Protocol of the Session on March 22, 2000

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Meine sehr geehrten Damen, meine Herren! Ich eröffne die 37. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Ihre Zustimmung voraussetzend, wurde die Genehmigung erteilt. Die nun folgende Regierungserklärung mit Aussprache wird von Hörfunk und Fernsehen des Bayerischen Rundfunks übertragen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich einen Glückwunsch aussprechen. Heute feiert Herr Kollege Dr. Manfred Schuhmann Geburtstag.

(Beifall)

Ich gratuliere ihm dazu im Namen des Hohen Hauses und persönlich sehr herzlich und wünsche ihm alles Gute und vor allen Dingen Kraft und Erfolg bei der Erfüllung seiner parlamentarischen Aufgaben.

Nun kommen wir zur Tagesordnung. Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 14

Regierungserklärung des Ministerpräsidenten

zum Thema „Förderalismus“

Im Einvernehmen mit den Fraktionen werden folgende Dringlichkeitsanträge in die Beratungen einbezogen:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Renate Schmidt, Güller, Dr. Heinz Köhler und anderer und Fraktion (SPD)

Entschließung: „Stärkung föderaler Strukturen“ (Drucksache 14/3203)

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Glück, Dr. Bernhard, Herrmann und anderer und Fraktion (CSU)

Das Subsidiaritätsprinzip als Zukunftsstrategie (Drucksache 14/3204)

Herr Ministerpräsident, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine sehr verehrten Herren! In diesem Jahr, dem Jahr 2000, steht Bayern, stehen die Länder, steht Deutschland vor einer Entscheidung von großer, ja von größter Tragweite für unsere Zukunft. Wir haben jetzt die Chance, dem Förderalismus in Deutschland neue Dynamik zu verleihen, ihn fit zu machen für die Zukunft. Auf unsere Klage hin hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil zum Finanzausgleich das Tor aufgestoßen für eine Reform des Förderalismus.

Die Ministerpräsidenten der Länder werden in einer Sonderkonferenz am Freitag und Samstag versuchen, die Weichen dafür zu stellen, dass der deutsche Förderalis

mus gestärkt und der Länderfinanzausgleich besonders gerecht gestaltet werden kann. Ich bitte dieses Hohe Haus auch heute um Rückenwind und Unterstützung für mehr Föderalismus in Deutschland, auch um Unterstützung der Positionen der Bayerischen Staatsregierung bei der Ministerpräsidentenkonferenz morgen und übermorgen. Förderalismus in Deutschland, das bedeutet mehr Kompetenzen und Entscheidungsmöglichkeiten auch für Sie, für die Parlamentarierinnen und Parlamentarier in diesem Hause. Nutzen wir diese Gelegenheit, meine Damen und Herren. Lassen wir das Jahr 2000 zum Jahr des Föderalismus werden! Machen wir es zum Jahr des Föderalismus!

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland hat Bayern alles getan, um den Förderalismus in Deutschland zu stärken. Uns wurde von vielen Ministerpräsidenten SPD-regierter Länder anerkennend zugestanden, wir, die Bayern, seien geborene Föderalisten, viele von ihnen seien gekorene. Wir haben Akzente gesetzt und sind keiner Diskussion aus dem Weg gegangen.

Jetzt endlich ist Bewegung in die Föderalismusdebatte gekommen. Seit der Ministerpräsidentenkonferenz vom Dezember 1998 und dem anschließenden Gespräch mit dem Bundeskanzler haben wir über die Parteigrenzen hinweg einen Grundkonsens darüber, dass das föderale System in Deutschland modernisiert werden muss. Dazu wurde eine Bund-Länder-Kommission eingesetzt. Grundkonsens ist auch, dass wir den Föderalismus gegenüber europäischen Begehrlichkeiten offensiv verteidigen müssen. Dass wir gemeinsam ein Stück „bundesrepublikanischer Kernsubstanz zu verteidigen...“ haben, das hat Herr Kollege Henning Scherf aus Bremen in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz im Februar vor dem Bundesrat in einer leidenschaftlichen Rede noch einmal unterstrichen, stellvertretend für alle Ministerpräsidenten.

Erlauben Sie mir, dass ich mich nun direkt an die Damen und Herren der Oppositionsfraktionen wende. Sie haben nach meiner Einschätzung die Reformbestrebungen der Staatsregierung zum Wohle Bayerns bisher nur mit dünnen Lippenbekenntnissen begleitet. Ich habe Ihre Kritik – um nicht zu sagen: Ihr Hohngelächter – noch im Ohr, Ihre Reaktion, als ich vor diesem Hohen Haus eine Neuordnung des Länderfinanzausgleichs forderte. Sie haben gegen unsere Forderung nach föderalem Wettbewerb polemisiert und unsere Klage gegen den Finanzausgleich als Irrweg abgetan. Fixiert auf Ihre Oppositionsrolle, war für Sie die Umverteilung wichtiger als die Wahrung berechtigter bayerischer Interessen.

(Beifall bei der CSU)

Was haben Sie uns nicht alles vorgeworfen! Die Palette reicht vom Vorwurf eines Mangels an Solidarität mit den anderen Ländern bis hin zur Unterstellung, wir würden Deutschland insgesamt schaden. Geradezu unfassbar ist es aber, dass Sie unsere erfolgreiche Klage vor dem Bundesverfassungsgericht noch immer ablehnen. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Das Bundesverfassungsgericht hat unsere Position im Kern bestätigt. Unsere Auf

fassung hat sich durchgesetzt. Das Gericht hat den Länderfinanzausgleich in seiner jetzigen Form als materiell verfassungswidrig verworfen.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Meine Damen und Herren von der Opposition, nach dem Urteil hatten Sie nicht einmal den Mut, Ihren Irrtum zuzugeben. Stattdessen haben Sie versucht, den Erfolg, den Bayern vor dem Bundesverfassungsgericht errungen hat, klein zu machen oder gar herunterzureden.

Nur weil wir dieses Urteil herbeigeführt haben, sitzen jetzt alle Länder am Verhandlungstisch. Vorher waren die Nehmerländer nicht zu Verhandlungen bereit.

Bei vielen Sozialdemokraten hat nach dem Urteil ein Umdenkungsprozess stattgefunden. Wenn ich Ihre Verlautbarungen lese, stelle ich fest, dass die Ministerpräsidenten der anderen Länder, die von der SPD oder von einer rot-grünen Koalition getragen werden, hier schon weiter sind als die Kolleginnen und Kollegen der bayerischen SPD. Ich kann es Ihnen nicht ersparen: Sie haben den Föderalismus nach wie vor nicht verinnerlicht. Was aber noch schlimmer ist: Sie haben noch nicht begriffen, dass die Reform des Föderalismus gut für Bayern und damit gut für die Länder ist.

(Beifall bei der CSU)

Ich möchte in die Regierungserklärung auch einen Vorwurf aufnehmen. Sie argumentieren immer wieder, wir würden nur auf der Ebene der Bundesrepublik Deutschland dem Föderalismus und der Subsidiarität das Wort reden. Sie werfen uns vor, wir wären in Bayern dagegen zu zentralistisch und würden den Kommunen zu wenig Spielraum geben. Dieser Vorwurf wird auch durch ständiges Wiederholen nicht zutreffender.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Hahnzog (SPD))

Sie übersehen bewusst, dass die Bayerische Staatsregierung die kommunale Selbstverwaltung durch eine Vielzahl von Maßnahmen gestärkt hat, zum Beispiel bei der wirtschaftlichen Betätigung der Gemeinden, durch die Möglichkeit der Budgetierung und durch die Umwandlung der Rechtsaufsicht in eine Ermessensaufsicht. Sie ignorieren, dass die bayerischen Kommunen finanziell zum Teil erheblich besser gestellt sind als die Kommunen in allen übrigen Ländern der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Wir wollen die Eigenverantwortlichkeit der Kommunen weiter stärken. Entsprechend dieser Ankündigung im Regierungsprogramm der Staatsregierung werden wir eine Bestandsaufnahme des kommunalen Finanzausgleichs durchführen. Wir werden in enger Abstimmung mit den kommunalen Spitzenverbänden dem Landtag einen noch leistungsgerechteren Finanzausgleich vorschlagen. Unter Federführung des Finanzministers werden der Leiter der Staatskanzlei, der Innenminister und der für die Landesentwicklung zuständige Umweltminister entsprechende Vorschläge erarbeiten. Ich hoffe, dass

wir bereits im Herbst dem Hohen Hause einen entsprechenden Vorschlag vorlegen können.

Meine Damen, meine Herren, bei der ganzen Föderalismusdebatte muss es uns allen doch darum gehen, die Länder, die dynamischen Kräfte des Wettbewerbs und damit Deutschland als Ganzes zu stärken. Wenn wir Kompetenzen wieder auf die Länder zurückverlagern, dann sind alle Länder und Landesparlamente Gewinner. Wenn wir nicht handeln, dann ist nicht Bayern, sondern dann sind alle Länder Verlierer.

Mit der Neugestaltung der föderalen Ordnung verfolgt die Bayerische Staatsregierung vier Ziele:

Erstens. Mit der Reform des Föderalismus wollen wir der schleichenden Aushöhlung der föderativen Ordnung unseres Landes einen Riegel vorschieben. Wir wollen keinen „verkappten Zentralstaat“ mit föderaler Fassade!

(Beifall bei der CSU)

Der Föderalismus in seiner ursprünglichen Zielsetzung basiert auf der Eigenständigkeit der Länder – die Länder haben den Bund gemacht und nicht umgekehrt –; er braucht die Verantwortung und die Bürgernähe der Landespolitik. Er lebt von regionalen Unterschieden und einem fruchtbaren Spannungsverhältnis des Bundes zu den Ländern und der Länder untereinander.

Der Föderalismus in Deutschland hat sich aber leider 45 Jahre lang gegen diese Prinzipien entwickelt. Über Jahrzehnte hinweg hat die Verflechtung der politischen Kompetenzen zwischen Bund und Ländern und die Vermischung der Aufgabenfinanzierung die föderale Substanz geschwächt. Die Landesparlamente, wir alle in diesem Landtag, waren letztlich die Verlierer. In den letzten Jahrzehnten ging der Landespolitik Handlungsspielraum verloren, wurden die Gestaltungsmöglichkeiten der Landesparlamente bei der Gesetzgebung massiv beschnitten.

(Dr. Hahnzog (SPD): Durch den Bundesrat! Da waren Sie doch dabei!)

Ich denke hier an das Naturschutzrecht, an das Hochschulrecht und den Hochschulbau, die Beamtenbesoldung, das Recht des öffentlichen Dienstes oder den Sozialen Wohnungsbau. Hier schreibt uns der Bund in detailliertesten Regelungen vor, was wir zu tun haben.

Wir alle, Länderregierungen und Landtage, Abgeordnete und Mitglieder der Regierungen, wir alle wollen mehr Gestaltungsmöglichkeiten für die Länder und für die Landesparlamente. Die Abgeordneten dieses Hohen Hauses wissen wegen ihrer Sachnähe am besten, was gut für Bayern ist. Sie sind die ersten Ansprechpartner für die Bürgerinnen und Bürger, und zwar oft über die Kompetenzen dieses Hauses hinaus. Wir möchten mit unserer Initiative dazu beitragen, dass Sie als Abgeordnete wieder mehr Entscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten haben. Der Bayerische Landtag hat mit der Einsetzung einer Enquete-Kommission seine Bereitschaft unterstrichen, an einer Reform des deutschen Föderalismus aktiv mitzuarbeiten.

Meine Damen, meine Herren, sorgen wir gemeinsam dafür, dass die Landtage Kompetenzen und Entscheidungsmöglichkeiten wieder zurückerhalten!

(Beifall bei der CSU – Dr. Hahnzog (SPD): Das haben Sie 1994 doch alles selbst ausgedünnt!)

Zweitens. Mit der Reform des Föderalismus wollen wir auch die zunehmende Verflechtung und die Verkrustung der politischen Struktur in Deutschland aufbrechen. Die komplexe Verflechtung von Zuständigkeiten und Kompetenzen steht im Widerspruch zum demokratischen Gebot der klaren Zuordnung politischer Verantwortung.

Nehmen wir das Beispiel Bundesbahn. Das ist gegenwärtig ein aktuelles Thema. Wer durchschaut schon die Aufteilung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten zwischen Bahn AG, Bund und Land bei den S-Bahnen? Der Pendler, der auf seinen Zug wartet, weiß letzten Endes nicht, wer dafür verantwortlich ist und an wen er sich halten kann und soll.

(Dr. Hahnzog (SPD): Wer hat das denn gemacht?)

Darum geht es doch gar nicht! Nehmen wir das Beispiel Hochschulen. Welcher Bürger weiß schon, dass wir Hochschulneubauten nur mit Zustimmung des Bundes in Angriff nehmen können? Nehmen wir das Beispiel der Oberstufe an den Gymnasien. Wer weiß denn schon, dass hier Veränderungen erst nach langwierigen und oft zähen Verhandlungen im Rahmen der Kultusministerkonferenz möglich sind? Das ist so, trotz unserer ureigensten Zuständigkeit, trotz der Kulturhoheit. Inzwischen gibt es über tausend solcher Konferenzen, Kommissionen und Verhandlungszirkel von Bund und Ländern.