Protokoll der Sitzung vom 18.07.2012

Nur ein paar Beispiele aus Ihrem Programm: Nehmen Sie die bürokratische Belastung. Künftig sollen mittelständische Un ternehmen altersgerechte Arbeitsplätze schaffen. Was heißt denn das? Muss ich mir als Unternehmer irgendwelche geri atrischen Accessoires beschaffen, und, wenn ja, welche?

Was mir auch auffällt und was ich gar nicht nachvollziehen kann, ist: Künftig sollen im privaten Bereich und im ehren amtlichen Bereich erworbene Kenntnisse bei der Berufsaus bildung berücksichtigt werden. Was sind das für Standards? Heißt das, wenn ich ein Freischwimmerzeugnis habe, werde ich automatisch auch Bademeister?

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP)

Nein, unsere Industrie ist deshalb erfolgreich, weil wir klare Standards bei der Berufsausbildung haben. Wir sind nur des halb die beste und die erfolgreichste Region in Europa, weil wir klare Regelungen haben, wie wir unsere Berufsausbildung aufstellen. Ein Aufweichen dieser Regelungen halte ich für äußerst kritisch.

Wenn man sich tatsächlich dem Problem des Fachkräfteman gels widmen will und auch kurzfristig Erfolge erzielen will, darf man nicht an Symptomen herumkurieren, sondern muss an die eigentlichen Ursachen gehen. Die eigentlichen Ursa chen liegen doch in unserem überbordenden, überregulierten Arbeitsrecht. Da gibt es gewerkschaftliche Ikonen, die Sie wie den Gesslerhut grüßen.

(Lachen des Abg. Peter Hofelich SPD)

Nehmen Sie die Tarifverträge. Die sind so starr, so unflexibel. In Zeiten von konjunktureller Baisse können Sie keine Lohn minderung durchsetzen, aber im konjunkturellen Hoch geht keine Lohnerhöhung. Da können Sie auch keine Zuschläge geben.

(Abg. Rita Haller-Haid SPD: Wie wollen Sie da ein greifen?)

Man muss doch tatsächlich darüber nachdenken, wie man das ändert. Da beschreibe ich Ihnen einfach das Problem, Frau

Kollegin. So muss man bei der Gewinnung von jungen Men schen, die gut, die erfolgreich sind, heute andere Gehälter zah len. Das passt aber nicht in das System, weil die Betriebsräte bei der Einstufung mitbestimmen.

(Abg. Peter Hofelich SPD: Gott sei Dank!)

Sie haben es gesagt, Herr Kollege: Ältere Menschen finden schwerer einen Arbeitsplatz. Das liegt nicht daran, dass sie schlechter sind. Im Gegenteil, sie haben tolle Erfahrungen. Aber sie haben ein Problem: das Kündigungsschutzgesetz. Das ist wie ein Mühlstein. Warum können wir nicht regeln, dass wir künftig statt des Kündigungsschutzes eine Abfin dungsvereinbarung treffen? Dann kann künftig statt des Kün digungsschutzes bei einer Kündigung die Abfindung gelten. Das macht es allen Unternehmen wesentlich leichter. Sie wis sen klar, was passiert, wenn der Arbeitsvertrag aufgelöst wird.

Man muss auch darüber nachdenken, ob man befristete Ar beitsverhältnisse nicht auch bei älteren Menschen deutlich er leichtert.

Ältere Menschen müssen hier mit 65 oder 67 aus ihrem Ar beitsleben ausscheiden. Warum eigentlich? Warum können sie nicht so lange arbeiten, solange sie sich fit fühlen? Stattdes sen werden sie hier mit 65 oder mit 67 in eine Beratertätigkeit gedrängt und werden scheinselbstständig. Das bringt doch auch nichts. Darüber muss man eigentlich kurzfristig nach denken. Denn diese starren Regelungen, die wir haben, sind nicht unbedingt ein Naturgesetz.

Wir haben in unseren Betrieben viel zu viele freigestellte Be triebsräte. Die sind doch auch hoch qualifiziert. Warum brau chen wir eigentlich diese hohe Zahl? Warum brauchen wir so viele freigestellte Betriebsräte? Das sind doch Fachkräfte, die eigentlich brachliegen.

(Abg. Charlotte Schneidewind-Hartnagel GRÜNE: Die machen ihre Arbeit!)

Aber sie üben keine produktive Tätigkeit aus.

(Zuruf des Abg. Peter Hofelich SPD – Weitere Zuru fe von den Grünen und der SPD)

Wenn Sie nur diese Maßnahmen umsetzen würden – das kann man ja kurzfristig machen –, dann hätten Sie schon einen schnellen, nachhaltigen Erfolg.

(Zurufe von der SPD)

Ja, das passt nicht. Das passt natürlich nicht in Ihre ideolo gische Welt, weil Sie nicht bereit sind, gewerkschaftliche Iko nen zu schleifen, und weil Sie nach wie vor alle Gesslerhüte grüßen. Das ist für mich einfach das Hauptproblem.

(Abg. Rita Haller-Haid SPD: Sie wollen die jetzt schleifen? – Unruhe)

Sehen Sie: Sie setzen hier große Hoffnungen auf die Zuwan derung, vielleicht nicht ganz zu Unrecht. Aber bei uns verlas sen viel mehr gut ausgebildete, hervorragend ausgebildete jun ge Menschen unsere Hochschulen und gehen ins Ausland, als tatsächlich junge Menschen, die Hochschulexamina haben, aus dem Ausland zu uns kommen. Warum ist das so? Ärzte

gehen in die Schweiz, nach Skandinavien, sie gehen in die USA. Warum? Weil sie dort besser bezahlt werden, weil sie dort bessere Arbeitsbedingungen haben. Warum ändern wir das nicht bei uns?

Wir haben junge Ingenieure, junge Informatiker; die gehen nach Kanada und gehen in die USA. Warum? Weil sie dort besser bezahlt werden, weil es dort leichter ist, ein Unterneh men zu gründen, weil sie leichter an Venture-Capital kommen, weil sie einfach andere Voraussetzungen haben, die zu schaf fen wir offenbar nicht bereit sind.

Ich habe auch Verständnis dafür, dass man auch unterhalb des Hochschulniveaus etwas tut, und bin einfach einmal gespannt darauf, wie das Integrationsministerium das Problem der An erkennung von ausländischen Abschlüssen – die nicht unbe dingt Hochschulabschlüsse sein müssen – in den Griff bekom men will. Bei Hochschulabschlüssen haben wir diese Aner kennung bereits gesetzlich neu strukturiert; die Vorrangrege lung fällt weg. Wir haben eine Regelung bei der Qualifikati on. Jungen Menschen, die aus einem Nicht-EU-Land kom men, muss noch immer ein Anfangsgehalt von mindestens 44 000 € bezahlt werden; das ist eine ganze Menge, das passt bei unseren Unternehmen in kein Schema hinein.

Wenn künftig das Integrationsministerium Ausbildungen von nicht akademischen Berufsfeldern kontrollieren will, macht mir das eigentlich fast Sorge. Ich weiß gar nicht, welche Stan dards Sie anlegen, ich weiß nicht, nach welchen Kriterien Sie das machen, und ich weiß auch nicht, mit welchen Menschen Sie das machen wollen. Das ist mutig, das ist herausfordernd. Ich will es einmal gar nicht negativ kommentieren. Ich bin nur gespannt darauf, Frau Öney, wie Sie das umsetzen. Ich wün sche Ihnen aber viel Erfolg dabei, weil ich glaube, dass wir das auch brauchen.

Wichtig wäre mir, dass wir nicht irgendwelche Kriterien su chen, die nach Gutsherrenart eine Vergleichbarkeit schaffen, sondern dass wir auch bereit sind, die duale Ausbildung, die Erfolgsgeschichte des deutschen Mittelstands, ins Ausland zu transportieren. Gerade im Rahmen der Donauraumstrategie, im Rahmen der „Vier Motoren“ können wir doch zusammen mit den Unternehmen unserer Automobilindustrie, unserer Werkzeugindustrie, unseres Anlagenbaus im Donauraum und im Raum der „Vier Motoren“ tatsächlich die duale Ausbildung schaffen. Das hätte zwei Vorteile: Deutsche Unternehmen hät ten einen Brückenkopf. Sie könnten nach unseren Qualifika tionen ausbilden. Zudem könnten die Menschen leichter nach Deutschland wechseln oder in ihrem eigenen Land bleiben.

(Beifall des Abg. Wolfgang Reuther CDU)

Warum auch nicht einmal eine internationale Duale Hoch schule gründen? Warum sollten wir unser Erfolgsprojekt nicht tatsächlich ins Ausland transportieren? Die EU gibt doch da für Zuschüsse. Haben Sie doch einfach einmal den Mut dazu.

Wenn Sie davon sprechen, dass allein schon die Beratung ei ne Willkommenskultur sei: Das ist doch weniger als ein Blu menstrauß. Eine Willkommenskultur ist für mich, wenn wir es schaffen, für Zuwanderer einen einheitlichen Ansprechpart ner zu etablieren, der von der Visumsfrage über die Aufent haltsfrage bis zu Arbeit, Schule, Führerschein, Wohnung al

les regelt, alles aus einer Hand. Bisher ist es doch so, dass der Ausländer, der zu uns kommt, einen Behördenmarathon durchläuft, dann ein „Wanninger-Syndrom“ bekommt und am Ende frustriert wieder nach Hause geht. Dieser einheitliche Ansprechpartner – Kollege Prewo und ich haben das im Be reich Niederlassungen gemacht – ist eine Erfolgsgeschichte. Das kann man doch auch bei Zuwanderungen machen. Wir würden unglaublich viel Belastung von den Menschen neh men, und wir hätten auch kurzfristigere und schnellere Erfol ge.

Wichtig für die Gewinnung von Arbeitskräften ist der Büro kratieabbau. Was diese Regierung unserem Mittelstand an Bü rokratie zumutet, jetzt etwa durch dieses neue Tariftreuege setz: Da wird der verfettete Amtsschimmel noch mit Leber tran gefüttert, damit er ja eine Fettleber bekommt.

(Heiterkeit des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/ DVP)

Die Steuererhöhungsfantasien und die Vermögensteuererhö hungsfantasien, die Sie verbreiten, Herr Minister, sind eigent lich unerträglich.

(Zuruf des Abg. Hans-Peter Storz SPD)

Nein, nein, die Vermögensteuer. Sie wirkt sich auch auf das Betriebsvermögen aus, auch wenn der Minister sagt: „Die Be triebe spare ich aus.“ Nach der Rechtsprechung des Bundes verfassungsgerichts geht das gar nicht; das weiß er.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Ach, ach, ach!)

Das weiß er; davon gehe ich einmal aus. – Solche Steuerer höhungsfantasien wirken sich negativ für unsere Unterneh men aus.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Dr. Kollege Löff ler, kommen Sie bitte zum Schluss.

Jetzt bin ich gerade in Fahrt, Herr Präsident.

Das mag sein, aber Sie sind zu spät in Fahrt gekommen. Das hätte vielleicht drei Mi nuten früher geschehen müssen.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Sie verlangen von Unter nehmen, dass sie nach Best Practice arbeiten. Sie haben lan deseigene Unternehmen. Machen Sie doch die landeseigenen Unternehmen zu Best-Practice-Unternehmen. Zeigen Sie doch da, wie es geht. Dort können Sie Musterunternehmen grün den mit Modellen, die andere Firmen dann einfach überneh men können, aber überlassen Sie die Best Practice doch nicht anderen.

Ihr Vorschlag einer Fachkräfteallianz ist so, wie wenn der Bür germeister von Schiltach erklärt, was draußen die Welt zusam menhält. Das ist einfach ein bisschen wenig.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Nichts ge gen Schiltach! – Zuruf der Abg. Beate Böhlen GRÜ NE)

Nichts gegen Schiltach, nein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich Frau Abg. Lindlohr das Wort.