Protokoll der Sitzung vom 30.10.2020

Wie gesagt: Die grundsätzliche Motivation ist nachvollzieh bar und notwendig. Es muss gehandelt werden. In diesem Konzept stehen richtige Maßnahmen. Wir lehnen es nicht in Bausch und Bogen ab. Aber es gibt auch sehr viel Aktionis mus, es gibt sehr viel Symbolpolitik. Sie treffen an vielen Stel len die Falschen, und manches davon ist kontraproduktiv. Des halb können wir das Konzept in seiner Gänze nicht mittragen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Aus diesem Grund und weil wir für die demokratische Legi timation sind, möchten wir gern über dieses Konzept abstim men lassen, und zwar namentlich, damit deutlich wird, wer im Landtag von Baden-Württemberg hinter diesem Konzept steht und wer nicht. Natürlich können Sie unseren Entschlie ßungsantrag ablehnen – das ist Ihr gutes demokratisches Recht –

(Zuruf des Abg. Dr. Patrick Rapp CDU)

und den Entschließungsantrag der Fraktion GRÜNE und der Fraktion der CDU beschließen – dann haben Sie sozusagen die parlamentarische Legitimation für das, was Sie dem Land tag von Baden-Württemberg am heutigen Tag vorgetragen ha ben. Das werden wir als gute Demokraten akzeptieren.

Zu der Frage, ob wir Alternativen haben: Ja, die haben wir Ih nen in einem zweiten Entschließungsantrag auf den Tisch ge legt. Die tragen wir Ihnen gern vor und sind auch bereit, dar über abstimmen zu lassen.

Denn was wir nicht wollen – das ist, glaube ich, aus meiner Rede deutlich hervorgegangen –, sind die aktionistischen Ein zelmaßnahmen gegen das Hotel- und Gaststättengewerbe, ge gen das Sport- und Vereinsleben, gegen die Kultur.

Wir wollen vor allem eine langfristig wirksame Strategie, die auch dann angewandt werden kann, wenn sich in vier Wochen möglicherweise herausstellt, dass die Maßnahmen, die Sie am heutigen Tag vorgetragen haben, nicht wirken. Wir wollen ein System der Gebote statt der Verbote. Wir wollen ein Ampel system, das nicht nur auf Infektionszahlen beruht, sondern auch die Zahl der Tests und die Behandlungskapazitäten in den Kliniken in Anschlag bringt. Wir wollen, dass das Land Baden-Württemberg massiv in FFP2-Masken investiert, die wirksamer sind als die sogenannten Alltagsmasken. Und wir wollen auch – das wurde am heutigen Tag auch angesprochen – Raumluftreiniger für Klassenzimmer. Für das, was die tem poräre Mehrwertsteuerabsenkung kostet, könnte man eine ganze Menge FFP2-Masken und eine ganze Menge Raumlüf ter für die Schulen in Baden-Württemberg kaufen.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Wer war denn im Bund für die Steuerpoli tik zuständig?)

Wir wollen Schnelltests für Risikogruppen – ja, wir müssen uns den vulnerablen Gruppen in besonderer Weise zuwenden. Wir wollen eine Weiterentwicklung der Corona-Warn-App, und wir wollen von der Containmentstrategie herunter zu ei ner Protektionsstrategie, die im Wesentlichen die vulnerablen Gruppen in den Blick nimmt.

Das alles ist in unserem Entschließungsantrag aufgeführt. Den kann man ablehnen, aber er beinhaltet die Position, die wir für besser und zielgerichteter halten als das, was Sie am heutigen Tag vorgetragen haben.

(Zuruf des Abg. Dr. Patrick Rapp CDU)

Es gibt in Ihrem Konzept durchaus sinnvolle Einzelmaßnah men, aber es gibt eben auch – und zwar in einem erheblichen Umfang – aktionistische Scheinmaßnahmen. Vor allem ist es keine Gesamtstrategie, was Sie uns am heutigen Tag vorge legt haben. Sie sind die Auskunft auf die Frage schuldig ge blieben, was Sie machen, wenn es nicht funktioniert.

Deshalb kommen wir in der Abwägung am Ende, unter dem Strich zu dem Ergebnis, dass wir dieses Konzept ablehnen und dies auch im Landtag von Baden-Württemberg deutlich ma chen wollen.

Der Landtag von Baden-Württemberg soll die Möglichkeit er halten, sich zu diesem Konzept zu positionieren. Dies ist der Ort der demokratischen Entscheidung. Ihre Position wollen wir gern über eine namentliche Abstimmung erfahren.

Für den Fall, dass Ihr Konzept keine Mehrheit findet, legen wir gern das auf den Tisch, was wir als Alternative vortragen. Wir halten sie für den besseren Weg.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Dr. Rainer Balzer AfD)

Im Anschluss hat Herr Abg. Pfeiffer das Wort.

Werte Frau Präsidentin, werte Kollegen! Die Infektionszahlen steigen. Dass die Re gierung dem nicht tatenlos zusehen will, sollte für jedermann nachvollziehbar sein.

Vieles ist für mich aber nicht mehr nachvollziehbar. Eines da von ist, dass die politischen Entscheidungen außerhalb des Parlaments erfolgen. Das Parlament wird lediglich informiert, aber diese Informationen hätte man dann auch aus der Presse erfahren können. Das hat man letztlich auch. Ich finde das un geheuerlich.

Zur aktuellen Entscheidung sagte jetzt der Verfassungsrecht ler Christoph Degenhart:

Die Maßnahmen kranken daran, dass schon wieder nur die Ministerpräsidentenrunde mit der Bundeskanzlerin in eigener Machtvollkommenheit darüber entscheidet.

Aber mir ist auch klar: Das ist für die Landesregierung sehr bequem, denn offensichtlich hat sie wenig Lust, ihre Hausauf gaben zu machen. Die Antwort auf meine letzte Kleine An frage – Drucksache 16/8773 – hat nämlich genau das aufge zeigt. Ich empfehle Ihnen allen wirklich einmal, sich die oft mehr als dürftigen Antworten dazu anzuschauen.

Nach eigenen Angaben kennt die Landesregierung z. B. die Anzahl der Quarantänefälle im Land nicht, geschweige denn weiß sie, wann und wo Quarantänemaßnahmen wirklich sinn voll sind. Die Landesregierung kann auch keine konkrete Be wertung der zu erwartenden Schäden ihrer Anti-Corona-Maß nahmen vorlegen. Es gibt keine konkrete Bewertung des Ri sikos, dass am Ende die Therapie – oder soll ich vielleicht sa gen: die Rosskur? – schädlicher sein wird als die Krankheit selbst. Meine Damen und Herren, ist das wirklich unwichtig?

Vielleicht ist 2022 oder 2023/2024 dieses Virus wirklich be siegt, aber spätestens dann, fürchte ich – so fürchten übrigens viele –, stehen wir vor den Trümmern dieser Coronapolitik in Wirtschaft, Staatsfinanzen und Gesellschaft.

Diese Gleichgültigkeit kommt auch in den jetzigen Maßnah men zum Ausdruck. Die Regelungen sind viel zu undifferen ziert, weil es Sie – und ich sage jetzt einmal ganz bewusst: Sie da oben – letztlich nicht wirklich interessiert, wie es den Men schen draußen geht. Das ist doch der Punkt. Wie gesagt: Das ist bequem und macht natürlich auch weniger Arbeit.

Ich schließe mich vollumfänglich dem an, was Carsten Lin nemann, der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschafts union, vor rund einer Woche sagte:

Wir hören zu oft die allerschärfsten Mahnungen von der politischen Spitze, aber zu wenig Differenzierung.

95 % der Menschen in Deutschland hielten sich an die Re geln.

Die dürfen nicht ständig unter Druck und in Angst ver setzt werden. Die dürfen auch nicht bestraft werden durch drakonische und zum Teil unverhältnismäßige Vorgaben.

Dann gibt es aber immer noch diejenigen,

... die immer noch mit mehreren Hundert Familienmit gliedern Hochzeiten feiern,...

Genau dort müssen Sie ansetzen. Dafür müssten mehr Ord nungs- und Sicherheitskräfte eingesetzt werden, auch wenn – so Linnemann weiter –

... deswegen mal für ein halbes Jahr weniger Falschpar ker aufgeschrieben werden.

Auch Linnemann „warnte davor, die psychosozialen und wirt schaftlichen Folgen einer immer dramatischeren Coronade batte zu unterschätzen“.

In vielen Branchen haben sich die Unternehmen in den letz ten Monaten mit großem Aufwand auf die neue Situation ein gestellt, haben Hygienekonzepte umgesetzt und werden durch die neuen Regelungen jetzt kalt erwischt. Aktuell sind über 8 300 Restaurants, Gaststätten, Imbisse und Cafés in Deutsch land insolvenzgefährdet – rund jeder siebte Betrieb.

Aber man sollte sich schon die Mühe machen, zwischen Be trieben, die nachweislich wirklich zum Infektionsgeschehen beitragen, und anderen zu unterscheiden. Mit der pauschalen Verbots- und Lockdown-Strategie mit oft unlogischen Maß nahmen nimmt die Politik nicht nur weitere und sehr wahr scheinlich oft unnötige Schäden in Kauf, die am Ende irrepa rabel sein werden, sondern sie spaltet auch. Sie verspielt die Akzeptanz immer größerer Teile der Bevölkerung und riskiert, diese zu spalten.

Wie soll es weitergehen? Vier Wochen „Lockdown light“ – und dann? Dann wieder im Januar, dann wieder im März? Mit Verlaub, ich sehe kein Konzept.

Der Freiburger Medizinstatistiker Gerd Antes bringt es auf den Punkt und wirft der Landesregierung vor, sie handle aus einer Mischung aus Inkompetenz, Ignoranz und Arroganz. Nicht wenige namhafte Experten, gerade auch aus Medizin und Wissenschaft, wandten sich gegen einen Lockdown. Das wissen Sie alle ganz genau.

Was die Landesregierung auf meine letzte Anfrage nämlich zu beantworten wusste, war, dass 98 % der Covid-19-Sterbe fälle Risikogruppen zugehörig waren. Diese Experten fordern deshalb folgerichtig eine Fokussierung auf Schutzkonzepte für Risikogruppen sowie eine differenzierte Ampel, die alle relevanten Kennzahlen beinhaltet. Und sie fordern einen Po litikwechsel: Gebote statt Pauschalverbote, statt oft unlogi scher Pauschalmaßnahmen. Sie fordern ein Verbreiten von Hoffnung und Mut, ein Aufzeigen von Alternativen statt des Verbreitens von Angst und Panik.

Ich schließe mit einem Ausspruch des weisen Königs Salo mon:

Stolz kommt vor dem Zusammenbruch, und Hochmut kommt vor dem Fall.

Danke.

(Vereinzelt Beifall bei der AfD)

Im Anschluss hat Herr Abg. Dr. Gedeon noch das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Merkel hat gesagt, die Maß nahmen, die am Mittwoch vorgeschlagen worden sind, seien geeignet, sie seien erforderlich, und sie seien verhältnismä ßig. Nichts von dem sind sie. Sie sind weder geeignet noch erforderlich noch verhältnismäßig.

Fangen wir mit der medizinischen Seite an. Hier setzt man auf einen Lockdown, das heißt, auf Quarantänisierung, und be trachtet das Ganze als ein rein quantitativ-mechanisches Pro blem. Wenn man den Kontakt also quantitativ um 75 % redu ziert, dann reduziert man auch das Infektionsrisiko um 75 %. Das ist nicht nur unsinnig, das ist kontraproduktiv. Das ist un medizinisch und unbiologisch. Ich will Ihnen auch sagen, wa rum – für risikobelastete Patienten gilt diese Weisheit voll und ganz –: Je mehr Risikofaktoren jemand hat, desto mehr muss er Kontakte vermeiden. Wenn jemand Diabetes hat, Überge wicht hat und auch noch 65 Jahre alt oder älter ist, dann muss er seine Kontakte auf ein Minimum reduzieren. Aber wenn je mand gesund ist, meine Damen und Herren, dann gilt das Ge genteil. Das kapiert nicht nur die Politik nicht, sondern auch die Medizin nicht. Insofern ist die Politik sogar entschuldigt, weil das Kapitalversagen bei der Medizin liegt. Das ist eine völlig falsche Denke. Denn die einzig wirksame Maßnahme gegen pandemische Viren ist das menschliche Immunsystem.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD – Abg. Dr. Chris tina Baum AfD: Bravo!)

Ein gesundes Immunsystem von gesunden Menschen ist die entscheidende Waffe, um eine Pandemie zu besiegen. Wenn wir das gesunde Immunsystem kaltstellen durch Quarantäni sierung, ist das kontraproduktiv. Dann sorgen wir dafür, dass diese Welle nie aufhört,

(Vereinzelt Beifall bei der AfD)