Protokoll der Sitzung vom 12.10.2017

Liebe Kolleginnen und Kolle gen! Wenn Sie bitte Ihre Plätze einnehmen und die Gespräche einstellen würden, dann würde ich gern beginnen. Auch auf der Regierungsseite, bitte. – Vielen Dank, Herr Staatsminis ter.

Guten Morgen, meine Damen und Herren! Ich eröffne die 43. Sitzung des 16. Landtags von Baden-Württemberg.

Von der Teilnahmepflicht befreit sind Herr Abg. Glück, Herr Abg. Herre, Herr Abg. Kopp, Herr Abg. Maier, Herr Abg. Pal ka, Herr Abg. Dr. Podeswa und Herr Abg. Voigtmann.

(Abg. Nicole Razavi CDU: Was ist da los? Virus?)

Aus dienstlichen Gründen entschuldigt haben sich ganztägig Herr Ministerpräsident Kretschmann, Frau Ministerin Dr. Ei senmann und Frau Staatssekretärin Schütz, bis 10 Uhr Herr Minister Untersteller sowie ab 15 Uhr Herr Minister Lucha.

Auf Ihren Tischen finden Sie einen Vorschlag der Fraktion der SPD für Umbesetzungen im Ausschuss für Europa und Inter nationales (Anlage 1). Ich stelle fest, dass Sie den vorgeschla genen Umbesetzungen zustimmen. – Das ist der Fall. Vielen Dank.

Meine Damen und Herren, auch heute gilt es, einen Abgeord neten zu verabschieden, der in den Deutschen Bundestag ge wählt wurde: Herr Kollege Felix Schreiner, der dem Landtag seit dem 11. April 2011 angehört, hat mit Schreiben vom 11. Oktober 2017 mitgeteilt, dass er sein Landtagsmandat auf grund seiner Wahl in den Deutschen Bundestag mit Ablauf des 24. Oktober 2017 niederlegen wird.

In der 15. Wahlperiode gehörte Herr Kollege Schreiner dem Sozialausschuss und dem Verkehrsausschuss an. In der 16. Wahl periode war er weiterhin Mitglied des Verkehrsausschusses und wirkte außerdem im Umweltausschuss mit. Außerdem en gagierte er sich als waschechter Südbadener aus dem Grenz raum zur Schweiz und zu Frankreich im Oberrheinrat und in der Internationalen Parlamentarischen Bodenseekonferenz. Als Sprecher für Arbeitsmarktpolitik, Jugendpolitik und Luft verkehr der CDU-Fraktion widmete er sich interessanten und spannenden Politikfeldern. Darüber hinaus setzte sich Herr Kollege Schreiner mit großem Sachverstand in seinem Wahl kreis und im Landtag für die Belange der Bürgerinnen und Bürger ein.

Ich danke Ihnen, lieber Herr Kollege Schreiner, für Ihre Tä tigkeit als Abgeordneter und wünsche Ihnen für die Zukunft im Deutschen Bundestag, natürlich auch privat, alles Gute und viel Erfolg.

(Beifall bei allen Fraktionen – Abg. Karl Zimmer mann CDU: So wie der Schreiner kann’s keiner!)

Meine Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung ein treten, kommen wir aufgrund des Mandatswechsels bei der Fraktion der SPD heute noch zu zwei Nachwahlen in zwei au ßerparlamentarische Gremien. Zu Beginn der Wahlperiode wurden aufgrund gemeinsamer Wahlvorschläge der Fraktio nen u. a. die sechs Mitglieder des Verwaltungsrats des Badi schen Staatstheaters und die vier beratenden Mitglieder des Stiftungsrats des Zentrums für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe gewählt.

Nachdem Herr Dr. Nils Schmid auf seine Mitgliedschaft in diesen beiden Gremien verzichtet hat, steht der Fraktion der SPD für die Nachwahlen jeweils das Vorschlagsrecht zu.

Die Fraktion der SPD schlägt als Nachfolger für den am 29. Juni 2016 in den Verwaltungsrat des Badischen Staatsthe aters Karlsruhe gewählten früheren Abgeordneten Dr. Nils Schmid nun als neues Mitglied Herrn Abg. Martin Rivoir vor. Ein entsprechender Wahlvorschlag liegt auf Ihren Tischen (Anlage 2).

Sind Sie damit einverstanden, dass wir diese Wahl offen durch führen? – Das ist der Fall. Vielen Dank.

Wer dem Wahlvorschlag zustimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Danke. Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist dem Wahlvorschlag einstimmig zugestimmt. Vielen Dank.

Weiter schlägt die Fraktion der SPD für den am 13. Oktober 2016 in den Stiftungsrat des Zentrums für Kunst und Medien gewählten früheren Abgeordneten Dr. Nils Schmid ebenfalls Herrn Abg. Martin Rivoir als neues Mitglied vor.

(Abg. Winfried Mack CDU: Vorstellen!)

Ein entsprechender Wahlvorschlag liegt Ihnen auch hier vor (Anlage 3).

Sind Sie damit einverstanden, auch diese Wahl offen durch zuführen? – Das ist der Fall. Vielen Dank.

Wer diesem Wahlvorschlag zustimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Auch diesem Wahlvorschlag ist damit einstimmig zugestimmt. Vie len Dank.

Jetzt treten wir in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Fünf Jahre innovative Pädagogik: Ge meinschaftsschulen unterstützen statt schlechtreden – be antragt von der Fraktion der SPD

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 50 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die Aussprache steht eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion zur Verfügung. Ich darf die Mitglieder der Landes regierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Rede zeitrahmen zu halten.

Schließlich darf ich auf § 60 Absatz 4 unserer Geschäftsord nung verweisen, wonach im Rahmen der Aktuellen Debatte die Aussprache in freier Rede zu führen ist.

Nun erteile ich das Wort für die SPD-Fraktion Herrn Abg. Dr. Fulst-Blei.

Sehr geehrte Frau Präsiden tin, Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich, ja eigentlich gibt es dieser Tage etwas zu feiern. Vor fünf Jahren wurde in Ba den-Württemberg ein pädagogischer Reformstau aufgebro chen. Mit der Gemeinschaftsschule erlebte das Land einen In novationsschub: die methodische Fokussierung auf individu elle Lerngeschwindigkeiten, verbunden mit dem Verzicht, dass sich Eltern und Schüler bereits im Alter von zehn Jahren – im Fall der Schüler – für einen Abschluss entscheiden müs sen.

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Nein, nicht für ei nen Abschluss!)

Aber trotz der Erfolge in anderen Bundesländern wurde die Gemeinschaftsschule von konservativen Kräften in BadenWürttemberg von Anfang an ideologisch massiv bekämpft. Mit dem Regierungswechsel verbanden dann einige durchaus die Hoffnung auf eine Art Burgfrieden mit Blick auf die neue Schulart. Immerhin hatte die neue Kultusministerin in ihrer früheren Funktion als Schulbürgermeisterin selbst Gemein schaftsschulen in Stuttgart eingerichtet.

Aber leider hat sich diese Hoffnung auf einen Pragmatismus nicht erfüllt. Im Gegenteil, man fragt sich heute, was einem lieber ist: die offene Auseinandersetzung, die Ablehnung – un angenehm, aber man weiß immerhin, woran man ist – oder die jetzt vorherrschende Politik von perfiden Nadelstichen. Jüngstes Beispiel – „Stuttgarter Zeitung“ vom 29. Septem ber –: Frau Eisenmann verkündet pauschal, an der aktuellen Zahl der Fünftklässler könne man ablesen, dass die Gemein schaftsschule an Zuspruch verliere.

„Herzlichen Glückwunsch!“ könnte man da laut ausrufen wol len. Wen kann dies denn wundern, nachdem die Ministerin ohne Gegenwehr der Grünen über ein Jahr lang Verunsiche rung und Unterstellungen zugelassen, ja betrieben hat?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Und es war Frau Ministerin Eisenmann, die nicht widerspro chen hat, als ihr Fraktionsvorsitzender die schlechten IQB-Er gebnisse des Landes vom Herbst letzten Jahres mit Blick auf Klasse 8 pauschal mit dem Hinweis auf die grün-roten Refor

men begründet hat, obwohl wir alle in diesem Haus wissen, dass die Schulen, die damals überprüft wurden, mit diesem Jahrgang die letzten des schwarz-gelben Systems waren. Im Klartext: Die Gemeinschaftsschule wurde damals gar nicht abgeprüft, aber trotzdem wurde versucht, sie zum Sündenbock zu machen.

Gleiche Schnellschüsse drohen jetzt mit Blick auf die Ergeb nisse der Viertklässler. Dies muss ein Ende haben. Auch hier ist es Frau Eisenmann, die Entscheidungen trifft, die peu à peu eine Schlechterstellung der Gemeinschaftsschule bewirken. Ein paar Beispiele – –

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Wo denn? So ein Quatsch!)

Herr Röhm, ich nenne sehr gern ein paar Beispiele. Punkt 1: Ungleichbehandlung der Lehrkräfte. Hauptschullehrkräfte an Gemeinschaftsschulen, die sich für A 13 – Sie wissen das – qualifizieren wollen, müssen im Verhältnis zu Lehrkräften an Realschulen mehr Module absolvieren,

(Zuruf des Abg. Raimund Haser CDU)

sie müssen mehr Prüfungen ablegen – und dies größtenteils auch noch in ihrer Freizeit.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja, und? Sie kom men immerhin nach A 13!)

Das ist eine fachlich nicht zu begründende Benachteiligung. Wer an eine Gemeinschaftsschule geht, wird bestraft. Lehr kräfte, die daran Kritik üben, wie es unlängst in der Kurpfalz, bei der Vor-Ort-Tour der Ministerin, geschehen ist, werden auch noch barsch abgebügelt. Das ist nicht in Ordnung. Wir wissen um die besondere Belastung der Gemeinschaftsschul lehrkräfte durch den starken Fokus auf die Individualisierung. Sie brauchen Entlastung. Wir fordern daher eine gleiche Be handlung in Sachen A-13-Qualifikation für Lehrkräfte an Ge meinschaftsschulen und an Realschulen.

(Beifall bei der SPD – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Wie ist es mit den Hauptschulen? – Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU)

Beispiel Nummer 2: gezielte Verunsicherung von Eltern und Schülern beim Übergang in berufliche Gymnasien. Schon im Februar dieses Jahres haben wir in einem Antrag die Landes regierung aufgefordert, endlich zu klären, in welches Kontin gent die Schüler an Gemeinschaftsschulen beim Zulassungs verfahren für einen Wechsel in ein berufliches Gymnasium fallen. Der Hintergrund: 85 % der Plätze dort sind für Real schüler reserviert, nur 15 % für Übergänger vom Gymnasi um. Aber obwohl der Starterlehrgang der Gemeinschaftsschu len sich schon im vergangenen Frühjahr für den Weg zur mitt leren Reife oder zum Abitur entscheiden musste, kam von der Regierung nichts.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Es gibt doch jede Menge Plätze!)

Verunsicherung ist die Folge,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Es ist kein Einzi ger benachteiligt! So ein Quatsch!)

und dies bleibt auch mit der Neuregelung so. Alle diejenigen Schüler von Gemeinschaftsschulen mit zwei Fremdsprachen sollen danach nämlich in das gedeckelte Kontingent für Gym nasien fallen, und zwar unabhängig davon, ob es an dieser Ge meinschaftsschule eine Oberstufe gibt oder nicht. Die Verun sicherung geht also weiter. Dies wird sich herumsprechen, und es wird Auswirkungen auf die Wahlentscheidungen von El tern und Schülern haben. Entschuldigung: Das ist kein Kolla teralschaden; das ist Kalkül. Ich möchte den Grünen zurufen: Seht ihr das denn eigentlich nicht? Die SPD fordert: Der 15-%-Deckel darf nur da greifen, wo es eine gymnasiale Ober stufe gibt.

(Beifall bei der SPD – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU unterhält sich mit Abg. Raimund Haser CDU.)

Herr Röhm, zuhören! Sie haben nach Beispielen gefragt. – Beispiel Nummer 3: bewusste Mangelwirtschaft bei Gymna siallehrkräften. Gern argumentiert die Ministerin immer wie der mit der Gleichbehandlung aller Schularten –

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Da werden laufend Stellen ausgeschrieben!)

wenn es um eine Beschneidung der Gemeinschaftsschule geht. Beim Thema „Zuweisung von dringend benötigten Gymnasi allehrkräften an Gemeinschaftsschulen“ vergisst sie hingegen die Gleichbehandlung.