Harald Pfeiffer
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Werte Frau Präsidentin, werte Kollegen! Schon Aristoteles wusste, der Mensch ist ein auf Gemeinschaft angelegtes Wesen. Gemeinschaft ist kein Luxus, sie gehört zum Wesen des Menschseins. Heute sollen Menschen, die ihr Menschsein leben wollen, als unmoralisch abgestempelt, ja kriminalisiert werden. Sie seien, wie Herr Strobl am Freitag sagte, unverantwortlich, unvernünftig, un verschämt.
Der sächsische Ministerpräsident forderte unterdessen ganz klare autoritäre Maßnahmen des Staates. Für viele liegt be reits ein Hauch von Orwells „1984“ in der Luft. Grundrechte sind offensichtlich dringend benötigte Abwehrrechte des Bür gers gegen den Staat. Grundrechte dienen dem Zweck des Menschen, Mensch sein und bleiben zu können. Dass der Mensch ein soziales Wesen ist, bringt schon immer mit sich, dass Keime übertragen werden. Hierzulande sterben rund 30 000 Menschen pro Jahr an Lungenentzündung, 300 000 müssen stationär behandelt werden, schätzungsweise 20 000 sterben an Krankenhauskeimen – zumindest auf dem Papier.
Hätte man schon immer millionenfaches Erkranken und Ster ben verhindern können, wenn man Menschen isoliert hätte, ihnen ungesunde Lebensweisen verboten hätte, Sport und Di ät verordnet hätte?
Science Fiction? Nein. Der Verweis auf das Recht auf körper liche Unversehrtheit und Leben scheint jetzt in der Tat zum Blankoscheck der Politik geworden zu sein, den Politiker nun offenbar grenzenlos nutzen wollen. Kein Staat dieser Welt aber kann ein Leben ohne Krankheit, Unfälle und Tod erzwin gen. Ein absolutes Recht auf Leben gibt es nur insofern, als der Staat jedes menschliche Leben vor Übergriffen durch Drit te effektiv schützen kann.
Ganz abgesehen davon vermisse ich eine saubere Abwägung zwischen den Schäden durch die staatlichen Maßnahmen und der Krankheit selbst. Zumindest kann oder will die Landesre gierung das derzeit nicht beziffern. Verbieten, Isolieren und Einsperren, das wird für die Politik zunehmend zum katego rischen Imperativ. Es wird eine Politik der Entmündigung des Menschen und der Spaltung der Gesellschaft vorangetrieben.
Seit Oktober wird dem Bürger eingebläut, er könne mögli cherweise das Weihnachtsfest im Kreise der Familie verbrin gen, wenn er sich nur an die – nach Gutsherrenart verabschie deten – Maßnahmen hielte. Dass diese Salamitaktik nicht pri mär die Pandemiebekämpfung, sondern vielmehr volkserzie herische Motive zum Ziel hat, wurde bereits vom Verfassungs rechtler Ferdinand Kirchhof festgestellt und für unzulässig er klärt. So entsteht ein Klima des Misstrauens und der Denun ziation. Experten sprechen von depressiven Störungen, Angst störungen und Persönlichkeitsstörungen als Langfristfolgen des Lockdowns. Wir fahren die Wirtschaft gegen die Wand, verschulden uns massiv, beschädigen das Leben von Vereinen und Verbänden; wir vernichten Existenzen und riskieren Su izide. Schon lange wird daher gefordert, gezielt die vulnera blen Gruppen zu schützen. 98 % der Todesfälle finden näm lich dort statt. Dass dies geht, bewies unlängst der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer.
Anderswo aber fehlt offensichtlich der politische Wille zum Schutz der Risikogruppen. Jan Fleischhauer schrieb am Sams tag:
Wir sind in der Lage, Massentests für Reiserückkehrer an zuordnen, aber die Politik sieht sich außerstande, die Be sucher von Altenheimen auf Corona untersuchen zu las sen. Das ist die Lage im Covid-Winter 2020.
Es ist ein Skandal sondergleichen, dass der Schutz der Risi kogruppen nicht ernsthaft angegangen wurde, und es ist auch Ihr Versagen – eine Kombination aus Ignoranz und Unfähig keit, einschließlich des seit Jahren nicht gelösten Problems des Pflegenotstands.
Stattdessen erklärt man Menschen, die nur ganz normal leben wollen, zu Sündenbö cken; man nimmt ihnen ihre Grundrechte und verursacht der zeit nicht zu beziffernde Kollateralschäden.
Werte Frau Präsidentin, werte Kollegen! Die Infektionszahlen steigen. Dass die Re gierung dem nicht tatenlos zusehen will, sollte für jedermann nachvollziehbar sein.
Vieles ist für mich aber nicht mehr nachvollziehbar. Eines da von ist, dass die politischen Entscheidungen außerhalb des Parlaments erfolgen. Das Parlament wird lediglich informiert, aber diese Informationen hätte man dann auch aus der Presse erfahren können. Das hat man letztlich auch. Ich finde das un geheuerlich.
Zur aktuellen Entscheidung sagte jetzt der Verfassungsrecht ler Christoph Degenhart:
Die Maßnahmen kranken daran, dass schon wieder nur die Ministerpräsidentenrunde mit der Bundeskanzlerin in eigener Machtvollkommenheit darüber entscheidet.
Aber mir ist auch klar: Das ist für die Landesregierung sehr bequem, denn offensichtlich hat sie wenig Lust, ihre Hausauf gaben zu machen. Die Antwort auf meine letzte Kleine An frage – Drucksache 16/8773 – hat nämlich genau das aufge zeigt. Ich empfehle Ihnen allen wirklich einmal, sich die oft mehr als dürftigen Antworten dazu anzuschauen.
Nach eigenen Angaben kennt die Landesregierung z. B. die Anzahl der Quarantänefälle im Land nicht, geschweige denn weiß sie, wann und wo Quarantänemaßnahmen wirklich sinn voll sind. Die Landesregierung kann auch keine konkrete Be wertung der zu erwartenden Schäden ihrer Anti-Corona-Maß nahmen vorlegen. Es gibt keine konkrete Bewertung des Ri sikos, dass am Ende die Therapie – oder soll ich vielleicht sa gen: die Rosskur? – schädlicher sein wird als die Krankheit selbst. Meine Damen und Herren, ist das wirklich unwichtig?
Vielleicht ist 2022 oder 2023/2024 dieses Virus wirklich be siegt, aber spätestens dann, fürchte ich – so fürchten übrigens viele –, stehen wir vor den Trümmern dieser Coronapolitik in Wirtschaft, Staatsfinanzen und Gesellschaft.
Diese Gleichgültigkeit kommt auch in den jetzigen Maßnah men zum Ausdruck. Die Regelungen sind viel zu undifferen ziert, weil es Sie – und ich sage jetzt einmal ganz bewusst: Sie da oben – letztlich nicht wirklich interessiert, wie es den Men schen draußen geht. Das ist doch der Punkt. Wie gesagt: Das ist bequem und macht natürlich auch weniger Arbeit.
Ich schließe mich vollumfänglich dem an, was Carsten Lin nemann, der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschafts union, vor rund einer Woche sagte:
Wir hören zu oft die allerschärfsten Mahnungen von der politischen Spitze, aber zu wenig Differenzierung.
95 % der Menschen in Deutschland hielten sich an die Re geln.
Die dürfen nicht ständig unter Druck und in Angst ver setzt werden. Die dürfen auch nicht bestraft werden durch drakonische und zum Teil unverhältnismäßige Vorgaben.
Dann gibt es aber immer noch diejenigen,
... die immer noch mit mehreren Hundert Familienmit gliedern Hochzeiten feiern,...
Genau dort müssen Sie ansetzen. Dafür müssten mehr Ord nungs- und Sicherheitskräfte eingesetzt werden, auch wenn – so Linnemann weiter –
... deswegen mal für ein halbes Jahr weniger Falschpar ker aufgeschrieben werden.
Auch Linnemann „warnte davor, die psychosozialen und wirt schaftlichen Folgen einer immer dramatischeren Coronade batte zu unterschätzen“.
In vielen Branchen haben sich die Unternehmen in den letz ten Monaten mit großem Aufwand auf die neue Situation ein gestellt, haben Hygienekonzepte umgesetzt und werden durch die neuen Regelungen jetzt kalt erwischt. Aktuell sind über 8 300 Restaurants, Gaststätten, Imbisse und Cafés in Deutsch land insolvenzgefährdet – rund jeder siebte Betrieb.
Aber man sollte sich schon die Mühe machen, zwischen Be trieben, die nachweislich wirklich zum Infektionsgeschehen beitragen, und anderen zu unterscheiden. Mit der pauschalen Verbots- und Lockdown-Strategie mit oft unlogischen Maß nahmen nimmt die Politik nicht nur weitere und sehr wahr scheinlich oft unnötige Schäden in Kauf, die am Ende irrepa rabel sein werden, sondern sie spaltet auch. Sie verspielt die Akzeptanz immer größerer Teile der Bevölkerung und riskiert, diese zu spalten.
Wie soll es weitergehen? Vier Wochen „Lockdown light“ – und dann? Dann wieder im Januar, dann wieder im März? Mit Verlaub, ich sehe kein Konzept.
Der Freiburger Medizinstatistiker Gerd Antes bringt es auf den Punkt und wirft der Landesregierung vor, sie handle aus einer Mischung aus Inkompetenz, Ignoranz und Arroganz. Nicht wenige namhafte Experten, gerade auch aus Medizin und Wissenschaft, wandten sich gegen einen Lockdown. Das wissen Sie alle ganz genau.
Was die Landesregierung auf meine letzte Anfrage nämlich zu beantworten wusste, war, dass 98 % der Covid-19-Sterbe fälle Risikogruppen zugehörig waren. Diese Experten fordern deshalb folgerichtig eine Fokussierung auf Schutzkonzepte für Risikogruppen sowie eine differenzierte Ampel, die alle relevanten Kennzahlen beinhaltet. Und sie fordern einen Po litikwechsel: Gebote statt Pauschalverbote, statt oft unlogi scher Pauschalmaßnahmen. Sie fordern ein Verbreiten von Hoffnung und Mut, ein Aufzeigen von Alternativen statt des Verbreitens von Angst und Panik.
Ich schließe mit einem Ausspruch des weisen Königs Salo mon:
Stolz kommt vor dem Zusammenbruch, und Hochmut kommt vor dem Fall.
Danke.
Werte Frau Präsidentin, werte Kollegen! Am 10. April dieses Jahres hat das Bundes verfassungsgericht in einem Urteil deutlich gemacht: Bei überaus schwerwiegenden Eingriffen in Grundrechte – wie es im Rahmen der Covid-19-Krise der Fall war – muss sicher gestellt sein, dass eine Verordnung unter Berücksichtigung neuer Entwicklungen fortlaufend zu überprüfen ist. Bei einer Fortschreibung muss eine strenge Prüfung der Verhältnismä ßigkeit erfolgen.
Wir sehen uns heute offenkundig vermehrt einer Situation aus gesetzt, in der sich Bürger – übrigens häufig völlig zu Recht – gezwungen sehen, ihre Grundrechte auf dem Rechtsweg ein zuklagen, weil die Maßnahmen offensichtlich nicht verhält nismäßig und angemessen waren.
Ich halte diese Situation für untragbar. Es ist daher meines Er achtens dringend erforderlich, die Rolle des Parlaments sig nifikant zu stärken. In Zukunft sollten doch wieder mehr die Parlamente – statt die Bürger auf dem Gerichtsweg – die Exe kutive reglementieren. Ich unterstütze deshalb das, worauf sich Regierung und Opposition hier gemeinsam verständigt haben.
Lassen Sie mich schließen mit einem weisen Spruch des Kö nigs Salomon: Wo es an Beratung fehlt, da scheitern die Plä ne. Wo viele Ratgeber sind, gibt es Erfolge.
Vielen Dank.
Werte Frau Präsidentin, werte Kollegen! Die Gewaltexzesse in Stuttgart machen mich fassungslos. Nicht nur die hemmungslose Gewalt gegen das Eigentum unserer Mitbürger, gegen das, was sie sich mühsam über all die Jahre aufgebaut haben, macht mich fassungslos. Fassungslos macht mich ganz besonders die Gewalt, der Hass, die Verachtung gegen unsere Polizeibeamten. Denn sie stehen an vorderster Front, wenn es darum geht, unsere freiheitlichdemokratische Grundordnung zu verteidigen. Und genau des halb, werte Kollegen, sind abschätzige Bemerkungen gegen unsere Polizei absolut inakzeptabel.
Was derzeit aber unseren Polizeibeamten widerfährt, ist Ras sismus, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Lassen Sie mich dazu etwas ausholen. Sind Polizisten etwa keine Men schen? Sind es „Bullenschweine“, wie sie im 68er-Jargon gern genannt wurden, auf die man einprügeln kann, wie es etwa solche getan haben, die später bei den Grünen Karriere ma chen konnten? Auch die SPD ist hier zu nennen. Mit einem diffusen Rassismusverdacht diffamierte Frau Esken unsere Po lizeibeamten und ermutigte dadurch mittelbar zur Gewalt ge gen sie.
„Die Bullenhelme, die sollen fliegen, eure Knüppel kriegt ihr in die Fresse rein!“, das ist ein Liedtext der Band „Feine Sah ne Fischfilet“.
Sie erinnern sich: Das ist die Band, die Justizminister Heiko Maas auf Twitter 2016 lobte. Auch Steinmeier empfahl ein Konzert mit dieser Band.
Werte Kollegen, was gestern Hamburg oder Berlin war, ist heute Stuttgart, morgen vielleicht die eine oder andere Klein stadt. Wir müssen hier auch selbstkritisch sein. Ein Staat, ei ne Gesellschaft ohne Werte wird buchstäblich wertlos.
Zu diesen Werten gehört zentral die Wertschätzung unserer Institutionen und damit auch gerade der Polizei. Diese Ver achtung gegen unsere Polizeibeamten muss ein Ende haben, und zwar ein für alle Mal.
Sie brauchen den vollen Rückhalt aller demokratischen Kräf te.
Es geht übrigens auch nicht an, dass unsere Beamten bei dem, was sie tagtäglich tun, immer mit einem Fuß in einem Diszi plinarverfahren stehen. Denken Sie auch darüber bitte mal nach.
An die Kollegen der CDU appelliere ich: Besinnen Sie sich bitte auf Ihre klassischen christdemokratischen Werte. Vertei digen Sie diese Werte auch gegenüber Ihren teils grenzwertig linken Koalitionspartnern.
Ich möchte mit einem Bibelzitat schließen:
Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, so tue Gutes, dann wirst du Lob von ihr erhalten.... Tust du aber Böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst;...
Ich wünsche mir, dass genau das wieder vollumfänglich auf unseren Staat zutrifft.
Vielen Dank.
Werte Frau Präsidentin, werte Kollegen! Es ist zweifellos richtig, wie es der FDP/ DVP-Gesetzentwurf vorsieht, die parlamentarische Kontrol le weiter zu stärken. Allerdings – ich sage es gleich vorweg – ist mir das noch nicht konsequent genug.
Die Einschränkungen der Grundrechte im Rahmen der Covid19-Krise sind seit Bestehen der Bundesrepublik einmalig. Das wirft berechtigte Fragen auf: Sind alle Maßnahmen zwingend notwendig, angemessen und verhältnismäßig?
Virologen und Wissenschaftler sind sich uneins, Landesregie rungen sowieso, die Bürgerschaft ist gespalten; das wissen Sie. Das verleitet Regierungen dazu, sich einen besonders gro ßen Spielraum zu verschaffen.
Auch unser Föderalismus macht diesen Spielraum sichtbar. Das mag man beklagen, aber Föderalismus ist auch gut so.
Zur Politik gehört ein Gestaltungsspielraum; das ist klar. Nur geht es hier ans Eingemachte, an Einschränkungen der Frei heitsrechte der Menschen. Gott sei Dank, die Gewaltenteilung funktioniert. Gerichte haben schon die eine oder andere frei heitseinschränkende Maßnahme wieder aufgehoben.
Allein zur Gewaltenteilung gehört unverzichtbar auch die par lamentarische Kontrolle. Das Parlament in Corona-Urlaub zu schicken geht gar nicht.
Für die Regierung ist das zwar bequem, aber unser Grundge setz gibt Regierungen keinen Freibrief, Grundrechte auf Eis zu legen, auch nicht zeitweise.
Daher ist im Gegenteil das Parlament in dieser Situation noch enger einzubinden, um dem autoritären Durchregieren des Mi nisterpräsidenten – der das offenbar gern tut – einen Riegel vorzuschieben. Wir brauchen hier einen Systemwechsel, ei nen Systemwechsel weg von der beliebten Praxis des Durch regierens hin zur Praxis gelebter Kontrolle und Gewaltentei lung.
Ich möchte deshalb in Ergänzung des Gesetzentwurfs – § 2 Absatz 2 – vorschlagen, dass eine Zustimmung mit Zweidrit telmehrheit zu erfolgen hat, sobald die in Absatz 1 erwähnten Grundrechte beschnitten werden.
Ich halte einen weiteren Absatz für erforderlich:
Rechtsverordnungen, die Grundrechtseinschränkungen beinhalten, sind für eine eventuelle Verlängerung alle zwei Wochen dem Parlament vorzulegen.
Auch dafür soll die Zweidrittelmehrheit gelten.
Das mag unbequem sein, aber das Parlament repräsentiert die Bürger und nicht die Bequemlichkeit. Das dürfen wir nie ver gessen. Schränken wir ihre Grundrechte temporär ein, ver langt dies ein hohes Maß an demokratischer Kontrolle und parlamentarischer Repräsentation. Dafür sind wir gewählt.
Ich möchte schließen mit einem Bibelwort:
Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nie der, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein;...
Sehr geehrte Frau Prä sidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Einer der wich tigsten und trivialsten Grundsätze der Medizin lautet, dass die Maßnahmen in Summe nicht schlimmer sein dürfen als die Krankheit selbst. Daran müssen sich auch die Maßnahmen messen lassen, die wir im Kampf gegen das neue Coronavi rus ergriffen haben. Ich denke, in diesem Punkt dürften wir alle uns einig sein.
Klar ist auch: Der Lockdown ist zwar medizinisch begründet; die Nebenwirkungen haben aber auch soziale, psychologische und wirtschaftliche Gesichtspunkte. Hinzu kommt: Die Trag weite dieser Nebenwirkungen dürfte mit der Zeit exponenti ell ansteigen.
Ich bin besorgt, dass dieser Lockdown uns am Ende deutlich mehr Opfer abverlangen wird als Covid-19 selbst. Denken wir nur einmal an die seelischen Auswirkungen. Wenn alte Men schen ihre Lieben nicht mehr sehen dürfen, fehlt ihnen plötz lich das, was ihnen die Kraft zum Leben gab. Sie sterben nicht an Covid-19, sondern an Einsamkeit und Traurigkeit, und das ist das, was wir in den Statistiken leider nicht sehen.
Kinder – von deren Eltern will ich gar nicht erst sprechen – werden für eine für sie furchtbar lange Zeit von ihren Freun den getrennt. Schulen und auch Kindergärten sind geschlos sen. Spielplätze sind tabu. Großeltern und andere Verwandt schaft können sie sowieso nicht sehen. Die meiste Zeit ver bringen viele von ihnen in einer kleinen, engen Stadtwohnung. Thomas Fischbach – –
Thomas Fischbach, Prä sident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, warnt vor psychosozialen Schäden durch Kontaktverbot und Einge sperrtsein. Und, ja, Kinder sind unsere Zukunft, sagt man so schön.
Oder denken wir an die wirtschaftlichen Auswirkungen. Die se spüren schon jetzt Konzerne, Mittelstand, Hotel- und Gast gewerbe sowieso, Handel und auch die Arbeitnehmer schmerz lich. Allein im Einzelhandel drohen 50 000 Insolvenzen, und das ist nur die Spitze des Eisbergs – Angst vor Massenarbeits losigkeit.
Vergessen wir dabei bitte nicht, dass man ohne gut funktio nierende Wirtschaft kein Gesundheitssystem finanzieren kann. In einer aktuellen Prognose des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung heißt es, es sei derzeit nicht auszuschließen,
dass sich die globale Rezession zu einer systemischen Krise auswächst. Dabei würden immense und lang anhaltende Schä den in der Real- und Finanzwirtschaft entstehen. Auch in Deutschland werden die sozialen Folgen der schwersten Re zession seit Generationen gravierend und nachhaltig sein.
Die Bundesregierung geht von einem Schrumpfen des BIP um 6,5 % aus. Auch das ifo Institut beschreibt düstere Szenarien in ihrer Schwere, gestaffelt nach Dauer des Lockdowns. Für drei Monate Lockdown gehen die Schätzungen von einem Schrumpfen der Wirtschaft um grob 15 % aus. Die Kosten würden sich auf rund eine halbe Billion Euro belaufen.
Hinter solchen abstrakten Zahlen werden Einzelschicksale ste hen: Hunderttausende, Millionen und weltweit vielleicht so gar Milliarden. Die Auswirkungen solcher Schicksalsschläge auf Psyche, Gesundheit und Lebenserwartung sind bekann termaßen dramatisch. Wir dürfen und können hier den epide miologischen Lebensschutz nicht verabsolutieren, warnte Wolf gang Schäuble vor Kurzem.
Wir... müssen auch die gewaltigen ökonomischen, sozi alen, psychologischen und sonstigen Auswirkungen ab wägen.
Und vergessen wir nicht: Nehmen wir diese Abwägungen nicht vor, kann das auch erhebliche politische Auswirkungen haben. Lassen wir uns da von den aktuellen Wahlumfragen nicht täuschen.
Häufig fällt dieser Tage auch der Vergleich mit der Weltwirt schaftskrise Ende der Zwanzigerjahre. Wir alle wissen, wel che massiven politischen Folgen diese damals zeitigte. Die Stimmung in der Gesellschaft kann auch heute kippen, wenn Existenzen wegbrechen und die Opfer, die die Menschen zu bringen haben, in ihrem Ausmaß deutlich werden. Dann droht auch ein Kontrollverlust der Politik.
Wie schlimm die kommende Rezession ausfallen wird und welche Auswirkungen das haben wird, wissen wir nicht im Detail. Wir wissen jedoch: Es hängt von unseren Entscheidun gen ab.
Herr Dr. Reinhart hat vorhin völlig zu Recht auf die prekäre Situation der Wirtschaft hingewiesen. Die Hilfen waren rich tig und wichtig, aber ohne Umsatz werden sie bald wie der Tropfen auf den heißen Stein sein.
Ich plädiere daher für deutlich mehr Testungen sowie einen sukzessiven Ausstieg aus dem Lockdown. Kämpfen wir uns Schritt für Schritt zurück in die Normalität. Dabei bin ich im Übrigen überzeugt, dass in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen und in Branchen der Wirtschaft angemessene Hy gienemaßnahmen angewendet werden können.
Ich möchte abschließen mit einem Bibelzitat:
Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.
Krankheit und Tod wird es in dieser Welt immer geben. Der Staat muss hier die Grenzen seiner Möglichkeiten demütig und weise erkennen, um nicht noch Schlimmeres zu verursa chen.
Danke.
Sehr geehrte Frau Prä sidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Der Verzicht auf eine verpflichtende Grundschulempfehlung war ein gravie render Fehler. Im Zentrum steht die Frage: Welche Schulform passt zum Leistungsvermögen des Schülers? Wer kann das am besten beurteilen? Nun, in aller Regel möchten Eltern das Bes te für ihr Kind. Deswegen schicken Eltern – nicht alle Eltern, aber doch sehr viele – ihre Kinder auf die Schule, die den höchstmöglichen Abschluss anbietet, unabhängig davon, ob ihre Kinder den Anforderungen gewachsen sind oder nicht. Gut gemeint ist eben noch lange nicht gut gemacht –
eine Tatsache, die manchem hier vielleicht bekannt vorkom men dürfte.
Was ist denn die Konsequenz, wenn doch sehr viele Eltern ih re Kinder, unabhängig von deren Leistungsvermögen, auf ein Gymnasium schicken? Erstens: Die starken Schüler leiden, weil sie unterfordert sind. Zweitens: Die schwachen Schüler leiden, weil sie überfordert sind. Drittens: Die Lehrer leiden, weil ihre Schülerschaft ein derart heterogenes Leistungsver mögen hat, dass sie kaum noch eine Klassenarbeit entwerfen können, die für alle Schüler zwar fordernd, aber dennoch machbar ist.
In der Folge haben wir ein Bildungssystem, das frustrierte Lehrer und Schüler produziert und das weder die Hochbegab ten ausreichend fördert noch die schwachen Schüler ausrei chend stützen kann – und das alles, weil man den Kindern aus ideologischen Gründen eine Gleichmacherei aufoktroyiert, die die individuellen Unterschiede mit der Brechstange ein ebnen will.
Lassen Sie mich zum Schluss noch kurz erklären, weshalb ei ne verpflichtende Grundschulempfehlung am Ende der vier ten Klasse kein Problem darstellt, auch wenn diese nicht auf das Gymnasium hinausläuft.
Erstens handelt es sich um eine Momentaufnahme und nicht um ein lebenslängliches Urteil zur Zugehörigkeit einer Kaste wie z. B. in Indien.
Denn – zweitens –: Unser Schulsystem ist durchlässig, und das ist gut so. Nicht alle Lebensläufe verlaufen linear. Man che sind Spätzünder. Das heißt, wenn sie aufgrund der Emp fehlung zunächst auf die Hauptschule gehen, können Schüler später immer noch auf eine höhere Schule wechseln. „Abitur auf dem zweiten Bildungsweg“ ist das Stichwort. Zahlreiche Biografien bestätigen dies.
Drittens: Auch wenn das nicht der Fall ist, ist ein Hauptschul- oder ein Realschulabschluss keine Tragödie. Im Gegenteil, ein Handwerksmeister hat einen ehrbaren Beruf, und wir brau chen angesichts des Fachkräftemangels eher mehr davon und nicht weniger.
Wenn Sie jetzt diesen Argumenten nicht zugänglich sind, dann nehmen Sie wenigstens den Lehrerbrief des Verbands Bildung und Erziehung zur Kenntnis. Der fordert genau das – Wieder einführung der verpflichtenden Grundschulempfehlung – und fühlt sich damit – ich zitiere – „von der Politik alleingelas sen“.
Danke.