Meine Damen, meine Herren, diese Reform des Finanzausgleichs kann nur in einem kontinuierlichen, langfristigen Prozess erfolgen. Ich glaube, dass der Entwurf, den der damalige Finanzminister Erwin Huber zusammen mit seinem Stuttgarter Kollegen vorgelegt hat, ungeheuer zukunftsweisend ist. Dieser Entwurf wäre für die Nehmerländer besser gewesen als das, was heute durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts herauskommen wird. Niemand soll überfordert werden. Am Ende dieses Reformprozesses soll mindestens die Hälfte der Mehreinnahmen bei den Ländern verbleiben, ohne Auswirkungen auf den Finanzausgleich. Das gilt für Geber– und Empfängerländer gleichermaßen. Auch die Empfängerländer müssen 50% ihrer Steuermehreinnahmen behalten können, ohne dass die Ausgleichsleistungen entsprechend gemindert werden.
Dieser Reformprozess wird eine Dynamik entfalten, die allen Ländern zugute kommt und in ganz Deutschland Wachstumskräfte freisetzen wird. Ich hoffe, dass sich in den Verhandlungen Realitätssinn mit Gestaltungswillen und Mut zur Eigenständigkeit mit Solidarität unter allen Ländern verbinden werden. Dann können wir einen vernünftigen Kompromiss finden.
Meine Damen, meine Herren, nicht nur gegenüber dem Bund müssen wir Stellung und Kompetenzen der Länder behaupten, sondern noch stärker gegenüber der Europäischen Union. Die Europäische Kommission versucht zunehmend – darüber haben wir oft genug in diesem Hause diskutiert –, ihre Kompetenzen zulasten der Länder und Regionen auszuweiten. Sie tendiert dazu, die Europäische Union für alles zuständig zu erklären. Die Grundauffassung der Europäischen Kommission lautet: Gibt es ein Problem in Europa, ist das ein Problem für Europa. Ich glaube, dieser Ansatz ist völlig falsch. Sie greift dabei auch rücksichtslos in gewachsene und bewährte Strukturen der Mitgliedstaaten, der Regionen und der Kommunen ein. Gegenwärtig neigt die Europäische Union mehr und mehr dazu, die Länder als nachgeordnete Behörden und ausführende Organe zu sehen.
Wer sich das Weißbuch der Europäischen Kommission ansieht, das gerade entwickelt wird, wird feststellen, dass die Europäische Kommission in der Tat der Auffassung ist, sie gäbe in allen wesentlichen Bereichen den Rahmen vor, angefangen bei der Bildungs– und Hochschulpolitik über die Arbeitsmarktpolitik bis hin zur Wirtschaftspolitik. Die Europäische Union meint wirklich, sie gibt den Rahmen vor, und die Länder hätten nur noch die Möglichkeit, diesen Rahmen auszufüllen. Das ist ein völlig falscher Ansatz von Subsidiarität. Subsidiarität bedeutet eigene originäre Zuständigkeit der unteren oder anderen Organe. Das ist der Unterschied.
Das habe ich mit meinen Kollegen aus Baden-Württemberg, Bremen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt auch
Je größer die Europäische Union ist, desto mehr muss sie sich auf die wirklich europäischen Kernaufgaben konzentrieren. Entscheidungen müssen so bürgernah wie möglich getroffen werden. Deshalb müssen Zuständigkeiten in die Länder zurückverlagert werden. Das ist nicht nur eine Frage der Effizienz, sondern vor allem auch eine Frage der demokratischen Legitimation.
Es geht nicht nur um Regionen, es geht um die Staatlichkeit der Länder. Die Eigenstaatlichkeit der Länder besitzt eine im Grundgesetz verankerte „Ewigkeitsgarantie“ – um es in der Sprache der Verfassungsjuristen zu sagen –, die nicht einmal mit einer Zweidrittelmehrheit oder einer hundertprozentigen Mehrheit verändert werden kann. Sie kann nicht einmal durch Volksabstimmung oder durch eine Grundgesetzänderung abgeschafft werden, auch nicht durch Europa.
Lange wurde ich für meine Positionen als Europagegner diffamiert. Heute fordern die Ministerpräsidenten einstimmig, mit 16:0, eine klare Regelung der Kompetenzen der Europäischen Union, und zwar jetzt und nicht erst am Sankt-Nimmerleins-Tag. Die Angelegenheit muss also schon jetzt auf die Tagesordnung des Gipfels in Lissabon.
Die Regierungskonferenz 2000 muss hier die richtigen Weichen stellen. Sie darf sich nicht auf ein Minimalprogramm beschränken. Sie muss eine tragfähige Grundlage für die Weiterentwicklung der Europäischen Union gerade angesichts der Osterweiterung erarbeiten, welche die Eigenständigkeit der Länder und Regionen wahrt.
Die Länder werden die Auseinandersetzung offensiv führen. Ich bin angenehm überrascht, wie deutlich der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Herr Scherf, dies formuliert hat. Herr Scherf hat stellvertretend für alle Ministerpräsidenten in der Bundesratssitzung vom 4. Februar bemerkenswert deutliche Worte gefunden und ist dabei so weit gegangen, zu sagen, dass die Länder, wenn sich eine Kompetenzveränderung nicht ergibt, einer Osterweiterung nicht zustimmen werden. Ich meine, man sollte es als äußerst bemerkenswert einstufen, dass unabhängig von ihrer politischen Notwendigkeit die Osterweiterung von den Ländern als Chance begriffen wird, die Veränderung und Klarlegung der Kompetenzen und die Sicherung der Eigenstaatlichkeit der Länder in Deutschland und in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union voranzutreiben. Wir haben hier einen beachtlichen Hebel in der Hand. Wenn die Ministerpräsidenten mit 16:0 Stimmen an einem Strang ziehen, werden wir es letztlich auch schaffen.
Ich sage mit Verlaub: Das wäre vor fünf Jahren niemals möglich gewesen. Sie erinnern sich an das, was hier diskutiert worden ist. Vor fünf Jahren wäre es nicht möglich gewesen, dass alle Ministerpräsidenten, vom verdienten Herrn Scherf bis zum neuen Ministerpräsidenten von Niedersachsen, gegenüber der Europäischen Kommission in punkto Zuständigkeiten so scharf formulieren. Für meine Haltung bin ich von Ihnen vor fünf Jahren in diesem Haus noch hart kritisiert worden. Eigentlich müssten Sie jetzt in der Europadiskussion Ihre eigenen Leute kritisieren.
Wir stehen vor einer wichtigen Zeitenwende. In unserer globalen Welt sichert gerade die Eigenständigkeit der Regionen Vielfalt und Bürgernähe. Die Menschen leben in ihrem Land. Sie sind in ihrer Heimat verwurzelt. Sie wollen in überschaubaren Verhältnissen leben, sie wollen mitreden und mitbestimmen. Sie wollen sich in ihrem Land, in ihrer Region wohl fühlen und eine gesicherte Zukunft haben. Nur mit starken regionalen Wurzeln können wir in einer zunehmend uniformen Welt einem Verlust von Identität und Heimat entgegenwirken. Dazu brauchen wir eigenständige und kreative, innovationsfreudige und wettbewerbsfähige Länder. Dazu brauchen wir auch starke Länder mit lebendiger Tradition und Kultur. In einem zusammenwachsenden Europa ist es unsere Aufgabe, Tradition und Fortschritt, Menschlichkeit und Modernität und – wie es der frühere Bundespräsident formuliert hat – „Laptop und Lederhose“ zusammenzubringen.
Bei dieser Gelegenheit darf ich Ihnen sagen: Ich vermisse den früheren Bundespräsidenten außerordentlich.
Ich appelliere an die Verantwortlichen in den Ländern und im Bund und an Sie, meine Damen und Herren, als die gewählten Vertreter des bayerischen Volkes: Ergreifen wir die Chance, den Föderalismus in Deutschland zu revitalisieren. Jedes Land, jedes Landesparlament, die Bürgerinnen und Bürger – wir alle haben viel zu gewinnen. Lassen Sie uns konstruktiv und offen für einen kraftvollen Föderalismus arbeiten!
In die Beratung beziehe ich im Einvernehmen mit den Fraktionen folgende zum Plenum eingereichte Dringlichkeitsanträge mit ein:
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Renate Schmidt, Güller, Dr. Heinz Köhler, Helga Schmitt und Fraktion (SPD)
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Glück, Dr. Bernhard, Herrmann, Welnhofer, Zeller und Fraktion (CSU)
Herr Präsident, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen! Herr Ministerpräsident, ich halte es für bedauerlich, dass der Ministerpräsident eines großen Bundeslandes glaubt, es nötig zu haben, vom Pult des Parlaments das höchste Verfassungsorgan unseres Staates, den Bundespräsidenten, mit derart billiger Polemik anzugreifen.
Was die Vorwürfe betrifft, die gegen Herrn Rau erhoben werden, kann ich Sie nur auffordern, erst einmal vor Ihrer eigenen Tür zu kehren. Sie können versichert sein, dass wir nicht damit aufhören werden, das bei Ihnen aufzuklären.
Lassen Sie mich nun zum Thema der heutigen Sitzung kommen. Wir, die bayerische SPD, müssen weder vom hohen Wert des Föderalismus überzeugt noch von Ihnen oder sonst jemandem belehrt werden. Wir wissen, dass der föderale Staatsaufbau einer der wichtigsten Bausteine für die erfolgreiche Entwicklung unserer Demokratie war und ist.
Statt eines alles dominierenden zentralen Molochs hat Deutschland dank seiner Geschichte seit alters her viele Zentren. Das hat unser Land in der Vergangenheit ausgezeichnet. Das gilt für die Gegenwart und soll auch in der Zukunft so bleiben. Die Bayern-SPD war die historische Vorkämpferin. Sie ist heute Verfechterin eines kooperativen Föderalismus.
Schon unser Gründer und unser erster Landesvorsitzender Georg von Vollmar hat vor 100 Jahren, als es eine CSU noch lange nicht gab und Ihre Vorgänger noch dem Kaiser zugejubelt haben,
Nach 1945 hat es ihm dann Wilhelm Hoegner, einer der wichtigsten Verfassungsväter des modernen Bayern, gleichgetan.
Schließlich und endlich hätte es ohne den SPD-Fraktionsvorsitzenden Hans-Jochen Vogel Anfang der Neunzigerjahre wahrscheinlich keinen neuen Grundgesetzartikel 23 gegeben – dabei will ich die Verdienste des Freistaates Bayern nicht schmälern –, der den Ländern die Möglichkeit gibt, ihre legitimen föderalen Interessen auch im Rahmen der weiteren Integration Europas zu vertreten.
Hier also immer Gegensätze zu konstruieren, wo tatsächlich keine sind, ist unseriös und unsinnig und zerstört Gemeinsamkeit, wo Sie Gemeinsamkeit brauchen, um etwas durchsetzen zu können.
Deshalb sage ich noch einmal: Wir sind – nicht erst seit heute und nicht erst seit dem Sie Ministerpräsident sind – erstens für ein Zurückholen von Kompetenzen von der europäischen und der Bundesebene auf die Länderebene und zweitens für eine Änderung des Länderfinanzausgleichs mit den zwei Zielsetzungen Solidarität und Wettbewerb. Dies dann als dünne Lippenbekenntnisse zu bezeichnen, nur weil wir diese Aussagen nicht mit täglichen Ausrufen „Hosianna, Stoiber!“ begleiten, ist schlicht und einfach böswillig.