Protokoll der Sitzung vom 30.09.2020

(Zuruf von den Grünen: Ah! – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: EnBW-Deal!)

Nein, ich war beim EnBW-Deal nicht dabei, Herr Kollege Sckerl. Das müssten Sie wissen,

(Abg. Andreas Stoch SPD: Chance verpasst!)

denn Sie waren ja im Untersuchungsausschuss. Also: Nicht alle über einen Kamm scheren.

Aber ich war schon bei Koalitionsrunden dabei. Diese Koali tionsrunden sind immer dann recht angenehm, wenn es viel zu verteilen gibt. Aber eine zweistellige Milliardensumme on top hatten wir noch nie zu verteilen. Das ist einzigartig. Da her ist es nicht sehr überraschend, dass man sich einig gewor den ist nach dem Motto: Wir verteilen mal kräftig.

Dann haben Sie sich gelobt: „In meiner Regierungszeit haben wir saniert, da haben wir kaum Schulden gemacht – bis jetzt.“ Man muss sich aber dann schon mal ansehen, Frau Finanzmi nisterin, wie sich das Volumen des Haushalts seit 2011 entwi ckelt hat, auch in Zeiten ohne neue Schulden. Da war es näm lich immer so, dass es Rekordsteuereinnahmen gab, weil die Wirtschaft lief. Sie, Frau Finanzministerin, haben das auch immer eingeräumt und gesagt: „Es ist nett, jetzt Finanzminis terin zu sein; man hat viel Geld, denn es kommt ja rein. Wir erhöhen das Volumen des Haushalts, weil wir es können. Aber wenn irgendwann mal wieder schwierigere Zeiten kommen, dann werden wir darauf reagieren.“

Diese schwierigeren Zeiten sind jetzt da. Und wie reagieren Sie darauf? Durch eine Rekordverschuldung. Also so kann je der Politik machen: Dann, wenn man hohe Steuereinnahmen hat, haut man sie raus, und wenn sie nachlassen, macht man neue Schulden. Was daran Regierungskunst sein soll, das müssten Sie uns mal erklären, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Es gibt nirgendwo, an keiner Stelle, auch nur den mindesten Sparansatz.

Dass die Opposition darauf hinweist, das wischen Sie mit Hin weisen auf Bäume, Schweine und Mäusefutter vom Tisch. Herr Ministerpräsident, Sie waren ja auch einmal im Finanz ausschuss, und Sie wissen, wie Haushaltsberatungen ablau fen. Nun sagen Sie einfach: „Das meiste, was im Haushalt drinsteht, ist Mäusefutter“, wenn eine Opposition das an spricht – Mäusefutter. „Das sind doch Kleinkrämer, dass die überhaupt so etwas ansprechen; ich sehe nur die großen Lini en. Unter 10 Milliarden € muss man mir gar nicht kommen. Alles andere ist Mäusefutter.“

(Vereinzelt Heiterkeit)

Stellen Sie sich so Haushaltspolitik vor, Herr Ministerpräsi dent? Oder sind Sie tatsächlich schon so abgehoben, dass Sie

der Überzeugung sind: „All das, was in Haushalten drinsteht, ist Mäusefutter, und nur die ganz großen Themen müssen ei nen Ministerpräsidenten und eine Regierungskoalition inter essieren“? Diese Abgehobenheit ist bemerkenswert. Es ist eben kein Mäusefutter, wenn in einem Parlament über Haus haltsposten diskutiert wird. Darüber kann man sich nicht ein fach so arrogant hinwegsetzen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der SPD)

Sie haben kein Wort verloren zum Thema Rücklagen, das wir angesprochen haben. Es ist wahrscheinlich auch Mäusefutter, dass da Millionen an Rücklagen vorhanden sind und man sich zunächst einmal die Frage stellen müsste: Inwiefern kommen zunächst einmal diese Rücklagen oder der Nichtvollzug zur Anwendung, bevor man sich in einem historischen Ausmaß neue Schulden vom Parlament genehmigen lässt?

Vor diesem Hintergrund wurde vieles von dem, was in dieser Debatte angesprochen wurde, von Ihnen gar nicht aufgegrif fen. Vielmehr verfolgen Sie Ihren Kurs nach dem Motto: „Jetzt ist die Pandemie da, und diese Pandemie rechtfertigt natürlich alles, was wir für das Gesundheitswesen brauchen. Das, was wir für das Gesundheitswesen nicht brauchen und trotzdem ausgeben, das ist alles Wirtschaftsförderung.“ Na türlich kann ich so Haushaltspolitik machen, indem ich sage: „Das, was ich ausgebe, ist entweder Mäusefutter – darüber darf eine Opposition gar nichts sagen –, oder es ist Wirt schaftsförderung.“ Da kann ich jegliche Haushaltsdebatte be enden und komme zum Ergebnis: Es rechtfertigt sich alles, entweder als Mäusefutter oder als Wirtschaftsförderung.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Ich bin immer sehr dankbar, wenn Sie Herrn Denner zitieren. Ich habe auch mit Wohlwollen vermerkt, dass Sie nun erklärt haben: Es ist an der batterieelektrischen Mobilität nicht alles Gold, was glänzt, und der Verbrennungsmotor hat auch seine Zukunft. Als sich dann allerdings der „Club der Umsichtigen“, Ihr Partner Söder, gemeldet hat und gesagt hat: „2035 machen wir Schluss“,

(Abg. Andreas Stoch SPD: Da war der Druck dann groß!)

da war der Druck plötzlich wieder größer. Dann meldet sich auch Winfried Kretschmann, der zwei Tage vorher noch in der „Wirtschaftswoche“ erklärt hat, es müsse weitergehen mit dem Verbrennungsmotor, und sagt: „Der Söder hat gesagt, 2035 ist Schluss. Jetzt sage ich auch: 2035 ist Schluss.“

(Abg. Andreas Stoch SPD: „Dann mache ich nichts falsch“!)

Da würde ich mir schon wünschen – wie soll ich das sagen? –, dass wir im Land Baden-Württemberg uns nicht als Mäu sefutter von Herrn Söder betrachten,

(Beifall bei der FDP/DVP und der SPD sowie Abge ordneten der AfD)

sondern unsere eigenen Interessen im Vordergrund sehen. Das haben Sie heute auch gesagt. Denner sagt: Wir können Struk turwandel, aber Strukturbruch sollte man uns nicht zumuten.

(Abg. Andreas Stoch SPD: Genau!)

Ich gebe Ihnen gern noch ein zweites Zitat von Denner mit auf den Weg: „Dort, wo ich zehn Arbeitsplätze vorhalten kann für den Diesel, habe ich bei der Batterie noch einen.“ Das wür de ich auch gern an dieser Stelle im Protokoll festhalten.

Aber wenn Sie sagen, Strukturwandel ja, Strukturbruch nein, bezogen auf die Automobilwirtschaft, dann frage ich Sie: Ha ben Sie das eigentlich auch schon einmal Ihrem Verkehrsmi nister erklärt,

(Beifall bei der FDP/DVP)

der jetzt sagt: „In ein paar Jahren gehen wir alle zu Fuß oder fahren mit dem Fahrrad, und es müssen viel weniger Autos werden“? Das kann man ja vertreten. Aber das passt nicht da zu, dass ein Regierungschef erklärt: „Wir wollen Strukturwan del, aber keinen Strukturbruch.“ Insofern sehen wir an dieser Stelle, Herr Kollege Reinhart, dass nicht nur zwischen die Ko alitionspartner Blätter von Papier passen, sondern auch zwi schen die grünen Flügel, wenn der Ministerpräsident dies er klärt, während der Verkehrsminister am Tag zuvor davon fa buliert hat, dass es in wenigen Jahren ein Volk von Fußgän gern und Radfahrern geben wird. Dann haben wir wirklich den Strukturbruch.

Wozu Sie auch nichts gesagt haben, war das Thema Schulden bremse und die Fragen, inwieweit es sich wirklich rechtfer tigt, und vor allem, welches Signal es an die Bevölkerung ist, wenn ich zunächst voller Stolz dieser Bevölkerung erkläre: „Die politischen Kräfte im Landtag von Baden-Württemberg – zumindest einmal die demokratischen – einigen sich auf ei ne Schuldenbremse, weil wir künftig nachhaltige Haushalte wollen“,

(Zuruf des Abg. Emil Sänze AfD)

und dann ein halbes Jahr später eine Rekordverschuldung ge macht wird, bei der plötzlich die Schuldenbremse nicht gel ten soll. Wir haben schon deutlich gemacht, dass uns das nicht einleuchtet. Sie können es ja anders sehen, aber wenn sich der Regierungschef des Landes Baden-Württemberg zunächst bei der Bevölkerung dafür rühmt, eine Schuldenbremse in die Ver fassung hineingeschrieben zu haben, die Bevölkerung dann ein halbes Jahr später in der Zeitung „Rekordverschuldung“ liest und der Ministerpräsident sich in diesem Zusammenhang zum Thema Schuldenbremse völlig ausschweigt, dann sind Sie Ihrer Verantwortung an dieser Stelle nicht gerecht gewor den.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Andreas Stoch SPD)

Nicht nur die Opposition sieht das kritisch. Sie können es in der Presseberichterstattung über die Herbsttagung der Rech nungshöfe in Hildesheim nachlesen, wo gesagt wird: „Wir ra ten ab von unzulässiger Inanspruchnahme der Ausnahmen der Schuldenbremse. Wir wollen kein Umgehen des Verschul dungsverbots. Die Ausnahmen müssen eng gefasst werden.“

(Abg. Andreas Stoch SPD: So sieht es aus!)

Dasselbe sagt die Universität Saarbrücken in einem Gutach ten für den Bund der Selbständigen. Ich zitiere:

Schulden, die mit dem Katastrophenmechanismus begrün det werden, dürfen nur zur Bekämpfung der Notlage ver wendet werden.

All das haben Sie am heutigen Tag nicht deutlich gemacht.

(Abg. Andreas Stoch SPD: Ignoriert!)

„Ignoriert“, sagt Kollege Stoch. Ausnahmsweise will ich einmal etwas weniger scharf formulieren als der Kollege Stoch.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Sie sagen nur: „Wir bringen das innerhalb einer Generation zurück.“ Sie fangen im Jahr 2024 an, und 2049 soll es dann zurückgeführt sein. „Wir zahlen in einer Generation zurück.“ Herr Ministerpräsident, wollen Sie 2049 noch im Amt sein? Nicht. Insofern ist es natürlich auch ein wohlfeiles Verspre chen.

(Zuruf)

Zur Frage nach der Glaubwürdigkeit: Im Frühjahr haben wir gehört: Innerhalb von zehn Jahren wird zurückgeführt. Jetzt sind wir bei 25 Jahren. Trickreich findet dann der Kollege Schwarz Wirtschaftsexperten, die zu 60 Jahren raten. Das ist dann wahrscheinlich sogar über den Karrierehorizont vom Kollegen Schwarz hinaus.

(Zuruf des Abg. Paul Nemeth CDU)

Aber die Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung – das wissen Sie genau – ist sehr überschaubar. Wir hatten 1993 eine Wirt schaftskrise, wir hatten 2008/2009 eine Wirtschaftskrise und jetzt die nächste. Niemals wurde wirklich nachhaltig zurück geführt, obwohl man es konnte. Sind Sie wirklich der Mei nung, irgendjemand glaubt Ihnen diesen Satz: „Wir führen diese Schulden innerhalb von einer Generation zurück“? Nein, meine Damen und Herren, das glaubt niemand.

Das Verfahren ist im höchsten Maß problematisch. Deshalb sage ich an dieser Stelle ganz deutlich: Das, was Sie am heu tigen Tag in den Landtag von Baden-Württemberg eingebracht haben, und die Art und Weise, wie Sie es begründet haben, schreit geradezu nach einer verfassungsrechtlichen Überprü fung.

(Beifall bei der FDP/DVP – Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich das Wort Herrn Fraktionsvorsitzenden Schwarz.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Die Aufgabe verantwortungsvoller Politik ist es, jetzt Unternehmen in diesem Strukturwandel und in dieser Krise, die Corona hinterlassen hat, zu unterstüt zen. Deswegen sind unsere Maßnahmen richtig: enorme Po tenziale in der Gesundheitswirtschaft heben, in Medizintech nik investieren, das Medizincluster in Baden-Württemberg weiterentwickeln, die Zukunftsbranchen „Vernetzte Mobili tät“, Batterietechnik, Brennstoffzellentechnik, Wasserstoff technik, Digitalisierung, „Künstliche Intelligenz“ voranbrin gen und mit dem neuen Fonds bw-invest einen branchenoffe nen Fonds auflegen. All das sind wichtige Maßnahmen. Wir investieren gezielt in zukunftsträchtige Branchen.

An diesen Maßnahmen habe ich auch von Ihnen, Herr Stoch und Herr Rülke, keine Kritik gehört. Ich glaube, damit sind wir auf dem richtigen Weg.