Protokoll der Sitzung vom 19.07.2018

Guten Morgen, meine Damen und Herren! Ich eröffne die 68. Sitzung des 16. Landtags von Baden-Württemberg.

Von der Teilnahmepflicht befreit sind Herr Abg. Berg, Herr Abg. Dr. Lasotta und Herr Abg. Renkonen.

Aus dienstlichen Gründen entschuldigt haben sich bis 11:30 Uhr Frau Staatssekretärin Schütz, ab 14:30 Uhr Herr Minis terpräsident Kretschmann und ab ca. 15:45 Uhr Herr Minis ter Lucha. Außerdem ist Herr Staatsminister Murawski ganz tägig entschuldigt.

Im E i n g a n g befindet sich die Mitteilung des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) – Information der Landesparla mente über die wirtschaftliche und finanzielle Lage des ZDF –, Drucksache 16/4492. Ich schlage vor, die Mitteilung an den Ständigen Ausschuss zu überweisen. – Es erhebt sich kein Wi derspruch. Dann ist es so beschlossen. Vielen Dank.

Meine Damen und Herren, wir haben heute zwei Geburtstags kinder in unseren Reihen. Liebe Frau Erikli, im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich Ihnen sehr herzlich zu Ihrem Ge burtstag. Alles Gute!

(Beifall bei allen Fraktionen)

Mein herzlicher Gruß gilt natürlich auch Herrn Minister Her mann, der ebenfalls heute Geburtstag hat. Ihnen beiden wün sche ich alles Gute, viel Glück und Gesundheit.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung ein treten, kommen wir noch zu der Verabschiedung eines lang jährigen Mitglieds unseres Parlaments. Herr Abg. Dr. Fried rich Bullinger hat mir mit Schreiben vom 12. Juli 2018 mit geteilt, dass er sein Mandat mit Ablauf des 31. Juli 2018 nie derlegt.

(Oh-Rufe – Abg. Sabine Wölfle SPD: Was machen wir dann in der Fragestunde?)

Lieber Herr Dr. Bullinger, damit vergeben Sie die Chance auf einen Spitzenplatz in dieser Wahlperiode. Denn momentan liegen Sie noch unangefochten vorn, wenn es um Mündliche Anfragen an die Landesregierung geht.

(Heiterkeit und Beifall bei allen Fraktionen)

Auch heute Nachmittag steht noch eine Frage von Herrn Abg. Dr. Bullinger auf der Tagesordnung. Ehrlich gesagt, solange ich im Landtag bin – das sind immerhin schon sieben Jahre –,

kann ich mich an keine Fragestunde erinnern, in der Herr Dr. Bullinger nicht mindestens eine Mündliche Anfrage hatte.

Nicht nur diese Statistik zeigt: Sie sind ein Abgeordneter, der es genau wissen will und hartnäckig dranbleibt. Sie blicken dabei über den Tellerrand oder, besser gesagt, nach Bayern. Ihre Initiativen zielen oft auf mehr grenzüberschreitende Zu sammenarbeit – sei es im Nahverkehr, im Tourismus oder im Rettungswesen. Das ist einerseits logisch: Sie wohnen nahe an Bayern. Andererseits ist Ihre Laufbahn multikulti.

Nach der Ausbildung zum Landwirt haben Sie die Verwal tungslaufbahn im bayerischen Staatsdienst eingeschlagen. Das dortige Landwirtschaftsministerium hat Sie nach Stuttgart aus geliehen. Aber im Beamtenrecht gibt es keinen Doppelpass.

(Heiterkeit des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/ DVP)

Sie haben sich schließlich entschieden: für Baden-Württem berg.

(Beifall bei allen Fraktionen sowie auf der Regie rungsbank)

Im Landtag waren Sie bereits als Berater tätig, bevor Sie 2006 als Abgeordneter einzogen. Wie tief Sie sich in manche Ma terie eingearbeitet haben, erkennt man daran, dass mehrere In nenminister Sie unter dem Spitznamen „Heli-Fritzle“ kennen. Spitznamen verdient man sich mit nachdrücklichem Engage ment, und in diesem Fall ging es um die grenzüberschreiten de Zusammenarbeit, nämlich um die Notfallrettung per Hub schrauber.

(Abg. Winfried Mack CDU: Die die Bayern über nommen haben!)

Lieber Herr Dr. Bullinger, Sie werden Ihr Mandat abgeben, aber Ihr Engagement nicht aufgeben. Sie werden auch kom munal aktiv bleiben. Sie engagieren sich weiterhin für den Na turschutz. Auch als Vorsitzender des Turngaus Hohenlohe werden Sie in Bewegung bleiben.

Dabei wünsche ich Ihnen im Namen des ganzen Hauses viel Freude und Erfolg, und vor allem danke ich Ihnen im Namen des ganzen Hauses sehr herzlich für Ihr langjähriges und nach haltiges Wirken. Es war immer Humor mit dabei, und das ist auch gut in diesem Hause. Danke schön.

(Die Anwesenden spenden stehend lebhaften Beifall.)

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Handel 2030 in Baden-Württemberg – Perspektiven für einen Wirtschaftszweig im Wandel – be antragt von der Fraktion der CDU

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 50 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die Aussprache steht eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion zur Verfügung. Ich darf die Mitglieder der Landes regierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Rede zeitrahmen zu halten.

Schließlich darf ich auf § 60 Absatz 4 unserer Geschäftsord nung verweisen, wonach im Rahmen der Aktuellen Debatte die Aussprache in freier Rede zu führen ist.

Für die CDU-Fraktion erteile ich nun das Wort Herrn Abg. Paal.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute die letzte Plenarsitzung vor der sitzungsfreien Zeit. Für mich – und ich glaube, für uns al le – sind Plenarsitzungen, Plenardebatten immer ein besonde rer Anlass. Deshalb, Frau Präsidentin, vielen Dank für das Große Landeswappen, das wir natürlich alle gern und mit Stolz tragen. Ich nehme an, Sie haben es aus dem baden-würt tembergischen Handel beschafft; denn Tagesordnungspunkt 1 widmet sich genau diesem Thema. Das Thema der Aktuellen Debatte lautet: „Handel 2030“.

Das Thema klingt zunächst nicht nach einem Megathema. Aber wer sich damit beschäftigt, wer sich mit dem Handel in Baden-Württemberg beschäftigt, der erkennt sehr schnell, dass wir sehr intensiv nach dem Handel und seiner Zukunft schau en müssen. Da am 3. Juli dieses Jahres – also vor wenigen Ta gen – im Wirtschaftsministerium der Auftakt zum Dialogpro jekt „Handel 2030“ stattgefunden hat, ist eine Aktuelle De batte zu diesem Thema mehr als angebracht, und ich freue mich darauf – auch, um ganz bewusst den Handel in unserem Land in den Fokus unserer Blickrichtung, unserer Debatten zu rücken.

Wichtig ist mir, gleich zu Beginn zu sagen, dass die Heraus forderung für den Handel nicht auf das Thema Ladenöffnungs zeiten verengt werden darf. Wer das tut, der verkennt die wah re Herausforderung, vor der unser Handel steht.

Wir diskutieren hier, aber auch in der Gesellschaft permanent über Luftreinhaltung, über Fahrverbote, über die Transforma tion der Automobilindustrie, über die Digitalisierung, über In dustrie 4.0, über Wirtschaft 4.0, über Start-ups, über Wohn bau und vieles mehr. Das ist alles wichtig und richtig. Aber unser Handel steckt in der vermutlich größten Strukturverän derung seiner Geschichte, mitten in der Digitalisierung und der Globalisierung und auch inmitten eines sich verändern den Kaufverhaltens unserer Gesellschaft. Ich wage nicht zu beurteilen, welche Herausforderung die größere ist. Das ist aber auch überhaupt nicht wichtig, sondern wir tun gut daran, alle Veränderungen im Blick zu haben.

Der Handel wird aktuell – ich habe es gerade gesagt – durch die Digitalisierung herausgefordert. Dabei ist der Handel be reits seit Jahren mittendrin. Herausgefordert wird er durch den

Fachkräftemangel und durch die demografische Entwicklung. Aktuell gibt es in Deutschland 25 000 unbesetzte Ausbil dungsplätze im Handel; in Städten kommen Fahrbeschrän kungen, Fahrverbote. Davon mögen wir vielleicht die Händ ler ausnehmen können, aber die Kunden werden davon getrof fen.

Wir haben weitere Herausforderungen wie z. B. neue Ge schäftsmodelle, neue Vertriebswege, ein sich veränderndes Kundenverhalten. Die Generationen X, Y und Z stellen hier so manches auf den Kopf. Der Handel sieht sich einer sich weiter ausdehnenden Bürokratie gegenüber. Wir haben natür lich auch steigende Ladenmieten, die eine große Herausfor derung für den Handel sind.

Auch das Thema Ladendiebstahl sollten wir in den Fokus neh men. Hier wird aktuell das Thema Videoüberwachung für den Handel zu einer Herausforderung, die immer größere Er schwernisse bringt. Der Ladendiebstahl ist eine große Belas tung. Mehrere Milliarden Euro Schaden entstehen hierdurch in Deutschland. Das Ganze hat natürlich eine preissteigernde Wirkung. Damit trifft es nicht nur die Unternehmen, die Händ ler, sondern auch die Kunden durch höhere Preise. Um Eigen tümer und Mitarbeiter zu schützen, muss der Handel heute be reits Millionenbeträge investieren.

Wir erleben schon seit Langem einen anhaltenden Struktur wandel im Handel, wenn wir uns die großflächigen Betriebs formen, die verstärkt kommen, die Einkaufszentren und auch die Fachmärkte, die auf der grünen Wiese entstehen, anschau en. Die Zahl kleinerer Geschäfte mit weniger als fünf Mitar beiterinnen und Mitarbeitern geht leider zurück. Das ist un günstig für lebendige Einkaufsstraßen und natürlich auch schlecht für Ortszentren.

Die Zahlen, die man zum Handel liest, sind beeindruckend. In Relation etwa zur Automobilindustrie sieht man, wie wich tig uns der Handel sein muss. Der Onlinehandel wächst Jahr für Jahr zweistellig, der traditionelle Einzelhandel wächst hin gegen nur im niedrigen einstelligen Bereich. 3,16 Milliarden Pakete waren 2017 auf deutschen Straßen unterwegs. Ama zon hat jetzt einen Marktanteil von 46 %, auch wegen des Plattformmodells – von dem natürlich auch der traditionelle Handel profitiert.

Der Handel ist der drittgrößte Wirtschaftszweig in unserem Land. Mehr als eine halbe Million Mitarbeiterinnen und Mit arbeiter, sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, arbeiten im Handel. Das sind doppelt so viele wie in der Automobil industrie. 130 000 Einzelhandelsunternehmen, 18 000 Auszu bildende, ein jährlicher Umsatz von knapp 100 Milliarden € sind beeindruckende Zahlen.

Alles in allem zeigen sich enorme Herausforderungen, nicht nur für den Handel, sondern, wie ich meine, für die Gesell schaft insgesamt. Es muss uns gelingen, den stationären Ein zelhandel zu sichern, um damit gleichzeitig auch unsere Städ te und Dörfer attraktiv und lebenswert zu erhalten.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Deshalb hat die CDU-Landtagsfraktion gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium das Dialogprojekt „Handel 2030“ auf gelegt. Ich danke den Kolleginnen und Kollegen der grünen

Fraktion, dass sie von Anfang an dabei waren, und ich danke dem Wirtschaftsministerium, ich danke ganz besonders der Ministerin, dass sie sich dieses Themas annimmt und es zur Chefsache macht.

Der Strategieprozess „Handel 2030“ muss natürlich mit dem Vorgehen in der Europäischen Union und dem der Bundesre gierung synchronisiert werden. Zum Hintergrund: Die EUKommission hat im April 2018 ein Papier herausgegeben und damit einen Prozess gestartet, der als Ziel einen – ich zitiere – „den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gewachsenen eu ropäischen Einzelhandel“ hat. Die Bundesregierung hat 2017 die Ergebnisse einer Dialogplattform Einzelhandel veröffent licht.

Ziel des Dialogprojekts „Handel 2030“ in Baden-Württem berg soll sein, alle für den Handel wichtigen Beteiligten an ei nen Tisch zu holen und einen Strategiedialog zwischen Poli tik, Wirtschaft, Gewerkschaft, kommunalen Landesverbän den, Handelsverbänden, Kammern und Genossenschaften zu beginnen. Auch Praktiker vor Ort sollen beteiligt werden, die Einzelhändler direkt und auch die Betriebsräte. In Workshops – oder auf Deutsch Arbeitsgruppen – werden die genannten Themen in einem Dialogprozess erörtert.

Ich bin mir sicher, dass die Wirtschaftsministerin später im Detail die geplante Vorgehensweise erläutern wird. Ziele sind, dem Handel Möglichkeiten aufzuzeigen und Handlungsemp fehlungen zu erarbeiten. Die Ergebnisse der Workshops sol len dann in die Ausrichtung der mittelfristigen Wirtschaftspo litik unserer Landespolitik einfließen.

Insgesamt wollen wir die Wettbewerbsfähigkeit des Handels in unserem Land in jeder Form sichern. Wir können dabei nicht jedem Händler zeigen und sagen, was richtig und was falsch ist. Das sind unternehmerische Entscheidungen. Es wä re auch vermessen und falsch. Aber wir können Wege und Möglichkeiten aufzeigen und später die richtigen politischen Rahmenbedingungen schaffen.

Der Abschluss des Prozesses „Handel 2030“ ist für Anfang 2019 geplant, wobei ich betonen möchte, dass dieses Thema so wichtig ist, dass wir uns dabei nicht unter Zeitdruck setzen sollten; es kann im Dialog mit dem Handel durchaus auch et was länger dauern.

Der CDU-Landtagsfraktion ist die Zukunft des Handels sehr wichtig. Die Versorgung der Baden-Württemberger, der Bür gerinnen und Bürger im ländlichen Raum wie in den Städten in unserem Land, steht ganz oben auf der Prioritätenliste; es geht um die Attraktivität der Innenstädte, der Dörfer und um ein faires Nebeneinander von Onlinehandel und stationärem Einzelhandel.