Protokoll der Sitzung vom 26.06.2002

Noch bei der Diskussion über unseren Dringlichkeitsantrag zur Wahl in Dachau in der Plenarsitzung am 13. Juni meinte neben einer Reihe anderer Abwiegler in Ihren Reihen Herr Staatssekretär Regensburger, es gäbe hinsichtlich der Einschätzung der OB-Wahl keine neuen Indizien. Er hat uns belehrt, dass wir nicht so vermessen sein sollten, zu diesem Thema Anträge zu stellen. Letztendlich müssen Sie aber zugeben, dass sich die Einschätzung, die wir mit unserem Antrag zum Ausdruck gebracht haben, doch bewahrheitet hat.

(Heike (CSU): Das muss das Gericht entscheiden!)

Ich frage mich schon, was in dieser einen Woche eigentlich passiert ist, dass nach der Äußerung von Herrn Regensburger plötzlich doch Indizien hinzugekommen sind und nach so kurzer Zeit die Stichwahl doch für ungültig erklärt wurde. Weiß das Innenministerium nicht darüber Bescheid, was andere tun? Immerhin ist es in diesem Fall die Aufsichtsbehörde.

Wir wollten natürlich gerne wissen, welche Gründe die Regierung von Oberbayern für ihre Entscheidung vorgebracht hat. Wir haben versucht zu recherchieren, aber das Innenministerium hat gemeint, über interne Verwaltungsverfahren könne man uns nichts sagen. Hier muss ich mich allerdings schon fragen: Wenn man den Medienberichterstattungen glauben kann, ist Herr Christmann nicht so geheimniskrämerisch. Er hat anscheinend keine Probleme, über staatsanwaltschaftliche Ermittlungen im CSU-Kreisvorstand zu berichten. Halten Sie das für in Ordnung? Ist das nicht nur eine politische, sondern auch eine strafrechtliche Frage? Sollte man hier nicht einmal recherchieren, ob möglicherweise die Verletzung eines Dienstgeheimnisses vorliegt? – Das müssen Sie doch untersuchen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass diese Medienberichterstattung bis heute nicht dementiert wurde.

(Zurufe von der CSU: Untersuchungsausschuss!)

Den brauchen wir nicht; denn noch setzen wir auf die Staatsanwaltschaften, die in Bayern weiß Gott noch nicht korrupt zu nennen sind.

(Glück (CSU): Das ist ja schon eine Anerkennung!)

Ich sage Ihnen noch einmal: Sie haben hier zu recherchieren. Sollte sich dabei herausstellen, dass wirklich das getan wurde, was Sie in der „Dachauer Zeitung“ nachlesen können, dann haben Sie das auch strafrechtlich zu verfolgen. Zur Verfolgung der Tat brauchen wir allerdings eine Ermächtigung, und ich fordere Sie hier auf, diese Ermächtigung auch zu erteilen, sofern sich herausstellen sollte, dass diese Zeitungsberichte richtig sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist richtig, dass sich die Politik in diesem sehr sensiblen Fall mit Empfehlungen für die Aufarbeitung des Wahlskandals zurückhalten sollte, damit nicht der Ein

druck der parteipolitischen Einflussnahme entsteht. Deswegen haben wir uns auch mit den Anträgen so schwer getan, und deswegen haben wir unsere Anträge auch sehr vorsichtig formuliert.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heike?

Nein, es ist schon spät. – Was Sie sich, meine Damen und Herren der CSU, durchaus überlegen sollten, ist, ob Sie sich Ihre Parteimitglieder doch einmal vorknöpfen sollten, ob Sie mit denen doch einmal Tacheles reden sollten – soweit sie nicht in U-Haft sitzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wollen Sie mit diesen Mitgliedern denn nicht überlegen, wie der Skandal aufgearbeitet werden soll? – Es werden Klagen angekündigt – nicht nur vom Oberbürgermeister, sondern auch von der Jungen Union. Man möchte das Ganze hinausziehen. Wollen Sie als Landtagsfraktion damit wirklich im Landtagswahlkampf leben? – Ich kann mir das eigentlich nicht vorstellen. Wir würden es nicht tun wollen. Wir haben aber auch Gott sei Dank solche Probleme nicht am Hals.

(Widerspruch bei der CSU)

Wir sehen, dass Sie sich jede Woche aufs Neue von irgendwelchen Parteimitgliedern distanzieren müssen – wohlweislich nicht von Leuten des Hohen Hauses. Doch, einer ist dabei. Sie müssen sich distanzieren von Herrn Schreiber, Herrn Dr. Gröber, Herrn Hollerith, Herrn Bachl, Herrn Aechtner und Herrn Trifinopoulos. Das sind Ihre Parteimitglieder. Sie können doch nicht verschleiern, dass das Ihre Leute sind, auch wenn Ihr Generalsekretär davon spricht, dass es sich bei Letzteren nur um Wahlhelfer gehandelt hätte.

(Ach (CSU): Die gibt es überall!)

Ich rate Ihnen gut: Nennen Sie Ross und Reiter. Räumen Sie auf, räumen Sie auf, hangeln Sie sich nicht von Affäre zu Affäre, und rufen Sie nicht immer empört „Schlammschlacht“, wenn Sie den Schlamm selbst produzieren!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ich verstehe auch nicht, warum Sie sich von einem Provinzfürsten auf der Nase herumtanzen lassen. Herr Glück verteidigt auch noch das Vorgehen des infrage stehenden Oberbürgermeisters. Wir kennen das von der Geiselnahme. Wenn man nichts gegen die Geiselnehmer tun kann, verbündet man sich mit ihnen.

(Zurufe von der CSU)

Anstatt deutlicher Worte kommen von Ihrer Seite verquaste Philosophierereien. Herr Stoiber ließ via Medien ausrichten, dass die Wahlfälschung nicht gut sei. Zur OB-Stichwahl hat er im Übrigen noch kein Wort erklärt –

zumindest ist es mir nicht bekannt. Der Generalsekretär lässt verkünden, dass der Dachauer OB – ich zitiere –

zwischen politischer Klugheit und dem Wunsch nach dem Nachweis seiner persönlichen Seriosität und Integrität zu entscheiden hätte.

Wenn das nicht sybillinisch ist! Statt dass er sagt: Guter Mann, du hast Mist gebaut, tritt zurück.

(Meyer (CSU): Was hat er denn gemacht? – Glück (CSU): Wo hat er Mist gebaut?)

Er hat politisch Mist gebaut.

Ich verstehe nicht, warum der gesamte Stadtrat nicht den Weg für Neuwahlen frei gemacht hat. Stattdessen klebt er an den Sesseln und ist nicht bereit, auch nur ein Fitzelchen der vermeintlichen Macht in der Provinz aufzugeben. Das hat etwas mit politischem Anstand zu tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Immerhin hat eine Frau aus Ihren Reihen dies verstanden. Wollen Sie ihr vorwerfen, dass ihr Rücktritt dumm war? Ich glaube nicht, dass es dumm war.

Man kann in dem Artikel weiter lesen, dass die Erklärung des Generalsekretärs als deutliche Aufforderung interpretiert worden sei. Entweder ist es eine deutliche Aufforderung, oder man muss sie interpretieren. Deutliche Worte fehlen.

(Ach (CSU): Die fehlen bei Ihnen öfter!)

In den vergangenen Tagen wurde viel von bayerischen Spitzenpositionen geredet. Dem Demokratieverständnis der CSU-Leute vor Ort und einiger Einzelpersonen können wir kein gutes Zeugnis ausstellen.

Der Antrag der SPD hat sich tatsächlich weitgehend erledigt. Allerdings sind noch einige Fragen enthalten, die wir für sehr aufklärenswert halten. Wir bitten, dass diese offenen Fragen anlässlich des Berichts, der im zuständigen Ausschuss gegeben werden soll, auch beantwortet werden. Sollte es schon geschehen sein, wäre das schön. Ich glaube aber nicht, dass diese Fragen zu unserer Befriedigung beantwortet worden sind. Das sollte noch einmal behandelt werden. Wir enthalten uns der Stimme, meinen aber, dass die Beantwortung der restlichen Tirets Sinn macht.

Meine Herren und Damen, es gab Zeiten, da war die Demokratie etwas sehr Kostbares. Die Wahlbeteiligung war hoch, und Respekt vor dem politischen Gegner selbstverständlich. Heute, so scheint es mir, sinkt die Hemmschwelle, sich die demokratischen Spielregeln nach den eigenen opportunen Bedürfnissen zurechtzubiegen. Tiefpunkt und Beweis dafür ist Dachau.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zurufe von der CSU: Joschka Fischer!)

Das Wort hat Herr Staatssekretär Regensburger. Bitte schön.

Staatssekretär Regensburger (Innenministerium) : Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit dem Antrag versuchen Prof. Dr. Gantzer und die SPD-Fraktion erneut, ihr politisches Süppchen zu kochen. Ich habe bereits in der letzten Plenarsitzung dazu deutlich meine Meinung gesagt. Das möchte ich nicht wiederholen und verweise auf das Protokoll der letzten Plenarsitzung.

(Zurufe von der SPD und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Prof. Dr. Gantzer, ich wehre mich dagegen, dass Sie uns „Salamitaktik“ vorwerfen. Wie zu verfahren ist, ist ganz genau und detailliert im Gesetz geregelt. Die Rechtsaufsichtsbehörde hat sich streng an Recht und Gesetz zu halten, und sie hat sich auch daran gehalten. Die Rechtsaufsichtsbehörden – es ist unterschiedlich, je nachdem, ob es die Kreistags- oder die Stadtrats- und OB-Wahl ist – haben die Ermittlungen aufgenommen. Sie haben vernünftigerweise auch die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen beigezogen. Es dauerte eine gewisse Zeit, bis Hunderte von Vernehmungen durchgeführt worden sind; denn man muss davon ausgehen – das zeigt sich nach den Ankündigungen –, dass Ungültigerklärungen auch angefochten werden. Die Ungültigerklärungsbescheide müssen wasserdicht sein und vor den Gerichten standhalten. Deshalb ist es vernünftig, nicht hektisch vorzugehen.

Wir haben uns auch zurückgehalten, was die politischen Einflussnahmen anbelangt; denn Sie wären die Ersten gewesen, die uns parteitaktisches Verhalten vorgeworfen hätten.

(Beifall bei der CSU)

Zuständig sind die beiden Rechtsaufsichtsbehörden, nämlich das Landratsamt und die Regierung von Oberbayern. Unsere Kommunalabteilung hat die Stellen, wenn angefragt wurde, rechtlich beraten.

Meine Damen und Herren, was zum Verhalten der jeweiligen CSU-Mandatsträger gesagt worden ist, ist von mir nicht zu kommentieren. Das unterliegt nicht der Bewertung der Staatsregierung, und ich meine, auch nicht der Bewertung durch den Bayerischen Landtag insgesamt. Das muss man auf parteipolitischer Ebene ausmachen.

Zur Kreistagswahl und zur Stadtratswahl brauche ich heute nichts mehr auszuführen. Interessant ist – das ist heute noch einmal gefragt worden –, welche neuen Fakten und Bewertungen sich zwischenzeitlich ergeben haben, die zur Aufforderung der Rechtsaufsichtsbehörde, nämlich der Regierung von Oberbayern, geführt haben, auch die Stichwahl für den Oberbürgermeister für ungültig zu erklären.

Dazu Folgendes: Ein Mandatsträger und ein Bewerber um das Amt als Gemeinderatsmitglied haben gegenüber der Staatsanwaltschaft gestanden, dass sie bei Teilneh

mern an der Stichwahl Hausbesuche unternommen haben, um Briefwahlunterlagen abzuholen. Insgesamt etwa 70 Stimmzettel sind dabei in ihrem Beisein gekennzeichnet worden. Dies wird im Rahmen der Beweiswürdigung so verstanden, dass sie bei der Kennzeichnung der Stimmzettel zugesehen haben. Wie es genau abgelaufen ist, kann man nicht feststellen.

Bei der rechtlichen Würdigung dieser Vorfälle ging das Landratsamt Dachau als Rechtsaufsichtsbehörde zunächst davon aus, dass es sich dabei um keine beachtlichen Wahlrechtsverstöße im Sinne des Wahlgesetzes handle, da sie nicht von amtlichen Wahlorganen oder Wahlbehörden begangen oder geduldet wurden, sondern von Privatpersonen. Die Regierung von Oberbayern und das Innenministerium haben diese Auffassung jedoch nicht für richtig gehalten. Die Wahrung des Wahlgeheimnisses ist nämlich nicht nur eine Verpflichtung für die Wahlbehörden und die Wahlorgane, sondern sie gehört auch zu den unumstößlichen Grundsätzen jeder Wahl und ist grundsätzlich von allen Wahlbeteiligten sehr, sehr sorgfältig zu beachten.