Protokoll der Sitzung vom 10.10.2012

Für die SPD-Fraktion er teile ich Herrn Kollegen Winkler das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der Titel der Großen Anfrage spricht von einer „auch künftig erfolgreichen Landwirtschaft“. Es steht außer Frage: Dieses Ziel verfolgen bei uns beide Seiten. Aber Land wirtschaft – erlauben Sie mir diese Vorbemerkung – ist nicht davon abhängig, was hier im Saal oder was im zuständigen Ministerium in Baden-Württemberg passiert. Erfolge in der Landwirtschaft hängen von den wirtschaftlichen Rahmenbe dingungen, von der EU und von den Weltmärkten ab. Das sind die entscheidenden Faktoren; wir können bei manchen Fak toren Korrekturen vornehmen.

Lieber Kollege Burger, Sie sind ja vom Fach. Deswegen er laube ich mir, Sie zu korrigieren. Sie haben gesagt, es dürfe nicht sein, dass die Ausgleichsfläche aus den Flächen für die Nahrungsmittelproduktion entnommen wird. Sie wissen, dass es nicht so ist. Sie wissen es, also sollten Sie es auch nicht be haupten. Es wird nicht besser, wenn Sie es behaupten. Weil Sie das wissen, korrigiere ich Sie: Die Ausgleichsfläche ist be wirtschaftbar und bleibt Bestandteil der landwirtschaftlichen Produktionsfläche. So ist das.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Es kommt dar auf an, welche Ausgleichsflächen! – Abg. Klaus Bur ger CDU: Wir wissen noch nicht, was da reinkommt! Diese Erfahrung haben wir schon oft gemacht!)

Trotzdem; das wissen Sie genau.

Um eines noch zu sagen – auch das wissen Sie –: Die Vorgän ger des jetzigen Landwirtschaftsministers – einer sitzt hinter Ihnen, der zweite fehlt gerade – haben in Baden-Württemberg echte Ausgleichsflächen geschaffen und in Programme umge setzt, Ausgleichsflächen, die nicht in der Produktion, in der Nahrungsmittelkette waren. Sie haben in ihrer Regierungszeit selbst Flächen aus der Nahrungsmittelproduktion herausge nommen und in Ausgleichsflächen umgewandelt.

(Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Die Flächenstill legung war vorgeschrieben! Das waren EU-Vorga ben!)

Deswegen korrigiere ich Ihre Aussagen.

Meine Damen und Herren, die landwirtschaftlichen Struktu ren in Baden-Württemberg sind bekannt. Ca. 27 % der Betrie be haben in den letzten zehn Jahren aufgehört. Das ist der Strukturwandel. Ich will es gleich am Anfang einmal sagen,

wenn gefragt wird, wohin die Reise geht: Die Reise hat schon lange begonnen, und sie ist noch lange nicht am Ziel. Denn verbunden mit dem Strukturwandel ist die Vergrößerung der Betriebe von durchschnittlich 24 auf 32 ha. Der durchschnitt liche Haupterwerber bewirtschaftet über 50 ha. Das ist immer noch nur halb so viel wie der bundesweite Durchschnitt. Wir sind also noch sehr weit entfernt von Strukturen, wie wir sie im Markt, in anderen Ländern finden. Dieser Übergang durch den Ausstieg aus dem Nebenerwerb und die damit verbunde ne Vergrößerung der Flächen für den Haupterwerb stellt für die Haupterwerbslandwirte eine Wachstumschance dar. Gleich zeitig zeigen sich die Auswirkungen für die Nebenerwerbs landwirte, die diese Größe nicht erreichen.

Kaum ein Bundesland in Deutschland hat so unterschiedliche landwirtschaftliche Regionen wie Baden-Württemberg. Das Spektrum reicht vom Odenwald bis an den Bodensee, von der Rheinebene bis hinunter ins Allgäu oder zum Hohenlohischen. Die Bedingungen für die Landwirtschaft sind überall unter schiedlich; sie sind keinesfalls so gleichmäßig günstig wie in den landwirtschaftlichen Regionen in den nördlichen Bundes ländern. Deswegen brauchen wir hier eine besondere und in dividuell ausgerichtete Landwirtschaftspolitik.

Wir wissen, dass die Einkommen in der Landwirtschaft in den letzten Jahren sprunghaft gestiegen sind. Lange waren die Ge treidepreise nicht mehr so hoch wie zurzeit. Während sie heu te bei 26 bis 28 € pro Dezitonne liegen, betrugen sie vor drei oder vier Jahren noch 12 € pro Dezitonne.

(Abg. Klaus Burger CDU: Wegen der Trockenheit! – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: USA! – Zu ruf: Russland!)

Die Fleischpreise haben sich gut entwickelt. Das ist natürlich eine Folge der weltwirtschaftlichen Entwicklung. Insgesamt also erlauben die Preise ein auskömmliches Wirtschaften, vor allem bei Fleisch und Getreide. Das ist erfreulich.

Die erste Säule war immer gedacht – das ist auch heute noch so – als direkter Einkommensausgleich für die Landwirte, während die zweite Säule auf Programmen beruht, mit denen die ländlichen Räume direkt oder indirekt gefördert werden. Diese Programme kommen nur zu einem Teil der Landwirt schaft zugute. Die zweite Säule kommt der gesamten Gesell schaft in den ländlichen Räumen zugute und damit den Land wirten natürlich indirekt auch.

Aber die Ablösung der Direktzahlungen hat dazu geführt, dass wir schon lange keine Butterberge, keine Fleischberge und keine Milchseen haben, die uns zusätzlich Geld gekostet ha ben.

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Dafür haben wir heute die Flächenprämien. Es gibt keine Überschüsse, und die unternehmerischen Entscheidungen sind daran ausgerichtet, was gebraucht und was angebaut wird. Das ist richtig.

Aber auch diese Form beinhaltet Verwerfungen. Denn dieses zusätzliche Einkommen für die Landwirte war gedacht, um die Differenz zu den Weltmarktpreisen auszugleichen. Wenn jedoch die Getreide- oder Fleischpreise hoch sind, dann ist dieser Einkommensausgleich nicht erforderlich.

Deswegen gibt es auch hier Verwerfungen. Es gibt landwirt schaftliche Branchen, in denen die Preise immer noch nied rig sind, und es gibt jetzt Bereiche, in denen die Zahlungen aus der ersten Säule nicht mehr den Zweck erfüllen, für den sie gedacht war, nämlich den Einkommensausgleich.

Deswegen werden wir – nicht nur wir, sondern alle – darüber nachdenken: Ist das nötig, und warum ist das nötig? Wenn in einer Branche gut verdient wird, muss man nicht zusätzlich etwas zahlen; das weiß jeder. Trotzdem wissen wir, dass die Preise auf den Märkten wellenförmig verlaufen; sie können hinauf- und in einem halben Jahr wieder heruntergehen.

(Abg. Paul Locherer CDU: So ist es!)

Bei der Milch sehen wir es auch.

Immerhin hat in diesem Frühjahr der ehemalige Präsident des Bauernverbands davon gesprochen, dass die Landwirtschaft eine gute Perspektive hat, dass die Landwirtschaft einen Auf schwung verzeichnet. Die Landwirtschaft verzeichnet bei uns eine messbare Exportzunahme, nämlich von 18 % auf 29 % in weniger als zehn Jahren. Diese Entwicklung der Landwirt schaft in Baden-Württemberg hat der ehemalige Präsident des Bauernverbands ebenfalls prognostiziert und festgestellt.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Welcher? – Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU: Es gibt viele Ehe malige! – Gegenruf des Abg. Georg Nelius SPD: Sonnleitner!)

Sonnleitner, danke. – Sie bedeutet, dass wir in Baden-Würt temberg bisher eine gute Landwirtschaftspolitik gemacht ha ben. Allerdings konnte nicht verhindert werden, dass Betrie be aufgegeben werden mussten, dass ländliche Räume Prob leme haben und dass Landschaft und Natur ärmer geworden sind. Das haben Sie nicht verhindert. Aber immerhin wird auch diese Landesregierung alles daransetzen, dass die Land wirtschaft in Baden-Württemberg ebenso erfolgreich wie in der Vergangenheit weiterarbeiten kann.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Für die Fraktion der FDP/ DVP erteile ich dem Kollegen Dr. Bullinger das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich mich auch im Namen aller Agrarpolitiker und derjenigen, die sich mit dem ländlichen Raum beschäftigen, bei den Anwesenden zu bedanken. Denn es ist nicht selbstverständlich, nach 18:00 Uhr bei dem Thema Landesagrarpolitik noch einen voll be setzten Plenarsaal zu sehen. Ich finde, das ist hervorragend. Das habe ich schon sehr lange nicht mehr erlebt.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Walter Heiler SPD: Es war auch schon lange nicht mehr so spät!)

Nachdem meine Vorredner schon sehr viel zur Agrarpolitik gesagt haben, möchte ich ein paar andere Akzente setzen. Wir sollten ehrlich sein, meine Damen und Herren. Die bisherige Debatte hat doch gezeigt, dass die Ausgestaltung des Wie der zukünftigen Agrarpolitik nach 2013/2014 vor allem für Ba den-Württemberg noch weitgehend spekulativ ist.

Wir müssen uns darüber im Klaren sein: Für uns in der Lan desagrarpolitik ist der Spielraum sehr begrenzt. Denn wir sind innerhalb eines Rahmens nur sehr begrenzt in der Lage, Din ge zu korrigieren, die uns der G-Gipfel, GATT, WTO oder auch die neue EU-Agrarpolitik und der Bund vorgeben.

Trotzdem gilt wie bisher die Forderung, dass Baden-Württem berg als eines der wirtschaftsstärksten Bundesländer den Spiel raum, den man uns lässt, weiterhin zugunsten der heimischen Landwirtschaft – insbesondere wenn es um Kofinanzierungs programme geht – voll nutzen muss. Da haben Sie, Herr Mi nister, sicherlich das Haus hinter sich. Übrigens: In diesem Zusammenhang viele Grüße an Finanzminister Schmid.

Jetzt schon über die Details von 2014 zu diskutieren – also über Eier, die in unser landespolitisches Nest gelegt werden –, ohne zu wissen, was daraus entschlüpft, bedeutet nichts an deres, als eigentlich im Nebel herumzustochern. Solange wir nicht konkreter wissen, was aus dem Greening werden soll, wie viel Geld uns zur Verfügung steht, welche Programme und Freiräume uns die EU noch lässt, lohnt es sich nicht, zu viel zu spekulieren.

Wir müssen alles dafür tun, dass weiterhin vor allem die fi nanziellen Möglichkeiten vonseiten der EU erhalten bleiben. Da sind wir eigentlich guter Dinge.

(Abg. Dr. Markus Rösler GRÜNE: Grüße nach Ber lin!)

Das gilt sowohl für die erste als auch für die zweite Säule. – Bitte?

(Abg. Dr. Markus Rösler GRÜNE: Grüße nach Ber lin!)

Da kann man immer Grüße ausrichten, beispielsweise auch an Frau Künast, die, wenn ich es richtig weiß, eigentlich alle Direktzahlungen abschaffen möchte, im Gegensatz zu Ihnen, wenn ich das richtig vernommen habe, Herr Minister.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Paul Locherer CDU: So ist es!)

Allerdings steht unsere Hoffnung immer auch unter dem Haus haltsvorbehalt – das Haushaltsrecht ist das Königsrecht – des Europaparlaments. Auch auf EU-Ebene, meine Damen und Herren, wird im Jahr 2014 ein neues Parlament gewählt. Die ses wird auch darüber entscheiden, wie viel Geld wir zur Ver fügung und welchen Gestaltungsspielraum wir haben werden.

Meine Damen und Herren, umso wichtiger ist es, dass wir in der Landesagrarpolitik den ländlichen Raum als Ganzes als Wirtschafts- und Erholungsraum sowie als Garant für die wirt schaftliche Stabilität des ganzen Landes begreifen. Begreifen muss das vor allem der Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid von der SPD, dem es angeblich wurst ist, wenn die Landschaften verwildern und zuwachsen, dem die Kulturland schaft anscheinend nichts wert ist und dem es ausweislich sei ner sehr ehrlichen und überzeugenden, weil spontan gemach ten Ausführungen egal ist, wenn noch mehr Bauern aufgeben müssen. Lieber Alfred Winkler, du könntest dir, glaube ich, viel Sporen verdienen, indem du hier etwas Nachhilfeunter richt gibst.

Meine Damen und Herren, die Landwirtschaft hat eine Schlüs selfunktion zur Lösung vieler Zukunftsaufgaben. Dazu zäh len natürlich die Sicherung der Ernährung – wir haben es ge hört –, die Bereitstellung erneuerbarer Energien und die Be wahrung der Natur. Im Hightechland Baden-Württemberg ist jeder zehnte Arbeitsplatz im vor- und nachgelagerten Bereich mit der Landwirtschaft verbunden. Auch die Ernährungswirt schaft in Baden-Württemberg wird völlig unterbewertet.

Die Kernaufgaben der Landwirtschaft sind nur mit einer leis tungsfähigen Landwirtschaft mit möglichst allen Facetten, ei ner Landwirtschaft, die bei uns im Land vor allem durch die Vielfalt und den direkten Absatz sowie die Wirtschaftskraft und Kaufkraft der Bürgerinnen und Bürger eine Riesenchan ce hat, zu erfüllen. Das gilt gerade auch in der Zukunft. Ziel muss es auch sein, die Erfolge unserer heimischen Landwirt schaft auf den anderen Teilmärkten zu unterstützen.

Ich will eine EU-Agrarpolitik, eine nationale und eine Lan despolitik, die nicht den Rückwärtsgang einlegen, sondern ein nachhaltiges, gesundes und grünes Wachstum ermöglichen und dabei vor allem Wettbewerbsfähigkeit und Ressourcen schutz als beide Seiten der Medaille sehen.

Die Vorschläge der EU-Kommission sind ebenso wie die An sätze der Landesagrarpolitik in dieser Richtung noch ungenü gend. Landwirtschaftspolitik ist eben mehr als Bauernpolitik, und sie muss wie bisher erfolgreich für den ganzen ländlichen Raum betrieben werden.

Meine Damen und Herren, die Erhöhung der Grunderwerb steuer, die neue Bildungspolitik, die Polizeireform, die Ver kehrs- und Infrastrukturpolitik, die geringe Wertschätzung der Leistungen unserer Landwirtschaft durch den Finanz- und Wirtschaftsminister sind Politiken gegen den ländlichen Raum. Damit muss aufgehört werden, da muss gegengesteu ert werden, egal, was in Brüssel letztendlich entschieden wird.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der ländliche Raum muss im Blickfeld der Landespolitik bleiben. Der ländliche Raum ist mehr als eine Ausgleichsfläche für Naturschutz. Er ist auch mehr als ein künstlich zu erstellender Nationalpark oder Ähnliches. Der ländliche Raum ist vielmehr für unseren Wirtschaftsstandort insgesamt von großer Bedeutung und sehr wertvoll.

(Zuruf des Abg. Reinhold Pix GRÜNE)