Unser Programm heißt Solidarität und Wettbewerb, und das hat nichts mit Verdrängungswettbewerb zu tun. Föderalismus heißt doch auch Solidarität mit den Schwächeren, aber mit dem Ziel, sie dauerhaft zu stärken. Eine Kette ist so stark wie ihr schwächstes Glied. Wir wollen eine starke Kette. Wir bekennen uns ausdrücklich zu unserer Solidarität mit den neuen Ländern. Im Gegensatz zu vielen Kleingläubigen aus den Reihen der Oppositionsparteien waren wir stets für die Einheit Deutschlands, und wir sind heute für eine nachhaltige Stärkung der neuen Länder. Die Reformen, die wir anstreben, werden deshalb in besonderer Weise der Situation der neuen Länder Rechnung tragen.
Meine Damen, meine Herren, wir täuschen uns nicht über die Schwierigkeiten, die uns bei diesen Verhandlungen erwarten. Wir haben jetzt die Chance, den Länderfinanzausgleich zusammen mit dem Föderalismus in Deutschland entschlossen und zügig zu reformieren. Beides gehört zusammen. Wir wollen einen fairen Finanzausgleich und einen vitalen Wettbewerbs-Föderalismus. Es ist gut, dass Bayern der Arbeitsgruppe der Ministerpräsidenten über die Grundsätze des Föderalismus und über die Grundsätze der Finanzverfassung vorsteht. Die Kollegin und die Kollegen aus den anderen Ländern haben Bayern das Vertrauen gegeben, entsprechende Vorschläge zu erarbeiten. Das ist eine Anerkennung der föderalen Kompetenz Bayerns, auch wenn dies manchmal von der Opposition bestritten wird.
Gerade der föderale Wettbewerb weckt Kreativität, spornt zu Leistungen an und bringt letztlich Vorteile für alle, für die Länder und für ganz Deutschland. Standortqualität wird in Europa schon längst in und durch die Regionen bestimmt. Im globalen Wettbewerb stehen sich nicht nur Branchen und Technologiefelder, sondern auch Regionen und Wirtschaftsräume wie London, München oder Mailand einander gegenüber. Ich stimme Kollegem Clement ausdrücklich zu, der sagt, dass es für ihn viel wichtiger sei, was in den Benelux-Staaten passiert,
denn die Vernetzung mit den Benelux-Staaten ist für Nordrhein-Westfalen sehr viel wichtiger als mit Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern. Hier finden Veränderungen statt. Wir haben frühzeitig erkannt, dass regionale Verpflichtungen unabhängig von Staatsgrenzen von einer ganz entscheidenden Bedeutung sind. Mit der bevorstehenden Reform wollen wir nicht die bestehende Gliederung des Bundesgebietes über Bord werfen. Insbesondere im Zusammenhang mit der Klage gegen den Finanzausgleich wurde uns vorgeworfen, wir wollten über das Geld Länder „auslöschen“ oder „abwürgen“. Das ist nicht unsere Absicht, und das ist auch falsch.
Globalisierung und Europäisierung stellen die Länder vor immer größere Aufgaben und Herausforderungen. Um hier zu bestehen, müssen sie aus sich heraus leistungs- und wettbewerbsfähig sein. Eine unterschiedliche Größe der Länder steht dabei nicht im Widerspruch zu einem lebendigen Wettbewerbsföderalismus. Erfolg ist heute, wie in der Wirtschaft, nicht nur eine Frage von Größe und Stärke, sondern auch von Schnelligkeit, Flexibilität und Innovation. Die US-Bundesstaaten sind für mich das beste Beispiel dafür.
Ob kleine Länder miteinander kooperieren oder sich gar zusammenschließen, wie mit Brandenburg und Berlin beabsichtigt, hängt aber einzig allein von den Bürgerinnen und Bürgern dieser Länder ab. Ich glaube, in der Zwischenzeit erkennen viele, dass der Zusammenschluss von Berlin und Brandenburg für das Land, das dadurch neu entstanden wäre, große Vorteile gehabt hätte. Jedenfalls ist das nach wie vor die Auffassung von Herrn Diepgen und Herrn Stolpe.
Wir verkennen auch nicht, dass in den 50 Jahren der Geschichte der Bundesrepublik Traditionen und Gefühle der Zusammengehörigkeit gewachsen sind. Gerade das Beispiel der Wiedervereinigung Deutschlands zeigt die Stärke der historischen und emotionalen Bindungen an die Länder als Heimat. Wir bejahen das als eine der Grundlagen des Föderalismus.
Wir wollen mehr Eigenständigkeit der Länder bei der Gesetzgebung und sind der Meinung, dass die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern neu aufgeteilt werden müssen. Wäre es nicht sinnvoll, wichtige Teile der Arbeitsmarktpolitik in die Länderkompetenz zu geben, wo die Bürger bei Betriebsschließungen das politische Krisenmanagement ohnehin vermuten? Da kommen die Leute zum bayerischen Wirtschaftsminister, zu Ihnen und zum Ministerpräsidenten; erst dann marschieren sie vielleicht zur Bundesanstalt für Arbeit oder wohin auch immer. Wenn große Firmen dichtmachen, erwarten die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu allererst von uns Unterstützung. In erster Linie stehen der Ministerpräsident, der Wirtschaftsminister, die Arbeitsministerin und die Kolleginnen und Kollegen des Hohen Hauses und nicht der Bund oder gar Europa im Feuer.
Deshalb müssen wir selbst darüber entscheiden können, wie wir helfen, ob zum Beispiel mit AB- oder mit Fortbildungsmaßnahmen. Deshalb wäre es gut, wenn man die Bundesanstalt für Arbeit dezentralisierte.
Und wäre es nicht auch besser, die Förderung der wissenschaftlichen Forschung in die Länderkompetenz zu geben? Es hätte doch Sinn, die gesamte Forschung unter dem Dach der Länderkompetenz der Kulturhoheit zu vereinen; denn es ist notwendig, in diesem Bereich schnell und flexibel auf neue Entwicklungen zu reagieren. Das können die Länder besser als der Bund.
Warum sollen die Länder nicht die Möglichkeit bekommen, das öffentliche Dienstrecht selbst zu gestalten, wie es schon einmal der Fall war?
Zur Personalhoheit gehört für mich auch die eigenständige Entscheidung der Länder über Organisation, Besoldung und Recht des öffentlichen Dienstes.
Das Hochschulrahmengesetz des Bundes ist nicht mehr zeitgemäß, sondern für alle Hochschulen nur ein enges Korsett. Wir wollen den Hochschulen mehr Freiraum geben. Sie sollen flexibel und kreativ auf neue Herausforderungen reagieren können.
Warum sind die Länder eigentlich nicht umfassend für die Medien zuständig? Wir haben doch auf Grund der Kulturhoheit ohnehin die wesentlichen Kompetenzen in der Medienpolitik. Auch hier muss gelten: Alle Kompetenzen unter ein Dach.
Im Gegenzug kann ich mir vorstellen, dass Zivilrecht und Strafrecht ausschließlich in die Kompetenz des Bundes kommen, und zwar ohne Zustimmung des Bundesrats; denn im Bewusstsein der Bevölkerung ist diese Zuordnung ohnehin schon längst vollzogen worden.
Eine saubere Trennung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern sollte Richtschnur der weiteren Überlegungen sein, d. h. das Institut der konkurrierenden Gesetzgebung sollte aufgegeben werden. Klar sein muss lediglich, was Zuständigkeit der Länder und was Zuständigkeit des Bundes ist. Von irgendeinem Bedürfnis abhängig machen sollte man das nicht.
Wir sollten auch die Zustimmungsbedürftigkeit von Bundesgesetzen prüfen; denn Hand in Hand mit der Verlagerung von Gesetzgebungszuständigkeiten auf den Bund ist auch die Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze gestiegen. Entscheidungen wurden weg von den Länderparlamenten hin zur Bundesregierung und zum Bundesrat verlagert. Das System von Vetorechten, Verhandlungen in Fachausschüssen und langen Debatten im Vermittlungsausschuss ist für die Bürgerinnen und Bürger aber häufig nicht durchschaubar.
Wir wollen klare Verhältnisse schaffen und mehr Verantwortung für Landesparlamente und den Bundestag erreichen. Wir wollen schnelle und für den Bürger transparente Entscheidungen, und deshalb werden wir über eine Neuordnung der Beteiligungsrechte im Bundesrat
durch Reduzierung der Zustimmungsbedürftigkeit sprechen. Föderalismus lebt von der Möglichkeit jedes Landes, eigenverantwortlich seinen Weg in die Zukunft zu gestalten, über wichtige Investitionen selbst zu entscheiden sowie eigene Strukturpolitik und eigenständige Landesentwicklung zu betreiben.
Wir wollen Aufgaben- und Ausgabenkompetenz durch eine Reform von Gemeinschaftsaufgaben und Mischfinanzierung wieder zueinander führen.
Gerade die Mischfinanzierung eröffnet dem Bund die Möglichkeit, in Länderzuständigkeiten massiv hineinzuregieren, zum Beispiel im sozialen Wohnungsbau, im Hochschulbau, in der Förderung unserer heimischen Wirtschaft, der Landwirtschaft und des Städtebaus. Hineinregiert hat der Bund in den letzten Jahren und Jahrzehnten kräftig auch auf Kosten Ihrer Kompetenzen, meine Damen und Herren.
Ich nenne ein Beispiel. Der Neubau der Fakultät für Maschinenwesen der TU München und der Neubau des Instituts für Physik der Universität Augsburg fallen unter die Mischfinanzierung. Für beide Vorhaben hätte der Bund Mittel zur Verfügung stellen müssen. Bisher hat er aber für keines der Vorhaben Geld gegeben. Beide Vorhaben wurden vom Freistaat aus Mitteln der „Offensive Zukunft Bayern“ vorfinanziert. Trotzdem musste man sie sich vom Bund genehmigen lassen; denn ab einer Obergrenze von 3 Millionen DM Baukosten müssen wir beim Bund höflich anfragen, ob wir mit unserem eigenen Geld bauen dürfen. Das halte ich, mit Verlaub, für absoluten Unfug. Diese Bestimmung muss weg.
Wir sind für die Abschaffung von Mischfinanzierung und Gemeinschaftsaufgaben. Das bedarf auch gewisser Änderungen in der Finanzhoheit, weil wir für Aufgaben, für die der Bund dann nicht mehr zuständig ist, die notwendigen Mittel brauchen.
Die bedeutendste Frage ist die nach der finanziellen Ausstattung der Länder. Ich stimme meinem Vorgänger Hans Ehard zu, der sagte, eine Verfassung, in der sich die Länder in vollständiger finanzieller Abhängigkeit vom Bund befänden, wäre nicht föderal.
Wir brauchen eine Stärkung der Steuerautonomie der Länder. Gerade im Steuerrecht hat der Bund im Übermaß von der Möglichkeit der konkurrierenden Gesetzgebung Gebrauch gemacht. Durch Bundesgesetz geregelt sind nicht nur zum Beispiel die Einkommen- und die Körperschaftsteuer sowie die Umsatzsteuer, sondern auch die Grunderwerbsteuer sowie die Erbschaft- und Schenkungsteuer.
Den Ländern ist kaum Raum für eigene Gesetzgebung verblieben. Selbst regeln können wir nur ach so wichtige Bereiche wie die Spielbankabgabe. Die Zuständigkeiten gehören aber zusammen. Warum entscheidet der Bund über unsere Einnahmen? Warum können die Länder nicht über die Steuern beschließen, deren Erträge
sowieso ausschließlich ihnen zufließen? Ich denke in diesem Zusammenhang zum Beispiel an die Grunderwerbsteuer, die Erbschaft- und Schenkungsteuer, eventuell auch an die Kfz-Steuer. Mit Tarifgestaltungsrechten für die Länder, sprich: mit Zuschlägen oder Abschlägen bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, könnten wir mehr Spielraum für Parlament und Landesregierung erreichen, zumal Markenzeichen des Föderalismus‚ die Vielfalt ist. Warum nicht auch Vielfalt, warum nicht auch Wettbewerb von Gestaltungsmöglichkeiten bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer? Ich sehe hier jedenfalls erhebliche Vorteile für die Länder. Sie könnten dann wenigstens teilweise über Bestand und Umfang eigener Steuerquellen flexibel entscheiden, und zwar nach den Erfordernissen des jeweiligen Landeshaushalts und den eigenen steuer- und strukturpolitischen Vorstellungen.
Es bedeutet letztlich mehr Spielraum für Parlament und Regierung, Weichen für die Entwicklung unseres Landes zu stellen. Dass dies hervorragend funktioniert, dafür sind die Vereinigten Staaten mit ihrem ausgeprägten Föderalismus, der viel weiter geht als der Föderalismus in unserem Lande, das beste Beispiel.
Meine Damen, meine Herren, wir wollen einen lebendigen, modernen und bürgernahen Föderalismus mit Eigenständigkeit und Gestaltungsspielraum der Länder. Dazu gehört für uns untrennbar ein gerechter, transparenter und anreizorientierter Finanzausgleich.
Heute führt der Finanzausgleich zu absurden Ergebnissen. Einem Empfängerland, wie etwa dem Saarland, das durch gute Politik eine Million DM mehr an Steuereinnahmen erzielt, verbleiben nach dem Finanzausgleich gerade noch 13000 DM. Bei neun Ländern bleiben heute von jeder zusätzlichen Mark an Landessteuern gerade einmal zwischen ein und fünf Pfennigen in der Kasse. Das hemmt doch jede Entwicklung, jeden Leistungswillen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 11. November 1999 als zentrale Vorgabe festgelegt, dass die Interessen der Geberländer gleichberechtigt neben die Interessen der Empfängerländer zu stellen sind. Zu beachten sind dabei das Nivellierungsverbot, das Gebot, die Reihenfolge aller Länder in der Finanzkraft einzuhalten und das Abstandsgebot. Die Entscheidung verpflichtet den Gesetzgeber dazu, einen gerechten und transparenten Länderfinanzausgleich zu schaffen. Der Finanzausgleich kann nicht so bleiben, wie er ist. Das wäre der Fall gewesen, wenn wir nicht nach Karlsruhe gegangen wären.
Diese Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes sind für alle maßgeblich. Wer meint, es könne trotzdem beim Status quo bleiben, der ignoriert bewusst die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, die im Übrigen einstimmig beschlossen wurden. Nach ersten Überlegungen der Staatsregierung sollte der Finanzausgleich auf der Grundlage des Urteils in folgende Richtung neu strukturiert werden:
Erstens. Die Intensität des Finanzausgleichs, die heute zu einer fast vollständigen Nivellierung der Finanzkraft der Länder führt, muss so abgebaut werden, dass die Unterschiede nicht völlig verwischen.
Für alle, Geber– und Empfängerländer, müssen Anreize zur Stärkung der Finanzkraft geschaffen werden. Gegenwärtig haben wir einen Ausgleichsgrad von 99,5%. In seinem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht als Orientierungsmarke für den Ausgleich 95% genannt. Diese Differenz von 4,5% entspricht einem Ausgleichsvolumen von rund 6,5 Milliarden DM.
Die neuen Ausgleichsstrukturen müssen nach unserer Auffassung dazu führen, dass steuerliche Mehreinnahmen nicht nahezu vollständig den Empfängerländern über den Finanzausgleich wieder weggenommen werden. Wenn Anreize für die Empfängerländer geschaffen werden und ihnen mehr von den eigenen Steuereinnahmen bleibt, wie wir das wollen, bringt dies die Länder voran und entlastet die Geberländer. Deshalb war es schade, dass in diesem Zusammenhang sofort von mangelnder Solidarität die Rede war. Es hat nichts mit mangelnder Solidarität zu tun, wenn man den Nehmerländern sagt: Wenn du über die Steuern eine DM mehr einnimmst, wird dir das nicht durch den Finanzausgleich abgezogen, sondern du darfst die Hälfte behalten. Dies ist ein riesiges Angebot der Geberländer an die Nehmerländer, alles zu tun, um aus ihrer schwierigen Situation herauszukommen.
Zweitens. Die neuen Länder haben unzweifelhaft noch lange Zeit einen erheblichen Nachholbedarf. Deshalb können wir uns vorstellen, dass die neuen Länder über einen fest vereinbarten Zeitraum verlässlich höhere Ausgleichszahlungen und Bundesergänzungszuweisungen als die alten Länder erhalten.
Drittens. Das Stadtstaatenprivileg, wonach ein Bürger eines Stadtstaates im Finanzausgleich höher bewertet wird als ein Bürger des Freistaates Bayern, kann nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in seiner bisherigen Form keinen Bestand mehr haben. Zu Recht hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, dass Bevölkerungsdichte in einem Stadtstaat kein Nachteil sein muss. Umgekehrt kann eine dünne Besiedlung in den neuen Flächenländern durchaus nachteilig sein.
Viertens. Der Ausgleich für so genannte Hafenlasten steht gleichfalls zur Disposition. Häfen sind heute keine Last mehr, sondern eine Quelle des Wohlstands.
Fünftens. Die hälftige Einbeziehung der Gemeindesteuern in den Länderfinanzausgleich wird der gestärkten finanziellen Eigenverantwortung der Kommunen nicht gerecht. Das ist auch die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts. Deshalb muss diese hälftige Einbeziehung reduziert werden.
Sechstens. Berlin trägt als Bundeshauptstadt, Regierungssitz und als Großstadt mit einem erheblichen Aufholbedarf im Osten Berlins besondere Lasten. Wir