Wenn ich im Sommer ein Buch mit dem Titel „Why the Ger mans Do it Better“ lese und mein offensichtlich engster Part ner dann wenige Monate später erklärt: „Wir sind auf dem Weg dahin, das Sorgenkind in Europa zu werden“, dann hat man offensichtlich einiges falsch gemacht. Dann wurde der Sommer offensichtlich eben doch verschlafen und hat man viele Maßnahmen nicht eingeleitet. Und dann hatte man bis vor wenigen Tagen offensichtlich auch eine falsche Strategie.
Ebenso sind wir wie die SPD-Fraktion der Meinung – Herr Kollege Stoch, Sie haben ja auch einen Entschließungsantrag vorgelegt –, dass es nicht ausreicht, zu sagen: „Jetzt ist die Si tuation so, jetzt machen wir einen Lockdown“, ohne zu sagen, wie wir nach unserer Vorstellung aus dem Lockdown wieder herauskommen. Die Forderung nach einer solchen Wenndann-Strategie, Herr Kollege Stoch, ist schon richtig. Was wir allerdings bemängeln, ist, dass Sie sich in Ihrem Entschlie ßungsantrag allein auf die Inzidenz konzentrieren. Es gibt, wie schon mehrfach geäußert, auch noch andere Parameter, die wir gern ansetzen würden, um diese Pandemie zu beurteilen.
Am 15. Oktober – ich darf an die damalige Landtagsdebatte erinnern – habe ich Ihnen vorgehalten, Sie machten sich zum Sklaven einer Strategie, die im Grunde unweigerlich zu einem zweiten Lockdown führen wird. Genau dies ist eingetreten.
Aus der Landtagsdebatte vom 30. Oktober nur einige Stich worte, sowohl von mir als auch vom Kollegen Stoch: Symbol politik, Aktionismus, Schrotflintenpolitik. Das mit der Schrot flinte, Herr Ministerpräsident, haben Sie ja in der vergange nen Woche in einem Interview affirmiert, indem Sie gesagt haben: „Ja, wir waren mit der Schrotflinte unterwegs.“ Es mag für sich noch nicht verwerflich sein, wenn man sagt: „Wir ha ben keine Strategie und probieren es einmal.“ Das Schwieri ge aber ist, wenn eine solche Strategie möglicherweise kont raproduktiv wirkt. Ich darf zitieren, was ich am 30. Oktober im Landtag von Baden-Württemberg gesagt habe:
Wenn Sie den Menschen verbieten, sich an Orten zu tref fen, wo der Infektionsschutz gewährleistet ist, werden sie in andere Bereiche abgedrängt,... wo das nicht gewähr leistet ist.... Dann erreichen Sie eine Förderung des In fektionsgeschehens und keine Eindämmung.
Genau das ist möglicherweise passiert: Sie haben mit Ihrer bisherigen Strategie des sogenannten Wellenbrecher-Lock downs die Infektionszahlen eben nicht gesenkt, sondern Sie haben sie vermutlich gefördert, und deshalb sind wir in der jetzigen Situation, meine Damen und Herren.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Sie jetzt plötzlich wieder den Oberbürgermeister von Tübingen an Ihren Busen drücken wollen.
Aber vom Ministerpräsidenten und dem Kollegen Schwarz war am Wochenende zu hören: „Wir haben ihn jetzt wieder lieb, unser Borisle.“
wobei man schon zu Recht die Frage stellen kann: Schmückt er sich da mit fremden Federn? Haben nicht andere dieses Konzept federführend erarbeitet, und er vermarktet es nur am besten? Aber sei’s drum. Das, was Palmer und andere in Tü bingen entwickelt haben, ist eine Protektionsstrategie, und die se funktioniert offensichtlich besser als Ihre Eindämmungs strategie.
Wir hätten jede Art von Lockdown mit moderner Kontakt verfolgung wie in Taiwan oder Südkorea und Schutz der Risikogruppen wie in Tübingen vermeiden können.
Protektion statt Eindämmung – es war falsch, was Sie gemacht haben. Offensichtlich leuchtet Ihnen das jetzt zunehmend ein, und deshalb wollen Sie ihn wieder ins Boot holen.
Der Ministerpräsident hat eingeräumt, dass der Sommer ver schlafen wurde. Er hat eingeräumt, dass Sie nicht mit dem ge rechnet haben, was passiert ist, indem er öffentlich geäußert hat:
Insofern gehört zur Wahrheit auch, dass die Tatsache, dass wir in diese Lage gekommen sind, schon auch mit der Politik im Land Baden-Württemberg sowie mit falschen Entscheidun gen der Ministerpräsidentenkonferenz zu tun hat.
Dennoch gibt es bei den 16 Punkten, die die MPK am vergan genen Sonntag beschlossen hat, Punkte, die wir mittragen. Es ist richtig – Punkt 11 –, die Pflegeheime in den Blick zu neh men. Es ist richtig – Punkt 13 –, an die Bevölkerung zu ap pellieren, vernünftig zu sein, auf Reisen zu verzichten und sich auch über die Feiertage zu beschränken.
Was zu diffus ist, ist Punkt 14 im Zusammenhang damit, was Sie für die Wirtschaft vorhaben. Hier wird unscharf erklärt, wie die Folgen des erneuten Lockdowns abgemildert werden sollen. Und wen Sie einmal mehr nicht in den Blick nehmen, das sind die mittelbar Betroffenen. Ich höre, dass man sagt: „Na ja, wenn wir jetzt – vorgezogen – den Handel in den Weihnachts-Lockdown schicken und die Händler dann auf Waren sitzen bleiben, dann ersetzen wir ihnen den Verlust.“ Aber was ist mit den Zulieferern? Was ist mit denen, die für Silvester kalkuliert haben? Dies war schon einmal Gegenstand einer vorangegangenen Landtagsdebatte; aber einmal mehr schweigen Sie sich dazu aus.
Was wir ebenfalls nicht mittragen können, ist Punkt 7, bezo gen auf die Schulen. Denn diese Springprozession in der Bil dungspolitik ist – Kollege Stoch hat es ausgeführt – mittler weile schon mehr als problematisch.
Ich will nur ansprechen, was am heutigen Tag ein Lehrerver band der Kultusministerin ins Stammbuch geschrieben hat, nämlich dass sie immer bestimmte Forderungen als völlig ab wegig bezeichnet, um sie dann wenige Tage später überstürzt und zur Verwirrung des gesamten Bildungswesens zu über nehmen.
Nehmen wir das Frühjahr. Im Frühjahr hat ein Lehrerverband die Schließung der Schulen gefordert. Daraufhin hat die Kul tusministerin von diesem Pult aus erklärt, das sei eine völlig unverantwortliche Forderung. Zwei Tage später hat sie es um gesetzt. Hinsichtlich der Weihnachtsferien oder Weihnachts pause oder was auch immer – die Verwirrung ist ja groß – hat der Ministerpräsident zunächst erklärt: Diese beginnt in die sem Jahr zwei Tage früher. Die Kultusministerin hat gesagt, das trägt sie mit. Dann hat sie gewaltig die Muskeln spielen lassen und hat erzwungen, dass der Unterricht an diesen zwei Tagen doch stattfinden soll,
Glauben Sie ernsthaft, mit einer solchen Politik könnte man im Land Baden-Württemberg Vertrauen in die politisch Han delnden und ins Bildungswesen gewinnen, meine Damen und
Dann haben Sie, Herr Ministerpräsident, im Frühjahr erklärt, Sie geben eine Studie in Auftrag. Diese Studie soll die Frage beantworten, ob kleine Kinder in besonderem Maß Träger der Infektion sind. Daraufhin haben Sie diese Studie vorgestellt. Die Kultusministerin durfte sogar vorab die Öffentlichkeit in formieren – beim Impfstoff wäre das so eine Art Notfallzulas sung – und erklären: „Der Tenor dieser Studie ist, dass die kleinen Kinder ungefährlich sind. Deshalb machen wir die Kindergärten und die Schulen – zumindest die Grundschulen – wieder auf.“ Das haben Sie anschließend auch gemacht.
Wenn das aber so ist, Herr Ministerpräsident, warum schlie ßen Sie dann jetzt die Kindergärten und Grundschulen wie der? Das ist doch unlogisch. Sie haben hier im Landtag von Baden-Württemberg erklärt: „Wir machen das, was die Wis senschaft sagt.“ Das hat die Wissenschaft aber so nicht erklärt, Herr Ministerpräsident.
Was die älteren Schüler anlangt, da folgen wir Ihnen durch aus. Wir können durchaus nachvollziehen, Herr Ministerprä sident, dass es für die älteren Schülerinnen und Schüler, für die dieser Befund der vier Universitätskliniken in BadenWürttemberg nicht gilt, notwendig sein kann, Schulen zu schließen.
Und sicher ist es auch sinnvoll, einerseits für die jüngeren Schüler bis Klasse 7 und auch für jene, die keine Eltern ha ben, die in systemrelevanten Berufen tätig sind, die Notbe treuung vorzuhalten. Es ist sicher auch richtig, den Fernun terricht für die Abschlussklassen zu gewährleisten.
Wir stellen uns aber schon die Frage, warum für die Jahrgän ge dazwischen – Klasse 8 und folgende – quasi überhaupt kein Bildungsangebot mehr gewährleistet werden soll. Die Erklä rung kann ja nur eine sein: weil Sie es nämlich versäumt ha ben, die digitale Ausstattung der Schulen auf einen Stand zu bringen, von dem aus das möglich ist.
Es ist auch Teil Ihres Versagens, dass die Schüler der Klasse 8 und folgende jetzt in den Lockdown müssen, meine Damen und Herren. Auch das sind Versäumnisse dieser Landesregie rung.
Für die Unternehmen predigen wir immer wieder das Instru ment des Verlustrücktrags. Ich habe erfreulicherweise vor ei nigen Tagen andere Töne aus Ihrem Lager gehört. Im Be schluss findet sich das nicht. Wie schon erwähnt, sind die mit telbaren Branchen wieder einmal ausgeklammert.
Es ist nun offensichtlich leider so, dass dieser Lockdown un vermeidbar geworden ist. Aber es wird höchste Zeit, ihn zu nutzen, um endlich, was auch die SPD-Fraktion fordert, eine Strategie zu entwickeln. Entwickeln Sie endlich eine Strate gie. Sagen Sie uns endlich, was Sie im weiteren Verlauf der Pandemie vorhaben. Sagen Sie uns, wie Sie die Wirtschaft,
wie Sie das gesellschaftliche Leben nach diesem Lockdown wieder öffnen wollen und was die Kriterien sind.