Guten Morgen, liebe Kol leginnen und Kollegen! Wir beginnen mit unserer Sitzung. Es ist die 123. Sitzung des 16. Landtags von Baden-Württem berg.
Aus dienstlichen Gründen entschuldigt haben sich ganztägig Frau Ministerin Bauer, bis 13 Uhr Frau Staatssekretärin Mie lich, ab 12 Uhr Frau Ministerin Dr. Hoffmeister-Kraut, ab 13:30 Uhr Frau Ministerin Sitzmann und ab 14:30 Uhr Frau Ministerin Dr. Eisenmann.
Aktuelle Debatte – Grün-schwarzer Streit ums zweite Hilfs paket – warum ist 66 Tage nach der Ankündigung immer noch kein Euro bei den belasteten Branchen angekom men? – beantragt von der Fraktion der FDP/DVP
Das Präsidium hat für die Aktuelle Debatte eine Gesamtrede zeit von 50 Minuten festgelegt. Die Redezeit der Regierung wird darauf nicht angerechnet. Wir haben für die Aussprache eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion vorgesehen. Auch die Mitglieder der Landesregierung sind gebeten, sich an den Redezeitrahmen zu halten.
Frau Präsidentin, lie be Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Was kann man eigentlich in zehn Tagen alles erreichen? Ich sage es Ihnen: Man kann am 17. März einen Nachtragshaushalt an kündigen, am 19. März – zwei Tage später – hier in diesem Plenum einen Beschluss über 5 Milliarden € Soforthilfe errei chen, am 25. März – nach acht Tagen – ein Formular online stellen, und am 27. März – nach zehn Tagen – ist das Geld bei den Unternehmen. Das kann funktionieren, wenn man so et was hier im Landtag macht und die Opposition beteiligt ist, meine Damen und Herren.
Warum haben Sie das gemacht? Weil Unternehmen vor der Pleite, weil Existenzen vor dem Nichts standen. Da war kei ne Zeit für parteipolitische Spielchen in der Regierungskoa lition.
Denn eine Verzahnung mit dem Bundesprogramm ist auch er folgt, allerdings erst am 8. April – wenn man so will, an Tag 22. Das hat man dann alles nachgezogen. Somit gab es gar kein Problem in dem Sinn, dass zu viel Landesgeld aus gegeben worden wäre.
Am 31. Mai lief die Soforthilfe I aus. Die meisten Betriebe im Tourismusbereich waren wieder geöffnet. Allerdings gibt es im Handel, bei den Gaststätten, aber auch bei Reisebüros, Reiseveranstaltern und Omnibusunternehmen noch immer große Einschränkungen. Da ist schon eine große Enttäuschung vorhanden; denn der Standpunkt der Landesregierung scheint zu sein: Dort, wo geöffnet ist, ist schon alles gut – nach dem Motto: Aus der Verordnung, aus dem Sinn.
In der Praxis ist aber das Gegenteil der Fall: halber Umsatz, volle Kosten. Gehen Sie einmal in ein Hotel, gehen Sie ein mal in ein Restaurant, gehen Sie einmal in ein Reisebüro, oder fahren Sie einmal mit einem Omnibus. In der Gastronomie fehlen bei den Belegungsmöglichkeiten 60 bis 80 % der Plät ze. Betriebswirtschaftlich wäre es eigentlich besser, nicht zu öffnen. Aber das kann ein Unternehmer nicht tun, weil er sei ne Gäste nicht verlieren will. Deswegen öffnen die Unterneh mer.
Deswegen frage ich Sie: Wissen Sie eigentlich, wie viel Zeit seit Ihrer ersten Ankündigung des zweiten Hilfspakets vergan gen ist? Wahrscheinlich würden Sie es nicht wissen, wenn es Frau Kurtz nicht mit dem Titel dieser Aktuellen Debatte vor gelesen hätte: Heute sind es 66 Tage. Am 20. April kündigte Tourismusminister Wolf richtigerweise an – er hat die Forde rung ja von uns übernommen –:
„328 Millionen € kommen.“ Am 29. April, also an Tag 9, sag te der Ministerpräsident – heute leider nicht hier – an diesem Pult – Zitat –:
Deshalb erarbeiten wir derzeit Hilfsprogramme mit ei nem Volumen, das im mittleren dreistelligen Millionenbe reich liegt, für Branchen, die besonders unter der Krise leiden – so etwa für die Gastronomie, den Tourismus oder die ÖPNV-Branche und die Busunternehmen.
Vielen Dank, Herr Professor Schwei ckert, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich möchte nur noch einmal etwas nachfragen, weil ich den Eindruck habe, dass Sie es entweder nicht wussten oder es gerade extra weg gelassen haben – das weiß ich nicht; eines von beidem wird stimmen –: Die Soforthilfe I lief in den Monaten März, April, Mai und ist am 31. Mai um 24 Uhr ausgelaufen. Das haben Sie richtig gesagt. Das, was Sie jetzt weggelassen haben, ist, dass eine Sekunde später, also am 1. Juni, die Soforthilfe II, das Überbrückungsprogramm, gestartet ist. Deshalb frage ich Sie: Erkennen Sie da jetzt eine Förderlücke, oder haben wir nicht permanent den Firmen, den Unternehmen geholfen? Das neue Programm läuft in den Monaten Juni, Juli, August. Das gehört zur Wahrheit dazu. Keine Sekunde haben wir die Fir men im Stich gelassen.
Herr Kollege Paal, wenn Sie mich hätten aussprechen lassen, wären Sie schon ei nen Tick schlauer. Denn genau auf dieses Problem komme ich zu sprechen. Deswegen hören Sie einfach zu, was ich ausfüh re. Dann werden Sie feststellen, dass Ihre Fördergelder bei Ih nen in der Theorie oder im Regierungsprogramm existieren. Sie sind aber nicht bei den Menschen auf dem Konto. Dort kommt nämlich nichts an.
Das klang gut; da waren zwei Kabinettssitzungen vorbei. Und am 10. Mai – Kollege Paal, hören Sie zu, an Tag 20 – hat dann der Ministerpräsident verkündet, er möchte die Sachen jetzt erst einmal bündeln. Da gab es dann die Schreiben an seine Minister – wahrscheinlich waren die ihm zu gut; zu viel Pres se –, wonach man die Branchenhilfspakete bündeln müsse, weil man ja das Ganze – wie Sie zu Recht sagen – am 1. Ju ni in Kraft setzen wollte. Das war am 10. Mai, meine Damen und Herren. Da hat man also die Branchenhilfe für Gastro, Busunternehmer, Vereine, Kultur, Kunst usw. zusammenfüh ren wollen.
Am 19. Mai – hier ist wieder auf einer Kabinettssitzung nichts passiert – wurde dann nach einer Sitzung der Haushaltsstruk turkommission endlich einmal eine Einigung verkündet. Das war Tag 29. Beim ersten Programm war das Geld schon nach zehn Tagen geflossen. Im Vergleich damit hat es also dreimal so lange gedauert, bis die jetzt angesprochene Einigung ver kündet wurde.
Am 20. Mai hat dann auch Herr Reinhart an diesem Pult ora kelt, vielleicht sei hier sogar zu viel Geld eingestellt worden. Die Wirtschaftsministerin kündigte am gleichen Tag an, jetzt müsse die Abstimmung mit dem Bundesprogramm erfolgen. Wie gesagt, Tag 30. An diesem Tag war das Bundesprogramm weder zu Ende verhandelt – geschweige denn beschlossen – noch verkündet. Also war ja klar, dass nichts passieren kann, meine Damen und Herren.
Nach der nächsten Kabinettssitzung – wir sind jetzt bei Tag 57 –, nach den Pfingstferien, wurde uns wieder erklärt, Herr Reinhart, das Programm wäre bereits in der letzten Woche im Kabinett gewesen, wenn nicht noch die Ministerpräsidenten konferenz am heutigen Mittwoch – 17. Juni – wäre. Das ha ben Sie an diesem Pult erklärt.
An diesem Tag war Europaausschusssitzung. Das war wohl eine öffentliche Sitzung. Da wurde dann von den Vertretern der Grünen erklärt, wenn man kritisch nachfragte: Ach, war ten Sie doch einfach noch ein, zwei Stunden, dann ist schon alles in Butter.
Meine Damen und Herren, das ist doch der klare Versuch, sich auf dem Rücken einer betroffenen Branche durch parteipoli tische Spielchen – dann kann man sagen, der Ministerpräsi dent war in Berlin; der hat es geklärt; die Verzahnung mit dem Bundesprogramm ist da – aus der Verantwortung zu ziehen.
Frau Ministerin, ich frage Sie: Habt ihr zwischenzeitlich ei gentlich mal eine Antwort bekommen auf das, was da letzten Mittwoch war? Liegen die Antworten vor? Sind diese Pro gramme förderunschädlich, wurden die Beschlüsse gefasst, hat sich schon irgendjemand damit beschäftigt? Ich bin mal auf Ihre Antworten gespannt, meine Damen und Herren.
Am 23. Juni, also an Tag 64, ist das im Kabinett beschlossen worden – über zwei Monate nach der Ankündigung und, wie wir lesen konnten, erst im dritten Anlauf. Drei Mal haben Sie sich im Kabinett damit befasst. Es stand am letzten Dienstag zuerst gar nicht auf der Tagesordnung, Sie mussten das noch nachträglich einschieben.
Lieber Herr Reinhart, ich nehme Ihnen ja ab, dass Sie das Pro gramm eigentlich gut finden. Aber finden Sie es eigentlich gut, dass solch ein Nachfolgebeschluss dann noch nicht einmal die Zustimmung aller Minister im Kabinett bekommt? Meine Da men und Herren, es ist ein Armutszeugnis,
den Beschluss eines solchen Programms im Kabinett erst zu verzögern, dann nicht mal die Zustimmung aller Minister zu erhalten und dann hier davon zu sprechen – das haben Sie ge sagt, Herr Reinhart –, wir hätten eine umfassende, umgehen de Leistungsfähigkeit. Das ist hier in der letzten Woche ver sprochen worden.
Meine Damen und Herren, zur Leistung gehört dazu, dass ich einen Antrag stellen kann. Ich frage Sie: Wo kann denn der Gastronom heute Morgen, nachdem Sie den Beschluss gefasst haben, seinen Antrag stellen? Was habt ihr denn gemacht? Das Programm lag doch vor. Ich kann mich an die Ankündigung, Herr Wolf, erinnern. Da haben Sie ein Programm vorgestellt. Ich stelle mal die Frage: Wurde es in der Zwischenzeit kom plett geändert? Oder warum hat man dieses Programm nicht genau wie bei der Soforthilfe I auf die Straße gebracht und sich nachher überlegt, wie man es mit dem Bundesprogramm verzahnt? Das wäre der Branche meines Erachtens adäquat gewesen.
Wenn man hier nicht weiß, was förderunschädlich ist und was nicht, hat man keine Möglichkeit, das Programm jetzt zu star ten. Die Ministerin erklärt per Pressemitteilung, sie gehe da von aus, dass man die Hilfen in der nächsten Woche beantra gen kann. Der Europaminister hat im Europaausschuss gesagt: Wenn alles gut läuft, Ende des Monats. „Wenn alles gut läuft“ – wir sind mal gespannt, wie das läuft.