Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen. Der Antrag der SPD-Fraktion zäumt das Pferd doch wohl von hinten auf. Nicht nur, dass es hier heißt: „Der Landtag bedauert die mit Gesetz vom 25.10.2004 beschlossene Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht.“, das „Bedauern“ klingt fast so, als könnten wir nichts für eine geradezu schicksalhaft ablaufende Entwicklung. Nein, wir haben das Gesetz in diesem Hause beschlossen, und das bewusst und nach ausführlicher Debatte.
Dieses Bedauern wird noch kurioser, wenn die SPD den Antrag stellt, der Landtag möge die Staatsregierung auffordern, einen Gesetzentwurf zur Wiedererrichtung des Gerichts und seiner Staatsanwaltschaft vorzulegen. Herr Kollege Schindler, hat denn die SPD inzwischen auf ihr Gesetzesinitiativrecht verzichtet?
Oder sind Sie nicht in der Lage, einen entsprechenden Gesetzentwurf zu formulieren? Oder ist es vielleicht doch eher ein Schaufensterantrag? Es ist richtig, das Gericht verdient höchste Anerkennung, wie es in der Antragsbegründung heißt.
Ansonsten kann man in diesem Antrag wohl kaum etwas so stehen lassen, wie es hier niedergelegt ist. Die Auflösung des Gerichts und der Staatsanwaltschaft ist allen,
damals ohne Abstimmung mit der bayerischen Justizministerin im Zuge einer Verwaltungsreform die Spitze der Judikative enthauptet hat und weil die Mehrheitsfraktion nicht den Mut aufgebracht hat, sich diesem Vorhaben zu widersetzen.
Die Abschaffung dieses Gerichts hat auch einen schrecklichen Mangel an historischem Bewusstsein in der CSUFraktion offenbart, da sie offenbar nicht zur Kenntnis nehmen wollte, welche Bedeutung dieses Gericht über die Jahrhunderte hinweg für die Eigenstaatlichkeit Bayerns hatte und dass dieses Gericht schon einmal in einem ganz finsteren Kapitel der Geschichte unseres Landes abgeschafft worden ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Abschaffung ist auch ohne sachliche Begründung erfolgt. Es ist darauf verwiesen worden, dass es möglich sei, Einsparungen zu erzielen. Es ist auch argumentiert worden, dass der Haushalt so knapp sei, dass alle vertretbaren Möglichkeiten zur Einsparung von Haushaltsmitteln ergriffen werden müssten, und dass deshalb alle Einrichtungen, die nicht zwingend erforderlich seien, aufgelöst werden müssten. – Welch eigenartige Argumentation, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Zum einen sprudeln die Steuereinnahmen in den letzten Jahren Gott sei Dank wieder so sehr, dass der CSU-Fraktion im Vorfeld der Landtagswahlen offensichtlich 150 Millionen Euro Spielgeld zur Verfügung gestellt werden können. Zum anderen möchte ich darauf hinweisen, dass mit der Argumentation, alles, was nicht zwingend erforderlich sei, müsse auch abgeschafft werden, es zwingend erforderlich wäre, das eine oder andere Ministerium und jedenfalls alle Staatssekretäre abzuschaffen, weil die nämlich auch nicht zwingend erforderlich sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß natürlich, dass die bayerische Justiz größere und dringendere Probleme hat als die Frage, ob es ein Bayerisches Oberstes Landesgericht gibt oder nicht. Ich bestreite auch nicht, dass die früher vom Bayerischen Obersten Landesgericht und seiner Staatsanwaltschaft erfüllten Aufgaben auch nach der Abschaffung ordnungsgemäß von den jetzt zuständigen Gerichten und Staatsanwaltschaften erledigt werden. Dennoch bleibt der Befund, dass die bayerische Justiz durch die Abschaffung des Gerichts und seiner Staatsanwaltschaft ärmer geworden ist.
Meine Damen und Herren, es geht uns nicht darum, das Gericht und seine Staatsanwaltschaft in ganz genau der gleichen Organisation und Zuständigkeit wiederzuerrichten. Wir halten auch andere Konzeptionen für machbar, wenn es denn nur im Kern um ein Oberstes Landesgericht geht. Wir erleben in diesen Monaten, wie das erst vor wenigen Jahren beschlossene Büchergeld wieder abgeschafft wird – interessanterweise mit der Argumentation, dass sich die Haushaltssituation verbessert
Frau Präsidentin, meine Herren und Damen! Die Abschaffung des Bayerischen Obersten Landesgerichts war falsch, ist falsch und wird falsch bleiben. Mit dem Antrag der SPD wird an diese Fehlentscheidung erinnert, eine einsame Entscheidung, die in der Regierungserklärung des damaligen Ministerpräsidenten am 06.11.2003 verkündet worden ist und letzten Endes zu einer noch größeren Einsamkeit des Ministerpräsidenten, selbst bis hin zu seinem Absturz führte.
Der damalige „Verwaltungsreform-Minister“, so genannt von der „Bayerischen Staatszeitung“, Herr Huber, versuchte, den Zugriff der Verwaltung auf die Judikative schönzureden und zu verteidigen. Er führte aus, an dem Niveau der Rechtsprechung und der Qualität der Richterinnen und Richter werde sich nichts ändern. Wir müssen feststellen, Herr Huber hat damals schon nicht verstanden, um was es ging und geht, und das zieht sich leider in einer ganzen Reihe anderer Themenbereiche fort.
Selbstverständlich bleiben Niveau und Qualität der Gerichte und Richterinnen und Richter in ihrem Aufgabenbereich erhalten. Was aber auf der Strecke bleibt, ist die Eigenständigkeit der Justiz, die als dritte Säule überfallartig durch die zweite Säule, nämlich die Verwaltung, beschnitten worden ist. Wir hatten Verfassungsklage erwogen. Es ist aber sehr wohl klar gewesen, dass die Staatsregierung die Organisationshoheit hat. Das heißt jedoch nicht, dass die damalige Entscheidung richtig war. Sie zeugte von wenig Respekt.
Auf der Strecke bleibt die Einheitlichkeit der Rechtsprechung, und es bleibt unter Umständen auf der Strecke – das wird zu diskutieren sein – das Subsidiaritätsprinzip. Das haben Sie – wenn ich das recht sehe – in Nummer 2 der Begründung aufgegriffen.
Jetzt geht es nicht mehr nur um die Kosten, die das Bayerische Oberste Landesgericht verursacht hat. Das finde ich sehr merkwürdig; denn damals wurde ausschließlich mit Haushaltsgründen argumentiert. Herr Dr. Weiß, ich weiß nicht, wo Sie waren, aber ich kann mich sehr gut erinnern, dass man verkündete, die Einsparung von 1,48 Millionen Euro würde ab etwa 2019 endlich greifen. Das hat Ihrer Meinung nach die Umstrukturierungen erzwungen. 2019 passt wunderbar zur Agenda 2020, die schon 2011 endet. Die Finanzgeschichten, die im Haus im Umlauf sind, zeugen nicht unbedingt von sehr viel Weitsicht.
Die Vorschläge des Vereins der Freunde des Bayerischen Obersten Landesgerichts, die Umstrukturierungen auf andere Art und Weise durchzuführen und damit Einspa
die die Arbeit und den Ruf des Gerichts einordnen können – und ich bilde mir ein, ich kann das –, sicher nicht leichtgefallen. Es stimmt, das Gericht hat eine große Tradition. Es stimmt auch, es war ein Merkmal bayerischer Eigenstaatlichkeit. Es stimmt aber auch, dass damit für dieses Gericht keine Ewigkeitsgarantie verbunden ist und war. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat das Gerichtsauflösungsgesetz und den damit angeblich verbundenen Eingriff in die Gewaltenteilung geprüft und ausdrücklich verworfen.
Das Ziel, das die CSU-Fraktion unter anderem mit der Gerichtsauflösung verfolgt hat, nämlich die staatlichen Strukturen zu straffen und den Haushalt zu konsolidieren, bleibt auch in den Zeiten richtig und wichtig, in denen wir wieder mehr Geld zur Verfügung haben. Wir haben uns grundsätzliche Gedanken über staatliche Strukturen gemacht und uns vor dem Hintergrund finanzieller Nachhaltigkeit neu aufgestellt. In Zeiten, in denen mehr Geld vorhanden ist, das Rad einfach zurückzudrehen und die notwendigen Strukturveränderungen, die in guten Zeiten erst ihre volle Wirkung entfalten, zurückzunehmen, wäre sicher der verkehrte Weg. Man würde damit auch dem Gericht nicht gerecht werden; denn man würde erst damit letztlich den Eindruck erwecken, es würde als Institution je nach Haushaltslage abgeschafft und wieder eingeführt werden können.
Was die grundsätzlichen Strukturüberlegungen anlangt, ist es übrigens interessant, dass auch die Opposition das Gericht heute nicht mehr so errichten würde, wie es zuletzt aufgestellt war. Die Staatsregierung solle Alternativen in Bezug auf Zuständigkeit, Organisation und Sitz prüfen, heißt es in der Antragsbegründung. So war tatsächlich die originäre Zuständigkeit für bayerisches Landesrecht am Ende nur noch marginal ausgeprägt. Die Entscheidung über Beschwerden und Ordnungswidrigkeiten und die Revision von amtsgerichtlichen Strafurteilen der ersten Instanz sind nicht wirklich die Aufgaben, die wie gemacht sind für die höchsten Richter. Allein bei der freiwilligen Gerichtsbarkeit – hier bilde ich mir ein, mir ein Urteil erlauben zu können – stellte das Gericht einen echten bundesweiten Schwerpunkt dar. Das mag für die Rechtsfortbildung bedauerlich sein. Für das, wofür das Gericht in erster Linie in der Praxis zuständig ist, nämlich die Rechtsprechung, haben sich keine negativen Auswirkungen gezeigt, zumal die früheren Zuständigkeiten des Bayerischen Obersten Landesgerichts weiterhin zentralisiert bleiben.
Kolleginnen und Kollegen, im Sinne grundsätzlicher Strukturüberlegungen zu einer sinnvollen Verwendung von begrenzten Haushaltsmitteln wäre es sicherlich besser, die zusätzlichen Gelder, die bei einer besseren Wirtschaftslage vorhanden sind, an anderer Stelle – Herr Kollege Schindler, da gebe ich Ihnen recht – in der Justiz einzusetzen; etwa für die Mitarbeiter, die eine sehr engagierte Arbeit leisten und bei vollen Pensen eine Entlastung gebrauchen könnten. Wir werden den Antrag daher ablehnen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ausnahmsweise – das will ich nicht leugnen – ist es ein schöner Wunsch, den die Damen und Herren der SPD mit ihrem Antrag äußern.
Die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der dortigen Staatsanwaltschaft war auch für die Justiz ein sehr harter Schlag. Wir haben mit ihr ein Opfer erbracht, das uns nicht leicht gefallen ist. Ich weiß, dass mancher Abgeordnete meiner eigenen Partei diese Maßnahme nur mit schwerem Herzen mitgetragen hat.
Es gehört aber nun einmal zu unserer Realität, dass die Einnahmen des Freistaats begrenzt sind, und es ist deshalb die nüchterne Verantwortung der Staatsregierung, sich dieser Realität anzupassen, nämlich die Ausgaben auf die Höhe zu begrenzen und dazu alle Sparmöglichkeiten auszuschöpfen. Das galt vor drei Jahren, als die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts beschlossen wurde. Das gilt auch weiterhin.
Es ist schön, dass wir jetzt bessere Zeiten erleben. Das ist aber keine Garantie dafür, dass es uns in Zukunft immer gut gehen wird. Deshalb sage ich, wir haben Entschlüsse gefasst, die notwendig waren und die notwendig bleiben.
Wir alle im Justizministerium haben alles getan, um die Auflösung des Gerichts soweit es geht, im Einvernehmen mit den Betroffenen, das heißt mit den Richtern, den Staatsanwälten und mit allen Mitarbeitern zu erreichen und in für sie für alle fürsorglicher Weise umzusetzen. Das war mir sehr wichtig. Ich füge hinzu: Das ist uns gelungen. Nicht einmal der vorliegende Antrag stellt in Zweifel, dass die gefundene Lösung sogar funktioniert. Bamberg und Nürnberg hat diese Lösung Vorteile gebracht. Dort, wo Wunden unvermeidlich waren, sind Sie inzwischen vernarbt. Ich frage Sie deshalb: Welchen Sinn hat es, diese Narben ständig wieder neu aufzureißen?
Welchen Sinn hat es, so zu tun, als könne man über Realitäten einfach hinweggehen, als könne man das Rad der Geschichte einfach zurückdrehen? – Genau das, meine sehr geehrten Damen und Herren, müsste man nämlich tun, um das Bayerische Oberste Landesgericht und die dortige Staatsanwaltschaft in der ursprünglichen Form und Zuständigkeit wieder zu errichten, wie das die Antragsteller wörtlich fordern.
Es ist ganz einfach so, dass das Bundesrecht diese Wiedereinsetzung heute gar nicht mehr zulässt. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir seit Juli 2007 die Zuständigkeiten der Oberlandesgerichte in Wohnungseigentumssachen abgeschafft haben. Das Bundesjustizministerium wird mit der bevorstehenden Reform des Verfahrens in Familiensachen und der freiwilligen Gerichtsbarkeit auch dort die bisherige weitere Beschwerde zum Oberlandesgericht durch eine Rechtsbeschwerde zum Bundesge
rungen zu erreichen, sind nicht wirklich ernsthaft geprüft worden. Auch wenn man nicht ganz so viel hätte einsparen können, hätte es doch Alternativen gegeben, die uns dieses Gericht hätten wert sein müssen.
Ich lasse dahingestellt, ob Art. 3 a der Bayerischen Verfassung, der sich mit Bayerns Bekenntnis zu einem geeinten Europa, demokratischen und rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen befasst, tatsächlich den Auftrag an den Landesgesetzgeber enthält, aus Subsidiaritätsgründen, wie die SPD dies anführt, ein Bayerisches Oberstes Landesgericht einzurichten. Ich persönlich halte das für abenteuerlich.
Wir werden dem Antrag trotzdem zustimmen, weil die Entscheidung von Anfang an falsch war und weil die Damen und Herren der CSU zum Antrag zum Ende der Legislaturperiode noch einmal die Möglichkeit hätten und die Größe zeigen könnten, sich von ihrer damaligen Einschätzung abzukehren und tatsächlich, wie Sie beim Nichtraucherschutz oder beim Büchergeld in der Lage waren, „zurückzurudern“, noch eine weitere Entscheidung zu kippen.
Frau Präsidentin, Hohes Haus! Eine Oppositionspartei hat das große Privileg, dass sie Wunschträume nicht im Stillen mit sich herumtragen muss,
dass man tagtäglich sein Herz ausschütten kann und dass man daran erinnern kann, wie schön die Dinge früher noch waren, und man davon schwärmen kann, wie schön sie in der Zukunft sein könnten. Das alles ist deshalb der Fall, weil Sie diese Träume nie verwirklichen müssen.
Wie nüchtern ist doch da das Geschäft der Regierung. Sie muss sich mit den Realitäten auseinandersetzen und muss mit beiden Beinen auf dem Boden stehen, und sie muss sich auf die Kunst des Machbaren beschränken. Das bedeutet, dass man so manchen Wunsch einen Wunsch bleiben lassen muss.