Protokoll der Sitzung vom 15.07.2020

nem galoppierenden Tempo fast wöchentlich neu erlassen ha ben. Dadurch haben Sie Grundrechte der Bürger in unserem Land drastisch eingeschränkt. Ihre Verordnungen, die für den Einzelhandel zum Teil nicht nachvollziehbar und nicht um setzbar waren, wurden von verschiedenen Verwaltungsgerich ten bereits gekippt.

Meine Damen und Herren, die wirtschaftlichen Schäden in folge Ihrer Verordnungspolitik sind immens und werden im mer deutlicher erkennbar. Aber aus unserer Sicht ist der Gip fel Ihrer Dreistigkeit, dass diese Schäden nicht in vollem Um fang ersetzt werden sollen. Sie haben über Ihre Medienpropa gandamaschinerie

(Vereinzelt Lachen)

den Bürgern Tag und Nacht eingeredet, wie gut und hilfreich Ihre Coronapolitik ist und dass sich die Bürger mit Almosen nach dem Gießkannenprinzip zufriedengeben sollen.

Meine Damen und Herren, zwar sind in § 56 des Infektions schutzgesetzes Entschädigungen vorgesehen, wenn der Staat durch ein Berufsverbot in das Recht der Berufsfreiheit eines Einzelnen eingreift – der mit dem Coronavirus infiziert ist. Im Übrigen hat das Land Baden-Württemberg – das haben wir im Finanzausschuss gehört – bereits knapp 1 Milliarde € an Entschädigungen abgegolten. Was aber nicht geregelt ist, sind natürliche oder juristische Personen, die durch staatliche Maß nahmen belastet wurden und die in der polizeirechtlichen Sprache als „Nichtstörer“ zu bezeichnen sind. Somit ist das Infektionsschutzgesetz in Bezug auf Entschädigungsansprü che aus unserer Sicht unvollständig.

Da wir juristisch prüfen wollten, ob den Selbstständigen, den Gewerbetreibenden ein Schadensersatz zusteht und wer in die sem Fall für die Vermögensschäden der Tausenden von Un ternehmen haften soll, haben wir einen renommierten Verfas sungsrechtler und Hochschullehrer beauftragt, ein Gutachten zu erstellen. Dieses Gutachten liegt seit über einer Woche vor. Der Verfasser kommt im Wesentlichen zu folgenden Ergeb nissen:

(Zuruf)

1. Gewerbetreibenden, Ladeninhabern, Gastronomen, Kinobesitzern, Künstlern usw., die aufgrund der vielfach novellierten Corona-Verordnungen der Regierung von Baden-Württemberg seit dem 16. März 2020, insbeson dere wegen der angeordneten Schließung von Geschäften und Restaurants, gravierende Umsatzeinbußen erlitten haben, steht gegen das Land ein Entschädigungsanspruch zu; dieser umfasst auch den entgangenen Gewinn im Sin ne des gewöhnlichen Verdienstes.

(Zuruf)

Wenn Sie das Gutachten lesen, können Sie es rausziehen.

3. Der Entschädigungsanspruch stützt sich auf eine ana loge Heranziehung des allgemeinen Rechtsgedankens aus § 55 Abs. 1... PolG-BW oder aber auf den richter- und gewohnheitsrechtlich anerkannten, von Artikel 14 des Grundgesetzes... grundierten Entschädigungsanspruch wegen enteignenden Eingriffs als Unterfall des allgemei nen Aufopferungsanspruches.

4. Es kommt dabei n i c h t darauf an, ob die in den Corona-Verordnungen des Landes angeordneten Schlie ßungen und sonstige Auflagen

das ist ganz wichtig –

rechtmäßig oder rechtswidrig gewesen sind. Der gefah renabwehrrechtlich in Anspruch genommene Nichtstörer, der durch diese Inanspruchnahme ohne sein Zutun einen Schaden erlitten hat, ist auch bei ansonsten völlig recht mäßigen Gefahrenabwehrmaßnahmen entschädigungs berechtigt.

(Beifall)

das ist das Wesentliche, und das macht uns große Sorge –

Zahlungspflichtig ist das Land Baden-Württemberg als Rechtsträger der Landesregierung, die die Corona-Ver ordnungen erlassen hat und verantwortet.

Das finanzielle Risiko des Landes Baden-Württemberg steigt unter der Berücksichtigung dieses Gutachtens gewaltig an. Daher sollte für alle Parlamentarier plausibel sein, warum die AfD-Fraktion bereits am 21. April 2020 eine sofortige Haus haltssperre und eine Revision des Landeshaushalts verlangt hat. Ich denke, jeder von Ihnen müsste noch einmal in sich gehen und darüber nachdenken. Er wird dann zu dem Schluss kommen, dass diese Aufgaben sicher nicht bis zum Herbst – September, Oktober oder November – warten können.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall)

Für die Fraktion GRÜNE er teile ich das Wort Herrn Abg. Filius.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Überschrift der Aktuellen Debatte heißt – von Ihnen gewählt, Herr Gögel – „Staatshilfe oder Entschädigung nach Rechtslage?“, aber das Fragezeichen haben Sie hier jetzt gar nicht erwähnt. Deswe gen kann ich nicht nachvollziehen, wo jetzt überhaupt Ihr Weg liegt.

Sie sagen auf der einen Seite, die Coronakrise mache Ihnen große Sorgen, was den Haushalt angeht. Auf der anderen Sei te kommen Sie zu analogen Anwendungen. Herr Vosgerau soll gesagt haben, analog müsste hier eine Entschädigung erfol gen. Es ist herrschende Meinung – ich komme später darauf zurück und gehe dann noch näher darauf ein –, dass ein ent gangener Gewinn bei Unternehmen gerade nicht in diesen Be reich hineinfällt.

Da beginnt schon die erste Schwierigkeit, wie Sie hier anset zen und den Bürgerinnen und Bürgern auf der einen Seite Hoffnung machen – und ihnen auf der anderen Seite wieder Angst machen, dass der Staat in der Verschuldung keine Mög lichkeit mehr habe, richtig zu handeln.

Aber wir, die Regierung und die Regierungsfraktionen, wir handeln. Wir haben einen Kompass. Bei uns gibt es kein Fra gezeichen. Bei uns ist die Richtung klar.

(Beifall)

Die Coronakrise ist noch lange nicht vorbei. Es ist auch un bestritten, dass sie das gesamte wirtschaftliche und gesell schaftliche Leben massivst beeinträchtigt hat. Sie ist eine der größten Herausforderungen für die Bevölkerung und natür lich auch für die Wirtschaft – auf der ganzen Welt. Hier müs sen Maßnahmen ergriffen werden, die einschneidend sind.

Aber Artikel 2 des Grundgesetzes steht über alldem:

Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver sehrtheit.

Dieses Recht zu schützen ist die oberste staatliche Aufgabe. Dem kommen wir nach, und dem kommen auch die Bürge rinnen und Bürger nach. Nur durch gemeinschaftliche Solida rität, Verantwortungsgefühl und Rücksichtnahme konnten wir durch diese Krise hier in Baden-Württemberg, aber auch in Deutschland so gut hindurchkommen. Wir haben hier, wie ge sagt, gehandelt.

Ich möchte jetzt mit Erlaubnis der Präsidentin ebenfalls etwas zitieren – Sie haben es ja vorhin auch erwähnt –: Frau Alice Weidel sagte damals, am 12. März:

Dänemark, Tschechien, Italien und viele weitere europä ische Länder reagieren: Sie stellen das öffentliche Leben praktisch ein. Nur in Deutschland kann sich Covid-19 un gehindert ausbreiten. Das wird fatale Folgen haben! Die Regierung muss jetzt endlich angemessene Schritte ein leiten!

Dann am 30. April genau das Gegenteil:

Die Wirtschaft ist sofort hochzufahren, die Gastronomie noch vor dem Wochenende wieder zu öffnen. Die Bürger müssen ihr Einkommen sichern können, statt auf die de saströse Chaos-Politik der Bundesregierung hoffen zu müssen!

Das sind politische Wendemanöver. Man macht es einmal so und einmal so in dieser Krise. Hier zeigt sich blanker Popu lismus.

(Beifall – Zurufe)

Jetzt haben Sie ein Gutachten vorgelegt. Ich habe es vorhin schon einmal erwähnt – Frau Weidel war bei der Präsentati on auch wieder mit dabei –: Es sind hauptsächlich Kopien von Gesetzestexten und Zusammenfassungen von verschiedenen Coronaverordnungen. Der Verfasser, Herr Vosgerau, hat sich nicht einmal mit dem jetzt vorliegenden Urteil des Landge richts Heilbronn auseinandergesetzt, das in einem Eilverfah ren ganz klar gesagt hat – im Ergebnis verneinend –, dass es keine Entschädigungsposition über das hinaus gibt, was im Infektionsschutzgesetz des Bundes die Regelung ist.

Es ist wirklich herrschende Meinung – ich habe es vorhin ge rade erwähnt –, dass ein entgangener Gewinn nicht vom Ei gentumsbegriff gedeckt ist. Das hat das Gericht nochmals fest geschrieben. Da hätte er sich dann schon noch mal mit dieser Position auseinanderzusetzen gehabt. Mit dem Infektions schutzgesetz als Lex specialis werden letztendlich Entschädi gungsansprüche anderer Natur quasi abgesperrt; es gibt dann keine Zugriffsmöglichkeiten mehr.

Jetzt komme ich nochmals zu der Frage, was passiert, wenn man bei den Lockerungen den Gesundheitsschutz nicht ent sprechend berücksichtigt. Da darf ich einfach sagen: Was die Ihnen doch wohl sehr nahestehenden politischen Personen wie Präsident Bolsonaro in Brasilien und Präsident Donald Trump in den USA angeht, kann man feststellen, wie diese letztend lich mit der Coronakrise umgehen. Schauen wir uns die heu tigen Zahlen an: Es gibt am heutigen Tag in den USA 62 000 Neuinfektionen, in Brasilien 37 000 – und in Deutschland 300.

(Zurufe)

Da sieht man, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Es tut der Wirtschaft ebenfalls gut, dass wir im Gesundheitsbereich die entsprechenden Maßnahmen treffen.

(Beifall)

Das andere sind die Ergebnisse, wenn man den Gesundheits schutz nicht berücksichtigt.

Aber jetzt zu den Positionen, die Sie gerade erwähnt haben: Seien es Staatshilfen, seien es Entschädigungen; der Staat lässt seine Bürgerinnen und Bürger nicht im Regen stehen.

(Zuruf)

Nein, wir lassen niemanden im Stich, sondern hier werden wirklich große Anstrengungen unternommen, und es werden umfangreiche Maßnahmen getroffen, sei es auf der Bundes ebene oder auch hier auf der Landesebene. Wir kommen da durch zu dem Ergebnis, dass die Wirtschaft hier auch weiter hin gut laufen kann. Wer in diesen Tagen auf der Autobahn unterwegs ist, sieht: Es sind eine Unmenge Lkws unterwegs. Das heißt, es wird auch wieder entsprechend produziert.

(Zuruf)

Das ist so, Herr Sänze. Gerade Sie wollen ja, dass die Gren zen weiterhin geschlossen bleiben. Vielleicht darf die Frau Weidel aus der Schweiz noch rein.

(Zuruf)

Aber es kann natürlich unserer Exportwirtschaft in BadenWürttemberg tatsächlich schaden, wenn hier die Grenzen wei terhin geschlossen bleiben.