Protokoll der Sitzung vom 15.05.2002

Das ist eine wichtige Aufgabe. Ich glaube, um sie gut zu erfüllen, ist es wichtig, ein Kind möglichst gut zu kennen. Es widerspricht deshalb absolut nicht dem Gedanken der Reformpädagogik, Herr Kollege Egleder, sondern im

Gegenteil, es unterstützt sie sogar, wenn wir eine zusätzliche Möglichkeit schaffen, durch die eine Lehrerin oder ein Lehrer die Stärken und Schwächen ihrer bzw. seiner Kinder erkennen kann.

(Franzke (SPD): Das sind nicht seine Kinder!)

Nein, es sind die Kinder in seiner Klasse, ich bitte um Nachsicht. Wenn es um diese Frage geht, Herr Kollege, sind wir großzügig. Wenn es aber um die Sache geht, dann möchte ich deutlich bleiben. Wir sehen in diesen Orientierungsarbeiten eine echte und eine große Chance, die Stärken und Schwächen eines Kindes besser zu erkennen, und seine Stärken zu fördern bzw. bei seinen Schwächen zu helfen.

(Frau Radermacher (SPD): Das hilft doch nichts!)

Meine Damen und Herren, was sind die Orientierungsarbeiten nicht? Ich möchte hier in aller Deutlichkeit noch einmal wiederholen, worum es geht, damit die Vorurteile, die im letzten Jahr geschürt worden sind, nicht weiter verbreitet werden. Die Orientierungsarbeiten werden nicht benotet.

(Egleder (SPD): Noch nicht!)

Sie fließen nicht ins Zeugnis ein. Orientierungsarbeiten sind kein Instrumentarium für das Übertrittsverfahren. Die Orientierungsarbeiten sind auch kein Bestandteil der Lehrerbeurteilungen. Die Orientierungsarbeiten sind dafür da, dass wir ein zusätzliches Beratungsinstrument haben, damit wir Hilfe geben können. Wie sieht das ganz konkret aus? Schauen Sie, ein Lehrer oder eine Lehrerin draußen hat als Vergleichsmaßstab doch nur die Klasse, die er bzw. sie unterrichtet. Das bedeutet, die Lehrkräfte haben als Bezugsgröße nur die jeweilige Klasse.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die haben doch Erfahrung!)

Die Lehrkraft hat als Bezugsgröße die Klasse und das einzelne Kind, das besser oder schlechter geworden ist. Was der Lehrkraft aber fehlt, ist der Vergleich zu anderen Klassen, der Vergleich mit anderen Schulen.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vergleiche nie ein Kind mit dem anderen!)

Es ist deshalb eine große Hilfe, wenn wir eine Vergleichsmöglichkeit in anonymer Form schaffen, damit ein Lehrer oder eine Lehrerin sich orientieren kann, ob er oder ob sie mit ihrer Arbeit richtig liegt oder an der Schule zusätzliche Hilfe und Unterstützung braucht. Wir haben unsere Überlegungen eng mit der CSU-Fraktion und dem CSU-Arbeitskreis Bildung abgestimmt. Wir haben etwas geschaffen, von dem ich sicher bin, wir werden mehr Zustimmung erfahren, als das im Augenblick viele annehmen. Allein die Tatsache, dass wir einen Probelauf für das dritte Schuljahr machen und nächstes Jahr für das zweite Schuljahr sowie die Tatsache, dass wir bereits jetzt Rückmeldungen haben, die darauf schließen lassen, dass mehr als die Hälfte der Lehrkräfte freiwillig mitmachen werden, zeigt, dass das Konzept

von der Lehrerschaft durchaus angenommen und ernst genommen wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, abschließend darf ich noch zwei Zitate vorlesen. Vielleicht wäre der Test zur Lesekompetenz aber auch einmal ganz gut in Richtung auf die Opposition und auf einige Lehrerverbände auszulegen.

Ich zitiere Frau Widder, Rektorin der Grundschule Hermann-Kolb-Straße in Altenfurt. Sie begrüßt die Orientierungsarbeiten und führt in der Presse Folgendes aus:

Ich denke, dass sich Schule heutzutage einer Weiterentwicklung stellen muss. Jede Innovation beginnt mit Evaluation und Bestandsaufnahme. An meiner Schule wird im Höchstmaß gearbeitet. Dann sind die Lehrer auch froh darüber, wenn sie sich mit einem in Bayern durch den Lehrplan gegebenen Standard messen können und somit sehen, wie erfolgreich ihre Arbeit war. Aus dem Ergebnis der Orientierungsarbeiten sehe ich für meine Schule eine Chance für gezielte Verbesserung, für Bewegung, dass sich etwas rührt, einen Impuls für intensive Zusammenarbeit der Parallelklassen und des gesamten Kollegiums.

Hier eine weitere Stimme. Eine Lehrkraft aus der Grundund Teilhauptschule Großgründlach in Nürnberg. Hier steht:

Wir begrüßen im Gegensatz zum BLLV ausdrücklich solche Arbeiten, um einen Leistungsvergleich der Klassen und Schulen zu bekommen. Meinem Kollegium wird von den Eltern gelegentlich vorgeworfen, wir hätten einen zu hohen Standard, und würden deshalb von den Kindern zu viel abverlangen.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Allein deshalb wäre uns ein Maßstab sehr hilfreich. Ich möchte das Kultusministerium ausdrücklich in seinem Vorhaben unterstützen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben von einer ganzen Reihe hochqualifizierter Lehrkräfte ähnliche Aussagen. Es geht noch weiter. Wir haben die Unterstützung renommierter Wissenschaftler. Wir haben ein Konsortium gegründet, bei dem Wissenschaftler wie die Professoren Ditton vom Institut für Pädagogik, Pekron vom Institut für pädagogische Psychologie oder Frau Angelika Speck-Hamdan vom Lehrstuhl für Grundschuldidaktik sowie die Professoren Olav Köller von der Uni Nürnberg und Wolfgang Schneider von der Uni Würzburg mitmachen. Wir haben Professor Boos an unserer Seite, der uns hilft, die Arbeiten zu erstellen. Er hat die Iglu-Tests gemacht, die von Ihnen nicht angefochten, sondern ausdrücklich begrüßt worden sind. Wir haben internationale Wissenschaftler an unserer Seite, doch Sie tun so, als ob wir eine völlig unpädagogische Maßnahme einführen würden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, entweder Sie haben sich mit der Thematik nicht befasst, oder Sie wollen sich damit nicht befassen.

(Beifall bei der CSU – Egleder (SPD): Was ist mit den Waldorf-Schulen? Warum weichen Sie unseren Fragen aus?)

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Radermacher? – Nein, Sie gestatten nicht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, langsam habe ich bei Ihnen den Eindruck, dass Sie sich in Ihren Vorurteilen nicht durch Tatsachen stören lassen wollen. Die Orientierungsarbeiten sind für uns ein ganz wichtiges Instrument, welches im Übrigen auch in den Ländern in ganz besonders hohem Maße vorzufinden ist, welche in der Pisa-Studie vorne liege. Sie waren doch in Finnland und in anderen Ländern. Haben Sie sich dort oder auch in Nordrhein-Westfalen informiert?

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Haben wir!)

Dort und auch in Kanada und anderswo sind vergleichende Untersuchungen an den Schulen schon lange gang und gäbe, um gemeinsame Standards für das ganze Land entwickeln zu können. Wir müssen den Schulen so viel Freiraum geben wie nur möglich.

(Zurufe von der SPD und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Tun Sie es doch einmal!)

Es muss aber auch die Chance bestehen, dass sich die Schulen an einem Standard messen können, und dieser Standard ist wichtig, damit die Kinder ihr Schul- und ihr Lebensziel erreichen. Ich bedanke mich bei der Fraktion für die Unterstützung und ich bitte die Opposition, in Zukunft wirklich zur Kenntnis zu nehmen, was Orientierungsarbeiten sind und nicht den Vorurteilen eines Lehrerverbandes zu folgen.

(Beifall bei der CSU)

Wortmeldungen liegen mir nicht mehr vor. Die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Der federführende Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport empfiehlt die Ablehnung des Antrags. Wer dagegen zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie Herr Abgeordneter Hartenstein. Gegenstimmen bitte ich anzuzeigen. – Das sind die Fraktion der CSU und Frau Kollegin Grabmair. Gibt es Stimmenthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Der Antrag ist abgelehnt.

Wir kommen jetzt zur namentlichen Abstimmung über den zum Plenum eingereichten Dringlichkeitsantrag der SPD-Fraktion betreffend das Gesetz zur tariflichen Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen und zur Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen, Drucksache 14/9445. Für die Stimmabgabe sind die entsprechend gekennzeichneten Urnen bereitgestellt. Die Ja-Urne steht auf der Oppositionsseite, die Nein-Urne auf der Seite der CSU-Fraktion und die Urne für Stimm

enthaltungen auf dem Stenografentisch. Mit der Stimmabgabe kann jetzt begonnen werden. Sie haben fünf Minuten zur Verfügung.

(Namentliche Abstimmung von 17.12 bis 17.17 Uhr)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Abstimmung ist abgeschlossen. Das Abstimmungsergebnis wird außerhalb des Saales ermittelt.

Wir können noch erledigen:

Tagesordnungspunkt 11

Antrag der Abgeordneten Locher-Fischer, SchmittBussinger und anderer (SPD)

Beratungsangebote für gewaltbereite Männer (Drucksache 14/7854)

Alle Rednerinnen haben sich verpflichtet, durch kurze Ausführungen dazu beizutragen, dass noch vor 17.30 Uhr abgestimmt werden kann.

(Unruhe)

Jetzt bitte die Herren der Schöpfung bei der CSU und die Damen auf der linken Seite, so viel Bereitschaft zu zeigen, die Wortmeldungen auch entgegenzunehmen. Erste Rednerin ist Frau Kollegin Schmitt-Bussinger.

Sehr geehrter Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der SPD-Fraktion auf Beratungsangebote für gewaltbereite Männer wurde bereits im Sozialpolitischen Ausschuss und im Innenausschuss behandelt. Er hat dort leider keine Mehrheit gefunden. Wir haben diesen Antrag heute noch einmal in die Beratung eingebracht, weil wir glauben, dass Gewaltschutz vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte über Gewalt in unserer Gesellschaft einen neuen Stellenwert bekommen hat und diesen auch haben muss. Vor allem müssen konkrete Konsequenzen folgen.

Ich zitiere unseren Innenminister Dr. Günter Beckstein:

Gewalt in der Familie gilt inzwischen als die am weitesten verbreitete Form der Gewalt, die ein Mensch in seinem Leben erfahren oder beobachten kann. Mehr als 40000 Frauen flüchten jährlich bundesweit, teilweise auch mit ihren Kindern, in eines der mehr als 400 Frauenhäuser in Deutschland. Insbesondere für Kinder ist diese Gewalt in der Familie problematisch, selbst wenn sie nicht unmittelbar von der Gewalt betroffen sind, aber in einem gewaltgeprägten Umfeld aufwachsen müssen. Häusliche Gewalt ist also ein Phänomen, das über die Betroffenen enormes Leid bringt und die Gesellschaft als Ganzes belastet.

Soweit das Zitat unseres Herrn Innenministers.

Die Durchsetzung eines effektiven Gewaltschutzes wurde bereits im Landtag mehrmals thematisiert. Dazu gab es vonseiten der GRÜNEN und vonseiten der SPD

mehrere Anträge, welche leider größtenteils abgelehnt wurden. Es besteht aber in diesem Bereich weiter enormer Handlungsbedarf. Heute will ich mich ausschließlich auf den Antrag auf Beratungs- und Hilfsangebote für gewaltbereite Männer konzentrieren. Wir meinen, dass Täter lernen und die Chance bekommen müssen, ihr Verhalten zu ändern, damit sie den Gewaltkreislauf durchbrechen können.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe es eingangs gesagt: Insbesondere vor dem Hintergrund der Gewaltdiskussionen der letzten Wochen und aufgrund der gestrigen Aktuellen Stunde bekommt unser Antrag eine neue Qualität und Bedeutung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Seiten der CSUFraktion, Sie können heute unter Beweis stellen, wie Ihre verbale Bereitschaft, der Gewalt in unserer Gesellschaft entgegenzuwirken, in politisches Handeln umgesetzt wird.

(Beifall bei der SPD)