Herr Schweickert hat so schön gesagt: „Der Brexit ist durch, es lebe der Brexit!“ Herr Schweickert, ich empfehle Ihnen, zu sagen: Der Brexit ist durch, es lebe der „Dexit“!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt liegen mir keine Wortmeldungen mehr vor. Die Aussprache ist damit beendet.
Ich schlage Ihnen vor, den Gesetzentwurf Drucksache 16/7511 zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Europa und In ternationales zu überweisen. – Damit sind Sie einverstanden. Es ist so beschlossen.
Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des Mi nisteriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst – Er gebnisse der Forschung zur NS-Vergangenheit der badi schen und württembergischen Landesministerien – Druck sache 16/2162
Das Präsidium hat auch hierzu wieder Redezeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten und für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute unseren Fraktionsantrag „Ergebnisse der Forschung zur NS-Vergan genheit der badischen und württembergischen Landesminis terien“ aus dem Jahr 2017 auf der Tagesordnung. Auch wenn der Antrag zweieinhalb Jahre alt ist, hat er doch nichts an Ak tualität eingebüßt.
Am Montag haben wir bei der zentralen Gedenkstunde des Landtags der vielen Opfer gedacht, die in der Tötungsanstalt Grafeneck ermordet wurden. Vor 75 Jahren befreite die Rote Armee die Gefangenen des Konzentrationslagers Auschwitz. Auschwitz ist zum Synonym für millionenfachen Mord und für Unmenschlichkeit schlechthin geworden.
Gerade einmal 75 Jahre nach diesen Gräueltaten ist es daher umso erschreckender, dass Antisemitismus in Deutschland und auch in Baden-Württemberg wieder erstarkt. Hass gegen Jüdinnen und Juden ist lauter, radikaler und gewalttätiger ge worden. Die Zustimmung zu antisemitischen Aussagen in der Bevölkerung hat zuletzt zugenommen. Diese Entwicklung er schüttert uns. Sie ist ein lauter, eindringlicher Auftrag an uns alle. Wir ziehen keinen Schlussstrich unter das Erinnern; denn wir sind dafür verantwortlich, dass so etwas niemals wieder passiert.
Vor diesem Hintergrund ist die aktive Auseinandersetzung mit der Geschichte besonders wichtig. Nachdenken über die Ver gangenheit schafft Orientierung für die Zukunft. Erinnern heißt auch, Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen. Der verantwortungsvolle Umgang mit der Geschichte des Na tionalsozialismus ist elementar für unsere gesellschaftliche Identität wie auch für die politische Kultur.
(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der Abg. Sabine Wölfle SPD – Vereinzelt Beifall bei der CDU – Zuruf von der AfD: Nie wieder Sozialismus!)
Deshalb finde ich es sehr begrüßenswert und für die Landes regierung von immenser Bedeutung, dass sie ein Forschungs projekt über die Rolle und Mitwirkung der Ministerien in der NS-Zeit gemacht hat. Das Land macht sich damit ehrlich für seine Geschichte und bekennt sich zur bleibenden historischen Verantwortung seiner Institutionen, und das ist gut so.
Erstens: Allem voran steht die Erkenntnis, dass eben nicht Berlin – nach der sogenannten Gleichschaltung der Länder – uneingeschränkt den Ton angegeben hatte und alle wesentli chen politischen Aufgaben von der Reichsebene aus steuerte, sondern dass es durchaus Handlungsspielräume auf Landes ebene gab. Das heißt, die Ministerien in Karlsruhe und Stutt gart verfügten auch im Dritten Reich über Entscheidungs- und Handlungsspielräume und waren also nicht nur kleine Räder im Getriebe. Die Landesministerien waren ein integraler Be standteil des NS-Repressionssystems. Sie waren an den ras sistischen und politischen Säuberungen des öffentlichen Diens tes ebenso beteiligt wie an der Umsetzung des eskalierenden Antisemitismus und am Vollzug des rassehygienischen und erbgesundheitspolitischen Programms der Nationalsozialis ten.
Dafür bedurfte es 1933 übrigens keineswegs eines weitgrei fenden Austauschs der Verwaltungsspitze. Das geschah nur punktuell; denn die Landesbediensteten agierten vorauseilend und selbstmobilisierend. Das heißt, die neuen Machthaber mussten gar nicht mit dem eisernen Besen kehren und Partei genossen systematisch platzieren, weil die höhere Beamten schaft eine große Kooperationsbereitschaft bekundete. Einge fahrene Karrieremuster wie ausgeprägtes Laufbahndenken be förderten dieses proaktive Entgegenarbeiten. Diese bürokra tischen Mentalitäten bescherten dem NS-Regime natürlich auch eine größere Akzeptanz in der Bevölkerung, sodass man
Die Ergebnisse des Forschungsprojekts zu den badischen und württembergischen Landesministerien in der Zeit des Natio nalsozialismus sind mittlerweile umfassend in zwei Bänden der Kommission für geschichtliche Landeskunde in BadenWürttemberg 2019 veröffentlicht worden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, welche Schlüsse ziehen wir nun aus dem Projekt, was Arbeitsweise und Organisation der Ministerien anbelangt? Lassen Sie mich da aus der Stellung nahme des Ministeriums zu Ziffer 10 des vorliegenden An trags zitieren:
Ein bewusster, wahrhaftiger, verantwortungsvoller Um gang mit der Vergangenheit des Landes und seiner Insti tutionen in der Diktatur ist daher von zentraler Bedeu tung für die Landesministerien und seine Bediensteten.
Die Landesverwaltung benötigt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich der geschichtlichen Verantwortung bewusst sind. Die Auseinandersetzung mit der Vergangen heit und das Wissen um die Forschungsergebnisse kann sie vor allem auch darin bestärken, sich weiter für eine starke Demokratie und die freiheitlichen Werte unserer Verfassung einzusetzen.
Es entstanden wertvolle Materialien für die politische Bil dungsarbeit aus dem Forschungsprojekt, u. a. ein Materialheft der Landeszentrale für politische Bildung für Schulen und auch für die außerschulische Bildungsarbeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sehen, dass es entgegen allen bisherigen Annahmen durchaus Handlungsspielräume auf Landesebene gegeben hätte, die bisherige zentralistische Sichtweise ein verzerrtes Bild abgibt und die Ministerien ih re Spielräume oftmals sogar zur verschärften Umsetzung der Reichsdirektiven genutzt haben. Sie waren damit offensicht lich Teil des nationalsozialistischen Systems und handelten auch eigenverantwortlich. Umso mehr hat das heutige BadenWürttemberg die Pflicht zur Erinnerung und Aufarbeitung.
Deshalb begrüßen wir es sehr, dass ein Nachfolgeprojekt an gestoßen wurde zu Reintegration, Schuldzuweisung und Ent schädigung, Bewältigung und Nichtbewältigung der NS-Ver gangenheit in den drei Vorgängerländern Baden-Württem bergs. Denn gerade der Befund der politischen Anpassung der Beamtenschaft im Nationalsozialismus hat die Frage aufge worfen, wie sie sich nach dem Ende der Diktatur verhalten hat und wie man im Südwesten beim demokratischen Wiederauf bau mit der NS-Vergangenheit umgegangen ist. Die Ergebnis se müssten uns in diesem Jahr noch vorgelegt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine solche Aufarbeitung sollte Schule machen. Solche Aufarbeitungsprojekte sind unverzichtbar für unser de
mokratisches Handeln und Selbstverständnis, damit eine De mokratie auf soliden Beinen stehen kann. Verwaltungshan deln muss immer an ethische Werte gebunden bleiben. Aber genau das fehlte damals. Wir hier in Baden-Württemberg ha ben mit diesem Forschungsprojekt und dem Nachfolgeprojekt eine Vorreiterrolle eingenommen. Das verfolgen wir auch wei ter.
Aus der Vergangenheit erwachsen der Auftrag, wachsam zu sein, und die Verpflichtung, gegen den aufkeimenden Antise mitismus, gegen Hass und Hetze und gegen jegliche gruppen bezogene Menschenfeindlichkeit aufzustehen.
Lassen Sie mich zum Schluss den Bundespräsidenten Stein meier aus seiner bewundernswerten Rede vom Montag zitie ren: Es sei nicht dieselbe Zeit, es seien nicht dieselben Wor te, nicht dieselben Täter.
Aber es ist dasselbe Böse. Und es bleibt die eine Antwort: Nie wieder! Niemals wieder! Deshalb darf es keinen Schlussstrich unter das Erinnern geben.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der fran zösische Schriftsteller André Malraux hat gesagt:
Geschichte gibt uns nicht nur Einblicke in die Vergangenheit, sondern hilft uns auch, Lehren für unser zukünftiges Handeln zu ziehen. Sie kann uns helfen, unsere Zukunft zu gestalten, wenn wir ehrlich und sorgfältig damit umgehen.
Dieser Tage gedenken wir der Befreiung des Konzentrations lagers Auschwitz. Der Name Auschwitz ist als Sinnbild nati onalsozialistischer Verbrechen in die Geschichte eingegangen, und wir tun gut daran, uns daran zu erinnern und die Erinne rung weiter wachzuhalten, welche Verbrechen an der Mensch heit dort und in anderen Konzentrationslagern in deutschem Namen begangen wurden.
Doch die Geschichte des Bösen und Schlimmen, das im Na men eines falsch verstandenen Patriotismus in Deutschland passiert ist, fängt nicht mit den Konzentrationslagern an. Der Nationalsozialismus hat es 1933 quasi über Nacht geschafft, die demokratischen Institutionen der Weimarer Republik zu untergraben,
(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Unter da maliger Hilfe des CDU-Vorläufers! – Gegenrufe von der CDU: Was? – Halt doch einfach mal die Klappe da hinten!)
Dazu gibt der Antrag, über den wir heute sprechen, ein nach drückliches Beispiel. Es geht dabei um ein wichtiges For schungsprojekt.
Von der Landesregierung initiiert, hat die Landesstiftung im Jahr 2014 Gelder für einen groß angelegten Forschungsauf trag zur Verfügung gestellt. Zum ersten Mal befasste sich die Wissenschaft sehr genau mit der Rolle der Landesministerien in Baden und in Württemberg in der Zeit des Nationalsozia lismus. Eine zweibändige Publikation mit den Ergebnissen ist im April 2019 erschienen. Ein weiterer Forschungsauftrag, der die Umbruchzeit zwischen 1945 und 1952 untersuchen soll, hat jetzt ebenfalls begonnen. Auch weitere Themen, die sich im Zuge der Forschung ergeben haben, sollen näher be leuchtet werden.
Warum sind diese Forschungen heute noch so wichtig? Na türlich geht es darum, die historischen Ereignisse zu begrei fen und zu verstehen. Die Wissenschaftler widerlegen viele Annahmen, die in den vergangenen Jahrzehnten kursierten, ohne dass sie hinterfragt worden wären. Sie präzisieren das Bild vom Funktionieren des Verwaltungsapparats im Dritten Reich. Sie zeigen, dass die Verwaltung Teil des Repressions apparats war. Sie weisen nach, dass es in beiden Landesver waltungen ausgereicht hat, vereinzelte Beamte abzusetzen. Die überwiegende Zahl der Mitarbeiter in den Ministerien hat sich nicht nur angepasst, viele waren willige Helfer des Regi mes und haben die Handlungsspielräume, die sie hatten, da zu genutzt, die Reichsdirektiven verschärft umzusetzen. Dies ist eine erschreckende Erkenntnis.
Dieses Forschungsprojekt ist aber auch wichtig, weil es neue Ansätze in der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Gesellschaft befördert hat und immer noch befördert. Die Wis senschaftler saßen nicht in ihrem Elfenbeinturm, sondern ha ben mit den verschiedenen Institutionen kooperiert. Auch Bür gerinnen und Bürger wurden dazu ermutigt, sich zu beteili gen. Ein Onlineportal wurde eingerichtet. Es war und es ist ein Angebot an die historisch interessierte Öffentlichkeit und will einen Austausch zwischen Geschichtswissenschaften und Öffentlichkeit fördern und erweitern.