Protokoll der Sitzung vom 10.05.2017

Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, Ihre Plätze einzunehmen, damit wir beginnen kön nen. Das gilt auch für Herrn Fraktionsvorsitzenden Schwarz. – Danke.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Guten Morgen, Frau Präsidentin! – Glocke der Präsidentin)

Guten Morgen, meine Damen und Herren! Ich eröffne die 33. Sitzung des 16. Landtags von Baden-Württemberg.

Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich nur einige weni ge Sätze zum gestrigen Europatag sagen.

Der gestrige Europatag erinnert uns an die Gründung der Eu ropäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl am 9. Mai 1951. Dieser Tag markiert den Anfang des Weges zur Europäischen Union. Europa hat Brücken gebaut und das Zusammenleben der Völker gestärkt. Nie hat es eine so lange Phase des Frie dens in Europa gegeben. Das nehmen wir heute so selbstver ständlich hin. Die Kinder kennen es gar nicht mehr anders.

Zum Europatag fand am Montag hier im Plenum eine große Jugendveranstaltung des Landtags mit über 400 Jugendlichen statt. Die Jugendlichen diskutierten mit Abgeordneten des Landtags und des Europäischen Parlaments lebhaft über die Zukunft Europas. Für sie, die Jugendlichen, ist Europa Hei mat. Das dürfen wir nicht gefährden.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ein starkes Zeichen für Europa war am Sonntag die Wahl von Emmanuel Macron zum Staatspräsidenten in Frankreich. Sei ne Wahl ermutigt dazu, die deutsch-französische Zusammen arbeit zu stärken und das gegenseitige Verständnis zwischen den Menschen weiter zu vertiefen. Gerade unser Land mit sei ner Grenze zum Elsass kann dazu auch auf der parlamentari schen Ebene einen wichtigen Beitrag leisten.

Vielen Dank.

Wir kommen nun zu den üblichen Bekanntgaben:

Von der Teilnahmepflicht befreit sind Herr Abg. Deuschle, Frau Abg. Erikli, Herr Abg. Dr. Fiechtner, Herr Abg. Hocken berger, Herr Abg. Kopp sowie Frau Abg. Lindlohr.

Aus dienstlichen Gründen entschuldigt haben sich bis zur Mit tagspause Frau Staatssekretärin Schütz, von 10:30 Uhr bis 13 Uhr Herr Minister Hauk, von 11 Uhr bis 15 Uhr Herr Minis ter Hermann, von 12:45 Uhr bis 13:45 Uhr Frau Ministerin

Dr. Hoffmeister-Kraut, ab 14:45 Uhr Herr Minister Unterstel ler und ganztägig Frau Staatsrätin Erler.

Wir treten nun in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern schützen – Arbeitszeit nicht beliebig ausweiten! – beantragt von der Fraktion der SPD

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 50 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die Aussprache steht eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion zur Verfügung. Ich darf wie immer die Mitglieder der Landesregierung darum bitten, sich ebenfalls an den vor gegebenen Redezeitrahmen zu halten – was ja auch immer ge lingt.

Schließlich darf ich auf § 60 Absatz 4 der Geschäftsordnung hinweisen, wonach im Rahmen der Aktuellen Debatte die Aussprache in freier Rede zu führen ist.

Für die Fraktion der SPD erteile ich das Wort Herrn Abg. Born.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor rund zwei Wochen, am 24. April, erklärte Finanzminister Wolfgang Schäuble hier in Stuttgart in einem Festzelt, er wolle das Arbeitszeitgesetz lo ckern – eine Forderung, die von konservativer Seite nicht un bedingt nur bei Haxen und Bier gern erhoben wird.

Wie die grüne Seite da tickt, wissen wir bis zum heutigen Vor mittag nicht ganz. Im Koalitionsvertrag jedenfalls steht zur Arbeitszeit 1 : 1 eine Formulierung aus dem CDU-Wahlpro gramm. Das bedeutet – Möglichkeit 1 –: Die Grünen ticken da genauso wie die Schwarzen.

(Heiterkeit des Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE)

Oder Möglichkeit 2: Den Grünen ist es egal.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Sie ticken richtig im Gegensatz zu Ihnen!)

Die Tatsache, dass der Herr Ministerpräsident bei seiner Re gierungserklärung die Gewerkschaften in unserem Land mit keinem Wort erwähnt hat, spricht für Möglichkeit 2.

Doch lassen Sie uns anschauen, wie sich die Sachlage bei der Arbeitszeit – die Wolfgang Schäuble so gern, nur mit der Be

grenzung auf ein Maximalmaß im Rahmen des Europarechts, hochpeitschen möchte – darstellt.

In der Landwirtschaft beispielsweise, in der unbestritten man che Arbeiten allein wetterbedingt nicht so leicht planbar sind, ist es schon jetzt möglich, durch Antrag vom Arbeitszeitrecht abzuweichen. Auch in der Gastronomie ist es möglich, dass Arbeitskräfte mehr als acht Stunden am Tag arbeiten und auch pro Woche erheblich mehr arbeiten, als es üblich ist. Wir re den hier über 60 Stunden in der Woche.

Das ist natürlich an Kriterien und an Voraussetzungen gebun den. Aber wer will das kritisieren? Wer 60 Stunden in der Wo che Leute Bierkrüge schleppen oder in Küchen arbeiten lässt, der darf doch auch an Voraussetzungen und Kriterien gebun den sein.

(Beifall bei der SPD)

Wer will das ernsthaft kritisieren?

Es besteht ja immer die Möglichkeit, über Tarifverträge Re gelungen zu finden, die den Situationen der Betriebe gerecht werden. Denn die Erfolgsgeschichte baden-württembergischer Unternehmen, kleiner wie großer, ist ja, dass Unternehmen, Beschäftigte und Gewerkschaften an einem Strang ziehen. Das gelingt verdammt oft, und darum sind die Unternehmen in Baden-Württemberg auch so erfolgreich.

(Beifall bei der SPD – Abg. Anton Baron AfD: Sicher nicht wegen der SPD!)

Bei Gesprächen über die Arbeitszeit, gerade auch mit Konser vativen, kommt oft das Beispiel, dass es eben ein bisschen länger warm und ein bisschen länger hell ist, und dann ist man doch so gern lange im Biergarten. Dabei geht es aber auch da rum: Mit welcher Haltung und von welcher Warte aus mache ich meine Arbeitspolitik? Denke ich auch an die Kellnerin, die bereits seit einigen Stunden durch diesen Biergarten läuft und Krüge schleppt und die vielleicht nach zehn Stunden nicht mehr laufen kann, die nach den zehn Stunden Arbeit nach Hause kommt und am nächsten Morgen ihr Kind für die Schu le oder für den Kindergarten richten muss und dann in ihren anderen Teilzeitjob muss – und die dann an der Grenze des sen ist, was man noch leisten kann?

Arbeitszeitregelungen sind auch Gesundheitsschutz. Sie spie len eine wichtige, eine zentrale Rolle im Gesundheitsschutz, weil die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer andernfalls ihr Pensum nicht schaffen. Das breite Pensum, das das Leben von ihnen abverlangt, können sie so nicht schaffen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn man hiervor nicht die Augen verschließt, vor diesen Schicksalen, vor diesen Geschichten, vor diesen Erkenntnis sen, dann heißt das doch nicht, dass man nicht begriffen hät te, dass sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten auch die Anforderungen an Arbeitszeit verändert haben. Die Vorstel lungen von heute unterscheiden sich im Hinblick auf Ort, Zeit und Gestaltung der Arbeit erheblich von den Vorstellungen von vor zehn oder 20 Jahren. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat heute einen anderen Stellenwert. Es gibt ein zu nehmendes Bedürfnis, den individuellen Lebensrhythmus mit

der Erwerbsarbeit in Einklang zu bringen. Das kann der Wunsch des jungen Familienvaters sein, mehr Zeit mit seinen Kindern zu verbringen, das kann der Pflegefall in der Familie sein, oder das kann auch der schlichte Wunsch sein, in einer bestimmten Lebensphase mehr oder auch weniger zu arbei ten. Hier besteht aus Arbeitnehmersicht ein Bedürfnis nach Flexibilität.

Aber wenn wir ehrlich sind, stellen wir fest: Über flexible Ar beitszeiten wird häufig allein aus Arbeitgebersicht argumen tiert und diskutiert. Flexibilität wird häufig gleichgesetzt mit Verfügbarkeit rund um die Uhr. Da sind noch Mails zu che cken, da hat ein Handy in Betrieb zu bleiben, da ist am Wo chenende noch zu schauen, ob man irgendetwas erledigen kann, was die Kollegen nicht erledigen konnten, vielleicht weil einer krank war, vielleicht weil etwas anderes war oder weil mehr Arbeit angefallen ist, weil man im Büro etwas nicht geschafft hat.

Auch deshalb hat Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles ihr Weißbuch „Arbeiten 4.0“ vorgelegt – eine Pflichtlektüre, so meinen wir, für jeden von uns, der sich mit Arbeit und Wirt schaft beschäftigt. In diesem Weißbuch werden Trends, ge wandelte Werte, wichtige Handlungsfelder der zukünftigen Arbeitsgesellschaft skizziert mit der Möglichkeit, sich im öf fentlichen Dialog mit Experten aus Betrieben, mit Beschäf tigten, mit Betriebsräten, mit Personalräten, mit Geschäfts führern, mit Wissenschaftlern, auch mit Sozialverbänden, mit Sozialpartnern, mit Gewerkschaften, auch über soziale Medi en, auch als Einzelner einzubringen mit den Erfahrungen, die man selbst gesammelt hat.

So soll auf Bundesebene ein Kompromiss zur Gestaltung der Arbeitszeitregelungen entwickelt werden, damit die Interes sen der Arbeitnehmer ebenso stark gewichtet werden wie die Interessen der Unternehmen, damit beides Berücksichtigung finden kann, wenn wir sagen: Änderungen in der Arbeitszeit dürfen nicht am sozialen Kitt in unserem Land schleifen.

(Beifall bei der SPD)

In diesem Weißbuch sind Experimentierräume, Labore fest gehalten. Die Tarifparteien sollen sich darauf einigen können, dass es zeitlich begrenzt möglich ist, neue Arbeitszeitmodel le zu erproben und zu experimentieren. Das Ganze wird wis senschaftlich insbesondere auch unter dem Aspekt des Ge sundheitsschutzes begleitet und ausgewertet.

Wir begrüßen das in dieser Form, in dieser Seriosität und in dieser Schwerpunktsetzung auf den Gesundheitsschutz der Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer ausdrücklich.

(Beifall bei der SPD)

Denn eine Veränderung der Arbeitszeitregelungen kann eben auch bedeuten, dass Arbeitszeit und Freizeit weniger planbar sind. Da geht es dann für viele Beschäftigte auch darum, die völlige Entgrenzung von Arbeit in die Freizeit hinein – und Freizeit ist ja nicht nur Vergnügen; Freizeit bedeutet auch, das, was man noch organisieren muss, was man außer Arbeit noch leisten muss, auf die Bahn zu bringen – zu verhindern.

Jeder Mensch hat das Recht auf Feierabend und auf Wochen ende, auf Pause und auf Schicht im Schacht. Mittelfristig –

das wissen wir aus vielen Untersuchungen und Studien – ist es für die Gesundheit und für die Produktivität sogar schäd lich, wenn man nicht mehr abschalten und sich nicht regene rieren kann.

Wir sprechen hier von Zeitsouveränität. Die Frage, die sich hier stellt, lautet einfach: Wer verfügt wann über wessen Zeit? Nichts anderes steckt dahinter. Aus diesem Grund halten wir es für wichtig, dass die Erwerbstätigen mitbestimmen können. Die Weiterentwicklung der Mitbestimmung ist eines der zen tralen Themen, wenn wir über die Flexibilisierung von Ar beitszeit reden.

(Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)

Die Debatte über flexible Arbeitszeit muss auch die Forde rung nach mehr Mitbestimmung umfassen.