Ich habe bei der 50-Jahrfeier der LfA, welche Herr Stoiber auch angesprochen hat, erlebt, wie Herr Rodenstock und Herr Schösser auf der Bühne über die wirtschaftliche Situation in Bayern diskutiert und konstruktiv miteinander versucht haben, die Probleme in Bayern zu lösen und die Entwicklung voranzutreiben, was ihnen auch gelingt. Dafür verdienen die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände in Bayern großes Lob und Anerkennung.
Ich sage auch, dass die Politik ihre Moderatorenrolle ernst nimmt und vernünftig durchführt. Das bestreite ich nicht, sondern das erkenne ich an. Leider wurde dieser Beschäftigungspakt aber von einem Versprechen des Herrn Ministerpräsidenten völlig überfrachtet.
Ich habe ihn doch dabei. Im Beschäftigungspakt heisst es: Ziel ist es, die Arbeitslosigkeit in Bayern bis Ende 2000 zu halbieren. Von diesem Ziel sind wir allerdings um Lichtjahre entfernt. Es wäre vernünftiger gewesen, ein realistischeres Ziel zu nennen.
Sie werden wahrscheinlich sagen, es wäre auch vernünftiger gewesen, wenn der Bundeskanzler bei seiner Perspektive zu den Arbeitslosenzahlen ein realistischeres Ziel vorgegeben hätte. Damit hätten Sie auch Recht; es wäre wirklich vernünftiger gewesen. Das Bündnis für Arbeit ist aber erst dem Bundeskanzler in Berlin gelungen. Dem früheren Bundeskanzler Kohl ist ein solches Bündnis nie gelungen.
Solange Sie regiert haben, hat es in Deutschland kein Bündnis für Arbeit gegeben. Erst jetzt gibt es das. In diesem Bündnis für Arbeit sind aber viel schwierigere Themen zu bewältigen als im Beschäftigungspakt Bayern.
Sie haben vom Arbeitsmarkt gesprochen. Wir vermissen Ihre konkreten Vorstellungen dazu. Es reicht nicht, immer nur zu sagen, der Arbeitsmarkt müsse dereguliert werden. Was meinen Sie damit? Wollen Sie den Kündigungsschutz abschaffen?
Wollen Sie den Flächentarifvertrag beseitigen? – Ja oder Nein? Wollen Sie neuerlich die Axt an die Lohnfortzahlung anlegen? – Ja oder Nein? Wollen Sie jetzt das 630-Mark-Gesetz tatsächlich wieder zurücknehmen oder nicht?
Das wollen Sie. Wunderbar, zum ersten Mal eine definitive Auskunft. Jetzt sagen Sie uns bitte auch noch, wo Sie die 2,7 Milliarden e hernehmen wollen, die dafür aufgebracht werden müssen. Wo ist Ihr Finanzierungsvorschlag?
Wollen Sie bei der Scheinselbständigkeit tatsächlich wieder dazu zurück, dass einem Kellner im Lokal zehn Tische zugewiesen werden mit dem Hinweis, er sei dann ein selbständiger Unternehmer, damit der Wirt seine Sozialabgaben sparen kann? Sind das die Perspektiven, die Sie für Deutschland haben?
Meine sehr geehrte Damen und Herren, mit Freuden haben wir heute vernommen, dass für die CSU-Staatsregierung tatsächlich – ich zitiere – „die gleichwertige Entwicklung aller Landesteile in Bayern an oberster Stelle steht“.
Das ist eine Neuigkeit, leider aber nicht die Wahrheit! Die Wahrheit heisst nämlich leider, dass sich während Ihrer Regierungszeit die regionalen Unterschiede in Bayern nicht verringert, sondern deutlich vergrößert haben. Der Unterschied zwischen der Wirtschaftskraft der Region München und jener der Region Oberfranken war noch nie so groß wie heute. Ich weiß, dass Sie diese Aussagen nicht gerne hören. Sie versuchen lieber alles, um diese Tatsachen zu bestreiten. Das wird Ihnen aber schon deshalb nicht gelingen, weil die Menschen in Oberfranken, in der nördlichen Oberpfalz oder im Bayerischen Wald es besser wissen.
München ist eine Konjunkturlokomotive, und das ist gut so. Sie steht unter Dampf, und das ist auch gut so. München wird diesen Erfolgskurs fortsetzen. Die anderen Landesteile sind die Anhänger, die mit gleicher Geschwindigkeit mitgezogen werden müssen und nicht
Dieses Versagen wird zunehmend auch bundesweit bekannt. Außerhalb Bayerns merkt man, dass unser Land nicht nur aus München, sondern aus vielen Regionen besteht, die zwar keine Armenhäuser und keine Armutsregionen sind – das haben wir auch nie behauptet –, die aber in einen Rückstand geraten sind und es nicht verdient haben, vergessen und an den Rand gerückt zu werden.
Offenbar hat der Bayerische Ministerpräsident mittlerweile selbst ein schlechtes Gewissen. Akribisch hat er die spärlichen Regionalprogramme aufgelistet. Er hat aber vergessen, die tatsächlichen Benachteiligungen zu erwähnen, für die wir immer wieder den Beweis erbracht haben. Von den steuerstärksten Gemeinden Bayerns liegt die Hälfte in Oberbayern. Von den wachstumsstärksten Unternehmen Bayerns sind über 50% allein in München angesiedelt. Der Anteil der Schulabgänger mit Hochschulreife ist in Oberbayern am höchsten und deutlich höher als in allen anderen Regierungsbezirken. Von den zwölf technologieorientierten Gründerzentren in Bayern befinden sich sieben in Oberbayern, keines davon in Niederbayern, keines in Oberfranken und keines in der Oberpfalz.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, entscheidend bei der Verteilung von Lebenschancen ist aber weniger die Wirtschafts-, sondern die Bildungspolitik. Über Bildung werden Lebens- und Zukunftschancen verteilt. Übrigens läuft auch das in Bayern regional ungerecht und auch sozial ungerecht. Die Pisa-Studie hat ergeben, dass in Bayern immer noch die Herkunft der Kinder für ihre Bildungs- und für ihre Lebenschancen ausschlaggebend ist. Das ist ein Armutszeugnis.
Dass das in anderen Bundesländern nicht anders ist, macht die Sache nicht besser, Herr Kollege Glück.
Den Oberhammer zu diesem Thema hat der bayerische Ministerpräsident heute geliefert und folgenden bemerkenswerten Satz formuliert: „Bildung ist keine Bringschuld des Staates.“
(Heiterkeit bei der SPD – Frau Radermacher (SPD): Wenn Sie, Herr Stoiber, das sagen! – Weitere Zurufe von der SPD: Das ist erbärmlich!)
Das ist ein bemerkenswerter Satz! Bildung ist keine Bringschuld des Staates – das muss man sich einmal vorstellen! Es ist die vornehmste Aufgabe des Staates, den Kindern Bildung zu bringen! Das ist Ihr Job!
Ja, selbstverständlich! Dafür sitzen Sie hier. Wollen Sie es wirklich jedem selber überlassen, ob er etwas lernt und ob etwas aus ihm wird? Man muss ihm doch helfen.
Man muss ihm doch die schulischen Angebote zur Verfügung stellen. Es ist eine Bringschuld des Staates, Bildung bereitzustellen.
Sonst könnten Sie doch die Schulpflicht abschaffen, wenn Sie das konsequent bis zum Ende weiterdenken.
Ich freue mich, dass wir heute Gelegenheit haben, mit dem Ministerpräsidenten über bayerische Bildungs- und bayerische Familien- und Kinderpolitik zu diskutieren. Das ist längst überfällig. Das ist auch spannend; denn bei diesem Thema gibt es in der Tat die deutlichsten Unterschiede zwischen uns. Man kann das auch an Formulierungen festmachen. Der bayerische Ministerpräsident beschreibt sein Familienbild mit folgender Formulierung:
„Wir wollen für die Frauen die Wahlfreiheit zwischen häuslicher Tätigkeit, zwischen Familie und Beruf.“ Die Wahlfreiheit!
Wissen Sie, was entscheidend ist? – Es ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die entscheidend ist.
Jede Frau hat selbstverständlich die Möglichkeit – und jeder Mann auch! –, zu Hause zu bleiben, Kinder zu erziehen, den Haushalt zu organisieren. Es ist eine großartige Leistung, die dort vollbracht wird. Wir reden das nicht gering. Ich respektiere das und schätze den Einsatz von Frauen und Männern, die häusliche Arbeit leisten, sehr hoch ein. Aber der Wunsch der meisten jungen Frauen und Männer ist es eben nicht, sich zwischen Beruf und Familie entscheiden zu müssen, sondern beides unter einen Hut bringen zu können. Das ist doch der entscheidende Punkt, den Sie aber leider noch nicht begriffen haben.
Nicht Wahlfreiheit zwischen zwei Alternativen, Herr Glück, sondern Vereinbarkeit von beidem – das ist der entscheidende Punkt. Das haben Sie nicht begriffen, und das merken die Familien in Bayern, und zwar daran, dass es in keinem Bundesland in Deutschland so wenige Kinderbetreuungseinrichtungen gibt wie bei uns. Sie haben Bayern auf dem Gebiet der Kinderbetreuung auf den allerletzten Tabellenplatz in Deutschland gebracht.
Das gilt für Krippen, das gilt für die Nachmittagsbetreuung, und das gilt insbesondere für die Ganztagsschulen, die wir aus pädagogischen und sozialen Gründen für zukunftsorientiert halten.