Protocol of the Session on October 17, 2000

Login to download PDF

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 47. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde, Ihre Zustimmung vorausgesetzt, erteilt.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich)

Mit Bestürzung hat der Bayerische Landtag die Nachricht vom dem abscheulichen Verbrechen aufgenommen, das sich am 12. Oktober in Bubenreuth ereignet hat. Bei einer Verkehrskontrolle wurde Polizeihauptmeister Christian Trautner durch die Schüsse eines Kriminellen tödlich getroffen und ein Kollege schwer verletzt. Im Namen des Bayerischen Landtags spreche ich den Angehörigen des Opfers, das in dieser Stunde zu Grabe getragen wird, unsere Anteilnahme und unser Mitgefühl aus. Dem verletzten Beamten wünsche ich im Namen des Hohen Hauses eine rasche und vollständige Genesung.

Diese Tat hat jedermann vor Augen geführt, welcher Bedrohung unsere Polizeibeamtinnen und -beamten in der verantwortungsvollen Ausübung ihres Dienstes ausgesetzt sind. Ihnen gelten unser Dank und unsere rückhaltlose Unterstützung in ihrem Einsatz für die Sicherheit der Menschen und im Kampf gegen Gewaltbereitschaft und Kriminalität. Ich bitte Sie nun um ein kurzes Gedenken für den ermordeten Polizeibeamten.

(Schweigeminute)

Ich danke Ihnen.

Ich darf nun noch einen nachträglichen Glückwunsch aussprechen. Am 10. Oktober feierte Herr Kollege Wilhelm Leichtle seinen 60. Geburtstag. In Namen des Hohen Hauses und persönlich gratuliere ich Ihnen, Herr Kollege Leichtle, und wünsche Ihnen alles Gute sowie Kraft und Erfolg bei der Erfüllung Ihrer parlamentarischen Aufgaben.

(Beifall bei der CSU)

Ich weise noch darauf hin, dass heute und morgen im Kreuzgang die überarbeiteten Modelle zur Umgestaltung des Plenarsaals aus dem Architekturbüro Behnisch & Partner zu sehen sind. Ich empfehle sie Ihrer Aufmerksamkeit.

Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 1

Erklärung des Staatsministers für Wirtschaft, Verkehr und Technologie zur energiewirtschaftlichen Situation in Bayern

In die Beratung beziehe ich folgende zum Plenum eingereichten Dringlichkeitsanträge ein:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Maget, Biedefeld, Schläger und anderer und Fraktion (SPD)

Erhalt der Arbeitsplätze in bayerischen Kraftwerken des e.on-Konzerns (Drucksache 14/4449)

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Paulig, Kellner, Dr. Runge und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Kein Umweltdumping bei der Energieerzeugung (Drucksache 14/4450)

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Glück, Herrmann, Willi Müller und anderer und Fraktion (CSU)

Kraftwerksstilllegungen der e.on Energie AG (Druck- sache 14/4451)

Das Wort hat nunmehr Herr Staatsminister Dr. Wiesheu.

Herr Präsident, Hohes Haus! Wir haben derzeit in Bayern eine Energie- und Stromversorgung, die dank ihrer unabhängigen Erzeugung nicht von Importenergien und Importpreisrisiken abhängt. Wir haben eine Energieerzeugung, die durch 80% Kernenergie- und Wasserkraftanteil umwelt- und klimaentlastend ist. Wir haben jetzt im europäischen Vergleich sehr günstige Strompreise – darüber ist lange Zeit geklagt worden – und Preissenkungen von rund 50% für Vertragskunden und rund 20% und mehr für private Verbraucher. Dies ist das Ergebnis einer ausgewogenen bayerischen Strompolitik in den vergangenen Jahrzehnten und der Liberalisierung auf europäischer und nationaler Ebene, die im Übrigen von allen Seiten mitgetragen wurde.

Bekanntlich hat es gewisse Überkapazitäten gegeben, die mit ein Produkt des Monopolsystems und der im Monopolsystem zementierten, sehr heterogen Unternehmensstrukturen waren. Jeder Versorger musste seine eigenen Reserven vorhalten. Dies ist zum Teil auch durch die kommunalen Stromerzeuger politisch forciert worden. Wir haben in Deutschland rund 1000 Energieversorgungsunternehmen. Wir haben in den letzten Jahren vom Bayernwerk und anderen schon im Vorfeld der Liberalisierung Kapazitätsanpassungen erfahren.

Die Aufgabe des Kraftwerksprojekts Frauenaurach mit 750 Megawatt kurz vor Baubeginn 1995 war mit ein Resultat der Fusion mit den Isar-Amperwerken, als man die Kraftwerksreserven zusammengelegt hat. Ich erinnere auch an die Konservierung des Kernkraftwerks Aschaffenburg in Kaltreserve Ende 1998, an die Stilllegung der beiden kleineren Braunkohleblöcke in Schwandorf 1999 und an die Stilllegung des Kraftwerks Dettingen von RWE. Auch diese Maßnahmen waren für die betroffenen Standorte schmerzhaft, aber maßvoll und noch verkraftbar.

Das jetzt von e.on beschlossene Paket geht darüber weit hinaus und ist energie- und regionalwirtschaftlich ein schwerer Eingriff für Bayern, vor allem für strukturschwache Regionen. Es betrifft Arzberg, Schwandorf, Franken

II, Pleinting, durch die endgültige Stilllegung der beiden in Kaltreserve befindlichen Blöcke in Aschaffenburg, Irsching und Pleinting, welche in der Kaltreserve bleiben. Insgesamt werden damit rund 1600 Megawatt aktive Leistung durch Stilllegung oder Überführung in die Kaltreserve außer Betrieb genommen. Außerdem werden 300 Megawatt aus der Kaltreserve in Aschaffenburg endgültig stillgelegt, 700 Megawatt verbleiben in der Kaltreserve. Diese 1600 Megawatt sind 25% der derzeit aktiv betriebenen fossilen Kraftwerkskapazität in Bayern. Dies ist eine beachtliche Zahl und rund 10% der gesamten bayerischen Kraftwerkskapazität.

Davon sind insgesamt 700 Arbeitsplätze an allen Standorten in Bayern betroffen. Im e.on-Gebiet sind es insgesamt 1500. Auch dies zeigt: Bayern ist überdurchschnittlich betroffen, denn wir hatten bisher das Verhältnis von einem Drittel zu zwei Dritteln zwischen Bayernwerke und Preußen-Elektra. Ich sage deshalb, dass die Stilllegung regional unausgewogen ist. Bayern ist vom Kapazitätsund vor allem vom Arbeitsplatzabbau stärker betroffen als es seinem Anteil im e.on-Energiekonzern entspricht.

Wenn man sich die Sache genauer ansieht, dann stellt man fest, dass mit der Stilllegung der Kraftwerke Franken II und Aschaffenburg zwei Kohlekraftwerksstandorte in Bayern endgültig aufgegeben werden. Darunter leidet der Energie-Mix im Lande. Wir haben immer Wert darauf gelegt, dass ein Energiemix aus Kernenergie, Kohle, Erdöl, Gas und anderen Arten der Energiegewinnung eingesetzt wurde. Bei den Übernahmeverträgen wurden entsprechende Vereinbarungen getroffen und zugesichert. Nun leidet der Energie-Mix, meine Damen und Herren. Wir erachten das Stilllegungsprogramm von e.on als unausgegoren zu Lasten Bayerns und für energiepolitisch problematisch. Wir sehen das auch deshalb so, weil Standorte und Kraftwerke aus dem Standortsicherungsplan auf Dauer herausgenommen und aufgegeben werden. Wenn aber die Stilllegung konventioneller Kraftwerke fortgesetzt wird und die Bundesregierung gleichzeitig aus der Kernenergie aussteigt, dann werden wir in Bayern bald das Problem haben, dass wir die Energie, die in Bayern verbraucht wird, nicht mehr in Bayern erzeugen.

Viele verweisen gerne auf neue Kohlekraftwerke. Meine Damen und Herren, Bayern war früher und ist auch heute noch ein für Kohlekraftwerke ungünstiger Standort. Früher hat man gesagt, der Freistaat ist ein revierferner Standort, weil die Transportkosten für Kohle aus dem Ruhrgebiet nach Bayern zu hoch waren. Heute sagen die Energieversorger: Der Transport von Kohle ist teuer, aber der Transport von Strom kostet nichts. Deshalb bleiben Kohlekraftwerke hauptsächlich an den Küstenstandorten übrig oder werden dort gebaut, während die Binnenstandorte aufgelöst werden.

Wir haben beim Thema Kernenergieausstieg immer argumentiert, dass das zu Lasten der Binnenstandorte geht, ob es sich um Bayern oder Baden-Württemberg handelt, weil wir mit dem Kohle-Strom nicht wettbewerbsfähig sind. Nur eine Mischung aus Kernenergie und Kohlekraftwerken hat die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Stromerzeugung in Bayern aufrechterhalten. Schafft man die Kernenergie ab, wird man die Kohle

standorte in Bayern nicht halten können. Infolgedessen wird man vom Strombezug aus anderen Regionen oder vom Stromimport aus anderen Ländern abhängig. Das halten wir für energie- und wirtschaftspolitisch falsch.

Wir haben e.on im Übrigen darauf hingewiesen, dass die Stilllegung des Kraftwerks Arzberg gegen bestehende Vereinbarungen verstößt. Das gilt für Zusagen gegenüber der Oberfranken-Stiftung und für mit Tschechien geschlossene Verträge zur Kohlelieferung, die bis 2005 gelten. Wir haben das Vorgehen von e.on bei der Stilllegungskonzeption aus folgendem Grund kritisiert: Man kann nicht umfassende Stilllegungspläne auflegen, ohne alternative Konzepte vorzulegen oder Perspektiven für die betroffenen Mitarbeiter aufzuzeigen. Man kann das nicht tun, ohne für die Standorte neue Überlegungen zu machen und ohne die Einbindung des Aufsichtsrates.

Der Ministerpräsident hat dies am vergangenen Montag in Gesprächen gegenüber dem e.on-Vorstand nachhaltig deutlich gemacht. Er hat das auch öffentlich und schriftlich klar zum Ausdruck gebracht. Wir hatten mit e.on ein Gespräch von einer Stunde geplant. Das Gespräch hat dann aber drei Stunden gedauert, weil wir eine nachhaltige Diskussion darüber führten, was in Zukunft gemacht werden kann und muss. Es war klar, dass wir uns mit der Stilllegungsentscheidung und einem Angebot für Sozialpläne allein nicht zufrieden geben konnten.

(Beifall bei der CSU)

Wir haben verlangt, dass das Konzept gründlich erörtert und das Stilllegungsvolumen überprüft wird. Dieses Konzept muss zumindest zeitlich gestreckt werden, bis wir die Möglichkeit haben, Ersatzarbeitsplätze zu schaffen. Wenn Stilllegungen nicht zu verhindern sind, dann muss eine ausreichend lange Zeit zur Verfügung stehen, um Ausgleichsmaßnahmen in die Wege leiten zu können, und das heißt für mich, um die Schaffung neuer Arbeitsplätze in diesen Regionen sicherzustellen. Für die Arbeitnehmer muss es selbstverständlich sozialverträgliche Lösungen geben. Dazu ist e.on bereit, doch das allein genügt nicht. Wir brauchen gegebenenfalls nach Auslauf des Betriebes Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften, die für die Umschulung und die Qualifizierung der Mitarbeiter für neue Tätigkeiten sorgen.

e.on kann sich von den Zusagen, die es beispielsweise für den Weiterbetrieb des Kraftwerkes Arzberg gegeben hat, nicht einfach verabschieden. In diesem konkreten Fall hat die Staatsregierung 30 Millionen DM für die Rauchgasentschwefelung zur Verfügung gestellt. Weitere 30 Millionen DM flossen in zinsgünstige Darlehen. Wir haben zwar rechtlich keinen Rückforderungsanspruch mehr, aber, dass e.on hier eine besondere Verpflichtung hat, etwas für diese Region zu tun, das ist – ich möchte es vorsichtig ausdrücken – eine Selbstverständlichkeit. Gerade in dieser Region ist es sehr schwierig, neue Arbeitsplätze zu schaffen.

(Beifall bei der CSU)

Dies hat der Ministerpräsident gegenüber e.on deutlich gemacht. Gleiches gilt für Gespräche mit dem Betriebsrat des Kraftwerks Arzberg am letzten Freitag im Kloster Banz. Wir erwarten, dass e.on die betroffenen Standortregionen bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze unterstützt, entweder, indem e.on selbst neue Arbeitsplätze schafft oder dabei behilflich ist. Es sind zahlreiche Grundstücke unterschiedlicher Größenordnung vorhanden. Es gibt Grundstücke, die entsprechend baurechtlich bewertet sind und ausgewiesen und erschlossen werden können. Dort könnte man neue Betriebe ansiedeln. Wir werden dort auch mit der Regionalförderung ansetzen.

Meine Damen und Herren, am letzten Montag haben Herr Harig und ich gemeinsam mit dem Kollegen Spitzner vereinbart, eine Projektgruppe von e.on und Wirtschaftsministerium zu schaffen. Wir werden Konzepte für die Zukunft der Standorte und für zukunftsträchtige Arbeitsplätze entwickeln. Ähnliche Probleme hatten wir vor einigen Jahren im Hinblick auf die Aluminium-Standorte. Sie werden sich daran erinnern. Damals wurden Standortentwicklungsgesellschaften geschaffen, die für neue Arbeitsplätze sorgten. Ähnliches wird es für die jetzigen Standorte, sofern sie nicht weiterbetrieben werden, auch geben. Wir werden mit den Kommunen reden. Es muss geklärt werden, ob diese Gesellschaften in kommunaler Trägerschaft liegen sollen. Eine andere Möglichkeit wäre die Trägerschaft durch e.on selbst, die hierfür eine eigene Gesellschaft hat. Auch andere Trägerschaften sind zu prüfen, so beispielsweise durch Sparkassen oder andere in Betracht kommende Organisationen.

Damit wir für die jeweiligen Standorte maßgeschneiderte Konzepte entwickeln können, werden wir jeden einzelnen Standort mit dieser Arbeitsgruppe besuchen. Am 25.10. 2000 werde ich in Arzberg sein, am 08.11.2000 in Erlangen und in Schwandorf. Kollege Spitzner wird am 31.10.2000 in Aschaffenburg sein und am 06.11.2000 in Pleinting. Wir werden mit den örtlich Verantwortlichen und den Betroffenen über maßgeschneiderte Konzepte sprechen.

Meine Damen und Herren, ich halte das nicht nur für notwendig, ich halte das für sinnvoll und ich halte das auch für eine Verpflichtung nicht nur der Politik, sondern genauso von e.on.

Sie werden sagen: Das ist richtig. Ich wundere mich dann aber über den Bundeswirtschaftsminister, der in der „Welt am Sonntag“ feststellt: „Aber deshalb kann Herr Stoiber doch kein Stromunternehmen zwingen, fernab jeder wirtschaftlich vernünftigen Betrachtungsweise Strukturpolitik zu machen.“ – Aber, meine Damen und Herren, was denn sonst? Natürlich werden wir mit den Unternehmen darüber reden, wenn sie aus den Stilllegungen wirtschaftliche Vorteile haben, dass von diesen wirtschaftlichen Vorteilen etwas für Investitionen in den Regionen abgezweigt wird, dass das Unternehmen etwas für die Beschäftigten tut, dass es der Verantwortung für die Arbeitsplätze nachkommt, und zwar nicht nur im Rahmen von Sozialplänen zur Verabschiedung, sondern im Rahmen der Schaffung neuer Arbeitsplätze für die Zukunft.

Ich verstehe den Bundeswirtschaftsminister nicht, wenn er in dieser Weise argumentiert und damit der Politik in den Rücken fällt.

(Beifall bei der CSU)

Ich muss schon sagen, er vertritt damit einen „neoliberalen Standpunkt“, der sonst in der Regel von Ihnen in der Opposition bekämpft wird.

(Beifall bei der CSU)

Ich frage mich schon, was das insgesamt bedeuten soll.

Meine Damen und Herren, die Entwicklung auf dem Energiemarkt wird damit aber leider nicht abgeschlossen sein. Wir werden weitere Umbrüche zu erwarten haben, weitere Kraftwerksstilllegungen, und zwar als Folge einer sehr stark ideologisch geprägten Energiepolitik von Rot-Grün in Berlin.

(Beifall bei der CSU – Widerspruch bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Kaiser (SPD): Das ist ja hanebüchen!)

Ich zitiere Herrn Trittin aus dem „Handelsblatt“ vom 12. Oktober. Er sagt, die ganze Entwicklung sei aus mehreren Gründen vorhersehbar. Er verweist auf die Überkapazitäten, er verweist auf den Atomkompromiss.