Protokoll der Sitzung vom 27.11.2007

Frau Ministerin, ist Ihnen bewusst, dass Sie mit Ihrer Aussage, bei Mindestlöhnen gingen die Arbeitsplatzangebote zurück, dafür plädieren, dass Arbeitsplätze dadurch erhalten werden, dass wir Löhne unter dem Mindestlohn zahlen? Sie plädieren hier als Sozialministerin tatsächlich dafür, dass die Menschen mit ganz geringen Dumpinglöhnen bezahlt werden. – Sie, die Sie immer sagen, die Familie habe Vorrang! Wenn sich eine Familie nicht mehr aus eigener Kraft ernähren kann, wenn ein Familienvater drei Jobs annehmen muss, um sich bei diesen Löhnen, die Sie favorisieren, überhaupt über Wasser halten zu können, ist das alles andere als sozial. Das hat überhaupt nichts damit zu tun, dass wir noch in einem sozialen Rechtsstaat leben. Dann haben wir New Yorker Verhältnisse und working pur. Das ist Ihre Devise, das befürworten Sie. Das ist mit dem Anspruch, den Sie haben, eigentlich nicht zu vereinbaren.

Die Frau Ministerin hat noch einmal das Wort.

Frau Kollegin Ackermann, noch einmal; ich glaube, Sie haben mir gar nicht zugehört:

(Renate Ackermann (GRÜNE): Doch, doch!)

Wir haben auf der einen Seite – so lautet der Kompromiss in der Großen Koalition –das Arbeitnehmerentsendegesetz für die Bereiche, in denen wir eine Abdeckung in der jeweiligen Branche mit 50 % der Tarifverträge haben. In den Bereichen, in denen wir weiße Flecken und keine Tarifverträge haben, gilt dagegen das Mindestarbeitsbedingungsgesetz, das sozusagen ein Stück modernisiert oder aufpoliert wird. In diesen beiden Bereichen – Arbeitnehmerentsendegesetz und Mindestarbeitsbedingungsgesetz – sind als Erstes die Tarifparteien gefragt, um zu entsprechenden Einigungen zu kommen. Einigen sie sich

nicht, dann kommt die Politik, dann kommt der Bundesarbeitsminister mit den entsprechenden Verordnungen. Ich denke, das ist ein guter Weg, den wir in der Großen Koalition gemeinsam ausgehandelt haben, und den sollten wir weiter gehen.

Vielen Dank, Frau Ministerin. Es liegen mir keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Dann ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung.

Der federführende Ausschuss für Sozial-, Gesundheits- und Familienpolitik empfiehlt die Ablehnung des Dringlichkeitsantrags. Wer dagegen dem Dringlichkeitsantrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – SPD-Fraktion und Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN. Gegenstimmen? – CSU-Fraktion. Enthaltungen? – Damit ist dieser Antrag – –

(Zuruf: Eine Enthaltung!)

Entschuldigung, Herr Kollege Kobler, Enthaltung. Damit ist der Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe jetzt das Ergebnis der namentlichen Schlussabstimmung zum Gesetzentwurf der Staatsregierung über den Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe und der Sicherungsverwahrung – Bayerisches Strafvollzugsgesetz , Drucksache 15/8101 – bekannt: Mit Ja haben 94, mit Nein haben 39 gestimmt; keine Stimmenthaltungen. Das Gesetz ist damit angenommen. Es hat den Titel: „Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe und der Sicherungsverwahrung (Bayerisches Strafvoll- zugsgesetz)“.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 2)

Mit der Annahme des Gesetzentwurfs in der soeben beschlossenen Fassung haben die Nummern 40 und 48 des Änderungsantrags auf der Drucksache 15/8485 ihre Erledigung gefunden. Wir nehmen davon Kenntnis.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:

Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Aufhebung des Bayerischen Sammlungsgesetzes (Drs. 15/8371) – Zweite Lesung –

Ich eröffne die allgemeine Aussprache; 15 Minuten Redezeit pro Fraktion. Erster Redner ist Herr Kollege Schwimmer.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren Kollegen! Wir haben heute die Zweite Lesung zum Gesetzentwurf zur Abschaffung des Bayerischen Sammlungsgesetzes. Das Problem liegt darin, dass Haus- und Straßensammlungen im Gesamtvolumen sehr klein geworden sind. Alternativ dazu wird heute im Internet, im Fernsehen mit Telefonmarketing akquiriert. Spenden werden größtenteils – fast 90 % – im

Online-Banking-Verfahren überwiesen. Nach Emnid fallen in der Bundesrepublik ungefähr 2,65 Milliarden Euro an privaten Spenden an Wohlfahrtsverbände an. Davon werden circa 10 % bei Haus- und Straßensammlungen gesammelt.

Ich frage, warum man künftig im Endeffekt diese 10 % per Gesetz mit Auflagen bedienen soll, während 90 % im privaten Verfahren, im Online-Banking-Verfahren und anderweitig mit modernen Medien gesammelt werden. Warum ist für 10 % des Spendenaufkommens ein Gesetz notwendig? Ich meine, dass dieses Verfahren im Großen und Ganzen veraltet ist.

Die Abschaffung bedeutet Deregulierung, Entbürokratisierung. Hat von uns schon jemand, wenn ein Haus- oder Straßensammler gekommen ist, danach gefragt, ob die Regierung von der Oberpfalz oder das Landratsamt von Erding oder von Forchheim eine Erlaubnis erteilt hat, ob hier das Erlaubnisverfahren nach dem Bayerischen Sammlungsgesetz vorliegt? Ich frage das allen Ernstes. Ich kenne wirklich keinen, der danach gefragt hätte. Oder haben Sie in der Zeitung schon davon gelesen, dass in dieser Woche in Nordbayern das BRK, in der nächsten Woche in Südbayern die AWO und in der dritten Woche des Monats die Diakonie sammeln darf? Ich habe das nicht gelesen. Das ist nicht nachvollziehbar. Das wird eingeteilt, das hat sich im Endeffekt von selbst eingespielt.

(Zuruf von der SPD: Das war aber vernünftig!)

Es interessiert im Endeffekt niemanden, ob diese Erlaubnis vorliegt. Die Menschen machen dies eigenverantwortlich. Man kann bei Misstrauen gegenüber einem Sammler nach dem Ausweis fragen, man kann die Gemeinnützigkeitsbestätigung hinterfragen. Diese Möglichkeit besteht bei jedem Sammler. Wenn er die Erlaubnis nicht vorweisen kann, wird er von normalen Menschen abgewiesen.

Sammlerbetrug wurde und wird auch durch das Gesetz nicht unterbunden. Das stimmt halt einfach nicht; denn es gibt beim Sammeln immer Trittbrettfahrer, obwohl das Gesetz bestanden hat. Trittbrettfahrer wird es auch in Zukunft geben, und denen muss mit rechtsstaatlichen Mitteln, mit den bestehenden Gesetzen begegnet werden. Ich bin der Überzeugung, die Menschen, die geben, sind gescheiter, als wir vielleicht glauben.

In der Summe aller Landkreise – ich betone: in der Summe – bedeutet die Abschaffung des Gesetzes eine beachtliche Einsparung, weil hierfür im Endeffekt kein Verwaltungsaufwand mehr betrieben werden muss.

Es gibt Einwände, etwa des Steuerungsverlustes. Das heißt, dass Termine abgesprochen werden. Dieser Einwand ist der größte Einwand, der von den Trägern gebracht wird. Allerdings wird die Steuerung der Sammlungen von der Rechtsprechung schon derzeit sehr infrage gestellt. Es ist von der Rechtsprechung her eminent infrage gestellt, ob die vorweihnachtliche Zeit eine sammlungsfreie Zeit zu sein hat. Das bedeutet gegenüber den Freien Wohlfahrtsverbänden eine Benachteiligung.

Gerade in dieser Zeit werden die Sammlungen über Rundfunk oder Fernsehen verstärkt betrieben. Wenn die Frage nach dem Sammlungskalender, den die Regierung der Oberpfalz für ganz Bayern erstellt, auftaucht, dann glaube ich, dass man den Wohlfahrtsverbänden Eigenverantwortung zubilligen kann und dass man durchaus berechtigt sagen kann: Setzt euch selber zusammen und macht den Terminkalender und den Zeitkalender aus. Ist es denn Aufgabe des Staates, einen Veranstaltungskalender, einen Sammlungskalender zu erstellen?

Es gibt Verbände wie die AWO, die Diakonie, die Caritas und andere, die Bedenken und Widersprüche vorgetragen haben. Aber es gibt auch eine Reihe von Verbänden, die zugestimmt haben: das Bayerische Rote Kreuz, die Johanniter und die Malteser. Zugestimmt haben – man höre und staune – Greenpeace und der Bund Naturschutz.

Es gibt Länder, die im Endeffekt dieses Gesetz schon länger abgeschafft haben: Sachsen-Anhalt schon seit 1997, Nordrhein-Westfalen seit 1998, Berlin und Bremen seit 2004 bzw. 2005. Man hat dort – so ist aus den Ministerien berichtet worden – mit der Aufhebung in der Summe keine nachteiligen Erfahrungen gemacht. Das wird von diesen Ländern uneingeschränkt bestätigt. Ich bin mir sicher, dass dies nach der Aufhebung in Bayern genauso sein wird. Stimmen Sie bei der Aufhebung eines überflüssigen Gesetzes mit! Stimmen Sie – ich richte mich an die Opposition – vor allen Dingen auch deswegen mit, weil Sie prominente Befürworter einer Aufhebung haben, nämlich Greenpeace und den Bund Naturschutz.

(Beifall bei der CSU)

Herr Kollege, vielen Dank. – Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Ritter.

Sehr geehrter Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Die Bedeutung der Straßensammlungsergebnisse für die Verbände wird immer kleingeredet. In Zeiten, in denen es immer mehr auf die Eigenmittel der Verbände bei der Finanzierung sozialer Angebote ankommt, nimmt die Bedeutung der Straßensammlung aber im Gegenteil zu.

(Beifall bei der SPD)

Die Wohlfahrtsverbände sind die Partner des Staates bei der Bereitstellung von sozialen Angeboten. Die Wohlfahrtsverbände leisten ihren Beitrag. Anstatt sie dabei zu unterstützen, werden ihnen von der Bayerischen Staatsregierung die Arbeitsgrundlagen nach und nach entzogen.

Auch wenn sich die Wohlfahrtsverbände untereinander koordinieren können – es ist durchaus klar, dass das geht –, würden sie es am Ende mit Mitteln tun, die für die eigentliche soziale Arbeit zur Verfügung stehen sollten. Das eigentliche Problem ist unserer Auffassung nach nicht die Frage der Koordinierung, sondern die Kontrollfunktion. Ohne die staatliche Kontrolle würde eine ganze Reihe von Organisationen unterschiedlichster Qualität

in diesen Bereich hineindrängen und den Wegfall des Sammlungsgesetzes nutzen. Für die Spender entsteht eine nicht überschaubare Situation, um zu beurteilen, was seriös und was nicht seriös ist.

Das Sammlungsgesetz ist ein Schutzgesetz für die Verbraucher. Es sorgt dafür, dass sie nicht durch eine Unmenge von Sammlungen überschwemmt werden, deren Qualität sie nicht einschätzen können. Das Sammlungsgesetz ist eine Stütze des Subsidiaritätsprinzips. Die Mittel aus der Sammlung kommen direkt den sozialen Projekten zugute, die im Rahmen der Subsidiarität entwickelt und angeboten werden.

Die Abschaffung des Bayerischen Sammlungsgesetzes wird letztendlich zu einer Verunsicherung der Spender führen und bevorzugt die unseriösen Sammler zulasten der seriösen.

(Beifall bei der SPD)

Nicht nur, dass die Staatsregierung ständig bei ihren Mitteln für soziale Angebote und Projekte kürzt, mit der Abschaffung des Sammlungsgesetzes lässt sie diejenigen, die mit der Erbringung dieser Angebote eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe erfüllen, im Regen stehen.

(Beifall bei der SPD)

Statt die Subsidiarität zu stärken, schwächt sie diese. Wir sind für eine Beibehaltung des Sammlungsgesetzes und werden daher gegen Ihren Gesetzentwurf stimmen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege, vielen Dank. – Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Stahl.

Herr Präsident, meine Herren und Damen! Unbelehrbar wie beim Strafvollzugsgesetz zeigen Sie sich auch bei der Abschaffung des Bayerischen Sammlungsgesetzes. Hier wie dort wischen Sie die guten Argumente der Wohlfahrtsverbände, der Kirchen und auch der Landkreise vom Tisch, die allesamt dafür sind, die jetzige Regelung beizubehalten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Schwimmer, Sie haben richtigerweise gesagt, dass einzelne Organisationen für die Abschaffung sind. Ich muss Ihnen aber auch sagen: Es ist den Verbänden hoch anzurechnen, die für die Beibehaltung sind, weil eine Aufhebung im Grunde genommen gegen ihre eigenen Interessen gerichtet ist. Das bedeutet, diejenigen verhalten sich im Grunde genommen im Sinne des Verbraucherschutzes, während die Johanniter und Malteser, denen es im Übrigen in den Stellungnahmen eher um die Fördermitgliedschaft und die Anwerbung geht, eine andere Auffassung vertreten. Hinsichtlich der Fördermitgliedschaft und der Anwerbung sind sie durch die Regeln zum Haustürwiderrufgeschäft bestens geschützt.

Auch die von Ihnen angeführten Organisationen wie Greenpeace oder Bund Naturschutz sind anders strukturiert als die Wohlfahrtsverbände, die in Teilen von der Organisation, die das Sammlungsgesetz bietet, profitiert haben. Außerdem würde ich Ihnen anraten, nachdem die Stellungnahme vom Bund Naturschutz vom 07.11.2005 datiert, noch einmal mit dem Bund Naturschutz zu reden. Der Bund Naturschutz ist nämlich mittlerweile auch der Meinung, dass der Verbraucherschutz so nicht wirklich Beachtung findet.

Verbraucherschutz sieht tatsächlich anders aus. Die ordnende Funktion des Bayerischen Sammlungsgesetzes für den Spendenmarkt ist nicht gering zu achten. Seit 2005 liegen die Stellungnahmen der Verbände in den Schubladen des Innenministeriums. Ich habe mich ein bisschen gewundert, dass der Gesetzentwurf überraschend doch noch auf den Weg gebracht worden ist. Vielleicht hat sich Herr Beckstein gedacht: Soll sich doch mein Nachfolger damit herumschlagen.

Zum Gesetzentwurf selber: Erstens. Ich habe in den neun Jahren, die ich jetzt im Landtag bin, noch nie einen in der Begründung so widersprüchlich formulierten Gesetzentwurf gelesen. In Teilen konterkariert die Begründung all die Ausführungen, die vonseiten der Staatsregierung oder von der CSU gemacht worden sind, um uns glauben machen zu wollen, dass Deregulierung in diesem Fall notwendig sei. Ich zitiere: „Das Bayerische Sammlungsgesetz sieht die Erlaubnispflicht für Straßen- und Haussammlungen vor, um die Bürger vor psychischen Zwangslagen zu schützen und die Gebefreudigkeit der Bürger nicht zu unterlauteren Zwecken missbrauchen zu lassen.“ – Das ist die Aufgabe des Bayerischen Sammlungsgesetzes. Erklären Sie mir bitte, warum Sie dieses Gesetz mit diesem Schutzzweck aufheben wollen. Für mich liest sich das wie die Begründung für die Beibehaltung des Gesetzes, aber sicher nicht für deren Abschaffung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zweitens sehen Sie zunehmende Steuerungsverluste, die sowieso schon stattfinden. Ich muss Sie auf Punkt zwei der Begründung verweisen. Ich frage mich in diesem Zusammenhang, ob es nicht eher ein Grund sein muss, den Vollzug zu überprüfen, anstatt gleich das Kind mit dem Bade auszuschütten.