Protokoll der Sitzung vom 14.12.2020

das macht mich nachdenklich. Sie fragten eingangs: Was sol len wir tun? Was hätten wir tun sollen? Ich möchte eines mal klar sagen – ich kann das für meine Fraktion so sagen –: Wir sind der Überzeugung, dass die gestern beschlossenen Maß nahmen richtig und wichtig sind, um dieses Infektionsgesche hen zu stoppen. Denn wir alle wollen uns nicht vorstellen, wie es wäre, wenn wir es einfach geschehen ließen, dass in den nächsten Tagen und Wochen noch mehr Druck auf unsere Kli niken, auf die Intensivstationen, auf Pflegerinnen und Pfleger, auf Ärztinnen und Ärzte zukommt.

Es ist doch eindeutig, dass eine bestimmte Zahl von Infekti onen eine bestimmte Zahl von schweren Verläufen, auch von tödlichen Verläufen bedeutet. Wer dann so tut, als gäbe es ei ne Alternative zu diesen Maßnahmen, der handelt verantwor tungslos, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen.

(Beifall – Zurufe, u. a.: Sehr gut!)

Ich wollte das vorwegschicken, um Ihnen klarzumachen, was die Basis, auf der wir hier diskutieren, ist. Aber wir müssen doch als Parlamentarier hier drin, nachdem wir gemerkt ha ben, dass in den letzten Wochen wohl nicht alles so gut gelau fen ist, die Frage stellen: Was lernen wir aus den letzten Wo chen für den Beginn des nächsten Jahres? Der Lerneffekt, Herr Röhm, ist pädagogisch wichtig.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Herr Ministerpräsident, Sie haben gefragt: Was hätten wir tun sollen?

(Zurufe)

Nein, ich habe keine Glaskugel daheim; wir haben auch kei ne bei uns im Fraktionssaal. Wir haben uns aber, nachdem die Infektionszahlen schon im Oktober deutlich angestiegen sind, gefragt: Was könnte man tun? Wir haben hier in diesem Par lament, in den Parlamentsdebatten deutlich gemacht, dass wir die Maßnahmen, die damals getroffen wurden, zum Teil skep tisch bewerten, und zwar genau dort, wo wir das Gefühl hat ten, dass die falschen Parameter bei der Entscheidung, wel che Dinge wir jetzt nicht mehr erlauben, angelegt wurden.

Jetzt gehe ich mal bis in den März zurück, um Ihnen den Zu sammenhang klarzumachen. Wir haben im März festgestellt, dass überall dort, wo ziemlich viele Menschen zusammen kommen und wo vielleicht nicht kontrolliert werden kann, wer zusammenkommt, die größte Gefahr besteht, sogenannte Su perspreader-Ereignisse zu haben, wo das Virus unkontrolliert weitergegeben wird. Deswegen gibt es seit März keine Groß veranstaltungen mehr mit vollen Stadien im Sport, deswegen gibt es auch keine großen Kulturveranstaltungen, wo man nicht weiß, wer neben wem steht – die großen Konzerte, die

großen Open-Air-Veranstaltungen sind in diesem Jahr alle ausgefallen. Grund war, dass wir vermeiden wollten, dass Menschen unkontrolliert nah beieinander sind – Stichwort Kontakte.

Über den Sommer haben wir ein Stück weit Normalität ge lebt, aber Konzerte und volle Stadien gab es noch immer nicht. Wir haben gemerkt, dass über den September, Oktober hin weg – das haben uns Virologen vorhergesagt, nämlich dass sich die Situation ab dem Moment, ab dem wieder mehr in ge schlossenen Räumen stattfindet, ändert – die Weitergabe der Viren wieder zunahm. Schon Ende Oktober, Anfang Novem ber haben wir hier im Parlament gesagt, dass es nicht reicht, zu unterscheiden, was wichtig und was nicht wichtig ist, son dern dass man fragen muss, bei welchem Ereignis eine hohe Gefahr der Weitergabe des Virus besteht und wo möglicher weise durch zusätzliche Maßnahmen das Risiko der Weiter gabe des Virus gesenkt werden kann. – Nur, um das einmal in den Zusammenhang zu stellen.

Wir haben in unserem Entschließungsantrag, den wir vor sechs Wochen hier in dieses Parlament eingebracht haben, z. B. einen Vorschlag zum Arbeitnehmerschutz gemacht. Wir haben vorgeschlagen – Sie haben vorhin die Tätigkeit auf ei ner Baustelle als Beispiel genannt; diese kann man nicht im Homeoffice erledigen; völlig richtig –, dass es dort, wo sich Menschen durch ihre berufliche Tätigkeit begegnen, wo sie die Kontaktbeschränkung, den Abstand nicht einhalten kön nen, besondere Schutzmaßnahmen braucht. In dem Entschlie ßungsantrag von damals steht als Aufgabe für die Unterneh men, „ein der neuen Pandemielage angepasstes Hygiene- und Schutzkonzept zu erarbeiten“, und wir forderten auch, dies verstärkt zu kontrollieren.

Denn genau aus dem Grund, den Sie angesprochen haben, nämlich die Frage nach den Ereignissen, bei denen das Virus weitergegeben wird, haben wir gesagt: Dort, wo Menschen auf engem Raum zusammen sind, wo die Abstandsregeln nicht eingehalten werden können, muss man handeln. Wir haben nicht gesagt, dass das falsch ist, sondern dass zusätzliche Maß nahmen gebraucht werden.

Das Gleiche gilt doch für die Schulen: Wenn Sie sich in den letzten zwei, drei Monaten einmal die Zahlen des RKI ange schaut haben, dann stellen Sie fest, dass Kinder und Jugend liche zwar weniger oft an Covid-19 erkranken, dass sie aber, was die Infektionswahrscheinlichkeit angeht – und zwar, je älter die Schüler sind, desto mehr –, sehr wohl Träger und da mit Überträger dieses Virus sein können.

Wenn dann 25 bis 30 Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jah ren mit Lehrerinnen und Lehrern in einem Klassenzimmer sit zen, kann zwar durch Lüften das Risiko reduziert werden, aber das Risiko wird noch immer virulent bestehen, da in dieser Situation der Abstand nicht eingehalten werden kann.

Wir haben dann angesichts steigender Infektionszahlen hin terfragt, ob es möglich ist, diese Situation so weiterlaufen zu lassen, es in einer Pressekonferenz am 18. November ange sprochen und hier im Landtag am 26. November einen Ent schließungsantrag vorgelegt und darin gesagt, dass es, damit uns das Infektionsgeschehen nicht entgleitet, doch besser ist, Schulschließungen dadurch zu vermeiden, dass intelligente Konzepte, z. B. Wechselunterricht, eingeführt werden. Die

sen hat übrigens irgendwann auch einmal Kollege Lucha als richtige Lösung beschrieben. Oder fährt man dann mit 180 ge gen die Wand, bis man die Schulen komplett zumachen muss? Sie haben doch riesiges Glück, dass jetzt Weihnachtsferien sind. Andernfalls müssten Sie die Schulen drei oder vier Wochen zum Schaden der Kinder in diesem Land zusperren, liebe Kol leginnen, liebe Kollegen.

(Beifall)

Deswegen: Fragen Sie jetzt hier nicht, was Sie hätten tun kön nen. Sie hätten sehr viel tun können. Vor allem müssen Sie – der 10. Januar ist übrigens ein Sonntag, Herr Gögel; da schi cken wir niemanden in die Schule – den Schulen sagen, wie es ab dem 11. Januar eigentlich weitergeht. Nach dem, was Sie gerade auf die Frage von Frau Reich-Gutjahr gesagt ha ben, heißt das, dass Sie bei Inzidenzen von über 50 nicht wie der anfangen können, weil Sie dann in der Logik, die Sie hier gerade vertreten haben, sagen: „So lange können wir das nicht nachverfolgen, und deswegen können wir das nicht machen.“ Das ist übrigens das, was das RKI sagt: Bei einer Inzidenz von über 50 mindestens Wechselunterricht, wenn nicht Fernunter richt.

Ich bin ein großer Anhänger des Präsenzunterrichts, aber ich bin ein noch viel größerer Anhänger davon, Schulschließun gen zu vermeiden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist der schlimmste Schaden, der hier gerade verursacht wird.

(Beifall)

Das Bildungssystem ist so komplex, wie es ist. Da kann ich nicht sagen: „Ich mache Schule, und auch Kitas müssen offen bleiben.“ Ich muss sagen, unter welchen Bedingungen ich Ki tas und Schulen offen halten kann und mit welchen Modellen ich sie offen halten kann. Wo sind denn solche Konzepte? Das ist genau das, was wir von Ihnen wissen wollen. Das ist das, was die Lehrerinnen und Lehrer, die Schulleiter an der Schu le wissen wollen. Wie sollen die denn den Zeitraum ab dem 11. Januar planen, wenn Sie ihnen nichts dazu sagen?

Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren: Für mich ist das, was hier heute gesagt wurde, ein Ausdruck von – es tut mir sehr leid – großer Hilflosigkeit. Denn wir wissen nicht, was in den nächsten Wochen passiert. Wir können den Men schen draußen auch nicht sagen, was diese Landesregierung tut, falls die Sieben-Tage-Inzidenz sinkt – und zwar unter ei nen bestimmten Wert. Nur zu sagen: „unter 50“, das ist ein bisschen wenig. Wenn Sie einen Inzidenzwert von 100 haben – – Da haben manche Bundesländer wie z. B. Niedersachsen gesagt: „Wir gehen in den Wechselunterricht bei den höheren Klassen.“ Das wäre ja zumindest mal eine Ansage. Dann könnten sich die Schulen darauf vorbereiten. – Die Schulen sind übrigens darauf vorbereitet,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Richtig!)

und zwar nicht wegen des Kultusministeriums, Herr Röhm, sondern trotz des Kultusministeriums.

(Beifall)

Deswegen: Wenn wir hier über die richtigen Maßnahmen dis kutieren, dann sollten wir nicht über die Frage diskutieren, was für die Gesellschaft wichtig ist und was nicht. Denn wir

würden die Akzeptanz bei den Menschen verlieren, wenn die se das Gefühl haben, hier würden Dinge gleich behandelt, die gar nicht gleich sind.

Wenn wir über die Maßnahmen sprechen, die unsere Wirt schaft ganz unmittelbar betreffen, dann müssen wir jetzt Lö sungen suchen, um den Schaden so klein wie möglich zu hal ten. Das heißt für mich, dass natürlich im Einzelhandel dann auch Möglichkeiten da sein müssen, um Amazon nicht immer stärker werden zu lassen. Vielmehr müssen wir dem kleinen, familiengeführten Einzelhandel in Baden-Württemberg die Möglichkeit geben, beispielsweise durch einen solchen Bring service in dieser wichtigen Zeit auch Umsatz zu machen. Da bei ist für mich wichtig, dass wir nicht mit der Sense durch das Land gehen, sondern dass wir unterschiedliche Dinge auch angemessen und korrekt unterschiedlich behandeln.

(Zuruf)

Das heißt für mich dann auch für Januar, Februar und März, dass Kneipen und Diskotheken nicht mit der Speisegastrono mie gleichgestellt werden, wo viel Geld in Lüftungsanlagen investiert wurde und viel Geld in die Hand genommen wur de, damit die Menschen dort mit den entsprechenden Hygie nekonzepten sicher sind.

(Beifall)

Es ist kein Widerspruch, wenn ich von Ihnen verlange, dass ein Konzept dafür vorgelegt wird, wie eine Wiedereröffnung aussehen kann. Das bedeutet eben nicht, dass ich die Ernst haftigkeit der aktuellen Situation nicht annehmen würde.

Meine Damen und Herren, wir brauchen endlich einen Plan für Baden-Württemberg, wie dieses Land in die nächsten Mo nate kommt. Hier zu sagen: „Es wird durchgeimpft, und dann haben wir das Problem gelöst“ – mit Verlaub: Das ist unter komplex. So werden wir dem Problem für Baden-Württem berg nicht gerecht, und so geben wir den Menschen auch kei ne Zuversicht für eine gute Zukunft.

Herzlichen Dank.

(Beifall – Zurufe)

Herr Fraktionsvorsitzen der Schwarz, nun haben Sie das Wort.

(Zurufe von der AfD, u. a.: Moment mal! – Gegen ruf des Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Fraktions vorsitzendenrunde! – Abg. Andreas Schwarz GRÜ NE: Frau Präsidentin, nehmen Sie die Herren Gögel und Rülke zuerst!)

Herr Abg. Gögel, bitte.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, eine Erklärung für den nicht erfolgten Anruf gab es leider nicht. Ich nehme das mal so ent gegen. In der Vergangenheit hat es funktioniert, und ich gehe davon aus, dass es auch in der Zukunft wieder funktionieren wird. Die Begründung – fehlende Positionen in der AfD – kann ich so auch nicht stehen lassen.

(Zurufe)

In der AfD gibt es eine sehr, sehr große Mehrheit, die genau hinter den Positionen steht, die ich heute hier dargestellt habe.

(Beifall)

Diese große Mehrheit vertrete ich, und ich vertrete diese auch in der Fraktion der AfD. Dass es so wie in der Gesellschaft insgesamt auch in der AfD einzelne Menschen, einzelne Mit glieder gibt, die völlig konträre Ansichten zu diesem Thema haben, das mag sein.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Sie selber!)

Aber für mich gilt dies mit Sicherheit nicht.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Sie wider sprechen sich! – Gegenruf des Abg. Anton Baron AfD: Sie widersprechen sich doch die ganze Zeit, Herr Rülke!)

Ja, Herr Rülke kann mich da auch nicht aus dem Konzept bringen.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Sie haben ja gar keins! – Vereinzelt Heiterkeit)

Ich habe da meine klare Position.

Herr Ministerpräsident, Sie haben sich geäußert nach dem Motto: „Jetzt wird durchgeimpft, basta!“ Ich habe aber dieser Tage gelesen, dass einer Umfrage zufolge viele der Menschen, die in Pflegeeinrichtungen beschäftigt sind, sich nicht gegen Corona impfen lassen wollen. Das erschreckt mich persön lich, aber das müsste Sie eigentlich noch mehr beunruhigen. Denn es wäre ja eigentlich die Grundvoraussetzung, dass die Mitarbeiter in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern sich tatsächlich impfen lassen wollen. Da muss also noch einiges an Aufklärungsarbeit und Werbung betrieben werden.