Protokoll der Sitzung vom 09.11.2017

haltens dieses skandalösen Vorgangs in Russland. Denn die Machthaber in Russland werden auf das allmähliche Verges sen, auf das Abebben der Empörung und schließlich darauf setzen, dass in Feuilletons sowie im Politik- und im Kultur betrieb Gras über die Sache wächst. Das darf nicht sein, mei ne Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grü nen, der CDU und der FDP/DVP)

Ich denke, aus unser aller Sicht ist die Verhängung des Haus arrests und dessen willkürliche Verlängerung bis zum Januar 2018 völlig unverhältnismäßig, ja, sie ist Ausdruck politischer Willkür. Der Hausarrest kommt einer Vorverurteilung gleich und bedeutet für Serebrennikov wegen des Kontakt- und Kommunikationsverbots faktisch ein Berufsverbot.

Wir fordern, den Künstler sofort auf freien Fuß zu setzen. Dann braucht es schnell eine Anklage und ein Verfahren – aber ein Verfahren, in dem nicht Serebrennikov seine Unschuld be weisen muss, sondern die Anklage seine Schuld beweisen muss. So herum muss es laufen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Denn schon jetzt gibt es zahlreiche Anhaltspunkte und Bele ge, dass die gegen den Regisseur erhobenen Untreuevorwür fe völlig aus der Luft gegriffen und konstruiert sind.

Lassen Sie mich auch ein paar Worte zur Rolle der Staatsoper sagen. Das Vorgehen von Opernintendant Jossi Wieler hat un sere volle Rückendeckung. Die Märchenoper „Hänsel und Gretel“ als Regiefragment aufzuführen und damit auf die La ge des Regisseurs hinzuweisen, war genau die richtige Ant wort auf die Lage und auf die Willkür in Russland.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen sowie des Abg. Arnulf Freiherr von Eyb CDU)

Wir sind wirklich stolz darauf, wie souverän und engagiert das gesamte Team der Staatstheater Stuttgart diese Situation angenommen hat und mit der Aufführung ein starkes und ein drucksvolles Zeichen für die Freiheit gesetzt hat. Vielen Dank dafür.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen, auch im demokratischen Deutschland gab es immer wieder Span nungen, ja Entgleisungen im Verhältnis zwischen Politikern, Künstlern und Intellektuellen. Legendär – ich greife weit zu rück – sind immer noch die markigen Sprüche von Bundes kanzler Ludwig Erhard in den Sechzigerjahren, der Autoren schon mal als „Banausen“, „Nichtskönner“ oder gar „Pin scher“ abgekanzelt hat. Oder ich nenne Provokationen, auch aus den frühen Sechzigerjahren: Baselitz-Skulpturen oder Rai ner Werner Fassbinder oder auch Christoph Schlingensief. All diese Künstler, meine Kolleginnen und Kollegen, beanspru chen für sich zu Recht, ihre Freiheit gnadenlos und ohne jede Zensur auszuleben. Man hat sich an ihnen gerieben und über sie gestritten, aber niemals hat jemand deren künstlerische und persönliche Freiheit in unserer Republik ernsthaft infrage ge stellt.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen sowie des Abg. Arnulf Freiherr von Eyb CDU)

Darum geht es im Kern. Es gilt, diese Freiheit entschlossen zu schützen und zu verteidigen, auch dann, wenn deren Aus übung durch Künstler einem selbst politisch oder moralisch einmal nicht so ganz in den Kram passt.

Zurück zu Serebrennikov. Russland wäre gut beraten, ihn nicht wie einen Verbrecher zu behandeln, sondern diesem künstlerischen Multi- und Ausnahmetalent mit Stolz und Hochachtung zu begegnen und ihn als Ausweis einer moder nen russischen Kunstszene zu feiern, die auf internationalem Niveau problemlos mitspielen kann.

Ich will meine Rede mit einem Zitat von ihm beenden. Er sag te hier in Stuttgart bei einer Diskussion:

So wie ein Kapitän als Letzter das sinkende Schiff verlas sen sollte, so soll die Kultur, die Kunst, das Theater ei gentlich die Rolle des Kapitäns übernehmen und bis zur letzten Möglichkeit kämpfen.

Dieses Credo Serebrennikovs kann man sich getrost zu Her zen nehmen. Wir alle, denke ich, hoffen inständig, dass wir ihn in Bälde wieder hier in Stuttgart als freien Mann empfan gen können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grü nen, der CDU und der FDP/DVP)

Für die FDP/DVP-Frakti on erteile ich das Wort dem Kollegen Weinmann.

Sehr geehrter Herr Präsi dent, liebe Kolleginnen und Kollegen! Kunst gab und gibt es schon immer, die Kunstfreiheit hingegen nicht. Erstmals über haupt verfassungsrechtlich in Artikel 142 der Weimarer Reichsverfassung verankert, konnte dies die schändlichste, brutalste und bedrückendste Zensur und Unterdrückung von Kunst, die Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten am 10. Mai 1933, nicht verhindern.

Ebenfalls nur auf dem Papier – an diesem historischen 9. No vember sei auch daran erinnert – stand die Kunstfreiheit in Artikel 34 der Verfassung der DDR von 1949. Vielen ist noch sehr präsent, dass die Kunst den Vorgaben der SED unterlag, und neben einem Verbot von Kunstformen, die die Kritik an der herrschenden Ordnung ausdrückten, wurde vor allem mit der Vorgabe, dass Kunst dem sozialistischen Realismus ent sprechen müsse, die Kunstfreiheit massiv eingeschränkt. Die DDR hat im Übrigen in der Verfassung von 1968 gänzlich auf den Begriff der Kunstfreiheit verzichtet.

Heute in Artikel 5 Absatz 3 unseres Grundgesetzes verortet, ist Kunstfreiheit als Kommunikationsgrundrecht wesentlich für die demokratische Grundordnung. Die Bürgerinnen und Bürger sollen unabhängig von staatlicher Macht und unabhän gig von der Macht Dritter künstlerisch tätig werden können. Unsere Gründungsväter wussten gerade auch vor der histori schen Verantwortung und Erfahrung, dass Sinn und Aufgabe der Kunstfreiheit vor allem ist, die auf der Eigengesetzlich keit der Kunst beruhenden, von ästhetischen Rücksichten be stimmten Prozesse, Verhaltensweisen und Entscheidungen von jeglicher Inhärenz öffentlicher Gewalt freizuhalten.

Insofern, Herr Kollege Dr. Balzer, schmerzt Ihre Aussage, wenn Sie sich anmaßen, als Politiker über die Frage „Ist es Kunst oder nicht?“ entscheiden zu wollen.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der Grünen, der CDU und der SPD – Abg. Rüdiger Klos AfD: Hat er doch gar nicht getan! – Zuruf des Abg. Dr. Rainer Balzer AfD)

Von einer staatlichen Nichtbeeinträchtigung der Kunstfreiheit kann man leider in vielen totalitären Regimen in Russland, in China, aber auch weltweit nicht sprechen. So schrieb der Jour nalist Tim Schleider in der „Stuttgarter Zeitung“ letzte Woche – ich darf zitieren –:

Was unterscheidet die Sängerin Anna Netrebko vom The aterregisseur Kirill Serebrennikov? Die Russin Netrebko kann als glühende Verehrerin ihres Präsidenten Wladimir Putin ungestört der internationalen Karriere nachgehen. Der Russe Serebrennikov dagegen muss als Putin-Kriti ker und Teil der Bürgeropposition um seine weitere Exis tenz fürchten.

Natürlich können wir nur vermuten, ob an diesen Vorwürfen etwas dran ist. Aber diese Willkür und Unverhältnismäßig keit, ja dieser Vorfall erinnern spontan an ähnliche Vorkomm nisse in Russland, aber auch in China. Denken wir beispiels weise an die Rockband Pussy Riot, deren Mitglieder wegen ihres „Punk-Gebets“ gegen die Allianz von Kirche und Staat verhaftet wurden und dann durch eine Inszenierung letztend lich amnestiert wurden. Denken wir an den Künstler Ai Wei wei, der durch die Inhaftierung in seinem Wirkbereich – also als Teil der Kunstfreiheit – eingeschränkt wurde. Denken wir an den Künstler Pjotr Pawlenski, der sich den Mund gegen die Zensur des Staates buchstäblich zugenäht hat und dann mit haltlosen Vorwürfen sprichwörtlich mundtot gemacht wurde. Denken wir an den russischen Politiker und Kremlkritiker Na walny, dem ebenfalls schwerste Verbrechen vorgeworfen wur den, Vorwürfe, die erhoben wurden, um ihn an einer Kandi datur für das höchste Amt zu hindern. Oder denken wir an den Künstler Sergej Sacharow, der mit putinkritischen Skulpturen festgesetzt wurde, um auch hier der Kunstfreiheit zu schaden.

Es hat augenscheinlich System, dass insbesondere Präsident Putin regimekritische Künstler einer ganz besonderen Zensur unterwirft: der gesellschaftlichen Ächtung und Exklusion. Es werden eben nicht die Kunstwerke offensiv moniert, sondern der kritische Geist, der dahinter steht, wird mundtot gemacht.

Vor genau einem Jahr haben wir an dieser Stelle über Präsi dent Erdogan und die Einschränkung der Wissenschafts- und Meinungsfreiheit in der Türkei diskutiert. Heute müssen wir wieder die Einschränkung von Freiheitsrechten, die wir als selbstverständlich erachten, kritisieren, und das erfüllt uns in der Tat mit großer Sorge.

Mit Blick auf die gerade genannten Personen, die schwersten Repressionen ausgesetzt waren und werden, wird klar, dass wir heute – vielleicht noch umso mehr – für die elementars ten Freiheitsrechte eintreten und diese verteidigen müssen.

Neben der klaren und unmissverständlichen Benennung die ser Missstände befürworten wir u. a. eine Stärkung der aus wärtigen Kulturpolitik. Denn Organisationen wie beispiels

weise das Goethe-Institut oder die Deutsche Welle spielen ei ne wichtige Rolle für den internationalen Dialog.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Genau diesen Dialog, liebe Kolleginnen und Kollegen, brau chen wir. In einer globalen Welt ist es unerlässlich – sosehr wir diese Freiheitsrechte als im Grunde nicht verhandelbar er achten –, miteinander im Gespräch zu bleiben.

Die Einhaltung dieser Freiheitsrechte, dieser Grundrechte muss dabei das Ziel unserer Anstrengungen sein. Hermann Bahr, ein österreichischer Roman- und Bühnenautor, sagte:

Die Kunst ist die Freiheit, das Glück und der Friede. Wir besitzen nichts von ihr als nur die Sehnsucht.

Anders als in diesem Ausspruch muss es eben unser Bestre ben sein, diese Sehnsucht zu befriedigen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der Grünen, der CDU und der SPD)

Für die Landesregierung erteile ich Frau Staatssekretärin Olschowski das Wort.

Vielen Dank. – Sehr ge ehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Her ren! „Dass Freiheit verloren geht, erkennt man an der Angst.“ So ähnlich hat es der Völkerrechtler und Präsident des Deut schen Hochschulverbands, Bernhard Kempen, kürzlich in ei nem Artikel zur Wissenschaftsfreiheit formuliert.

Dieser Satz – „Dass Freiheit verloren geht, erkennt man an der Angst“ – trifft auch die aktuelle Situation rund um den Fall Kirill Serebrennikov gut. Warum? Bei einem Pressegespräch anlässlich der Premiere von „Hänsel und Gretel“ erzählte der in der DDR aufgewachsene musikalische Leiter der Inszenie rung, Georg Fritzsch, dass er zum ersten Mal seit dem Fall der Mauer wieder die tiefe Sorge verspüre, die er aus seiner Ju gend kenne, die Furcht, dass seine Worte dem Regisseur und Kollegen Kirill Serebrennikov, der sich doch viele Hundert Kilometer entfernt von ihm befindet, schaden könnten.

Georg Fritzsch ist von seiner DDR-Biografie geprägt. Diese Angst um andere, deren Freiheit bedroht ist, hatte er über die vergangenen 28 Jahre fast vergessen. Sie hat ihn jetzt wieder eingeholt. Diese Angst bedeutet: Nicht sagen, nicht schreiben, nicht ausdrücken, was man wirklich denkt, und zwar hier in Deutschland.

Kunstfreiheit einschränken heißt auch, Rede- und Meinungs freiheit zu beschränken. Dagegen gibt es nur ein Mittel: Sa gen, was man denkt, und jene schützen, die dies tun.

(Beifall bei den Grünen und der CDU sowie Abge ordneten der SPD und der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, deswegen bin ich dankbar für die heutige Debatte, denn unberechtigt sind Fritzschs Befürchtun gen tatsächlich nicht.

Einen Tag nachdem Ministerin Theresia Bauer einen Anruf erhielt, bei dem ihr von hoher diplomatischer Stelle versichert wurde, man habe mit Putin gesprochen und es werde Erleich terungen für Serebrennikov geben, wurde dessen Hausarrest verlängert. Einen Tag nachdem Frank-Walter Steinmeier sich während seines Besuchs in Moskau kürzlich bei Putin für den Künstler eingesetzt hat, wurde Sofia Apfelbaum, die Leiterin des Jugendtheaters in Moskau, im Zusammenhang mit dem Fall festgenommen. Zufälle? Ich würde sagen: So funktioniert staatliche Willkür.

Es gibt also Anlass, sich zu sorgen. Der Furcht der Einzelnen, die sich für Serebrennikov einsetzen, steht aber ganz offen sichtlich eine noch größere Angst gegenüber: die Angst des Staates Russland vor der Kunst, Angst vor dem offenen Wort, der kritischen Stimme, dem treffenden Bild, dem unverstell ten Blick auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Welch eine absurde Dimension diese Angst annehmen kann, sieht man an der Diskussion um den aktuellen Film „Mathil de“, der zeigt, was so einfach nicht gewesen sein darf: Zar Ni kolaus II. hatte vor seiner Ehe eine Affäre mit einer Tänzerin.

(Abg. Rüdiger Klos AfD: Das kann doch nicht sein!)