? Nein. Das Gegenteil ist der Fall: Der Verzicht auf Studiengebühren ist faktisch eine Umverteilung von Steuermitteln von unten nach oben; denn statistisch betrachtet werden in erster Linie diejenigen subventioniert, die durchaus in der Lage wären, Studiengebühren zu bezahlen.

Der Verzicht auf die Erhebung von Studiengebühren ist auch deshalb sozial ungerecht, weil dadurch innerhalb einer Alters gruppe denjenigen Mitgliedern dieser Gruppe, die nicht stu dieren, keinerlei vergleichbare Subventionen zuteilwerden.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: So ist es!)

Die Kosten für ein Studium liegen zwischen 15 000 € in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und ca. 65 000 € in den Natur- und Ingenieurwissenschaften. Diese Kosten übernimmt die Allgemeinheit der Steuerzahler für die Studierenden. Die nicht studierenden Mitglieder dieser Altersgruppe bekommen diese staatliche Subventionierung aber nicht. Wie rechtferti gen Sie von Grün-Rot diese gravierende staatliche Ungleich behandlung von Mitgliedern ein und derselben Generation? Durch die ökonomisch besseren Lebensperspektiven von Aka

demikern wird diese Ungleichbehandlung sogar noch gestei gert.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Rita Haller-Haid SPD: Mit dieser Argu mentation müssten Sie auch das Schulgeld wieder einführen!)

Ich weiß, Sie rechtfertigen diese staatliche Subventionierung von unten nach oben damit, dass Akademiker später über das progressive Steuersystem wieder mehr Geld an die Allgemein heit zurückführen würden.

(Zurufe von der SPD: So ist es! – Abg. Johannes Sto ber SPD: Mit dem FDP-Steuermodell wäre das nicht so!)

Doch auch dieses Argument sticht nicht. Denn das bestehen de Steuerrecht differenziert nicht danach, ob der Steuerpflich tige studiert hat oder nicht. Das führt dazu, dass ein Akade miker mit einem Jahreseinkommen von 90 000 € genauso viel Steuern bezahlt wie ein Nichtakademiker mit gleichem Ein kommen. Beide tragen also in gleichem Umfang zur Finan zierung der Hochschulen bei, obwohl nur einer von beiden in den Genuss der Nutzen gekommen ist.

Jetzt stellt sich eine weitere Frage: Wer von beiden muss sich wahrscheinlich mehr krummlegen, um ein solches Jahresein kommen zu erzielen – der Akademiker oder der Nichtakade miker? Meine Damen und Herren von Grün-Rot, auch wenn Sie es nicht gern hören: Sie verteilen nicht nur von unten nach oben, sondern Sie subventionieren mit Steuergeldern auch noch die meist bequemeren Arbeitsplätze.

Ein weiterer massiver Mangel Ihres Konzepts der Steuerfi nanzierung liegt darin, dass ausschließlich diejenigen zur Hochschulfinanzierung herangezogen werden, die nach ihrem Studium in Deutschland steuerpflichtig bleiben. Meine Da men und Herren insbesondere von der SPD, erklären Sie die sen Punkt einmal Ihren Wählern. Sie erlassen ein Gesetz, das ausgerechnet diejenigen belohnt, die nach ihrem Studium ins Ausland gehen und dort darüber hinaus womöglich auch noch niedrigere Einkommensteuersätze haben als in Deutschland. Die Abwanderung von deutschen Medizinern nach England oder Skandinavien müsste doch auch Ihnen die soziale Absur dität Ihres Gesetzentwurfs vor Augen führen.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Ale xander Salomon GRÜNE: Das ist ein Thema für die Gesundheitspolitik!)

Wenn Sie bei diesem Thema glaubwürdig bleiben wollen, müssen Sie den beiden Entschließungsanträgen von CDU und FDP/DVP zustimmen. Hier können Sie zeigen, wie ernst es Ihnen tatsächlich mit einer Politik des Gehörtwerdens ist.

Ich kann an dieser Stelle nur noch einmal für Studiengebüh ren in nachgelagerter Form werben. Dann würden die Gebüh ren erst nach Erreichen einer bestimmten Einkommensgren ze zur Zahlung fällig. Viele von Ihnen haben sich in der Ver gangenheit für eine sozial verträgliche Beteiligung der Stu dierenden an den Kosten ihres Studiums ausgesprochen.

Ich komme zum Schluss: Stimmen Sie dem Entschließungs antrag von CDU und FDP/DVP zu, die Abschaffung der Stu

diengebühren auszusetzen und einen Expertenrat einzurich ten, der die Studienfinanzierung in Baden-Württemberg unter die Lupe nimmt und ein schlüssiges Gesamtkonzept dazu er arbeitet, wie staatliche Finanzierung und sozial verträgliche Beteiligung der Studierenden Hand in Hand gehen können. Setzen wir uns gemeinsam für ein sozial gerechtes, hochwer tiges, weil finanziell gut ausgestattetes Studium in BadenWürttemberg ein!

Ein letzter Punkt: Wenn die Koalition heute die Abstimmung freigeben würde, gäbe es hier im Haus eine satte Mehrheit für ein Modell nachlaufender Studiengebühren. So könnte eine Politik des Gehörtwerdens auch glaubwürdig gelebt werden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Für die Regierung er teile ich Frau Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst Theresia Bauer das Wort.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kol legen! Mit dem Studiengebührenabschaffungsgesetz werden wir finanzielle Hürden, die Studieninteressierte von einem Hochschulstudium abhalten können, abbauen. Wir wollen die Entscheidung für ein Hochschulstudium erleichtern, und wir wollen ein konzentriertes Studium ermöglichen, statt die jun gen Menschen verstärkt in Nebenjobs zu treiben, damit sie sich ihr Studium finanzieren können.

Wir sind davon überzeugt: Die Zukunft unserer Gesellschaft entscheidet sich in den Hochschulen. Von den Hochschulen müssen die Ideen, Impulse und Innovationen kommen, die wir brauchen, um zu einer nachhaltigen Lebensweise zu gelan gen. Deshalb ist es die Pflicht der Gesellschaft, unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass möglichst viele Talente und originelle Köpfe ein Studium aufnehmen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

An den Hochschulen können die jungen Menschen ihre Intel ligenz und Kreativität entwickeln und entfalten. Das machen sie nicht nur zum Wohle ihres eigenen Geldbeutels, sondern das machen sie zum Wohle von uns allen.

Deshalb sind wir uns einig darin, dass wir vor allem die Po tenziale der jungen Menschen erschließen müssen, für die ein Studium aufgrund ihres familiären Hintergrunds heute keine Selbstverständlichkeit ist. Der Anteil der Studierenden aus so genannten bildungsfernen Schichten ist an unseren Hochschu len mit etwa 15 % bedauerlicherweise sehr gering.

Die Landesregierung verfolgt deshalb konsequent erstens das Ziel, künftig alle Begabungen und alle Begabten, gerade auch aus dieser Herkunftsgruppe, zu unterstützen, damit sie ein Stu dium aufnehmen können. Es ist uns wichtig: Eine solche Po litik fängt ganz am Anfang an. Deswegen ist unsere Politik darauf ausgerichtet, zunächst einmal bei den ganz Kleinen, bei den unter Dreijährigen, für eine verbesserte Betreuungs infrastruktur zu sorgen, dann im Bildungssystem konsequent auf individuelle Förderung zu setzen und am Ende auch finan zielle Hürden zur Aufnahme eines Studiums abzubauen.

Deswegen lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit sagen – wir hatten ja eine kurze Debatte über die Frage, was sozial gerecht

und was nicht sozial gerecht ist –: In unserem Steuersystem – das wurde vielfach auch von allen politischen Farben festge stellt – haben wir eine zu starke Belastung der Familien mit Kindern. Die Steuerfinanzierung ist auf jeden Fall eine Lö sung. Die Finanzierung des Studiums aus Steuern, nicht aus individuellen Beiträgen, ist schon einmal ganz eindeutig ein Beitrag dazu, Familien im Vergleich zu denjenigen, die keine Kinder haben, zu entlasten. Allein das ist schon ein sozialer Beitrag.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Natürlich beinhaltet die Steuerlösung auch die Botschaft: Die Gesellschaft insgesamt – und aus Gründen der Solidarität ins besondere diejenigen, die aufgrund ihrer Einkommensverhält nisse mehr Steuern zahlen können – steht dafür ein, dass un sere Hochschulen gut funktionieren, und eben nicht jedes In dividuum mit seinem Geldbeutel und seinen individuell un terschiedlichen finanziellen Möglichkeiten.

Das zweite Ziel, das wir mit dem Studiengebührenabschaf fungsgesetz verfolgen – es gehört untrennbar mit dem ersten Ziel zusammen –, beinhaltet, die Studienbedingungen zu ver bessern. Wir legen großen Wert darauf, dass die Abschaffung der Gebühren die Qualität des Studienangebots und der Stu dienbedingungen nicht verschlechtern darf, sondern weiter verbessern muss.

Wie erreichen wir dieses Ziel? Es sind im wesentlichen drei Punkte:

Erstens: Die Qualitätssicherungsmittel des Landes kompen sieren in vollem Umfang die bisherigen Einnahmen aus Stu diengebühren. Sie sind als Pro-Kopf-Beitrag pro Studieren dem gestaltet und damit an die tatsächliche Entwicklung der Zahl der Studierenden gebunden. Dieses Prinzip – man nennt es auch das Prinzip „Geld folgt Studierenden“; das wurde frü her übrigens in der FDP sehr hoch gehalten – funktioniert üb rigens auch beim Hochschulpakt 2020 des Bundes genauso: Die staatlichen Mittel werden an die Köpfe der Studierenden gebunden. Dieses Prinzip setzt einen ganz klaren Anreiz für die Hochschulen, Studierende aufzunehmen, sie gut zu be treuen und sie zu einem erfolgreichen Abschluss zu begleiten. Dieses Prinzip stärkt die Studierenden in den Hochschulen. Zudem stärkt dieses Prinzip die Lehre in den Hochschulen insgesamt.

(Abg. Peter Hauk CDU: Sie stärken sie nicht! Sie kompensieren doch nur!)

Das ist nicht nur eine Kompensation.

Zweitens: Die Vergabe der Qualitätssicherungsmittel erfolgt im Einvernehmen mit den Studierenden. Das Einvernehmen ist ein klares Signal, dass wir auf verbindliche Kooperation, auf den Dialog sowie auf eine Kultur der Rückmeldung set zen. In dieser Kultur des Dialogs über Studienbedingungen und über die Defizite, die vor Ort vorhanden sind, verbessern wir gezielt die Studienbedingungen und die Bedingungen in der Lehre. Wir gestalten dieses Prinzip nachhaltig und nicht abhängig davon, ob wieder einmal an der Studiengebühren gestaltungsschraube gedreht wird, wie dies in der vergange nen Legislaturperiode mehrfach geschehen ist.

(Glocke des Präsidenten)

Frau Ministerin, gestat ten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Hauk?

Aber gern.