Protokoll der Sitzung vom 28.11.2000

Denn eine effiziente Heimaufsicht ist gerade deshalb notwendig, da die Fachkraftquote in Bayern mit 72% keinerlei Anlass gibt, sich selbstbeweihräuchernd in Jubelpose zu versetzen.

Auch beim Pflegeschlüssel wird zwar der Beschluss des Landespflegeausschusses mit 1 : 2,2 mit Hosianna zelebriert, aber, sehr verehrte Frau Ministerin, Ihnen als ausgepuffter Politikerin ist doch auch geläufig, dass

Beschluss und Umsetzung zwei Paar Stiefel sind. Meilenweit sind wir von einer Personalsituation auf den Stationen entfernt, die eine ganzheitliche und eine aktivierende Pflege gewährleistet. Oft steht und fällt das Heim mit der Führungsebene. Gerade aus dieser Erkenntnis heraus sind intensive Schulungen im Management und in der Personalführung Bausteine für die Qualität in der stationären Pflege. Doch selbst wenn sich die Heimleitung sozusagen zerreißt, ist die Gefahr der gefährlichen Pflege akut, wenn der Pflegeschlüssel unmöglich ist.

Der Pflegeschlüssel von 1 : 2,2 ist ein schönes Ziel, doch wir sehen heute schon, dass mit der Umsetzung des Schlüssels von 1 : 2,56 manchem nicht gedient ist. Es fehlt an Fachpersonal. Vor allem gerontopsychiatrische Fachkräfte kann man mit der Lupe suchen. Gleichzeitig werden Gelder für einen verbesserten Pflegeschlüssel nicht abgerufen, weil man die Reaktionen der Selbstzahler fürchtet.

Klar ist auch, dass mit erhöhten Kosten auch die Frage der Kostentransparenz nochmals hochschwappt – ein Thema, das bei den Heimträgern keine Sektlaune aufkommen lässt. Aber es ist nur eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist, dass viele Angehörige bestmögliche Pflege mit aller Zuwendung zu einem möglichst geringen Preis erwarten. Dabei wissen wir alle: Pflege ist personalintensiv und die Pflegekräfte sind bei der Entlohnung sowieso nicht auf Rosen gebettet. Nach meinem Dafürhalten gibt es auf den Stationen auch kein Rationalisierungspotenzial mehr. Gute Pflege hat ihren Preis und das möchte ich mit einem schönen Gruß an die Erben versehen.

Um die Herausforderungen der Pflege auch mit Blick auf die demographische Entwicklung zu meistern, ist heute und morgen mehr Geld notwendig. Allein die Prognose für die Finanzierung des Pflegeschlüssels 1 : 2,2 von 450 Millionen DM auf bayerischer Ebene – für die Bundesebene sind es 4,5 Milliarden DM – sind Kosten, die beitragssatzrelevant sind. Die Frage ist: Was sind uns die alten Menschen wert? Ich bin der festen Überzeugung: Diese Frage kann und wird nicht im sozialpolitischen Fachzirkel gelöst werden. Dazu bedarf es einer gesamtgesellschaftlichen Debatte. Sie zu entfachen ist uns allen, die wir im sozialpolitischen Bereich tätig sind, noch nicht gelungen. Diese Debatte müssen wir unbedingt anstoßen, weil uns sonst die Skandale in immer kürzeren Abständen auf die Füße fallen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Apropos Ältere – eine gute Nachricht für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer: Waren in den letzten Jahren die Frühverrentungstendenzen und Freisetzungsbewegungen für die Arbeitnehmer ab 50 in großem Stil üblich, meist noch auf Kosten der Sozialkosten, wandelt sich das Bild in den Betrieben wieder. Allein in Bayern gibt es, gemessen zum Monat Oktober des Vorjahres, 17,4% weniger Arbeitslose, die älter als 55 Jahre sind. Die Macher von morgen haben also graue Haare. Der Arbeitsmarkt braucht künftig wieder die Älteren mit Erfahrung. Sie als Ministerin für Senioren werden das sicherlich gern hören. Mir scheint allerdings, dass die Wertschätzung für ältere Arbeitnehmer nicht die

gesamte CSU-Fraktion umfasst. Ich nenne den im Moment auch anwesenden Kollegen Haedke. Er ist sozusagen ein Mitstreiter aus der „Pampers-Fraktion“, der die Mandatsträger schon ab 45 zum Ausmustern schicken will.

(Zuruf des Abgeordneten Haedke (CSU))

Ich freue mich, wenn Sie das einmal richtig stellen, aber es kommt immer wieder bei mir so an. Aber schön, dass Sie sich auch einmal einbringen.

(Zuruf des Abgeordneten Haedke (CSU))

Ja, da schauen Sie einmal. Das war ein kleiner Beitrag zum „Hallo, wach!“, damit die Muskulatur wieder einmal in Bewegung gesetzt wird. Es ist ja schön, wenn diese Vorurteile auf Ihrer Seite nicht bestehen und den Älteren mehr zugetraut wird, als es vielleicht den Anschein erweckte. Eines ist nämlich ganz klar: In den Studien wurde widerlegt, dass Ältere leistungsschwächer sind als Jüngere. – Ich gehöre ohnehin zu Ihnen; ich habe nur für die versammelte Mehrzahl des Hauses gesprochen, um das einmal deutlich zu machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – allge- meine Heiterkeit)

Aber um auf den Boden der Sozialpolitik zurückzukommen, meine sehr geehrten Damen und Herren: Wir haben im letzten Jahr und auch in den Jahren davor im Fachausschuss immer wieder von der pädagogischen Betreuung im Kindergarten und auch davon gesprochen, welche Angebote es geben muss, um Familie und Beruf besser miteinander vereinbaren zu können. Wir stehen auch im Bereich der Kindergärten vor demographischen Herausforderungen. Aber anders als bei der Rente und bei der Pflege gehen hier die Zahlen zurück. Es werden immer weniger Kinder geboren. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Kindergärten. Neue Konzepte sind gefragt – und das nicht nur wegen der zurückgehenden Kinderzahl, sondern auch wegen der Förderungerechtigkeit. Um nur ein Beispiel zu nennen: Sechs oder zehn Stunden Öffnungszeit – bei der Bezuschussung hat dies keine Auswirkungen.

Die Staatsregierung hat nun unter dem Stichwort „marktorientierte Steuerung“ eine modellhafte Erprobung in Bayreuth und in Landsberg am Lech für die nächsten beiden Jahre begonnen. Die neuen Zuschussvorgaben sollen dann nicht mehr pauschal aufgrund des zuschussfähigen Personals pro Gruppe gewährleistet werden, sondern die Zahlweise erfolgt dann anhand der konkreten Kinderzahl mit besonderer Berücksichtigung und doppelter Zählweise von Kindern unter drei Jahren, behinderten Kindern und ausländischen Kindern.

Wir befürchten nun, dass in Zukunft im Kindergarten ein Kampf um die Kinder erfolgt, und wir haben bisher auch noch keine schlüssige Antwort erhalten, wie die pädagogische Gruppenbetreuung bei den geplanten individuellen Buchungszeiten aussehen soll und wie sich die geforderte Flexibilität arbeitsrechtlich auf die Erzieherinnen auswirkt. Diesbezüglich haben wir noch keine Antworten.

Wir haben in den letzten Jahren auch immer wieder deutlich gemacht, dass aufgrund der zurückgehenden Kinderzahl Handlungsbedarf auf allen Seiten besteht. Nach unserem Dafürhalten steckt in dieser zurückgehenden Kinderzahl aber auch eine Chance, nämlich die Chance, dass die Gruppenstärken von derzeit 25 bis 28 Kindern auf 20 Kinder gesenkt werden könnten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir hören dauernd das Lamento, die Anforderungen an unsere Kinder würden immer größer. Unsere Kinder würden auch immer schwieriger, heißt es. Sämtliche Alarmglocken müssten doch eigentlich Sturm läuten, wenn die Kinder immer öfter zu guter Kundschaft in Apotheken werden, damit sie den Schulalltag bewältigen können. Kinder stark machen, um Suchtgefährdung zu vermeiden; Kinder stark machen, damit sie Orientierung finden; und Kinder stark machen, damit sie selbstbewusste Menschen werden – der Grundstein dafür wird auch im Kindergarten gelegt.

Die Kommunen und der Freistaat haben in den letzten Jahren mit einer ungeheuren Kraftanstrengung beinahe für ein flächendeckendes Angebot mit Kindergartenplätzen gesorgt. Diese Entwicklung sollten wir nicht verspielen. Betriebsabläufe lassen sich sicherlich optimieren. Die Qualitätssicherung und auch die Transparenz sind für die Kindergärten der Zukunft ein wichtiger Baustein. Aber eines muss doch klar sein: Kindergärten dürfen nicht allein über eine marktorientierte Steuerung bewertet werden. Arbeit und pädagogische Anforderungen sind nicht mit der Fertigung eines Autos zu vergleichen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wissen alle: Für viele ist Kinderbetreuung nicht erst ein Thema bei Kindern ab zweieinhalb Jahren. Kind und Beruf sind für viele Frauen nicht mit Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub realisierbar oder entsprechen nicht der beruflichen familiären Lebensplanung. Bisher hat die Staatsregierung bei allen Anträgen zur Krippenförderung ein empörtes Nein skandiert. Sie hat versucht, dies auf die Kommunen abzuschieben. Und wenn ich die Themen und die Einstellungen in Ihren Reihen genauer durchforste, sind die Hindernisse nicht nur finanzieller Art. Es ist vor allem das Frauenbild, das ein vernünftiges und modernes Konzept verhindert. Kinder, die etwas werden wollen, brauchen die Mutter in den ersten drei Jahren, sagt die Christlich-Soziale Union. Ansonsten zieht unterschwellig oftmals das Bild der Rabenmutter auf. Die Rolle des Vaters wird ja oft tunlichst verschwiegen.

Aber was dem Fass den Boden ausschlägt, ist folgender Umstand: Da stellt sich der Kollege Singhammer in München öffentlich hin und jammert, wie wenig Krippenplätze es gebe, welcher Bedarf da noch befriedigt werden müsse. Selbst nichts zu tun und dann die Schuld den anderen zu geben und sich damit auch noch politisch feiern lassen zu wollen, das ist wirklich ein ausgeprägtes Exemplar politischen Pharisäertums.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Sie können sich darauf gefasst machen, dass wir die Finanzierung der Krippenplätze noch einmal auf die Tagesordnung bringen. Ich bin gespannt, ob Sie dann Ihre Haltung dazu revidieren. Ich bin aber immer guter Hoffnung – vielleicht bekommen wir ja die Unterstützung des Herrn Ministerpräsidenten, der ja wohl als Leithammel die CSU-Fraktion umstimmen könnte. Beim Herrn Ministerpräsidenten lässt sich ja ganz besonders gut ausmachen, dass der Satz „Das Politische ist persönlich“

(Frau Gote (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Richtig!)

nicht länger als Selbsterfahrungsduselei abgetan werden kann,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

angefangen bei der Sportbegeisterung des Ministerpräsidenten und der daraus resultierenden Konsenslösung für das Münchner Olympiastadion bis hin zur Einschätzung der Ganztagsschulen, bei der die individuelle Betreuungssituation des Sohnes ganz schnell einen Szenenwechsel – zumindest wortmäßig – heraufbeschworen hat. Nun ist er Opa geworden; seine Tochter legt sehr viel Wert darauf, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch zu ermöglichen, wenn die Kinder im Babyalter sind. Vielleicht lässt sich der Ministerpräsident durch sein Enkelkind ja auch als Fürsprecher in Sachen Krippenfinanzierung gewinnen.

Die Präsidentin signalisiert mir jetzt, dass es mit meiner Redezeit ein Ende habe.

(Heiterkeit bei der CSU)

Dies ist sehr bedauerlich, weil ich Ihnen noch einiges zu sagen hätte. Ich werde den Rest meiner Rede zu Protokoll geben.

(siehe Anlage 2)

Ich hätte noch einiges zum sozialen Jahr zu sagen und möchte mich ganz herzlich bei den damit befassten Menschen bedanken. Ich möchte dies aber zu Protokoll geben und nun mit meinem Fazit enden.

(Zuruf von der CSU: Sehr gut!)

Ich bin auch zu Ihnen sozial.

(Ach (CSU): Zur Uhr sind Sie sozial!)

Machen Sie es nicht länger, als Sie unbedingt müssen.

Frau Ministerin Stamm, das neue Jahrtausend wird sozialpolitisch nicht einfacher, und der sogenannte Prüfstand, der gern alte Zöpfe abschneidet und innovativen Kräften den Weg bahnt, hält in der Sozialpolitik Einzug. Sozialpolitik ist aber nicht nur eine Frage der Finanzen – sie muss in erster Linie Lebensrisiken sichern und immer wieder auch die Solidarität der Gesamtgesellschaft einfordern. So auch beim Thema Kinderarmut, unter die neuesten Studien zufolge jedes siebte Kind fällt. Sozialpolitik hat eben oft mit den Schattenseiten der Gesell

schaft zu tun. Diese Menschen dort nicht stehen zu lassen, sondern ihnen eine Perspektive zur Teilhabe, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, ist unsere Aufgabe und unser Ziel.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Die Redezeit ist nun einmal begrenzt. Nun hat Herr Kollege Kobler das Wort.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Kollege Wahnschaffe hat zwar mit bestimmten Klimmzügen versucht, die rot-grüne Bundesregierung so darzustellen, dass sie vielleicht verdächtigt würde, eventuell die soziale Verdienstmedaille zu bekommen, aber dies ist ihm natürlich kläglich misslungen.

(Beifall bei der CSU)

Lieber Kollege Wahnschaffe, Sie haben zwar Anlauf genommen, aber dorthin hat kein Weg geführt.

Ich sage aber auch: Den Vorwurf vom schwarzen Filz weise ich namens unserer Fraktion zurück.

(Beifall bei der CSU)

Wir sprechen auch nicht vom rot-grünen Sumpf oder von etwas Ähnlichem.

(Beifall bei der CSU)

Ich meine, dies gehört zu den Anstandsregeln in diesem Hohen Hause.