Protokoll der Sitzung vom 24.06.2020

Guten Morgen, meine Damen und Herren! Ich eröffne die 122. Sitzung des 16. Landtags von Baden-Württemberg.

(Unruhe – Zurufe: Pst!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute ist ein trauriger Sit zungstag unseres Parlaments. Unser Kollege Klaus Dürr ist vor wenigen Tagen verstorben. Herr Dürr vertrat die AfDFraktion im Ausschuss für Inneres, Digitalisierung und Mig ration sowie im Ausschuss für Kultus, Jugend und Sport. Er wird aber nicht nur als Fachpolitiker in Erinnerung bleiben, sondern auch als freundlicher, umgänglicher Kollege und als Mann mit einem Blick für die nur vordergründig kleinen Din ge.

Ich erinnere mich etwa an vorweihnachtliche Touren durch die Büros unserer Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitar beiter. Bei ihnen hat er sich mit Süßigkeiten für ihre Arbeit bedankt. Solche Gesten der Wertschätzung tun gut. Klaus Dürr hatte dafür offenkundig einen Blick.

Eine ähnliche Haltung zieht sich auch durch seine parlamen tarischen Anfragen. Klaus Dürr interessierte sich nicht nur für seine Fachgebiete, sondern auch für den Sachstand von Stra ßensanierungen, Gewerbegebieten oder der Verkehrssicher heit von Zweiradfahrern. Diese vermeintlich kleineren The men sind es, die das Bild von Politik bei den Menschen vor Ort oft stärker prägen als medial ausgetragene Debatten.

Er hat seinen Anspruch an sich selbst so formuliert – ich zi tiere –:

Ich will etwas tun, und zwar für die Menschen. Und wenn es auch nur ein klein bisschen, ein Jota ist, dann habe ich etwas erreicht.

Klaus Dürr hat sich insbesondere für die Perspektiven junger Menschen interessiert. Er war ein regelmäßiger Gast bei Schulbesuchen des Landtags in den von ihm betreuten Wahl kreisen. Ich erinnere mich dabei an einen zuvorkommenden Gesprächspartner, der mich explizit hat wissen lassen: Egal, wie unterschiedlich die Positionen auch sein mögen, wichtig ist, dass man anständig und respektvoll miteinander umgeht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, halten wir die Erinnerung an Klaus Dürr in Ehren. Sie können Ihre Anteilnahme in ei nem Kondolenzbuch ausdrücken. Es liegt vor dem Moser-Saal aus. Wir wünschen der Familie Dürr und allen Hinterbliebe nen viel Kraft in dieser schweren Stunde.

Jetzt bitte ich Sie, sich im Gedenken an Herrn Dürr von Ihren Plätzen zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.)

Ich danke Ihnen.

(Die Anwesenden nehmen ihre Plätze wieder ein.)

Ich fahre fort.

Von der Teilnahmepflicht befreit sind heute Herr Abg. Halder, Herr Abg. Marwein sowie Herr Abg. Dr. Murschel.

Aus dienstlichen Gründen entschuldigt hat sich ganztägig Frau Staatsministerin Schopper.

Im E i n g a n g befindet sich die Mitteilung der Landes regierung vom 15. Juni 2020 – Jährliche Unterrichtung des Landtags gemäß Artikel 2 Absatz 6 des Gesetzes zu dem Ver trag des Landes Baden-Württemberg mit dem Verband Deut scher Sinti und Roma, Landesverband Baden-Württemberg e. V. –, Drucksache 16/8260. Ich schlage vor, die Mitteilung an den Ständigen Ausschuss zu überweisen. – Sie stimmen zu. Vielen Dank.

Wir haben heute noch über den Einspruch von Herrn Abg. Dr. Fiechtner gegen die ihm in der 121. Plenarsitzung am 17. Ju ni 2020 erteilten Ordnungsrufe abzustimmen. Auf Ihren Ti schen liegt die korrigierte Version des Einspruchs von Herrn Abg. Dr. Fiechtner, die die E-Mail vom 18. Juni 2020 ersetzt, die Ihnen direkt zugegangen war. Die Landtagsverwaltung hatte Ihnen beide Versionen vorab per E-Mail zukommen las sen.

Nach § 93 Absatz 1 Satz 2 der Geschäftsordnung entscheidet der Landtag über diesen Einspruch ohne Beratung. Wir kom men daher gleich zur Abstimmung über den Einspruch. Wer den Einspruch des Herrn Abg. Dr. Fiechtner für begründet hält und die Aufhebung der beiden Ordnungsrufe fordert, den bit te ich jetzt um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthal tungen? – Die Mehrheit des Landtags hält den Einspruch des Herrn Abg. Dr. Fiechtner für nicht begründet und lehnt daher die Aufhebung der Ordnungsrufe ab. Vielen Dank.

Wir treten nun in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Die verlorene Schülergeneration muss gerettet werden – sofortige Wiederaufnahme des Schulun terrichts! – beantragt von der Fraktion der AfD

(Präsidentin Muhterem Aras)

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 50 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die Aussprache steht eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion zur Verfügung. Wie immer darf ich an dieser Stelle auch die Mitglieder der Landesregierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Redezeitrahmen zu halten.

Für die AfD-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Abg. Dr. Bal zer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Kollegen Abgeordnete! Nach solchen Tagen, nach solch einer Woche mit für mich insge samt zwei Todesfällen – meine Schwägerin ist am gleichen Tag gestorben wie Herr Dürr – ist der Einstieg in diese Debat te, in diese Thematik durchaus erschwert. Aber ich möchte versuchen, auf das Wesentliche zu kommen.

Ich beginne mit der letzten Pressekonferenz von Frau Minis terin Eisenmann. Letzte Woche hat Frau Ministerin Eisen mann in dieser Pressekonferenz bekannt geben müssen – man kann auch sagen: öffentlich zugeben müssen –, was längst be kannt war: Kinder stecken sich kaum am Covid-19-Virus an. Sie sind keine besonderen Infektionstreiber, sie haben ein stär keres Immunsystem, ausgeprägtere T-Zellen und keinen Re zeptor für das Virus. In der Regel können Kinder den chine sischen Wuhan-Virus bereits im Anfangsstadium recht gut ab wehren.

Seit Wochen fordern wir, dass der Regelunterricht mit sofor tiger Wirkung wieder aufgenommen wird. Die Landesregie rung hätte einfach nur unserem Antrag vom 9. April zu folgen brauchen. Darin haben wir – auch für Sie leicht verständlich – einen Leitfaden geschaffen, um die Normalität im Schulbe trieb wieder aufnehmen zu können. Unter Abschnitt II Ziffer 1 steht für jedermann lesbar, die Landesregierung möge sich da für einsetzen,

die Normalität im Alltag der robustesten Bevölkerungs gruppen wie Jugendliche, Studenten und Schüler in den schulischen und universitären Einrichtungen durch Wie deraufnahme des Betriebes herzustellen;...

Das hätten wir bereits Anfang April im Plenum ganz einfach realisieren, umsetzen können. Aber wenn man Sie vor die Wahl stellt, einem sinnvollen AfD-Antrag zuzustimmen oder dem Land Schaden – möglicherweise schweren Schaden – zu zufügen, entscheiden Sie sich für Letzteres.

Während der kompletten Planlosigkeit der Kultusministerin zu Beginn der Krise, die sicherlich der diffusen Informations lage geschuldet war, ist die Inkompetenz der letzten zwei Mo nate nicht mehr zu entschuldigen. Eine vernünftige Kommu nikation mit den Schulen hat es zu kaum einer Zeit gegeben. Briefe mit Vorgaben freitags zur Umsetzung montags – so kam es bei den Schulen an; so hat man es mir jedenfalls berichtet.

In den letzten Tagen ist die Kommunikation mit den Eltern verbänden durchaus eskaliert. Die Schuld daran tragen sicher lich nicht die Eltern und sicherlich auch nicht die Lehrer. Ob wohl das Infektionsgeschehen seit Wochen planmäßig zurück geht, haben Sie es versäumt, endlich eine koordinierte Pla nung auf den Weg zu bringen. Stattdessen werden – meist ge

gen Ende der Woche – Schreiben herausgegeben, deren Um setzung bis montags kaum möglich ist.

Wie mittlerweile immer mehr führende Virologen erkennen und zugeben, war der Lockdown Mitte März grundsätzlich zu spät. Elementare Grundrechte wurden aufgrund falscher Vo raussetzungen außer Kraft gesetzt. War das absichtliche Pa nikmache durch die Regierenden?

Auch der Polymerase-Chain-Reaction-Test, der PCR-Test, lie fert leider keine verlässlichen Werte. Die Falsch-Positiv-Quo te liegt bei round about 25 % – das ist ein Viertel. Ein Viertel ist fehlerhaft!

Bezogen auf den Schulbetrieb sind die Lockdown-Maßnah men noch weniger zu rechtfertigen als in anderen Bereichen. Wie Frau Eisenmanns Forscher – wenn man es so sagen darf – bereits zugeben mussten, sind Kinder kaum gefährdet. Auch hinsichtlich der Lehrerschaft ist die Argumentation der Frau Ministerin bestenfalls weit hergeholt. Der Bonner Virologe Hendrik Streeck bezweifelt öffentlich, dass der Lockdown ei nen nennenswerten Effekt auf die Verbreitung bzw. die Wei terverbreitung des Wuhan-Virus hatte. Er stellt weiter fest, dass Lehrer kein erhöhtes Infektionsrisiko gegenüber anderen Berufsgruppen haben.

Der eine oder andere von Ihnen ist ja Lehrer gewesen: Wer einmal in einer Klasse im Frühjahr und im Spätjahr war und das 20 Jahre durchgehalten hat, weiß, wovon ich rede. Was da auf den Türklinken alles lebt, wollen wir gar nicht so genau wissen.

Ein Punkt ist mir an dieser Stelle aber besonders wichtig: Na türlich ist die Gesundheit ein hohes Gut, und natürlich gilt das für alle: Arbeiter, Angestellte und Beamte. Wobei besonders Beamte einer hohen, einer erhöhten Dienstpflicht zu genügen haben. Das gilt für Polizisten und natürlich im Besonderen auch für die Lehrer.

(Vereinzelt Beifall)

Tatsache ist auch: Weite Teile der älteren Lehrkräfte – die ha ben wir zuhauf – sind seit Tagen und Wochen freiwillig im Dienst –

(Zuruf: Krankenschwestern auch!)

andere haben Angst. Da ist wieder die Rolle der Medien zu hinterfragen. Es hätte also völlig gereicht, ältere Lehrer mit schweren Vorerkrankungen vom Präsenzunterricht fernzuhal ten.

Durch die gezielte Panikmache – auch jetzt wieder; schauen wir nach Göttingen, schauen wir in die Tönnies-Werke in NRW – der Medien und vieler Politiker – auch des Herrn Mi nisterpräsidenten – wurden jetzt viele Pädagogen, auch Erzie herinnen, verunsichert und sind teilweise – der eine oder an dere – abgetaucht. In Einzelfällen standen sie nicht einmal für Fernunterricht zur Verfügung. So wurde beispielsweise Eltern geantwortet, dass die Lehrer per Telefon und Internet nicht zur Verfügung stünden, da sie zur Risikogruppe gehörten. Von einem „fernmündlichen“ Infektionsrisiko haben aber noch nicht einmal die allerpanischsten Experten bislang berichtet.

(Beifall)

Sehr geehrte Damen und Herren, viele Eltern sind mit den Nerven – die Kinder, der Papa, alle sind sie daheim – völlig am Ende. Wir müssen befürchten, dass das ungenügende Kri senmanagement der Landesregierung zu einer verlorenen Schülergeneration führt, zumindest führen kann.

Wir, die AfD, haben bereits vor Wochen detaillierte Pläne zur Rückkehr zum Regelunterricht vorgelegt. Während wir be reits seit Langem die Öffnung wenigstens der Waldkindergär ten gefordert haben, kam vonseiten der Ministerien besten falls Ignoranz. Sie haben sich lange hinter dem angeblichen Infektionsgeschehen versteckt. Dabei haben wir in ganz Ba den-Württemberg wie viele tatsächlich Erkrankte? Ungefähr 450. Rechnen Sie einmal den Anteil an der Gesamtbevölke rung aus.

Ein freiwilliges schulisches Programm während der Sommer ferien, wie in Österreich, hat die Landesregierung nicht zuwe ge gebracht.

Auch der Ministerpräsident war auf Frau Eisenmanns absur der Pressekonferenz zugegen. Noch besser wäre es gewesen, wenn er auch zugehört hätte, statt nur dort zu sitzen.

(Beifall)

Herr Ministerpräsident – –

Herr Abg. Dr. Balzer, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Fraktionsvorsitzenden Dr. Reinhart zu?