Protokoll der Sitzung vom 27.11.2007

Sie haben in dieses Gesetz die Meldepflicht für die beteiligten Berufsgruppen hineingeschrieben. Auch dessen bedürfte es eigentlich nicht, weil auch dieses bereits geregelt ist. Bereits jetzt muss bei verlässlichen Anhaltspunkten eine Meldung erfolgen, wenn eine drohende Gefahr für Leben oder Gesundheit – in erster Linie geht es um die Gesundheit, und dann geht es um das Leben – nicht anders abgewehrt werden kann. Also brauchen Sie keine Meldepflicht hineinzuschreiben. Wichtig sind eine bessere Qualifizierung und eine größere Sensibilisierung der betroffenen Berufsgruppen und, über diese Berufsgruppen hinaus, der Bevölkerung insgesamt für diese Probleme.

(Beifall bei der SPD)

Und es bedarf – weil Sie auch das angesprochen haben – zu Recht der Vernetzung von Jugendämtern und Gesundheitsämtern. Aber das reicht nicht. Sie brauchen auch die Vernetzung mit den Schulen, mit den Psychotherapeuten, den Kinderärzten, der Polizei, den Hebammen und mit allen Akteuren, die in diesem Bereich tätig sind. All das regelt dieser Gesetzentwurf nicht.

Zusammengefasst Folgendes, weil ich nur noch sieben Sekunden Redezeit habe: Die Intention ist richtig, aber die Konsequenzen sind nicht hilfreich, um das Problem zu lösen. Verstärken Sie den Weg, den Sie mit den Modellprojekten gehen, und machen Sie daraus ein flächendeckendes Hilfsnetz für die Kinder und ihre Familien im Lande. Dabei werden wir Sie gerne unterstützen.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Rednerin: Frau Kollegin Dodell.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir begrüßen diesen Gesetzentwurf, weil er ein wichtiger und großer Schritt in die richtige Richtung ist. Wir freuen uns auch deshalb über diesen Gesetzentwurf, weil er einen Beschluss dieses Hohen Hauses vom 27. Februar dieses Jahres umsetzt. Es war dies ein Antragspaket der CSU-Landtagsfraktion, mit dem wir per Beschluss die Staatsregierung aufgefordert haben, ein Gesamtkonzept zur Frühförderung und zur Risikovorsorge zu entwickeln, in dem Jugendhilfe und Gesundheitssystem eng zu verzahnen sind.

Dieser Gesetzentwurf ist genau der Ausfluss dieses Beschlusses, genauso wie der damalige Beschluss, in

diesem Bereich die Hebammen für die Eltern, für die Familienbildung sowie die Netzwerkbildung sehr viel stärker einzubeziehen; denn die Hebammen sind in dieser frühen Phase der Familienwerdung ganz nah an der Familie und oft auch die Vertrauensperson der jungen Frauen oder der werdenden Mütter.

Der Gesetzentwurf sagt zu Recht, dass jedes Kind ein Recht auf Entwicklung und Entfaltung hat. Das ist für unsere Gesellschaft wichtig; denn wir brauchen jedes Kind. Deshalb müssen die Ansätze früh kommen und präventiv sein. Viele Eltern widmen sich dieser Aufgabe in großer Verantwortung, aber es gibt auch immer mehr Eltern, die verunsichert oder überfordert und überlastet sind. Deshalb müssen wir diesen Eltern bei ihrer Aufgabe helfen. Wenn sie diese Hilfe nicht annehmen, müssen wir eventuell auch dahin kommen können, an der einen oder anderen Stelle das Erziehungsrecht zu entziehen.

(Zuruf der Abgeordneten Simone Tolle (GRÜNE))

Ich sage auch ganz klar: Wenn heute die Eltern an vielen Stellen auf die Wahrnehmung ihrer Elternrechte pochen, dann ist das zwar ihr Recht, aber dann müssen sie zum Beispiel bei der Wahrnehmung der Vorsorgeuntersuchungen auch ihren elterlichen Pflichten nachkommen. Wir sehen es als sehr positiv, die staatlichen Leistungen stärker an die Wahrnehmung dieser Pflichten zu koppeln. Das ist richtig und notwendig und auch der richtige Weg. Deshalb begrüßen wir es, dass jetzt mit diesem Gesetzentwurf ein neuer Artikel 14 im Gesundheitsdienst- und Verbraucherschutzgesetz geschaffen wird, der ein umfassendes Gesamtkonzept ermöglicht. Denn wir müssen hier die richtigen Schritte gehen.

Einer der wichtigsten Schritte in diesem Konzept wird die frühe Prävention sein. Ich habe mir im vergangenen Jahr das sehr gute Beispiel der Katholischen Jugendfürsorge gemeinsam mit dem Jugendamt der Stadt in Augsburg angeschaut. Dort wirken im Klinikum alle möglichen Leute, angefangen vom Kinderarzt über die Kinderkrankenschwester, die Hebammen, die Seelsorgerin bis hin zur Sozialpädagogin zusammen, um mögliche Risikofamilien ausfindig zu machen und konsequent zu begleiten. Genau das ist der Weg, den wir gehen müssen, um dafür zu sorgen, dass die Kinder gesund und gut aufwachsen, dass sie psychisch stabil sind und möglichst von Misshandlungen und anderen üblen Dingen verschont bleiben. Dabei wird die Kooperation eine ganz wichtige Klammer sein, damit das im Sinne der Kinder gelingen kann.

Die Kooperation ist im präventiven Bereich ganz klar zu verstärken. Frau Staatsministerin, das braucht aber auch Zeit; denn die unterschiedlichen Menschen, die hier wirken, können das nicht aus dem Ärmel schütteln. Deswegen muss es uns sicherlich auch bei der Diskussion und bei der Ausführung dieses Gesetzes ein Anliegen sein, dass die betroffenen Fachleute, die hier zusammenwirken sollen, auch das Zeitgerüst bekommen, um diese Aufgabe wahrnehmen zu können.

Ich will noch auf ein Letztes eingehen, das uns im Rahmen dieser präventiven Maßnahmen sehr wichtig ist: die Stär

kung der Elternkompetenz insgesamt, die jetzt mit der Entwicklung eines modularen Systems vorangeht.

Ich möchte zum Schluss noch auf die konkreten Punkte eingehen, die dieser Gesetzentwurf bringt – Sie haben es schon dargelegt: Die Vorsorgeuntersuchungen sind für ein Kind wichtig. Wir sind uns darin einig, dass wir den Abstand und den Inhalt dieser Vorsorgeuntersuchungen ändern und anpassen müssen. Aber auch gerade da, liebe Frau Kollegin Sonnenholzner, wäre Ulla Schmidt gefordert, auf Bundesebene die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass wir die Vorsorgeuntersuchungen in den richtigen Zeitabständen und mit den heute aktuellen, richtigen und erforderlichen Inhalten endlich durchführen könnten. Es wäre mir ganz recht, wenn Sie da Ihren Einfluss bei Ulla Schmidt noch einmal geltend machen könnten, damit wir dann das, was wir in Bayern vor Ort machen, auch vom Bund her noch einmal in die richtige Richtung bringen.

Insgesamt hoffe ich, dass wir, wenn wir schon dasselbe Ziel verfolgen – und davon gehe ich aus –, in den Beratungen in den Ausschüssen die Maßnahmen auch gutheißen können und immer auf eine gute und fruchtbare Diskussion im Sinn der Kinder kommen.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Ackermann.

Herr Präsident, Frau Ministerin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein sehr ernstes Thema. Ich glaube, wir haben ein absolut gemeinsames Ziel, nämlich, dass es nicht mehr zu Kindesmisshandlungen in diesem Ausmaß kommen darf, dass die Gesundheit von Kindern besser wird und dass Fehlentwicklungen wie Übergewicht und Mangelernährungen immer weiter zurückgehen. Dieses Ziel haben wir gemeinsam.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Lösungen sind, glaube ich, unterschiedlich. Alle Lösungsansätze, die Sie bieten, zielen darauf ab, dass Familien bei den Vorsorgeuntersuchungen in regelmäßigen Abständen kontrolliert werden. Das ist richtig. Sie wollen diese Vorsorgeuntersuchungen aber verpflichtend einführen, und das halte ich für falsch. Ich will Ihnen gleich erklären, warum: Die Eltern brauchen zu den Kinderärzten ein ganz besonderes Vertrauensverhältnis. Dieses Vertrauensverhältnis baut man nicht durch verpflichtende Kontrollen auf; denn das würde dazu führen, dass die Eltern die Kinderärzte meiden, sie als Polizeifunktion wahrnehmen und sich auch nicht mehr mit anderen Beschwerden der Kinder vertrauensvoll an die Ärzte wenden können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das ist nicht nur meine Auffassung. Diese Auffassung wird zum Beispiel auch von Herrn Dr. Frank Jochum, Chefarzt

der Abteilung für Kinder- und Jugendmedizin am Evangelischen Waldkrankenhaus in Spandau, gestützt. Er sagt:

Pflichtuntersuchungen halte ich nicht für das Allheilmittel. Sie belasten das Vertrauen zwischen Familie und Arzt und führen unter Umständen zur Vermeidung der Inanspruchnahme außerhalb der vorgeschriebenen Untersuchungen, da, mit dem Arzt verknüpft, eine Polizeifunktion wahrgenommen wird.

Das ist etwas, was wir nicht wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Eltern brauchen Vertrauen zu den Ärzten, und das darf nicht zerstört werden.

Aber nicht nur Dr. Jochum hat Bedenken, auch Bundesfamilienministerin von der Leyen sagt:

Ich habe von Kinderschutzexpertinnen und experten gelernt, dass Eltern, die Ihre Kinder vernachlässigen oder misshandeln, geschickte Strategien entwickeln, dies zu verbergen. Vor Untersuchungsterminen werden sie entweder bewusst von Gewalt gegen ihre Kinder Abstand nehmen, oder sie versuchen, sie zu verbergen.

Ich habe in meinem Beruf selbst erlebt, wie ein von seinen Pflegeeltern misshandeltes Mädchen mit überschminkten, blauen Flecken in die Tagesstätte geschickt wurde. Es war sehr, sehr schwer, das nachzuweisen. Diese Leute beherrschen die Strategien, um Misshandlungen zu verbergen.

Ich möchte auch noch auf folgenden weiteren Aspekt hinweisen: Diese Eltern sind selbst Opfer. Diese Eltern brauchen Hilfe. Diese Eltern kann man nicht dadurch fassen, dass man ihnen weniger Landeserziehungsgeld oder weniger Kindergeld gibt. Der Herr Ministerpräsident ist nicht da. Aber er hat einmal in den Raum gestellt, dass man auch das Kindergeld kürzen könnte. Das ist es nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn diese Eltern noch weiter eingeschränkt und unter Druck gesetzt werden, werden sie noch panischer reagieren. Wir müssen die Eltern unterstützen. Wir müssen die Eltern aufklären. Wir müssen die Eltern begleiten und ihnen helfen. – Das ist für die Frau Ministerin gerade nicht so interessant, aber ich sage es trotzdem. Es ist meine Überzeugung, dass Eltern in diesem Punkt genauso unterstützt werden müssen wie Kinder geschützt werden müssen, und dazu gehört ein Netzwerk von Unterstützungen, das diesen Eltern vor und gleich nach der Geburt nicht in einer kontrollierenden, sondern in einer aufsuchenden Hilfe,

(Beifall bei den GRÜNEN)

also in einer Hilfe zur Seite steht, bei der ihnen Lösungs- und vielleicht auch Entlastungsmöglichkeiten und Auswege aufgezeigt werden, wenn sie mit der Erziehungsaufgabe nicht zurande kommen und damit überfordert sind.

Wenn wir alle diese Möglichkeiten ergreifen, werden wir den Kindern, aber auch den Familien helfen. Wir werden dadurch wesentlich bessere Erfolge erzielen, als wenn wir auf Sanktionen und Kontrollen setzen.

Wir brauchen in diesem Bereich deutlich mehr – deutlich mehr! – Personal. Die Jugendämter sind völlig überfordert. Ich zitiere den Vorsitzenden der Deutschen Kinderhilfe, der sagt: „An dem Problem, dass die Jugendämter offensichtlich nicht in der Lage sind, das Kindeswohl sicherzustellen, ändert sich auch durch Pflichtuntersuchungen gar nichts.“

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir müssen gerade auf diesem Gebiet personell massiv aufstocken. Wir müssen die Menschen gut ausbilden. Sie müssen sehen können, wann Misshandlungen vorliegen. Das ist nämlich gar nicht so einfach festzustellen. Sexueller Missbrauch ist sehr schwer zu erkennen und natürlich auch mit sehr viel Scham überlagert, sodass er vertuscht wird. Dazu braucht es ein geübtes Auge. Wir brauchen diese Menschen im Umfeld der Kinder und der Familien. Dann, glaube ich, wird den Kindern geholfen, die jetzt noch misshandelt werden. Dann gibt es vielleicht irgendwann, so hoffe ich, keinen Fall Lea-Sophie mehr.

(Anhaltender Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Staatsministerin, Sie möchten nochmals Stellung beziehen.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte ganz kurz antworten.

Frau Kollegin Ackermann, ich glaube, wir sollten uns hier nicht in einer trügerischen Sicherheit wiegen. Ich möchte nur an den Fall des kleinen Mädchens Anja aus Ursberg erinnern, die nicht einmal gemeldet war – nirgends –, das auch keine Geburtsurkunde hatte und auch am Standesamt nicht gemeldet war.

Ich möchte Ihnen nochmals sagen: Wir setzen natürlich nicht nur auf die Pflichtvorsorgeuntersuchung und auf die Meldepflicht der Ärzte und Hebammen. Wir haben in Bayern – das scheint der Opposition offensichtlich entgangen zu sein – unter dem Stichwort „Gemeinsam geht es besser“ jetzt schon die Kooperation Jugendhilfe und Schule, ferner von der Justiz, von der Polizei, von den Jugendämtern und von den Gesundheitsämtern. Gleichzeitig wissen wir, dass es im einen oder anderen Bereich durchaus noch Berührungsängste gibt. Hier müssen wir die Zusammenarbeit unter dem Schlagwort „Gemeinsam geht es besser“ noch besser voranbringen.

Das sind genau die Bereiche, die Professor Fegert jetzt mit seinen koordinierten Kinderschutzstellen erprobt.

In diesem Zusammenhang ist es doch wichtig, einmal an die Vorbehalte heranzukommen. Warum gehen die Kinderärzte denn nicht zu den Jugendämtern und sagen: Diese und jene Familien benötigen professionelle Hilfe? Weil sie offensichtlich in Bezug auf die Jugendämter die Schablone haben: Jugendämter greifen ein und nehmen die Kinder weg. Das sind doch die Probleme, die man im Endeffekt lösen möchte. Wir wollen ein starkes Netz knüpfen. Zu diesen Netzen gehört auch die Verpflichtung zu den Vorsorgeuntersuchungen sowie die Meldepflicht der Ärzte und Hebammen, damit betroffenen Eltern professionelle Hilfestellungen, verbunden mit individuellen Hilfeplänen für die Kinder, angeboten werden können. Das heißt, es geht doch nur um eine Engerknüpfung des Netzes. Wir sind es dem Schutz unserer Kinder und Jugendlichen schuldig, dass wir uns weiterhin auf diesen Weg machen.

(Beifall bei der CSU)

Es liegt keine weitere Wortmeldung vor. Damit ist die Aussprache geschlossen.