Protokoll der Sitzung vom 18.07.2018

Kann der Richter das Parlament zu einem bestimmten Verhal ten zwingen, meine Damen und Herren? Das ist eine grund sätzliche verfassungsrechtliche Frage, die wir hier aufwerfen müssen.

(Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)

Ich möchte daran erinnern, dass das Parlament der erste ge wählte Souverän ist, der auch die höchsten Richter ernennt, der die Exekutive bestimmt.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: So hat das in Weimar damals auch angefangen! – Zuruf von der SPD: Das Volk ist der Souverän!)

Das ist die grundsätzliche Frage. – Ich stelle nur die Frage in den Raum, und schon reagieren Sie so überreizt. Was soll denn das?

(Zurufe von der SPD, u. a.: Das ist keine Fragestun de!)

Ich kann das nicht verstehen, meine Damen und Herren. Es ist ganz selbstverständlich, dass sich die dritte Gewalt ständig in die Tätigkeit der zweiten und der ersten Gewalt einmischt. Wir bekommen von Gerichten irgendwelche Vorgaben für Ge setze und sonst etwas. Genauso selbstverständlich muss es doch auch sein, dass die erste Gewalt nicht alles hinnimmt, was die dritte Gewalt hier von sich gibt.

(Zuruf von der SPD)

Dabei geht es nicht nur um einzelne Richterstimmen, sondern auch um höchstrichterliche Rechtsprechung.

(Zuruf von den Grünen: Oi, oi, oi!)

Es darf nicht sein, dass sich hier eine Gewalt verselbststän digt, sie eine Autorität päpstlicher als der Papst im Mittelal ter beansprucht und das Prinzip „Fiat iustitia et pereat mun dus“ sozusagen die Grundlage wird.

(Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)

Für die, die nicht wissen, was das heißt: „Fiat iustitia et pe reat mundus“ heißt sinngemäß: Es geschehe das Recht, es ge schehe Gerechtigkeit, ganz gleich, ob die Welt dadurch zu grunde geht oder nicht.

Meine Damen und Herren, dieses Prinzip steht bei diesen gan zen Diskussionen im Hintergrund. Es wird noch mehr im Hin

tergrund stehen, wenn es um den Spruch des Verwaltungsge richts Gelsenkirchen in Bezug auf den Wächter von bin La den geht. Wer dieses Prinzip verteidigt, der verteidigt nicht den Rechtsstaat, sondern der zerstört ihn, meine Damen und Herren.

Danke schön.

(Zuruf: Unterirdisch!)

Meine Damen und Herren, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Ak tuelle Debatte beendet und Punkt 1 der Tagesordnung erle digt.

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Für eine nachhaltige und zielorientier te Gemeinsame Agrarpolitik – im Interesse von bäuerli cher Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz in BadenWürttemberg – beantragt von der Fraktion GRÜNE

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 50 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die Aussprache steht eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion zur Verfügung. Ich darf die Mitglieder der Landes regierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Rede zeitrahmen zu halten.

Schließlich darf ich an dieser Stelle wie immer auf § 60 Ab satz 4 der Geschäftsordnung verweisen, wonach im Rahmen der Aktuellen Debatte die Aussprache in freier Rede zu füh ren ist.

In der Aussprache erteile ich nun für die Fraktion GRÜNE Herrn Abg. Hahn das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 2. Juni hat Agrarkommissar Hogan in Brüs sel seine Vorschläge zur Zukunft der Gemeinsamen Agrarpo litik Europas – kurz GAP – vorgestellt. Ich glaube, heute ist ein guter Zeitpunkt, um uns in Baden-Württemberg als wich tigem Land innerhalb der Europäischen Union Gedanken zu machen: Was heißt das für uns? Was kommt da auf uns zu? Wie wird das für uns wirken?

Ein paar Worte zur Geschichte: Die Gemeinsame Agrarpoli tik Europas war immer ein zentrales Element des europäischen Einigungsprozesses. In der aktuellen Förderperiode, die von 2013 bis 2020 läuft, stehen mit rund 58 Milliarden € rund 40 % des EU-Budgets für die Gemeinsame Agrarpolitik be reit, das sind rund 5,8 Milliarden € pro Jahr, davon – das ist ja aufgeteilt in zwei Säulen; dazu kommen wir nachher noch – rund 4,6 Milliarden € in der ersten Säule und rund 1,2 Mil liarden € in der zweiten Säule.

Nun hat sich einiges getan. Herr Hogan hat die Ziele der Ge meinsamen Agrarpolitik deutlich erweitert. Ich glaube, das ist gut so. Bislang standen im Zentrum dieser Gemeinsamen Ag rarpolitik eigentlich nur die Ernährungssicherung und die Ein kommenssicherung für die landwirtschaftlichen Betriebe. Die Zahl der Programmpunkte ist auf neun erweitert worden. Da runter sind nun Ziele wie der Schutz der biologischen Arten vielfalt, die Unterstützung benachteiligter Gebiete und der

Klimaschutz. Ich glaube, es ist sehr gut und ganz in unserem Sinn, dass diese Zielerweiterung stattgefunden hat. Das ist ein richtiger Schritt für ein Europa, das sich ganzheitlich diesem Thema zuwendet.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU – Abg. Martin Grath GRÜNE: Bravo!)

Nach den Vorschlägen für die neue GAP – es sind Vorschlä ge, die jetzt zur Diskussion auf dem Tisch liegen, und an der wollen wir uns jetzt beteiligen – stehen noch 30 % des gesam ten EU-Haushalts für diesen Bereich zur Verfügung. Nominal ist die Höhe ungefähr gleich. Eine kleine Abschmelzung hat stattgefunden. In der ersten Säule macht sich diese Abschmel zung kaum bemerkbar, in der zweiten Säule sehr stark; da geht es – je nach Rechenmethode und Rechenart – um einen Rück gang von bis zu 28 %. Das stimmt uns derzeit sehr kritisch. Wir sehen da noch Diskussionsbedarf, wie das Geld, das wir in diesem Bereich ganz dringend brauchen, in Zukunft wie der bereitgestellt werden kann. Das ist eine große Aufgabe für uns.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Diese Abschmelzung in der zweiten Säule ist für unser Bun desland natürlich erst mal ein fatales Signal. Wir haben letz tes Jahr in großer Einmütigkeit die Programme im Bereich der Agrarumwelt stark verbessert. Wenn man heute durch das Land fährt, dann sieht man, dass das, was wir letztes Jahr be schlossen haben, in diesem Jahr schon wirkt. Wir haben deut lich mehr Blühstreifen, wir sehen deutlich mehr Sinnbilder für Ökologie, wie Insekten – das ist das, was wir in unserer Natur- und Kulturlandschaft brauchen. Das sind alles Maß nahmen, die über die zweite Säule finanziert werden. Wenn die Mittel für diesen Bereich weniger werden anstatt mehr, dann haben wir ein Problem. Da sehen wir einen massiven Widerspruch, den es zu klären gilt. Dieser Punkt ist aktuell nicht schlüssig.

Man muss das – für diejenigen, denen die Begriffe „erste Säu le“ und „zweite Säule“ nicht viel sagen – ungefähr so be schreiben: Über die erste Säule findet die Einkommenssiche rung für die Landwirtinnen und Landwirte statt. In der zwei ten Säule ist alles enthalten, was für die Zukunft der Agrarpo litik, der agrarischen Welt von Bedeutung ist, nämlich Bil dung, Fortbildung, Beratung, Investitionen und der Bereich Agrarumwelt. Darum ist eine kleinere zweite Säule für uns auf jeden Fall nicht hinnehmbar. Es muss ein großes Ziel von uns allen sein, eine Abschmelzung der zweiten Säule zu ver hindern.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU – Abg. Martin Grath GRÜNE: Jawohl!)

Das Paket enthält Maßnahmen, die uns sehr interessant er scheinen, die man aber auch bewerten muss. Die Diskussion um Kappung und Degression halten wir für richtig. Um sie einzujustieren, muss uns klar sein, dass das in Baden-Würt temberg kein großes Thema ist. Jeder, der das Internet bemüht und mal nachschaut, sieht: Es handelt sich um zwei gute Handvoll Betriebe, die davon betroffen wären. Das wird für uns keine großen Ausgleichsmöglichkeiten bringen können.

Das Potenzial der Umschichtungen auf diesem Weg: 15 % Re gelumschichtungen in beide Richtungen. Und – das ist für uns

sehr wertvoll – der darüber hinausgehende Bereich weiterer Umschichtungen von der ersten in die zweite Säule für den Bereich Klima und Naturschutz ist für uns ein wichtiges und richtiges Signal. Aber das ist bis jetzt noch eine große Taube auf dem Dach. Sie herunterzuholen und in die politische Wirk lichkeit zu bringen ist für uns eine große Aufgabe, obwohl wir diese Maßnahmen in unserem Land sehr dringend brauchen, um die Bäuerinnen und Bauern zu unterstützen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Auch die anderen Maßnahmen wie die stärkere Unterstützung der ersten Hektar sind für ein Bundesland mit einer kleinstruk turierten Landwirtschaft wie Baden-Württemberg wichtig. Herr Minister, ich glaube, das können wir gut machen; das ist wichtig. Aber man muss sehen, dass 710 Millionen € in einer Förderperiode in der zweiten Säule für Baden-Württemberg – wenn es um diese Dimension der Kürzung ginge – – Dann fehlen uns in Zukunft jährlich um die 20 bis 25 Millionen € für die Ausstattung der zweiten Säule, um all das zu bezah len, was unsere Landwirtschaft besser in die Zukunft bringt. Ich glaube, das ist für uns zu viel. Da haben wir ein großes Problem. Wir brauchen in der zweiten Säule nicht weniger, sondern mehr Geld. Wie wir das bei diesen Grundlagen hin bekommen, ist mir noch nicht ganz klar. Deshalb ist es gut, darüber zu einem frühen Zeitpunkt zu diskutieren, damit wir uns auf allen Ebenen Richtung Brüssel dafür einsetzen kön nen, das besser hinzukriegen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU – Zuruf von den Grünen: Richtig!)

Zur Renationalisierung der Agrarpolitik – das ist ja ein Schlag wort – stellen sich einige Fragen: Ist sie konform mit Euro pa? Ist Renationalisierung der Agrarpolitik gegen oder für Eu ropa? Das ist für mich eine Frage, die ich offen diskutiere. Wichtig für Renationalisierung bei den Maßnahmen ist ein Europa, das eine klare Zielsetzung hat. Wenn klar definiert ist, was diese Zielsetzung den verschiedenen Bereichen abfordert, ist es wohl auch sinnvoll, dass die Maßnahmen durchaus auch national umgesetzt werden sollen. Denn ich kann mir durch aus vorstellen, dass unterschiedliche Maßnahmen sinnvoll sind, um hier oder in Portugal ein Ziel zu erreichen. Dagegen will ich mich nicht wenden. Aber zentrale Grundlage ist, in Europa ein zentrales Ziel zu formulieren, was wir von unse rer Agrarwelt draußen, von unserer Kulturlandschaft an Leis tungen erwarten. Ohne diese gemeinsame Zielsetzung ist Re nationalisierung Unsinn.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU – Zuruf von den Grünen: Richtig!)

Die Fragen des Bürokratieabbaus sind natürlich mitbehandelt. Und ein zentrales Element in dieser neuen Form ist, dass Eu ropa, die Europäische Kommission sich nicht mehr direkt selbst mit den Antragstellern auseinandersetzen will.

Das heißt – das fordert der baden-württembergische Rech nungshof schon seit Jahren ein –, dass der Bereich, in dem kleine Beträge zurückgefordert oder gutgeschrieben werden müssen, kleiner wird, wir ihn nicht mehr brauchen und wir selbst gegenüber den Antragstellern in der Verantwortung ste hen. Das ist ein guter Schritt, ein guter Ansatz.

Zentral wichtig ist natürlich die Frage: Was erwartet Europa oder die Europäische Kommission von den Nationalstaaten oder den Bundesländern im Sinne von Kontrolle und Anfor derung? Erst daraus wird klar, ob wir mehr oder weniger Bü rokratien bekommen. Wir sind noch auf dem Weg und arbei ten daran. Die Wiese ist noch nicht gemäht, wie man so schön sagt.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Für uns Grüne ist klar, unser zentrales Motto ist: Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen. Das ist für uns das Wichtigs te, um mit diesem Prinzip das, was wir politisch anstreben, mit unseren Mitteln auch politisch umzusetzen. Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen ist das, was wir brauchen. Ich werbe als Grundmaßnahme dafür, dass wir dieses Ziel mitei nander unterstützen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Auf diesem Weg müssen wir, glaube ich, die Themen der Di gitalisierung auch offen angehen. Es ist wichtig, dass die neue Agrarpolitik das Thema Digitalisierung fokussiert, dass die neue agrarpolitische Phase die Bäuerinnen und Bauern auf dem Weg der Digitalisierung begleitet und unterstützt. Das kann etwa das Thema Vermarktung sein, wo ganz viel mög lich ist, wo wir neue Formate wie „Kauf ne Kuh“ oder „Markt schwärmer“ haben, wo für Bäuerinnen und Bauern ein ganz neues Vermarkten möglich ist und von Verbraucherinnen und Verbrauchern neue Qualitäten abgefragt werden können. Ver marktung ist das eine Feld.

Das zweite Feld ist das des Precision Farming, des präzisen Ausbringens von Düngemitteln und Pflanzenschutzmitteln. Auch das ist ein wichtiger Bereich.

Nicht zu vergessen: Auch der ökologische Bereich ist zwin gend darauf angewiesen, bei der Digitalisierung unterstützt zu werden. Wir sind bei einem Schritt, bei dem technische Un krautbekämpfung völlig anders aussieht als in den letzten 200 oder 500 Jahren. Dieser Schritt muss begleitet werden, damit es vorangeht, gerade auch im ökologischen Bereich. Deshalb möchte ich massiv dafür werben, dass wir die Digitalisierung nicht außer Acht lassen, sondern als wichtigen Punkt für uns mitnehmen.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Sehr gut!)