Protokoll der Sitzung vom 28.11.2000

Sie haben die Steuerreform bekämpft. Wenn es nach Ihnen ginge, dann würden wir zum Beginn des nächsten Jahres überhaupt keine Steuerreform haben. Die neue Bundesregierung hat durchgesetzt, dass die Familien in besonderer Weise von der Herabsetzung der Tarife pro

fitieren. Nicht nur die Einkommensgrenzen bzw. die Steuerfreibeträge werden angehoben. Wenn Sie alle Familienentlastungen bis zum Jahr 2005 zusammenzählen, dann wird eine Familie mit zwei Kindern und einem durchschnittlichen Einkommen von zirka 50000 DM über 4000 DM Steuerentlastung im Jahr haben.

(Beifall bei der SPD)

Wann hat es das unter der früheren Bundesregierung gegeben? In den letzten zwölf Jahren hat es keine Veränderung des Wohngeldes gegeben. Wohngeld ist etwas, worauf Familien mit Kindern in besonderer Weise angewiesen sind. Keine Erhöhung des Wohngeldes, keine Anhebung der Einkommensgrenzen, das hat die neue Bundesregierung jetzt durchgesetzt, und das bedeutet, dass eine Familie mit vier Kindern in Zukunft durchschnittlich 105 DM im Monat zusätzlich an Wohngeld bekommen wird.

Wir haben die Ausbildungsförderung reformiert, und wir werden die Bedarfssätze und Freibeträge um durchschnittlich 6% anheben. Das Kindergeld wird künftig nicht mehr darauf angerechnet werden. Wann hat es das bei Ihnen gegeben?

Frau Staatsministerin, Sie behaupten, die Ökosteuer würde die Familien in besonderer Weise belasten. Unter dem früheren Finanzminister Theo Waigel wurde die Mineralölsteuer innerhalb weniger Jahre um 50 Pfennige je Liter erhöht. Wo hat es einen Ausgleich für die Familien gegeben?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die neue Bundesregierung hat für Familien und für die Bezieher geringer Einkommen einen Heizkostenzuschuss und eine Entfernungspauschale beschlossen. Das wird auch Familien zugute kommen.

(Widerspruch bei der CSU)

Wenn Sie also bilanzieren, dann haben wir in zwei Jahren für die Familien mehr bewirkt, als Sie in 14 Jahren bzw. in 16 Jahren unter der Bundesregierung Helmut Kohl. Die Bayerische Staatsregierung hat leider außer vielen Ankündigungen sehr wenig dazu beigetragen.

Aber lassen Sie mich nach diesem bundespolitischen Ausflug, der notwendig war, weil Sie ja offenbar in Bayern so wenig darzustellen haben, dass Sie immer auf die Bundespolitik abheben, ein besonderes heikles und sensibles Thema ansprechen. Es ist die Frage der Schwangerenkonfliktberatung. Dazu möchte ich ein paar wenige Sätze sagen. Wir unterstützen ausdrücklich und nachdrücklich die Staatsregierung darin, dass sie anstelle an der bisherigen katholischen Beratungsstellen in Bayern nun ein neues System, das unter dem Namen Donum vitae läuft, unterstützt, weil die Mehrheit der Bevölkerung in Bayern katholisch ist und weil es hierfür eine Nachfrage gibt. Das halten wir für richtig und das unterstützen wir.

Voraussetzung dafür ist aber, dass alle Träger gleich behandelt und nicht mit zweierlei Maß gemessen wer

den. Das geschieht leider immer noch. Ich erinnere nur an den Fall pro familia in Regensburg; dort versucht die Staatsregierung seit Jahren durch Gerichte zu hintertreiben, dass Pro Familia diese Schwangerenkonfliktberatung in Regensburg ausüben kann.

Wir begrüßen auch, dass die Staatsregierung im Hinblick darauf, dass der neue Träger was die finanzielle Ausstattung angeht weitgehend auf Spenden angewiesen ist, den Eigenanteil auf 5% herabsetzt. Das ist allerdings in gewisser Weise ein Präzedenzfall, Frau Staatsministerin. Wir werden uns natürlich schon überlegen müssen, ob wir in Bayern nicht künftig auch in anderen Fällen, in denen freie Träger der Wohlfahrtspflege wichtige Aufgaben übernehmen, einen zehnprozentigen Eigenanteil fordern. Das muss dann von Fall zu Fall genauer geprüft werden. Aber Sie haben jetzt immerhin eine Marke durchbrochen und wir werden Sie daran messen.

Über die Schwerbehinderten haben Sie auch viel gesagt, Frau Staatsministerin. Ich will durchaus anerkennen, dass das, was die CSU-Fraktion mit ihrem Nachtrag gefordert hat, nämlich dieses Dreijahresprogramm mit 25 Millionen DM pro Jahr für die WFB und die Wohnplätze, ein Schritt in die richtige Richtung ist. Wir begrüßen und unterstützen diesen Schritt. Es ist allerdings auch ein Zeichen dafür, dass wir in Bayern in dieser Frage einen Nachfragestau haben. Viele dieser Einrichtungen konnten bisher nicht finanziell versorgt werden, und auch die Bund-Länder-Förderung hat bisher nur dazu gereicht, einen Teil des Bedarfes zu decken. Sie haben bisher auch immer nur einen Teil für das Förderprogramm angemeldet. Jetzt, wo wir eine neue Bundesregierung haben, breiten sie das ganzen Füllhorn von Anträgen aus und sagen: Bundesregierung fördere du das alles; wir wollen das alles gefördert haben. Dass dies nicht geht, wissen Sie genau.

Zum Glück ist die Arbeitslosenquote in unserem Land die niedrigste von allen Bundesländern. Darüber freuen wir uns. Aber wie passt das damit zusammen, dass wir gleichzeitig die geringsten Quote bei der Beschäftigung von Schwerbehinderten haben? Bei der Beschäftigung Schwerbehinderter ist Bayern das Schlusslicht aller Bundesländer.

(Beifall bei der SPD)

Das gilt sowohl für Freistaat Bayern, der weit unter der bisherigen Quote von 6% bei jetzt 5 beziehungsweise nicht einmal 4% liegt,

(Zuruf von der CSU: Das stimmt nicht!)

als auch für die privaten Anbieter, wo es fast noch schlimmer aussieht. Deshalb drängt es sich doch geradezu auf zu sagen, wir müssen etwas tun, um die Schwerbehinderten besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Und wenn nicht jetzt in der heute vergleichsweise günstigen Beschäftigungssituation, wann dann?

Deswegen haben wir gefordert, ein Programm zur Integration von Schwerbehinderten in den ersten Arbeitsmarkt aufzulegen. Leider haben Sie diesen unseren

Antrag wie alle anderen abgelehnt, ohne sich ernsthaft damit auseinandergesetzt zu haben.

Meine Damen und Herren, die CSU päppelt ihr Lieblingskind, die Bürgerarbeit, entzieht aber gleichzeitig den Selbsthilfegruppen, in denen sich chronisch Kranke und Behinderte sowie deren Angehörige zusammenschließen, die ohnehin geringe Unterstützung. So gab der Freistaat Bayern im Jahre 1999 gerade einmal 13 Pfennig je Einwohner für die Förderung der Selbsthilfegruppen aus. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 30 Pfennig. Auch hier ist Bayern Schlusslicht. Dass Sie, Frau Stamm, hier großartig mit Ihrer Sozialpolitik operieren, können Sie angesichts dieser Zahlen nicht behaupten, ohne dabei rot zu werden.

Ich will für diese Selbsthilfegruppen ein Beispiel bringen. So hat noch im Jahre 1996 beispielsweise die Bayerische Krebsgesellschaft 100 DM je Beteiligten erhalten; im Jahre 2000 waren es gerade noch einmal 33 DM. Ich frage Sie, warum Sie auf der einen Seite etwas dazugeben, was ja erfreulich ist, auf der anderen Seite aber diesen Gruppen, die ganz wichtig sind und die eine Arbeit leisten, die sonst niemand in dieser Gesellschaft leisten könnte, ungerechtfertigt die Unterstützung entziehen. Wir werden das weiter anprangern und öffentlich machen.

(Beifall bei der SPD)

Und es gibt noch eine Gruppe, die Sie schmählich im Stich lassen, Frau Staatsministerin. Der Bundestag hat nach jahrelangen Beratungen die neue Insolvenzordnung beschlossen. Die Länder sind aufgefordert, sie umzusetzen. Was ist das Ergebnis in Bayern? Die rund 250000 überschuldeten Haushalte in Bayern haben derzeit nur eine geringe Chance, aus der Schuldenfalle herauszukommen.

Ich zitiere hier den Caritasverband Augsburg:

Die Situation in unseren Schuldnerberatungsstellen stellt sich so dar, dass anrufende Schuldner entweder abgewiesen, an Rechtsanwälte verwiesen

kaum einer ist dazu bereit –

oder auf Wartelisten geparkt werden.

So der Caritasverband Augsburg. Und das Fazit einer Tagung von Insolvenzberatungsstellen, die vor kurzem in Augsburg stattfand, lautet schlicht und ergreifend: In Bayern wird die Insolvenzordnung nicht umgesetzt.

Das, meine Damen und Herren, grenzt an Missachtung eines Gesetzes.

(Beifall bei der SPD)

Ich komme nun zu einem Kapitel, mit dem der Landtag schon des öfteren auseinandergesetzt hat und das ebenfalls außerordentlich sensibel ist. Nach dem Fall „Schmökel“ besteht Anlass, auch die Zustände in Bayern besonders unter die Lupe zu nehmen. Wie in allen Fällen gibt es auch dazu ein Zitat von Ministerpräsident Stoiber.

Er hat laut der „Welt“ vom 10. November nach dem Fall „Schmökel“ gefordert, sich an der bayerischen Position zu orientieren; der Straf- und Maßregelvollzug müsse in Brandenburg und anderen Ländern neu überdacht und anders geregelt werden.

Nur in anderen Ländern? Auch dazu haben Sie leider heute nichts gesagt. Am gleichen Tag zitierte die „Augsburger Allgemeine“ den schwäbischen Bezirkstagspräsidenten Georg Simnacher folgendermaßen:

Die Kapazitäten

gemeint sind die forensischen Abteilungen der bayerischen Bezirkskliniken –

in den Kliniken sind erschöpft. In Günzburg sind seit Januar in 16 Fällen Straftäter aus der Forensik entwichen. Auf die Mischstände der Bezirksklinik wird seit Jahren hingewiesen.

Und in einer anderen Zeitung war zu lesen, dass Sie, Frau Stamm, jetzt als Reaktion auf den Fall „Schmökel“ zugunsten eines neue Forensiktraktes in Werneck plädieren. Im Haushalt 2001/2002 habe ich allerdings trotz heftiger Nachsuche dafür bisher keine Mittel gefunden. Auch aus diesem Bezirkskrankenhaus sind in diesem Jahr schon 37 Entweichungen gemeldet worden. Im Bezirksklinikum Regensburg reicht der Platz nicht aus. Es sind 120 Plätze vorgesehen; das Klinikum ist im Augenblick aber mit 175 Patienten überbesetzt.

Bevor Sie oberlehrerhaft anderen Bundesländern Ratschläge erteilen, sollten Sie zunächst einmal Ihre eigenen Hausaufgaben machen. Der Bayerische Landtag – das scheinen Sie vergessen zu haben – hat am 8. Juli 1998 beschlossen, die Staatsregierung dazu aufzufordern, unverzüglich ein Konzept zur Unterbringung psychisch Kranker vorzulegen. Der sozialpolitische Ausschuss hat im Januar 1999 das Bezirkskrankenhaus Haar besucht, insbesondere die dortigen Abteilungen für Forensische Psychiatrie, und sich ein Bild von den dortigen Zuständen gemacht. Frau Staatsministerin Stamm, ein Mitarbeiter Ihres Hauses hat darauf hingewiesen, dass das erbetene Konzept im Frühjahr 1999 vorgelegt werden werde. Weitere Mitteilungen Ihres Hauses folgten. Die letzte datiert vom November vergangenen Jahres. Darin heißt es, das Konzept werde im Jahr 2000 vorgelegt werden. Nun haben wir Ende November. Es bleibt also nicht mehr viel Zeit. – So gehen Sie mit den Beschlüssen des Bayerischen Landtags um, meine Damen und Herren von der Staatsregierung.

Ich sehe mit Schrecken: Meine Redezeit ist fast erschöpft.

(Zurufe von der CSU)

Hier zeigt sich wieder einmal, dass die Waffengleichheit zwischen Staatsregierung und Opposition nicht gewahrt ist. Zur Gesundheitspolitik ließe sich viel sagen. Nur noch einige wenige Sätze dazu. Frau Staatsministerin Stamm, Sie haben vorhin die Gesundheitspolitik der Bundesregierung frontal angegriffen. Sie haben aber nicht auf Folgendes hingewiesen: Wenn Änderungen

vorgenommen werden – welche Sie wollen, haben Sie bisher nicht gesagt –, so sind Beitragserhöhungen unausweichlich.

(Dr. Zimmermann (CSU): Ganz falsch!)

Mit den von Ihnen gewünschten Änderungen wollen Sie vielleicht die Politik von Herrn Seehofer fortsetzen: Beitragserhöhung plus Leistungsausgrenzung. So etwas wird es mit uns nicht geben.

(Beifall bei der SPD)

Noch eines zum Schluss. Meine Damen und Herren von der Staatsregierung, Sie haben sich mit einigen Funktionären der Kassenzahnärztlichen Vereinigung und der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns – wohlgemerkt: dies sind öffentlich-rechtliche Einrichtungen – zu einem Bündnis für Gesundheit zusammengeschlossen und polemisieren dort gegen die Bundesregierung. Dieses ideologische Bündnis hat anscheinend zur Folge, dass Sie die Rechtsaufsicht genau über die genannten Einrichtungen bisher in sträflicher Weise vernachlässigt haben. Anders ist nicht zu erklären, dass das Sozialgericht München im vergangenen Jahr geurteilt hat, die Aufforderung der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayerns an ihre Mitglieder, die Behandlung von Patienten einzustellen, sei als politisch motivierter Rechtsbruch zu werten. Wie war die Reaktion der Staatsregierung darauf? Es gab keine, ebenso wie im Fall Schottdorf. Auch hier, muss man sagen, hat die Staatsregierung nur auf die Staatsanwaltschaft verwiesen und erklärt: Die Staatsanwaltschaft übernimmt unsere Arbeit. Dabei hatte das zuständige Gericht in Augsburg deutlich darauf hingewiesen, dass im vorliegenden Falle ein maßgebliches Verschulden der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns gegeben sei. Doch die Reaktion Ihres Hauses war gleich null, Frau Staatsministerin Stamm. Angesichts des Schulterschlusses mit der genannten Organisation liegt es nahe, dass Sie nicht eingeschritten sind. Hier ist der Filz ganz offensichtlich. Diesem schwarzen Filz muss ein Ende gemacht werden. Ich hoffe, wir werden bald Gelegenheit dazu haben.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CSU)

Den Rest meiner Rede gebe ich zu Protokoll.