Protokoll der Sitzung vom 13.06.2002

Stimmenthaltungen gab es auch nicht. Der Dringlichkeitsantrag ist angenommen.

(Abstimmungsliste seihe Anlage 8)

Da ich gerade außerhalb der Tagesordnung bin, weise ich vor allem auch neue Kollegen und einige Kollegen, die es längst wissen müssten, darauf hin, dass wir hier im Plenum nicht mit Handys telefonieren. Die Handys sind eigentlich hier drinnen immer ausgeschaltet. Deswegen bitte ich sehr um Verständnis dafür, dass ich dagegen einschreiten muss.

Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 5

Gesetzentwurf der Abgeordneten Christine Stahl, Dr. Dürr, Elisabeth Köhler und anderer und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

zur Förderung der Integration im Freistaat Bayern (Drucksache 14/8221)

Zweite Lesung –

hierzu:

Antrag der Abgeordneten Christine Stahl, Dr. Dürr, Elisabeth Köhler und anderer und Fraktion (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Änderung der Geschäftsordnung für den Bayerischen Landtag

hier: Ausschuss für Migrations- und Integrationsfragen (Drucksache 14/8243)

Antrag der Abgeordneten Maget, Dr. Hahnzog, Vogel und anderer und Fraktion (SPD)

Integrationspolitik für Ausländerinnen und Ausländer (Drucksache 14/8570)

Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist Frau Kollegin Köhler.

Frau Elisabeth Köhler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) : Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeszuwanderungsgesetz wird vermutlich wohl demnächst von Bundespräsident Johannes Rau unterzeichnet werden. Davon gehe ich aus.

(Dr. Bernhard (CSU): Was ein schwerer Fehler ist!)

Deshalb werden wir, denke ich, in den nächsten Tagen eine öffentliche Debatte darüber bekommen. Daher schadet es nicht, wenn wir uns hier im Bayerischen Landtag anlässlich unseres Gesetzentwurfs mit dem Thema nochmals intensiv beschäftigen.

Ich gehe auch davon aus – der Zwischenruf des Kollegen Dr. Bernhard bestätigt es –, dass die Union dieses sensible Thema wohl zum Wahlkampfthema machen wird. Herr Kollege Bernhard, davor ist mir allerdings

nicht bange; denn die rot-grüne Bundesregierung hat für die Notwendigkeit dieses Gesetzes gute Argumente und es gibt in der Gesellschaft eine breite Zustimmung. Sämtliche Einrichtungen, Initiativen und Organisationen, die mit diesem Thema befasst sind, haben sich in der Debatte zu Wort gemeldet, Zustimmung und das InKraft-Treten dieses Gesetzes gefordert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Dr. Hahnzog (SPD))

Wir stellen uns der Debatte. Wir ducken uns nicht weg, sondern sagen den Menschen, dass Einwanderung notwendig ist, dass sie politisch gesteuert werden muss und dass eine Einwanderung zwingend Integrationsmaßnahmen zur Folge haben muss. Einwanderung ohne Integration führt ins Desaster. Das kann man an der so genannten Gastarbeiter-Zuwanderung der 60er und 70er Jahre genau studieren.

(Glocke des Präsidenten)

Migrationsforscher sagen uns: Dies war eine gewollte Unterschichtszuwanderung. Die Industrie brauchte auf bestimmten Sektoren Arbeitskräfte. Diese hat man angeworben, und man ging automatisch davon aus, dass diese Menschen irgendwann wieder in ihr Heimatland zurückkehren werden. Dem war aber nicht so. Diese Menschen sind hier geblieben und haben Familien gegründet, und man hat sie weitgehend sich selbst überlassen. Die Industrien, in denen sie eingesetzt wurden, sind dem Strukturwandel zum Opfer gefallen. Da man für die Weiterqualifizierung oder Umschulung nichts unternommen hat, wundert man sich heute darüber, dass es in dieser Bevölkerungsgruppe so viele Sozialhilfeempfänger gibt.

Die Pisa-Studie hat festgestellt, unser Bildungssystem benachteiligt die Kinder gerade aus dieser Bevölkerungsgruppe. Unser Bildungssystem zementiert geradezu die Chancenungleichheit, und dies ist ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist aber nicht nur ein Armutszeugnis, sondern auch eine Verschwendung von Ressourcen. Ein Bildungsund Ausbildungssystem, in dem alle Jugendlichen entsprechend ihren Fähigkeiten gefördert werden und in dem es eben nicht vom Geldbeutel oder dem Bildungsniveau der Eltern abhängt, ob die Kinder auf weiterführende Schulen gehen können oder nicht, ist ein Standortvorteil und spart Steuergelder, die ansonsten in die Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe fließen.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

Meine Damen und Herren, bei diesem Thema betreibt die CSU ein doppelbödiges Spiel. Auf der einen Seite schürt sie die Angst vor Überfremdung und versucht sie, aus der latent vorhandenen Fremdenangst in der Bevölkerung politisch Kapital zu schlagen. Auf der anderen Seite macht aber zum Beispiel die Staatsregierung in

Berlin Druck, etwa um ausländische Pflegekräfte nach Bayern holen zu können.

Die CSU behauptet, wir bräuchten keine Zuwanderung, der Fachkräftemangel in Deutschland könne durch Qualifizierung oder innerdeutsche Wanderung behoben werden. Ich sage Ihnen, dann machen Sie uns das doch einmal in Bayern vor. Ihnen gelingt es nicht, den eklatanten Fachkräftemangel zum Beispiel im Raum Oberbayern, der von der IHK auf 50000 geschätzt wird, ohne Zuwanderung zu beheben. Seit Jahren haben wir insbesondere im Großraum München einen großen Pflegekräftemangel. Frau Stewens schreibt in einer Pressemitteilung vom 8. Oktober 2001, die Gewinnung qualifizierter ausländischer Pflegekräfte sei Teil des Konzepts der Bayerischen Staatsregierung zur Verbesserung der Pflegesituation in Bayern. Innenminister Dr. Beckstein wird in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 8. März 2002 zitiert: „Wir haben einen Engpaß bei qualifizierten Pflegekräften.“

Wie wird mit diesem Problem in Bayern umgegangen? – Man schließt Anwerbeverträge mit anderen Staaten. In der Zeit der großen Flüchtlingszuwanderung aufgrund des Kriegs auf dem Balkan arbeiteten viele Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien auf diesem Sektor. Die Flüchtlinge hat man nach Hause geschickt oder abgeschoben. Die Menschen, die über die Anwerbeverträge in der Pflege arbeiten, schickt man dann, wenn sie Deutsch können und sich integriert haben, ebenfalls nach Hause. Der Grund dafür ist, man will unter allen Umständen verhindern, dass sich ihr Aufenthalt hier verfestigt, dass ein Anspruch auf Familiennachzug entsteht oder dass sich die Menschen hier dauerhaft niederlassen. Man will das Rotationsprinzip aufrecht erhalten, koste es, was es wolle.

Das, meine Damen und Herren, ist die Migrationspolitik der Sechzigerjahre. Man holt sich Menschen, läßt sie für sich arbeiten, gibt ihnen keine Perspektive und keinen sicheren Aufenthalt und schickt sie je nach Konjunkturlage wieder nach Hause. Wer so einen Ansatz verfolgt – und so einen Ansatz entdecke ich in Ihrer Politik immer wieder –, der braucht sich natürlich keine Gedanken über Integrationskonzepte zu machen.

Ein anderes Beispiel für Ihre Vogel-Strauß-Politik.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Franz-Josef-Strauß-Politik!)

Vogel-Strauß-Politik. Man leugnet in der CSU konstant die Tatsache, dass Zuwanderung auch aus demografischen Gründen notwendig ist. Es ist unbestritten, dass unsere Gesellschaft die drohende Überalterung mit allen Folgen für unsere Sozialsysteme nicht allein – ich betone ausdrücklich: nicht allein – durch Zuwanderung wird lösen können, aber ohne Zuwanderung wird sich die Situation noch mehr verschärfen und zuspitzen. Den demografischen Faktor zu leugnen und so zu tun, als gebe es ihn nicht, als würde sich das Problem irgendwie von selbst erledigen, ist fahrlässig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In einem Gutachten, das die Bayerische Staatsregierung in Auftrag gegeben hat und das von Professor Schmid von der Universität Bamberg erstellt wurde, können Sie selbst nachlesen, wie sich die Bevölkerung entwickelt. Da heißt es zum Beispiel, dass die Zahl der Neugeborenen weder ausreicht, um die Zahl der Gestorbenen auszugleichen, noch reicht sie aus, um die Elterngeneration in ihrer Stärke zu ersetzen. Nichts deute darauf hin, dass sich bei den geburtenschwachen Jahrgängen, die nun ihrerseits Eltern werden, etwas an der Nachwuchszahl ändert. Im Gegenteil: Wegen der nunmehr lang andauernden Phase eines verstärkten Geburteneinbruchs müsse man von einer demografischen Implosion ausgehen. Professor Schmid kommt zu dem Schluss, dass es eines Politikmixes bedarf, bei dem die Zuwanderung eine wichtige Rolle spielt. Er errechnet einen Zuwanderungsbedarf von jährlich 200000 Menschen. Aber diese Fakten, die Sie selbst in Auftrag gegeben und für die Sie bezahlt haben, ignorieren Sie in der Diskussion.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So wie die CSU den Zuwanderungsbedarf leugnet, so verschließt sie sich auch gegenüber sinnvollen Integrationskonzepten und -maßnahmen. Wenn ich mir die Diskussion um unser Integrationsgesetz in den Ausschüssen des Landtags ansehe und mich mit Menschen aus dem Bereich der Migration in Bayern unterhalte, was deren Vorstellungen und Anforderungen an die Politik sind, dann muss ich feststellen, dass hier eine riesige Kluft besteht. Man kann fast sagen, hier haben sich Parallelgesellschaften entwickelt.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Geistige Parallelgesellschaften!)

Geistige Parallelgesellschaften. Gerade letzte Woche haben wir hier im Landtag zwei Veranstaltungen zum Thema „Einwanderung und Integration“ gehabt. Wir konnten feststellen, dass unsere integrationspolitischen Vorstellungen, die wir auch in diesem Gesetz verankert haben, zukunftsweisend sind und sowohl von den Betroffenen als auch von der Fachwelt als zukunftsweisend und richtig angesehen werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn ich mir außerdem ansehe, was in anderen Landesparlamenten an Konsens in Integrationsfragen herrscht und welche Empörung man hier im Bayerischen Landtag auslöst, wenn man diese Forderungen in Anträge kleidet, dann kann ich nur feststellen, dass man hier die Veränderungsprozesse nicht wahrhaben will und dass man über den Tellerrand Bayerns nicht hinausblickt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Bayerische Landtag ist in der integrationspolitischen Debatte nicht auf der Höhe der Zeit, und die Mehrheit hier im Hause will sich mit diesem Thema nicht auseinander setzen. Das ist aus meiner Sicht nicht ganz verwunderlich. So hat Bayern zum Beispiel als eines von wenigen Bundesländern keinen Ausländerbeauftragten. Wenn sich also die Ausländerbeauftragten der Länder

auf Bundesebene treffen und die Migrations- und integrationspolitischen Fragen diskutieren, ist Bayern nicht vertreten. In Bayern wird der Zusammenschluss der Ausländerbeiräte auf Landesebene weder institutionell anerkannt noch finanziell gefördert. Daran erkennt man, dass Migrations- und Integrationspolitik keinen Stellenwert hat, weder für die Staatsregierung, noch für die CSU.

Da ist es nicht verwunderlich, dass Forderungen der Landesausländerbeauftragten an die Politik, wie sie zum Beispiel Ende Mai erhoben wurden, in Bayern überhaupt nicht wahrgenommen werden. So forderten die Landesausländerbeauftragten, die Integration von Migrantinnen und Migranten zu einer politischen Priorität und Querschnittsaufgabe aller Bereiche zu machen. Genau um diese Querschnittsaufgabe geht es in unserem Integrationsgesetz. Deshalb haben wir ein eigenes Gesetz und viele Gesetzesänderungen vorgeschlagen. Wir zeigen auf, dass Integration eine Querschnittsaufgabe ist, die sämtliche Lebensbereiche betrifft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben in unserem Integrationsgesetz den Begriff der Integration definiert. Auch wenn Sie uns in der Debatte um dieses Gesetz Ihre Definition von Integration verweigert haben, sage ich Ihnen, Sie werden um die Beantwortung der Frage, was verstehen Sie unter Integration, wohin wollen Sie integrieren, was bedeutet Integration für die Mehrheits- und Minderheitsgesellschaft, nicht herumkommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)