Ich fordere noch einmal: Diese Werte gilt es in einer Bestands aufnahme zu ermitteln. Jeder Kulturkreis, jedes Land ist auf gefordert, seinen Beitrag zum europäischen Erbe einzubrin gen. Allein die Diskussion über diese Bestandsaufnahme wird zu einer Chance, jedem einzelnen Bürger bewusst zu machen, dass es sich lohnt, sich mit den Wurzeln Europas näher zu be schäftigen.
Ich komme zum letzten Satz, Frau Präsidentin: Vielleicht kann dann am Ende dieses Prozesses wirklich jeder Bewohner die ses Zipfels am westlichen Ende der eurasischen Landmasse sagen: Ich bin ein Europäer.
Frau Prä sidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Während wir hier in diesem Hohen Haus den Europabericht der Landesregie rung diskutieren, geht eine Meldung über dpa, die viele in die sem Hause bestätigt, die Europa auf einem guten und richti gen Weg sehen, und die manche widerlegt, die sich nach wie
Die dpa-Meldung vor wenigen Minuten: Deutschland hat auf grund seiner Mitgliedschaft in der Europäischen Union mehr Vor- als Nachteile.
So sehen das einer Umfrage zufolge knapp zwei Drittel der Deutschen, nämlich 64 %. 20 % der Befragten meinen hinge gen, dass die Nachteile überwiegen.
Auf die offene Frage, was sie mit der EU, Herr Dr. Merz, ver binden, antworteten die Befragten am häufigsten: Gemein schaft und Zusammenhalt und offene Grenzen. Nach den Vor teilen für Deutschland gefragt wählten sie am häufigsten den offenen Binnenmarkt, die Sicherung des Friedens und die ge meinsame Währung. Meine Damen und Herren, liebe Kolle ginnen und Kollegen, lassen wir die deutliche Mehrheit der Menschen sprechen, wenn es um die Zukunft Europas geht.
Natürlich ist der Bericht über europapolitische Themen im mer auch Anlass, die aktuelle Politik der Landesregierung mit Blick auf europäische Aktivitäten zu hinterfragen und zu prä sentieren. Nach wie vor und immer wieder erleben wir, dass Europapolitik starke Bezüge in die Landespolitik hinein hat. Entscheidungen der Europäischen Union beeinflussen die Landespolitik. Brüssel und Straßburg sowie in immer stärke rem Maß der Europäische Gerichtshof in Luxemburg geben Rahmenbedingungen vor, die vor Ort beachtet werden müs sen. Das ist erst einmal nichts Schlechtes. Wir brauchen aber – darin waren wir uns heute Morgen in der Aktuellen Debat te auch fast alle einig – einen Bestand an europäischen Ge meinsamkeiten. Wir brauchen Einigkeit in den großen Fragen, um in der Welt und im Wettbewerb bestehen zu können.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Europa darf dabei nicht seine Vielfalt an Kulturen, Traditionen und Gewohnheiten ver lieren. Europa lebt von dieser Vielfalt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. An dreas Kenner SPD – Vereinzelt Beifall bei den Grü nen)
Auch dieses Bekenntnis zu Europa wollen wir ablegen. Wenn wir nach außen zusammenrücken, dann gerade deshalb, um nach innen vielfältig zu bleiben. Die baden-württembergische Landesregierung tritt deswegen auf allen Ebenen – sei es in Brüssel, in Berlin oder bei Reisen durch Europa – für den Er halt regionaler Gestaltungsspielräume ein. Wir wollen, dass Länder, Regionen und natürlich auch Kommunen all das er ledigen, was vor Ort auch geleistet werden kann, dass Zustän digkeiten nicht abwandern, sondern dass Zuständigkeiten vor Ort auch im zusammenwachsenden Europa erhalten werden. Ein Europa ohne starke Länder und Kommunen wäre ein schwaches Europa.
Wir wollen – das will ich auch bei dieser Debatte nochmals betonen – in den nächsten Wochen und Monaten diesen Eu ropadialog im Land führen. Er erfolgt einerseits mit Experten – das Expertenforum ist bereits gestartet –, und im Juni kom men die Fachforen, die Bürgerdialoge. Sie alle – wie ich weiß – beteiligen sich an diesem Prozess, bringen sich ein. Disku tieren Sie mit den Menschen! Das ist ein wichtiger Prozess auf dem Weg zu einem Europaleitbild der Landesregierung, das wir Ende nächsten Jahres und rechtzeitig vor der Europa wahl auch präsentieren wollen.
Ein Schwerpunkt der Arbeit der Landesregierung in den letz ten Wochen waren Besuche auf dem Balkan. Der Ministerprä sident war mit einer großen Delegation auf dem Balkan un terwegs. Ich selbst habe mit einer Delegation Serbien besucht. Wenn es um die europäische Zukunftsdebatte geht, ist es uns wichtig, auch dorthin zu reisen, wo sich Menschen eine euro päische Perspektive wünschen. Die Staaten des westlichen Balkans liegen vor unserer Haustür. Die Wunden der Kriege in den Neunzigerjahren sind noch nicht vollständig verheilt. Die Stabilisierung der gesamten Region liegt in unserem bes ten Interesse.
Gleichzeitig bieten sie auch – auch das ist im Zuge dieser Rei sen deutlich geworden – Chancen für die Wirtschaft in unse rem Land. Die Landesregierung unterstützt daher die Heran führung der Staaten des westlichen Balkans an die Europäi sche Union. Ich sage allerdings auch: Für einen Beitritt müs sen vorab alle Beitrittskriterien vollständig erfüllt sein. Hier darf es keine Abstriche oder Rabatte geben.
Dies ist auch im besten Interesse der Beitrittskandidaten. Durch die Mitteilung der EU-Kommission zur Erweiterungs perspektive für den westlichen Balkan vom 6. Februar 2018 hat die Debatte über den EU-Beitritt eine neue Dynamik und eine besondere Aktualität bekommen. Serbien wünscht sich diesen Beitritt. Wir wurden auch kritisch mit Fragen konfron tiert. Beim Beitritt Kroatiens schien die Europäische Union noch etwas großzügiger zu sein. Inzwischen sind die Kriteri en härter geworden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es entspricht aber auch der Erfahrung, dass man nicht darauf setzen kann, dass die Län der nach dem Beitritt eine enorme Entwicklung nehmen wer den. Da haben wir auch schlechte Beispiele. Es muss die De vise gelten: Zum Zeitpunkt des Beitritts müssen die Kriterien erfüllt sein. Dann wird es eine faire und zukunftsträchtige Partnerschaft.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auch darauf hin weisen, dass wir bei unseren Besuchen Unterstützung ange boten haben. Ein wesentliches Problem in Serbien ist die Jus tiz, sind Fragen des Rechtsstaats, auch der Korruption. Diese Probleme müssen vor einem möglichen Beitritt gelöst wer den. Wir haben einen Erfahrungsaustausch mit Juristen ange boten – mit baden-württembergischen Juristen, die bereit sind, in diesen Erfahrungsaustausch mit Juristen in Serbien zu tre ten.
Wir wollen auf diesem Weg zur Europäischen Union nach Kräften helfen und Erfahrungen einbringen. Unsere Bezie hungen entlang der Donau wollen wir ausbauen und intensi
Ich will auch in besonderer Weise die Autonome Provinz Vojvodina, die aufgrund ihrer donauschwäbischen Geschichte be sonders enge Beziehungen zu Baden-Württemberg unterhält, erwähnen. Auch dort sind wir in großer Gastfreundschaft und Herzlichkeit aufgenommen worden.
Kollege Blenke weiß aus eigener Erfahrung von dieser Herz lichkeit zu berichten, auch Kollege Dr. Aden. Daraus dürfte der heftige Beifall resultieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, neben der Donau ist der Rhein die andere Lebensader Europas. Die grenzüberschrei tende Zusammenarbeit am Oberrhein hat nicht nur Deutsch land und Frankreich zusammengeführt, sie hat vor allem die Menschen vor Ort einander nähergebracht und ihnen viele Vorteile im Alltagsleben gesichert. Daher begrüße ich die In itiative des Deutschen Bundestags und der französischen Na tionalversammlung für einen neuen Elysée-Vertrag. Auch da rin steckt die Chance einer Revitalisierung des deutsch-fran zösischen Verhältnisses. Auch insoweit sind wir im engen Austausch mit unseren Kolleginnen und Kollegen im franzö sischen Senat, die wir vor zwei Wochen in Paris besucht ha ben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns die Fortschreibung des Elysée-Vertrags auch nutzen, um konkrete, grenzübergrei fende Projekte zu definieren. Der Bereich Hochschule ist mit Eucor, einem besonders gelingenden Projekt, bereits ange sprochen. Lassen Sie uns das auf den Freizeit- und Tourismus bereich erweitern, auf all das, was Menschen grenzübergrei fend zusammenführt und Begegnung schafft.
Lieber Herr Kollege Hofelich, es sind noch die „Vier Moto ren“ angesprochen worden. Wir waren mit dem Europaaus schuss in Mailand, der Lombardei, und Lyon, Rhône-Alpes. Die „Vier Motoren“ haben sich in der Tat nicht überlebt. Der Grundgedanke dieser Initiative ist unverändert wertvoll und wichtig. Wir haben das auch in den Gesprächen mit der dor tigen Wirtschaft vor Augen geführt bekommen. Die „Vier Mo toren“ haben es verdient, als gemeinsames, länderübergrei fendes, regionenbezogenes Projekt erfolgreich und intensiv fortgesetzt zu werden.
Das war in den letzten Monaten mit Blick auf Katalonien et was schwierig. All das, was da an Gesprächen und Begegnun gen auf politischer Ebene geplant war, musste erst einmal zu rückgestellt werden. Dies gilt nicht für Gespräche und Dis kussionen auf Arbeitsebene. Man muss natürlich schon dar auf hinweisen, dass die Zusammenarbeit in den „Vier Moto ren“ mit Blick auf das Holpern des Motors in Katalonien der zeit etwas schwieriger ist. Aber wir geben ein klares Bekennt nis zu den „Vier Motoren“ ab, übrigens auch ein klares Be kenntnis zu den Menschen in Katalonien. Wir wollen bewusst an dieser Partnerschaft innerhalb der „Vier Motoren“ festhal ten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Europa gerade im Klei nen zusammenwächst, zeigt sich auch an anderen Orten. Bei meiner Reise nach Serbien habe ich die Gedenkstätte in Backi Jarak besucht. Sie ist am Ort eines früheren Lagers, in dem am Ende des Zweiten Weltkriegs Tausende Deutsche, überwiegend Donauschwaben, ums Leben gekommen sind. Trotz aller Schrecken des Krieges belegen solche Erinnerungs orte, dass ein Europa, das auf Verständigung und Versöhnung setzt, ein Europa des Friedens ist.
Eine ganz ähnliche und berührende Erfahrung machten wir bei unserem Besuch auf dem Hartmannsweilerkopf vor we nigen Wochen, wo wir zusammen mit Präsidentin Klinkert ei nen Kranz niedergelegt haben. Auch das gehört zu einem ge meinsamen Europa, diese Erinnerungsorte immer wieder ganz bewusst aufzusuchen und Erinnerungskultur zu pflegen.
Diesem Europa der gemeinsamen Zukunft, einem Europa, das Feindschaft überwindet und Freundschaft stiftet, gilt auch in Zukunft das Engagement der Landesregierung.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Europa und Internationales, Drucksache 16/3924. Der Ausschuss für Europa und Internationales schlägt Ihnen vor, von der Mitteilung der Landesregierung, Drucksache 16/3921, Kenntnis zu nehmen. – Sie stimmen zu. Vielen Dank.
Ich darf vorab noch sagen, dass die SPD-Fraktion gemeldet hat, dass der ursprüngliche Tagesordnungspunkt 8 bzw. der neue Tagesordnungspunkt 9 – Einrichtung weiterer Ganztags schulen – abgesetzt wird. Herr Gall, so war es richtig? – Dann wissen Sie Bescheid.
Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zur Änderung kommunalwahlrechtlicher Vor schriften – Drucksache 16/3870