Protokoll der Sitzung vom 03.07.2008

Die Frage, die man sich bei der Zweiten Lesung eines so wichtigen Gesetzes stellen muss, ist: Was kommt eigentlich für die Pflegebedürftigen unter dem Strich heraus? Kommt eine Verbesserung zustande oder wird allenfalls der Status quo festgeschrieben? In meinen Augen muss die Antwort sehr zwiespältig ausfallen. Der Name Pflegequalitätsgesetz ist ein Etikettenschwindel, denn es wird zwar Pflegequalität gefordert, aber der Freistaat Bayern leistet selbst keinen eigenen Beitrag dazu. Sie verfahren nach dem üblichen Schema: Sie fordern von anderen, aber nehmen sich selbst nicht in die Pflicht.

Dabei wird das Problem, von dem wir sprechen, immer dringlicher. Ich habe schon bei der Ersten Lesung gesagt: Es gibt neue Untersuchungen, wonach wir bis zum Jahr 2030 damit zu rechnen haben, dass die Zahl der Pflegebedürftigen dramatisch, nämlich um 58 %, ansteigen wird und damit besteht die Notwendigkeit, für die entsprechenden Infrastrukturen zu sorgen. Genau darin hätte für den Freistaat Bayern die Chance gelegen, vorbildhaft zu handeln und Schrittmacherdienste zu leisten. Aber genau das Gegenteil haben Sie letztendlich getan.

Dabei nimmt Sie der Bundesgesetzgeber in die Pflicht. In § 9 SGB XI – das wird von Ihnen immer unterschlagen oder verschwiegen – steht wörtlich: Die Länder sind verantwortlich für die Vorhaltung einer leistungsfähigen, zahlenmäßig ausreichenden und wirtschaftlichen pflegerischen Versorgungsstruktur. – Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber wo bleibt denn der Beitrag des Freistaates Bayern?

(Beifall bei der SPD)

Auch dieser Gesetzentwurf führt in dieser Frage nicht weiter. Er formuliert nach eigenem Anspruch, ein Spargesetz zu sein. Der Staat spart zulasten der Pflegebedürftigen und der Menschen mit Behinderung – so steht es in Ihrem eigenen Gesetzentwurf. Sie sparen. Sie sagen zwar, sie sparten an der Bürokratie, aber bei der Anhörung haben Ihnen die Fachleute gesagt, es werde nicht Bürokratie abgebaut, sondern eher aufgebaut.

(Joachim Unterländer (CSU): Wo denn?)

Wenn Sie glaubwürdig sein wollten, dann müssten Sie folgendes tun – das haben wir in unserem Begleitantrag

Wir freuen uns über Ihren Besuch und wünschen Ihnen einen guten Aufenthalt.

Das Wort hat Herr Kollege Wahnschaffe.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich weiß nicht, von welchem Gesetzentwurf Kollege Unterländer gesprochen hat – jedenfalls nicht von dem Gesetzentwurf, der heute zur Zweiten Lesung ansteht.

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

Herr Kollege Unterländer, Sie haben im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf von einem großen Wurf gesprochen. Ich habe außer CSU-Politikern niemanden gehört, der diese Vokabel „großer Wurf“ in den Mund genommen hat. Herr Kollege Unterländer, Sie waren bei der Anhörung im sozialpolitischen Ausschuss dabei, in der wir Fachkräfte befragt haben, was sie denn von diesem Gesetzentwurf halten. Ich habe von der Euphorie, von der Sie sprechen, nirgendwo etwas gespürt. Sie haben soeben von vier Visionen gesprochen, die Sie mit diesem Gesetzentwurf verbinden.

Meine Damen und Herren, ich bilde mir ein, diesen Gesetzentwurf sorgfältig gelesen zu haben.

Ich kann nirgendwo auch nur eine dieser Perspektiven entdecken. Sie haben davon gesprochen, es würde eine Perspektive geboten, nach eigenen Vorstellungen zu wohnen. Sie haben von guten Rahmenbedingungen und einer Heimaufsicht, die Qualität vermittelt, und vielem mehr gesprochen. Sie haben auch vom Einbettzimmer gesprochen. Ich habe genau hingehört. Was haben Sie genau zum Einbettzimmer gesagt? Sie haben so viel gesagt, wie es die Ministerin getan hat. Die Ministerin hat vollmundig beim Münchner Pflegestammtisch – da kann man so etwas schon einmal loslassen – gesagt: Ich setze mich für das Einbettzimmer ein. Was hat Sie im sozialpolitischen Ausschuss gesagt? Sie hat gesagt: Einen Rechtsanspruch auf ein Einbettzimmer wird es nicht geben. Das ist die Realität. Die Realität ist auch, dass man bei der Finanzierung – darauf werde ich noch zu sprechen kommen – vom Freistaat Bayern nichts als leere Versprechungen bekommt.

(Beifall bei der SPD)

Kollege Unterländer hat von Perspektiven in der ambulanten Pflege gesprochen. Herr Kollege Unterländer, kennen Sie nicht die Gesetzeslage, die Sie selbst durch Beschluss herbeigeführt haben? Sie haben in das Ausführungsgesetz zum Sozialgesetzbuch hineingeschrieben, dass die Kommunen nur nach Kassenlage handeln müssen. Das bedeutet, Kommunen können selbst entscheiden, ob sie etwas tun wollen oder ob sie nichts tun wollen. Der Freistaat Bayern ist völlig außer Obligo. Ob das zu Recht der Fall ist, dazu wird noch etwas zu sagen sein.

Es gibt noch eine ganze Reihe von Forderungen, die wir im Rahmen dieser Beratungen aufgestellt haben. Ich will sie nur kurz streifen, weil die Zeit verrinnt: Das Wichtige, das für uns bei diesem Gesetzentwurf mit entscheidend war, steht leider im Kleingedruckten. Es geht dabei um die Wohnungsstandards sowie um die Personal- und Fachkraftquote, die Mitwirkung der Bewohner und die Qualitätsstandards.

Lassen Sie mich dazu noch ein paar Worte sagen. Zum Personal: Wir kämpfen seit Jahren darum, dass die Personalfachkraftquote auf ihrem Stand von 50 % gehalten wird. Die Staatsregierung hat uns bei diesem Bemühen nicht unterstützt, sondern hat im Gegenteil Versuche unternommen, diese Fachkraftquote zu unterlaufen.

Dazu hat es im Landespflegeausschuss Anträge gegeben. Gott sei Dank ist die Öffentlichkeit hellhörig geworden. Daraufhin hat man die Finger davon gelassen. Aber beim Thema Personal geht es nicht nur darum, Fachkräfte zu halten und angemessen zu bezahlen. Es geht vor allem darum, Nachwuchspersonal zu gewinnen. In bestimmten Gebieten Bayerns gibt es bereits wieder einen Pflegemangel, nämlich in den Ballungsräumen. Dort ist es sehr schwer, qualifiziertes Personal zu bekommen. Deshalb fordern wir seit Jahren, dass sich der Freistaat Bayern bei der Ausbildung in die Pflicht nehmen lässt.

(Beifall bei der SPD)

Eine Reihe von Trägern bildet vorbildlich aus. Andere jedoch treten als Profiteure auf. Sie übernehmen lediglich ausgebildete Fachkräfte, ohne zu deren Ausbildung selbst einen Beitrag zu leisten.

(Beifall bei der SPD)

Das führt zu einer Wettbewerbsverzerrung; denn die Einrichtungen, die ausbilden, haben höhere Kosten und müssen diese in ihren Pflegesatz einrechnen, während andere billiger erscheinen, weil sie nicht ausbilden. Deshalb hat der Bundesgesetzgeber in das Pflegeversicherungsgesetz eine Ermächtigungsnorm aufgenommen, wonach die Länder die Möglichkeit haben, eine Ausbildungsabgabe einzuführen. Diese Forderung erheben 70 % der Träger. Handeln Sie endlich, damit wir in Bayern vorankommen.

(Beifall bei der SPD)

Mit dem Heimvertragsrecht haben Sie eine rechtspolitische Geisterfahrt angetreten. Sie gängeln Menschen, die ihre Pflegekosten selbst bezahlen. Diese Leute wollen nicht von Ihnen belehrt werden, wie etwas zu entscheiden ist, sondern diese Entscheidung in Augenhöhe mit den Trägern selbst treffen. Dazu sind die entsprechenden Rahmenbedingungen im Heimvertragsrecht nötig. Dafür ist jedoch der Bund und nicht der Freistaat Bayern zuständig. Die Lösung, die Sie mit diesem Gesetzentwurf vorlegen, ist nicht nur verfassungsrechtlich bedenklich, sondern nützt im Grunde auch den Heimbewohnern sehr wenig, zumal darin von Selbstvertretung und Mitbestimmung kaum die Rede ist.

gefordert –: Sie hätten neben diesen Gesetzentwurf, der ein reines Ordnungsgesetz zur Folge haben wird, weil er keinerlei Leistungsansprüche enthält, den Entwurf eines Leistungsgesetzes stellen müssen. In diesem Entwurf für ein Leistungsgesetz – wir haben das in unserem Antrag genau formuliert – hätten folgende Punkte enthalten sein müssen – ich darf sie Ihnen noch einmal nennen –: Sie haben im Zuge Ihres Sparwahns sämtliche Investitionskosten für den Neubau und die Sanierung von stationären Pflegeeinrichtungen in Bayern gestrichen. Das ist ein gesellschaftspolitischer Skandal, weil gerade jetzt solche Maßnahmen der Modernisierung von stationären Pflegeeinrichtungen das Gebot der Stunde wären.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie menschenwürdigere Pflege fordern, dann müssen Sie auch eine menschenwürdigere Pflege gewährleisten, indem Sie dafür sorgen, dass die Heime auf einen modernen Stand gebracht werden. Genau das Gegenteil haben Sie getan und das werden wir Ihnen auch weiterhin vorhalten.

Ich habe schon davon gesprochen, dass Sie selbst das Ausführungsgesetz dahingehend verändert haben, dass Sie Verpflichtungen für den Unterhalt ambulanter Strukturen auf die Kommunen verlagert haben. Wohl wissend, dass die Kommunen dies allein gar nicht schultern können, haben Sie dann hineingeschrieben, die Kommunen müssten dies nur nach Kassenlage tun. Also eine Kommune, die kein Geld dafür hat oder glaubt, kein Geld dafür zu haben, ist auch nicht in der Pflicht. Das wiederum geht zulasten der Pflegebedürftigen und der Menschen mit Behinderung. Die Realität fragt nicht, ob eine Kommune Geld hat oder nicht, sondern Realität ist, dass es Menschen gibt, die diese Pflege unbedingt benötigen. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie in der Oberpfalz, in Oberfranken oder im reichen Oberbayern leben.

(Beifall bei der SPD)

Dieser Gesetzentwurf formuliert auch eine Reihe von Anforderungen an die Träger von stationären Einrichtungen.

(Joachim Unterländer (CSU): Ich denke, es steht nichts drin!)

Das steht schon drin, Sie fordern zwar andere, nur sich selber nicht.

Es steht im Entwurf, dass bestimmte Dinge getan werden müssen, zum Beispiel Fort- und Weiterbildung, Ausbau interkultureller Kompetenz und andere Dinge, wie zum Beispiel Einbettzimmer. Nur, wer das bezahlen soll, das haben Sie nicht gesagt, und zwar wohl wissend, dass über die Pflegeversicherung diese Kosten nicht abgedeckt sind. Also wollen Sie offenbar, dass die Träger dies in eigener Kompetenz bzw. zu ihren eigenen Lasten selbst übernehmen. Damit sind aber die Träger weitgehend überfordert. Deswegen gehörte dieser Punkt in ein Leistungsgesetz, das der Freistaat Bayern erlassen müsste und für dessen Umsetzung auch Geld zur Verfügung gestellt werden müsste.

die entsprechenden Gelder aus dem Staatshaushalt nicht zu haben. Darum setzen wir uns dafür ein, neben dieses Pflegequalitätsgesetz – –

Herr Kollege Wahnschaffe, ich muss Sie jetzt doch auf die Zeit aufmerksam machen. Sie haben bereits um zwei Minuten überzogen.

Ich komme zum Schluss. Wenn neben dieses Bayerische Heimgesetz auch ein Leistungsgesetz gestellt würde, würde ein Schuh draus. Meine Damen und Herren, wir lehnen diesen Gesetzentwurf ab.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Rednerin: Frau Staatssekretärin Huml.

Werter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst zwei Vorbemerkungen machen, bevor ich auf den Gesetzentwurf eingehe.

Vorbemerkung Nummer 1: Ich möchte allen, die in Seniorenheimen, Altenpflegeheimen oder Pflegeheimen arbeiten, an dieser Stelle ganz herzlich danken. Wir wissen, dass die Leistungen, die Sie für die älteren Menschen und für die Menschen mit Behinderungen täglich erbringen, nicht leicht sind.

(Simone Tolle (GRÜNE): Ich sage es meiner Schwester weiter!)

Vorbemerkung Nummer 2: Dieser Gesetzentwurf müsste eigentlich jeden Einzelnen ein Stück weit berühren, weil sich jeder Einzelne überlegen sollte, wie er später im Alter leben möchte und welche Wohnform er sich vorstellen könnte. Sicherlich möchte die Mehrheit der Menschen möglichst lange zuhause leben und an dem Ort, wo sie bisher gelebt haben, bleiben. Gleichzeitig möchten die Menschen die Sicherheit haben, gut versorgt zu sein. Dieser Gesetzentwurf geht darauf ein, indem wir über das reine Heim hinaus auch individuelle Wohnformen ermöglichen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt zu dem Gesetzentwurf kommen: Zunächst möchte ich auf den Gesetzentwurf der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingehen. Als Frau Kollegin Ackermann zu diesem Gesetzentwurf gesprochen hat, habe ich einiges wiedererkannt, zum Beispiel die Forderungen nach individuellen Wohnformen, nach Veröffentlichung und Transparenz und nach einer abgestuften Kontrolldichte. Diese Punkte sind sowohl inhaltlich als auch systematisch nahezu identisch im Gesetzentwurf der Staatsregierung enthalten. Selbstverständlich gibt es auch Unterschiede. Letztlich ist der Gesetzentwurf der GRÜNEN eine Bestätigung für unseren Gesetzentwurf. Überspitzt ausgedrückt möchte ich fragen: Warum sollte man die Kopie nehmen, wenn man auch das Original

Meine Damen und Herren, ich möchte die Zeit nicht verstreichen lassen, ohne etwas Positives zu sagen. In diesem Gesetzentwurf ist tatsächlich mehr Transparenz enthalten, da die Heimprüfungen inzwischen zur Veröffentlichung verpflichtet sind. Im Gegensatz zu den GRÜNEN sind wir der Auffassung, dass sich die Prüfungen nicht allein auf stationäre Einrichtungen beziehen dürfen. Es gibt auch andere Einrichtungen, die wegen des Schutzbedürfnisses der darin lebenden Menschen einer Kontrolle unterzogen werden müssen. Deshalb lehnen wir den Gesetzentwurf der GRÜNEN ab und unterstützen in diesem Punkt den Gesetzentwurf der Staatsregierung.

Meine Damen und Herren von der CSU, die Prüfungsintervalle, die Sie vorgesehen haben, sind nicht sinnvoll. Ein Prüfintervall von drei Jahren ist in unseren Augen zu lang. Wenn heute eine Prüfung durchgeführt wird, die zu einem ordentlichen Ergebnis führt, kann dieses Ergebnis morgen schon ganz anders aussehen.

(Thomas Kreuzer (CSU): Wollen Sie eine tägliche Prüfung?)

Herr Kollege Kreuzer, wir würden nicht so weit gehen, eine tägliche Prüfung zu fordern. Die einjährigen Regelprüfungsintervalle sind nicht nur die Norm, sondern sollten auch Standard sein. Die Qualitätsmerkmale, die durch eine dreijährige Prüfungsfrist erreicht werden könnten, sind unter den Trägern höchst umstritten.

Herr Kollege Wahnschaffe, ich möchte nur kurz bekannt geben, dass die CSU-Fraktion eine namentliche Abstimmung beantragt hat.

Meine Damen und Herren, wer soll die Prüfung leisten? Darüber gab es einen langen Streit. Sie haben die Zuständigkeit dafür im Zuge der Verwaltungsreform geändert. Das war ein Schlag ins Wasser; denn die Folge war nicht mehr Qualität, sondern weniger Qualität. Sie haben völlig ignoriert, dass die kommunalen Spitzenverbände genau diesen Punkt gerügt haben. Sie haben angeführt, dass es aus fachlichen Gesichtspunkten Sinn machen würde, die Kompetenz bei den Regierungen zu bündeln, weil dort die Fachleute tätig sind, die für eine kompetente Prüfung in Frage kommen. Eine Verteilung dieser Aufgabe über die Gebietskörperschaften nach dem Gießkannenprinzip wäre nicht sinnvoll, zumal die Gebietskörperschaften zu 14 % – so steht es im Gesetzentwurf – selbst die Träger dieser Einrichtungen sind. Die Juristen würden dies als „In-sich-Geschäft“ bezeichnen. Damit würden die Glaubwürdigkeit und die Seriosität solcher Prüfungen in Zweifel gezogen.

(Beifall bei der SPD)