Protokoll der Sitzung vom 12.10.2016

(Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion der FDP/ DVP erteile ich das Wort dem Kollegen Weinmann.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Es ist ein trauriger Tag für die Bewäh rungshilfe und in gewisser Hinsicht auch ein trauriger Tag für die politische Glaubwürdigkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Aus rein ideologischen Gründen möchte die Landesregierung eine unbestritten erfolgreiche, fest im Ehrenamt implemen tierte und verankerte Bewährungshilfe verstaatlichen.

(Abg. Sabine Wölfle SPD: Quatsch!)

Dass diese von den Freien Demokraten vor ca. neun Jahren initiierte Neustrukturierung der Bewährungshilfe insbesonde re bei den Kolleginnen und Kollegen der SPD und der Grü nen auf Skepsis und Ablehnung stieß – wohl auch, weil man hier das „Stigma“ der Privatisierung gesehen hat –, überrascht zunächst nicht.

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner AfD: Genau!)

Dass aber trotz der dokumentierten Erfolgsgeschichte in der Bewährungshilfe die ablehnende Haltung beibehalten wird, befremdet.

(Beifall des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner AfD)

Mit Ihrer Zustimmung, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, verraten Sie jetzt, obgleich Sie noch im Wahlkampf die Verstaatlichung massiv geißelten, die haupt- und ehrenamtli chen Mitarbeiter von NEUSTART und machen sich zum Er füllungsgehilfen einer ignoranten Politik. Denn entgegen Ih rer Aussage, Frau Gentges, ist noch lange nicht gesichert, ob der Tarifvertrag übernommen wird. Im Gesetzentwurf selbst steht nur, er solle zunächst übernommen werden.

Tatsächlich gibt es für die Verstaatlichung der Bewährungs hilfe keinen rechtlichen und erst recht keinen sachlichen Grund. Die sachliche Qualität wurde schon erheblich angesprochen. Selbst das Justizministerium hat in seiner Stellungnahme im März 2014 ausgeführt, dass sich die Einführung von Quali tätsstandards, fachlicher Anleitung und Qualitätskontrolle, er gänzt um eine klare Organisation der Arbeitsabläufe, bewährt hat. Viele Argumente wurden erwähnt. Aufgrund der erhöh ten Betreuungsintensität gibt es die geringste Widerrufsquo te und eine gesteigerte Auftragszahl im Täter-Opfer-Aus gleich.

Zur landesweiten Etablierung der ehrenamtlichen Bewäh rungshilfe: Allein 600 Bürgerinnen und Bürger engagieren sich bei der Betreuung von knapp 1 300 Klienten. Das zeigt die einmalige Erfolgsgeschichte.

Nun wird ein Gerichtsurteil des Bundesverwaltungsgerichts angeführt, um die angedachte Änderung zu begründen. Die se vermeintlich alternative Rechtslage lässt sich bei kenntli cher Lektüre dieses Urteils schnell widerlegen; denn tatsäch lich geht es hierbei ausschließlich um die Ausgestaltung des Direktionsrechts.

All die Argumente, die hier angeführt wurden, sind insoweit unproblematisch; die bisherige Regelung ist europarechtskon form. Insoweit wäre es ein Kleines gewesen, die rechtlichen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass eine Fortsetzung in freier Trägerschaft möglich ist. Denn explizit hat das Bun desverwaltungsgericht die Zulässigkeit der Übernahme in frei er Trägerschaft nicht beanstandet.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Insoweit wären hier einfachere Lösungen sinnvoller gewesen, gerade auch um die Synergieeffekte, die aus der bilateralen Kooperation zwischen Baden-Württemberg und Österreich entstanden sind, nicht zu verlieren. Wie Sie wissen, liebe Kol leginnen und Kollegen, erfolgt eine sehr starke Zusammenar beit im Controlling, im Rechnungswesen, im IT- und Quali tätsmanagement. Gerade diese Synergien drohen durch die Verstaatlichung verloren zu gehen.

Überhaupt bleibt fraglich, ob und wie die vielen positiven Er gebnisse und Entwicklungen der Bewährungshilfe in ein staat liches System überführt werden können. Die Vorzüge eines Non-Profit-Unternehmens mit bilateraler Ausrichtung sind zahlreich und kommen ausnahmslos den über 20 000 Klien ten zugute, die in Baden-Württemberg von der NEUSTART gGmbH in freier Trägerschaft betreut wurden. Der daraus re sultierende gesellschaftliche Nutzen ist bedeutend oder – wenn ich die Mehrheitsverhältnisse hier sehe – war bedeutend, öko nomisch wie ideell.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, stoppen Sie das Gesetzes vorhaben. Zerstören Sie nicht ohne jegliche Not die fachlich unbestritten hohe Qualität der Bewährungshilfe in freier Trä gerschaft.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Meine Damen und Her ren, mir liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Die Ausspra che ist damit beendet.

Ich schlage vor, den Gesetzentwurf Drucksache 16/331 zur weiteren Beratung an den Ständigen Ausschuss zu überwei sen. – Es erhebt sich kein Widerspruch. Damit ist es so be schlossen.

Punkt 4 der Tagesordnung ist erledigt.

Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:

a) Zweite Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion der

SPD – Gesetz zur Änderung des Polizeigesetzes – Drucksache 16/308

b) Zweite Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion

GRÜNE und der Fraktion der CDU – Gesetz zur Än derung des Polizeigesetzes – Drucksache 16/334

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für In neres, Digitalisierung und Migration – Drucksache 16/588

Berichterstatter: Abg. Dr. Ulrich Goll

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Allge meine Aussprache zu den Buchstaben a und b eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt.

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich Herrn Kollegen Sckerl das Wort.

Herr Präsident, sehr ver ehrte Kolleginnen und Kollegen, werte Gäste des Landtags! Nach den Diskussionen in den letzten Wochen über den Ein satz von Körperkameras bei der Polizei will ich am Anfang noch einmal den Kern unseres Anliegens deutlich machen: Wir wollen und wir müssen nach unserer Überzeugung den Schutz der Polizei bei Einsätzen im öffentlichen Raum ver bessern.

Wir wollen gleichzeitig, dass sich Bürgerinnen und Bürger in unseren Gemeinden und – vor allem auch in den Abendstun den – in den großen Städten wieder sicherer fühlen. Wir wol len der Polizei die Möglichkeit eröffnen, Angriffe, Gewalt und Respektlosigkeit, die leider zugenommen haben, wirksam zu unterbinden.

Das halten wir für sehr wichtig, weil wir in der Polizei selbst verständlich und unbestritten den Garanten für sichere öffent liche Räume sehen. Angriffe auf Polizeiangehörige, liebe Kol leginnen und Kollegen, haben wir immer auch als Angriffe auf uns, auf unsere freie Gesellschaft verstanden. Deswegen ist für uns eine Entwicklung nicht akzeptabel, bei der diese Angriffe zunehmen. Wir wollen sie gemeinsam unterbinden.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU sowie des Abg. Sascha Binder SPD)

Aus diesen Gründen wollen wir heute eine Rechtsgrundlage schaffen, und vielleicht – das ist meine Hoffnung – können wir uns darauf verständigen, in einem ersten Schritt für einen befristeten Zeitraum und in einem eng begrenzten Anwen dungsbereich die Körperkameras zu testen. Es geht also heu te zunächst um die Schaffung der Voraussetzungen für ein Pi lotprojekt. Es geht noch nicht – das wäre ein zweiter Schritt zu einem späteren Zeitpunkt – um die dauer- und flächenhaf te Einführung der Körperkamera bei der baden-württember gischen Polizei. Ich betone das noch einmal, obwohl wir es schon bei der Einbringung am 21. Juli – nachzulesen im Pro tokoll der damaligen Plenardebatte – gesagt haben. Aber nach den Diskussionen der letzten Wochen habe ich Anlass, noch mals auf den Zweck dieses Pilotprojekts hinzuweisen.

Warum wollen wir dieses Pilotprojekt? Die Körperkameras können erwiesenermaßen – das sagen uns die Erfahrungsbe richte anderer Bundesländer – gegen Gewalt und Beleidigun gen helfen und tatsächlich dem Schutz dienen. Leute, die die Regeln verletzen und Polizisten oder Bürger angreifen, müs sen dann offensichtlich begründet damit rechnen, dass ihr Ver halten dokumentiert wird und zu einem Ermittlungsverfahren und vielleicht auch zu einer Verurteilung führen kann. Erfah rungen anderer Bundesländer zeigen jedenfalls diese abschre ckende Wirkung.

Wir haben uns, um auf den Kern der Diskussion der letzten Tage zu kommen, länger mit der Frage beschäftigt: Wie ma chen wir es? Machen wir es wie Hessen, wo die Funktion der Körperkameras um das vorgeschaltete sogenannte Pre-Recor ding erweitert wurde, oder machen wir es wie z. B. NordrheinWestfalen, wo Aufzeichnungen nur bei direkten Angriffen auf Polizeibeamte vorgesehen sind? Wir sind dafür – und können das, glaube ich, auch gut begründen –, in diesem Feldversuch, den wir Ihnen vorschlagen, auch die Wirkung des Pre-Recor dings zu testen, um anschließend zu entscheiden, auf welcher Rechtsgrundlage die Polizei dauerhaft mit diesem Instrument arbeiten soll.

In diesem Zusammenhang sei sehr deutlich vonseiten meiner Fraktion gesagt: Die Stellungnahme des Landesbeauftragten für den Datenschutz nehmen wir natürlich sehr ernst. Sie gibt uns wichtige Hinweise, wie wir zu einem rechtsstaatlichen Einsatz auch der Körperkameras kommen können.

(Glocke des Präsidenten)

Der Schutz des Grundrechts auf informationelle Selbstbestim mung hat für uns eine hohe Bedeutung.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Fiechtner?

Nein, ich gestatte sie nicht, Herr Präsident.

Nein, Herr Abg. Dr. Fiech tner. – Fahren Sie fort, Herr Kollege.

Wie gesagt, der Schutz des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung hat ei nen hohen Stellenwert. Andererseits sehen wir bei dieser Pro blematik des Einsatzes eines neuen Mediums ganz deutlich, dass wir nicht alle datenschutzrechtlichen Fragen und Abwä gungen schon jetzt rechtssicher und abschließend klären kön nen. Deshalb wollen wir in einem Feldversuch in drei Präsi dien – in zwei großstädtischen Präsidien und im Präsidium Einsatz – für sechs Monate die Körperkamera einschließlich Pre-Recording testen, wie wir es vorgeschlagen haben.

Danach folgt eine Evaluation durch das Innenministerium. Dem Landtag wird ein Bericht vorgelegt, und dann kann der Gesetzgeber entscheiden, auf welcher rechtlichen Grundlage dauerhaft ein Einsatz dieses Instruments in der Fläche des Landes Baden-Württemberg möglich ist.

Mit der Vorlage von Erfahrungen aus diesem Feldversuch kann auch die Frage entschieden werden, welche Gefahren schwelle beim Einsatz dieser Kamera beachtet werden muss. Das ist ja das Thema der Diskussion gewesen. Das gilt dann insbesondere auch für das Pre-Recording.

Wir halten diesen Vorschlag für rechtsstaatlich, für vereinbar mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und bitten Sie in diesem Haus, dem Vorschlag und damit auch unserem koalitionären Gesetzentwurf zuzustimmen.

Vielen Dank.