Die Bürgerinnen und Bürger durchschauen dieses Geflecht und diese Strukturen nicht mehr. Das ist auch ein Ergebnis des Gleichheitswahns der letzten Jahre und Jahrzehnte in Deutschland. Wir brauchen wieder mehr Mut zur Vielfalt.
Die Bürgerinnen und die Bürger unseres Landes wollen wissen: Diese Entscheidung hat der Deutsche Bundestag getroffen, dafür trägt er die Verantwortung. – Das ist ein Beschluss des Bayerischen Landtags. Dafür steht er gerade. Das ist es, was ich unter politischer Verantwortung verstehe. Deshalb brauchen wir eine klarere Verteilung der Kompetenzen auf Bund und Länder,
Drittens. Die Revitalisierung des Föderalismus ist eine Antwort auf den zunehmenden Zentralismus in Europa. Das hat mit Europafeindlichkeit überhaupt nichts zu tun. Wenn aber Herr Prodi den Ministerpräsidenten erklärt, die Frage der technischen Ausstattung und des Internetzugangs der Schulen sei eine Aufgabe der Europäischen Union, nicht aber eine Aufgabe der Nationen oder gar der Regionen in Europa, dann ist das ein beachtlicher Vorgang. Wenn man das akzeptiert und sich diese
Vorstellungen durchsetzen, dann braucht man langfristig keine Parlamente mehr, weil es dann zur Durchführung von europäischen Entscheidungen genügt, besonders effiziente Regierungen oder Organisationen zu haben.
Darüber müssen wir diskutieren. Der notwendige europäische Einigungsprozess hat tiefgreifende Konsequenzen für den Handlungsspielraum der Länder in der Bundesrepublik Deutschland oder der Regionen innerhalb Europas.
Durch übermäßige Reglementierung und Überdehnung ihrer Kompetenzen beschneidet die Europäische Union empfindlich den Gestaltungsspielraum der Regionen und Länder. Das gilt für die Regionalförderung, in der uns die Europäische Union vorschreibt, wen und in welchem Umfang wir in unserem eigenen Land mit unserem eigenen Geld fördern dürfen. Das gilt ebenso für die FFH-Richtlinie, die für ganz Europa neue Schutzgebiete fordert. In Brüssel ist sie entwickelt worden, und sie greift tief in die Landesentwicklung ein. Wir müssen uns dem Unmut vor Ort stellen und mit den Menschen intensiv reden. Aber die zuständige Kommissarin hält es nicht einmal der Mühe wert, nach Bayern zu kommen, um mit den Menschen in Bayern über diese Entscheidungen zu reden. Wir sind für effektiven Naturschutz, und wir trauen uns zu, darüber besser entscheiden zu können als irgendeine Kommissarin in Europa.
Das gilt auch für die Absicht der Europäischen Kommission, das öffentlich-rechtliche Kreditwesen in Deutschland abzuschaffen. Die Daseinsvorsorge hat in Deutschland einen hohen öffentlich-rechtlichen Charakter. Die Europäische Kommission will diese privatisieren und dem internationalen Wettbewerb aussetzen. Sie stellt damit die Landesbanken und die Sparkassen in Frage. Aber gerade diese sind unverzichtbare Partner für die mittelständischen Unternehmen in allen Landesteilen. Angesichts von Großfusionen im Bankenbereich mit dem Wegfall von Arbeitsplätzen und Filialen wird diese ortsnahe Versorgung umso wichtiger. Wenn sich die Europäische Kommission mit ihren Vorstellungen durchsetzt, dann trifft sie jedenfalls in unserem Land den Mittelstand und das Handwerk und damit das wirtschaftliche Rückgrat unseres Landes ganz entscheidend.
Nicht alle Länder in Europa – man muss differenzieren – haben einen so hohen Besatz an mittelständischen Unternehmen. In Deutschland liegt der Anteil der mittelständischen Unternehmen bei etwa 85 bis 90%. Die Strukturen in Frankreich oder in Spanien sind völlig anders. Es mag vielleicht für Spanien angehen, dass man sich aus der Fläche zurückzieht, was die Filialpolitik anbelangt. Für Bayern ist das aber mit Sicherheit der falsche Weg. Wer diese Politik bekämpft, der will, dass sich
Es gibt in diesem Land Aufgaben und Strukturen, die wir aus gutem Grund nicht dem freien Markt überlassen. Dazu gehören etwa der öffentlich-rechtliche Rundfunk, Sozialdienste oder Privatschulen. Darüber wollen wir auch künftig selbst entscheiden und sie nicht dem Einheitswahn von Eurokraten opfern.
Ich denke hier auch an das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, wonach ein genereller Ausschluss von Frauen vom Dienst an der Waffe gegen die Gleichbehandlungsrichtlinie der Europäischen Union verstößt. Es geht mir dabei nicht um den Inhalt. Ich bin der Meinung, dass damit die Europäische Union und der EuGH direkt in unser Verfassungsrecht und damit in unsere nationale Souveränität eingreifen. Ob Frauen in der Bundeswehr Dienst an der Waffe leisten sollen, ist vor dem Hintergrund unserer Geschichte eine gesellschaftspolitische Entscheidung. Sie steht meines Erachtens allein den demokratisch legitimierten Verfassungsorganen in Deutschland zu, also dem Bundestag und dem Bundesrat, nicht aber in erster Linie der Europäischen Kommission oder dem Europäischen Parlament.
Wohin europäische Kompetenzanmaßung führen kann, zeigt sich am Beispiel Österreich. Das habe ich oft gesagt. Der Sanktionsbeschluss der 14 EU-Staaten gegen unseren Nachbarn ist eine unerträgliche und beispiellose Einmischung in die ureigensten inneren Angelegenheit eines zutiefst demokratischen und rechtsstaatlichen Landes.
Viertens. Die Revitalisierung des Föderalismus ist unsere Antwort auf die Globalisierung. Der weltweite Wettbewerb der Wirtschaft hat dazu geführt, dass nicht nur die Volkswirtschaften, sondern auch die Standorte miteinander im Wettbewerb stehen. Das verlangt von den Nationen und den Regionen hohe Flexibilität, Innovationsfähigkeit, Anpassungsbereitschaft und vor allen Dingen Anpassungsfähigkeit. Wer in diesem Wettbewerb erfolgreich sein will, muss in der Lage sein, schnelle und maßgeschneiderte politische Entscheidungen in der Region vor Ort zu treffen. Zentralistische Entscheidungsstrukturen sind dafür nicht nur zu schwerfällig; sie verhindern geradezu einen produktiven und kreativen Wettbewerb der Standorte und Regionen.
Wo wir in Bayern selbst entscheiden können, zum Beispiel bei der Förderung der neuen Technologien und der Medien, dort haben wir größte Erfolge erzielt. Wäre zum Beispiel die Medienpolitik in toto des Bundes, dann hätten wir mit Sicherheit in Bayern nicht eine solch große Vielzahl an lokalen Rundfunkstationen, weil im Zentrum nur ein Interesse an landesweiten Ketten bestanden hätte, nicht aber an lokalen Ketten. Bayern und andere Länder in Deutschland haben sich da unterschiedlich entwickelt. Das zeigt, wie wichtig es ist, vor Ort in wichti
gen Lebensfragen entscheiden zu können. Diese Struktur ist bei uns auch besser als in anderen Ländern.
Es ist unbestreitbar, dass Bayern heute eine erste Adresse in Forschung, Wissenschaft und Technologie ist. Wir haben unsere Gestaltungsmöglichkeiten optimal genutzt. Das zeigt, was der Föderalismus leisten kann. Dass wir heute in einer besseren Situation als vor 40 Jahren sind, verdanken wir in hohem Maße der Politik in diesem Lande. Die Kraft der Politik in Bayern hat dazu geführt, dass sich Bayern hervorragend entwickelt hat.
Auf dem langen Weg zu einem modernen wettbewerbsoffenen Föderalismus haben wir ein erstes Etappenziel erreicht. Wir haben 1994 unter tatkräftiger Mithilfe von Bayern erreicht, dass die Artikel 72 Absatz 2 und Artikel 75 des Grundgesetzes, in dem es um die Rahmengesetzgebung und die konkurrierende Gesetzgebung geht, also um die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern, neu gefasst worden sind. In Verbindung mit Artikel 125 a des Grundgesetzes können die Länder jetzt an den Bund abgegebene Kompetenzen zurückbekommen. Unter maßgeblicher Mitwirkung Bayerns wurde der Artikel 23 neu ins Grundgesetz eingefügt. Die Länder sitzen seitdem in Brüssel mit am Verhandlungstisch, wenn es um ihre Zuständigkeiten geht.
Wir haben damit die unmittelbare Mitwirkung der Länder in den europäischen Entscheidungsgremien erreicht. Das ist ein epochaler Wechsel. Dafür haben wir in zähen Verhandlungen leidenschaftlich gekämpft.
Das Ziel der Staatsregierung ist ein Wettbewerbsföderalismus; damit stehen wir aber in Widerspruch zur Bundesregierung, zumindest zum Bundeskanzler. Erfolgreiche Landespolitik muss sich für das Land und für die Menschen, die hier leben, auszahlen. Es kann doch nicht sein, dass die Erfolge einer guten und modernen Landespolitik weitgehend in den föderalen Ausgleichssystemen verschwinden. Es kann doch nicht sein, dass Bayern durch den Finanzausgleich in der Finanzkraft bei einem Pro-Kopf-Vergleich von Platz vier auf Platz zwölf zurückfällt.
Bei unserem Werben für mehr Föderalismus in Deutschland haben wir – das sage ich frank und frei – keinerlei Unterstützung durch die Opposition im Landtag erhalten. Im Gegenteil, Sie haben uns vorgeworfen, ich bzw. wir würden mit dieser Politik Bayern „ins weißblaue Reservat“ zurückführen. Frau Schmidt, so haben Sie sich auszudrücken beliebt. Sie behaupteten, wir stünden mit unserer föderalen Politik „mutterseelenallein“. Sie haben sich dabei wieder einmal geirrt. Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen
ziehen mit uns an einem Strang. Die Bevölkerung dieser Länder zählt weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschlands.
Die Reform des Föderalismus ist keine Kontroverse zwischen SPD-regierten und unionsregierten Ländern; sie ist eine Frage des Selbstbewusstseins und des Gestaltungswillens der Länder schlechthin. Wir setzen auf einen selbstbewussten Föderalismus.
Auch unsere Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den bestehenden Länderfinanzausgleich stieß auf anhaltenden Widerstand bei der Opposition in diesem Haus. Die Grünen verstiegen sich sogar zu der Aussage, Bayern stünde jetzt „als Neidhammel der Nation da“, wir hätten unseren Ruf „gründlich ruiniert“. So lautete Ihr Vorwurf. Einem größeren Irrtum konnten Sie nicht unterliegen.
Natürlich können Sie uns sagen, wir hätten verhandeln, nicht klagen sollen. Das haben wir ja jahrelang versucht. Da aber kein Land bereit war, mit uns in Verhandlungen einzutreten, und wir den Länderfinanzausgleich für verfassungswidrig hielten, mussten wir das letzte Mittel ergreifen. Nun hat das Bundesverfassungsgericht auf die Klagen Bayerns, Baden-Württembergs und Hessens den Länderfinanzausgleich in seiner jetzigen Form für verfassungswidrig erklärt. Das Gericht hat der Politik für die Umsetzung seiner Vorgaben enge und verpflichtende Fristen gesetzt. Jetzt befinden wir uns in einer besseren Position. Einigen sich die Länder bis Ende 2002 nicht auf neue Maßstäbe für den Länderfinanzausgleich – so lange ist diese Frist nicht mehr –, dann entfällt er schon zum 1. Januar 2003 ersatzlos.
Meine Damen und Herren, Tatsache ist, dass Bayern im letzten Jahr über 3 Milliarden Mark in den Länderfinanzausgleich gezahlt hat. Das ist keine Kleinigkeit. Das sind rund 5% des bayerischen Gesamthaushalts. Das ist mehr als das, was wir 1999 in Bayern für Familien-, Sozial- und Jugendhilfe ausgeben konnten. Das ist fast der gesamte Sozialetat oder deutlich mehr als das, was wir für die bayerische Landwirtschaft ausgeben.
Ich habe es nie verstanden, dass Sie, meine Damen und Herren von den Oppositionsparteien, unsere Klage gegen den Finanzausgleich in seiner jetzigen Form ständig kritisieren. Unser Ziel war es gerade nicht, ihn abzuschaffen. Wir wollen es doch gar nicht so weit kommen lassen, dass er ab 1. Januar 2003 ersatzlos wegfällt. Unser Ziel ist vielmehr ein fairer und gerechter Finanzausgleich, der bayerische Interessen mehr berücksichtigt. Auch der Opposition muss
es doch um die Vertretung bayerischer Interessen gehen. Bayern will sich keinesfalls aus der Solidarität stehlen, wie es gerne von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, behauptet wird. Der Vorwurf der Entsolidarisierung ist ein Totschlagsargument. Mit gewissem Erstaunen lese ich Ihren Entschließungsantrag. Ich zitiere daraus:
... der Länderfinanzausgleich darf nicht dazu beitragen, aus reichen arme und aus armen reichere Länder zu machen.
Dieser Meinung sind wir ja schon lange. Ihr Verständnis von Solidarität, dass arme Länder nicht reicher werden sollen, halte ich allerdings für absurd.
(Beifall bei der CSU – Glück (CSU): Die SPD ist für allgemeine Besitzstandswahrung bei Arm und Reich!)
Unser Programm heißt Solidarität und Wettbewerb, und das hat nichts mit Verdrängungswettbewerb zu tun. Föderalismus heißt doch auch Solidarität mit den Schwächeren, aber mit dem Ziel, sie dauerhaft zu stärken. Eine Kette ist so stark wie ihr schwächstes Glied. Wir wollen eine starke Kette. Wir bekennen uns ausdrücklich zu unserer Solidarität mit den neuen Ländern. Im Gegensatz zu vielen Kleingläubigen aus den Reihen der Oppositionsparteien waren wir stets für die Einheit Deutschlands, und wir sind heute für eine nachhaltige Stärkung der neuen Länder. Die Reformen, die wir anstreben, werden deshalb in besonderer Weise der Situation der neuen Länder Rechnung tragen.