Protokoll der Sitzung vom 22.04.2004

Gesetzentwurf der Staatsregierung

zur Änderung des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (Drucksache 15/717)

Erste Lesung –

Der Gesetzentwurf wird vonseiten der Staatsregierung begründet. Frau Staatsministerin Hohlmeier, ich darf Ihnen dafür das Wort erteilen. Bitte schön, Frau Staatsministerin.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Namens der Staatsregierung lege ich Ihnen den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen vor. Ziel des Gesetzentwurfs ist es, die notwendige Rechtsgrundlage für die Einführung des achtjährigen Gymnasiums in Bayern ab dem Schuljahr 2004/2005 zu schaffen. Darüber hinaus soll zur Stärkung der Ausbildung in den Sprachen Latein und Griechisch die erforderliche Rechtsgrundlage dafür geschaffen werden, dass die Ausbildungsrichtung „Humanistisches Gymnasium“ auch mit Latein als zweiter Fremdsprache eingerichtet werden kann, da die zweite Fremdsprache dann bereits ab der sechsten Klasse beginnen wird. Dieser Gesetzentwurf sieht das achtjährige

Gymnasium für alle staatlichen Gymnasien in Bayern vor, beginnend mit den Jahrgangsstufen fünf und sechs.

Für die Träger kommunaler und privater Gymnasien ist eine Übergangsregelung vorgesehen, wovon derzeit anscheinend kein Träger Gebrauch machen möchte. Der Beginn sowohl für die kommunalen als auch die privaten Schulen wird ebenfalls zum Schuljahr 2004/2005 sein. Ein einziges Gymnasium stellt noch infrage, ob es auch die sechste Klasse einbezieht. Alle anderen Gymnasien scheinen sich freiwillig dezidiert für einen Beginn im Schuljahr 2004/2005 zu entscheiden.

Kurz zu den Eckpunkten der Reform. Erstens: Schulzeit. Die Diskussion über die Dauer des Gymnasiums wird seit eineinhalb Jahrzehnten mit unterschiedlicher Intensität geführt. Dabei rückt verstärkt die Tatsache in den Mittelpunkt, dass die deutschen Hochschulabsolventen erst sehr spät in das Berufsleben einsteigen. Absolventen von Diplomstudiengängen sind im Durchschnitt fast 29 Jahre alt, die Promotion wird im Durchschnitt mit 32 Jahren abgeschlossen; in anderen Ländern sind die Absolventen rund 24 bis maximal 25 Jahre alt. Die Folge ist, dass die deutschen Hochschulabgänger damit in der Konkurrenz zu ihren Kommilitonen aus anderen europäischen Ländern im Nachteil sind. In Frankreich oder Großbritannien sind, wie eben geschildert, die Hochschulabgänger im Durchschnitt sogar nur 24 Jahre alt. Eine weitere Folge ist, dass die Zeit, in der ein Akademiker aktiv im Berufsleben steht, im Vergleich zu seiner Lebenszeit bzw. Lebensarbeitszeit zu kurz ist. 23 Jahre Ausbildung von der Grundschule bis zum Universitätsabschluss stehen maximal 36 Jahre Berufstätigkeit gegenüber. Dies ist aufgrund des veränderten Altersaufbaus unserer Gesellschaft und der demografischen Entwicklung nicht mehr zu rechtfertigen. Schulen wie Hochschulen müssen sich der Herausforderung stellen, die jungen Menschen bei hoher Qualifikation früher in die Arbeitswelt zu entlassen. Der lebenslange Lernprozess wird ohnehin nie aufhören und ist in der heutigen Berufswelt angesichts der raschen Veränderungen in der Arbeitswelt nötiger denn je.

Mittlerweile haben fast alle Länder in Deutschland die Verkürzung der gymnasialen Ausbildungszeit umgesetzt oder beschlossen. Nordrhein-Westfalen beispielsweise verkündete die Einführung des achtjährigen Gymnasiums unmittelbar nach dem Bekannt werden der bayerischen Entscheidung. Anders als den Genossen in Bayern sind der SPD in Nordrhein-Westfalen die Argumente der Bayerischen Staatsregierung anscheinend durchaus als begründet erschienen.

(Zuruf von der CSU: So ist es!)

Nur in zwei der sechzehn Länder ist das G 8 erst in der Erprobungsphase. Es wäre aus der Sicht der Bayerischen Staatsregierung unverantwortlich, die bayerischen Gymnasiastinnen und Gymnasiasten ein Jahr länger als die meisten der deutschen Mitbewerber in der Schule zu behalten und sie so im Wettbewerb, auch internationaler Art, um Studien- und Ausbildungsplätze in Rückstand kommen zu lassen.

Zweitens: Einführungszeit. Durch die Entscheidung, im kommenden Schuljahr mit den Jahrgangsstufen fünf und sechs zu beginnen, werden gleichzeitig zwei Ziele erreicht: Zum einen vermeiden wir, dass ein einzelner Jahrgang – die jetzige Jahrgangsstufe fünf – isoliert mit seit Schuljahresbeginn gültigen eigenen Stundentafeln und Lehrplänen zwischen dem alten G 9 und dem neuen G 8 hochwächst. Zum anderen wird der doppelte Abiturientenjahrgang bayerischer Absolventen im Jahr 2011 vor dem doppelten Jahrgang bevölkerungsstarker Länder entlassen, wie beispielsweise Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen, die in den Jahren 2012 und 2013 an die Hochschulen und ins Berufsleben kommen. Dies bedeutet für die bayerischen Absolventen, dass wir die Chancen unserer Kinder besser bewahren; denn es wäre ungünstig, wenn zum Beispiel in Deutschland die Absolventen des gesamten süddeutschen Bereichs innerhalb eines Jahres gleichzeitig an die Hochschulen gingen und auch noch die des bevölkerungsreichsten Landes Nordrhein-Westfalen hinzukämen. Es liegt in unserer Verantwortung, die Chancen unserer Kinder vor dem Hintergrund heutiger Bedingungen bestmöglich zu bewahren.

Drittens: Qualität des Gymnasiums. Das neue achtjährige Gymnasium wird das Qualitätsniveau des traditionellen neunjährigen Gymnasiums halten, ohne dabei die Schülerinnen und Schüler zu überfordern. Der Weg zum Abitur wird weiter für jeden gymnasialgeeigneten jungen Menschen erfolgreich beschritten werden können. Das neue G 8 sieht hierfür entsprechende Maßnahmen vor. Wir verbessern die begabungsgerechte Förderung. In der Stundentafel werden im Gegensatz zum Beispiel zu SPD-regierten Ländern eigens 14 Intensivierungsstunden fest verankert sein, jede Intensivierungsstunde wird zwei Lehrerwochenstunden haben. Diese Form der Förderung wird es in Deutschland in keinem anderen Land geben.

(Beifall bei der CSU)

Dies bedeutet, wir fördern unsere Kinder an den Gymnasien und bieten auch am achtjährigen Gymnasium einen Weg, der nicht kinder- und jugendfeindlich ist, sondern sie wirklich fördert und fordert.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Damit haben wir auf der einen Seite die Möglichkeit, in den Intensivierungsstunden die Wiederholung, Vertiefung und Nachhaltigkeit von Lernen, auf der anderen Seite verstärkt eigenständiges Lernen der Schülerinnen und Schüler zu fördern. Wir haben auch verbesserte Möglichkeiten, schwächeren oder auch stärkeren Schülerinnen und Schülern spezifisch je nach Fächern mehr Unterstützung zukommen zu lassen, als das bisher möglich war.

Viertens: Thematik der Lehrpläne mit dem Titel „Konzentration auf das Wesentliche.“ Für das G 8 werden neue Lehrpläne erstellt; die Lehrpläne sind schon überarbeitet und fertig. 17 bayerische Gymnasien testen derzeit, ob die überarbeiteten Lehrpläne den praktischen Bedingungen an den Gymnasien entsprechen, damit die Erfahrung von Lehrkräften in der Praxis in die Bearbeitung dieser Lehrpläne unmittelbar einfließt. Wir werden im Anschluss daran zusätzlich eine vierwöchige öffentliche Diskussions

phase haben, an der sich alle Gymnasien und jeder, der dies wünscht, beteiligen kann.

Wir haben den Umfang des neuen Lehrplans im Vergleich zum ehemaligen Lehrplan G 9 bereits um 800 Seiten, das heißt um die Hälfte, gekürzt gehabt. „Im Umfang“ hat so manchen ein bisschen durcheinander gebracht. „Im Umfang“ bedeutet natürlich logischerweise, dass in einem Lehrplan auf 800 Seiten weniger steht. Es ist völlig klar, dass bei einer Kürzung um 800 Seiten im Lehrplan nicht derselbe Inhalt steht wie bei 1600 Seiten. Aber wesentlich daran ist, dass wir viel an Spezial- und Detailwissen, das bisher verpflichtend vorgegeben war, nicht mehr verpflichtend vorgeben, sondern dass die Lehrkräfte mehr Freiheit und Eigenverantwortung haben, Schwerpunkte zu setzen. Beim G-8-Lehrplan werden diese Konzentration auf das Wesentliche, das Grundwissen und die Schlüsselkompetenzen noch wesentlich stärker vollzogen, als dies beim G-9-Lehrplan ohnehin schon getan worden ist. Es werden aber auch Freiheit und Verantwortung der Lehrkräfte im Setzen von Prioritäten und Schwerpunkten zunehmen müssen.

Fünftens: Unterrichtszeit und Wochenstundenzahl. Es wurde sehr heftig darüber diskutiert, wie hoch die Wochenstundenzahl sein soll. Mit Blick darauf, dass man je Jahrgangsstufe in der Woche zwei bis drei eigene Stunden für zusätzliche Förderung, für Wiederholung und Intensivierung hat und dass man diese Stunden nicht unter die normalen Fachstunden rechnet, ist die Wochenstundenzahl völlig normal und für Schülerinnen und Schüler ganz problemlos zu bewältigen.

Wir können jedoch die Stundenzahl weder so kürzen, dass am Schluss die fachliche Qualität nicht mehr gewährleistet ist, noch können wir die Stundenzahl so ausbauen, dass es zu einer zeitlichen Überforderung von Schülerinnen und Schülern kommt. Über eines müssen wir uns allerdings einig sein: Wir müssen in der heutigen Zeit den Kindern und Eltern klar sagen, dass die Schule für die Kinder Priorität haben muss, weil sie sonst nicht qualitativ hochwertig ausgebildet werden können. Dass zusätzlich Vereinsleben und freizeitliche Aktivitäten stattfinden können, beweist in wunderbarer Weise unser Nachbarland Österreich, von dem ich nicht den Eindruck habe, dass dort die Kinder unter besonderem Druck leiden, weil sie ein achtjähriges Gymnasium besuchen, das qualitativ hochwertig ist.

Eine Besonderheit des achtjährigen Gymnasiums ist die Geschlossenheit des Bildungsgangs von der fünften bis zur zwölften Klasse. Früher gab es doch die Tendenz, die Klassen fünf bis elf auf der einen Seite und die Kollegstufe auf der anderen Seite zu betrachten. In der dreizehnten Klasse waren die Schülerinnen und Schüler sogar nur wenige Stunden – im Durchschnitt 25 Stunden – in der Schule, was zu heftiger Kritik geführt hat. Das wird beim achtjährigen Gymnasium nicht mehr der Fall sein. Es wird von der Stundenausstattung her ein geschlossenes, harmonisches und inhaltlich abgestimmtes Konzept von der fünften bis zur zwölften Klasse geben. Bei der Reform der Oberstufe werden als Besonderheit Seminare eingeführt, in denen sowohl das individuelle wissenschaftliche Arbeiten als auch die Vorbereitung auf Berufswelt und Hochschule einen wesentlich größeren Raum einnehmen wer

den, als das in der bisherigen Kollegstufe der Fall war. Zudem wollen wir die Kernfächer und die allgemeinbildenden Fächer verstärken durch die Festlegung von Deutsch, Mathematik und einer Fremdsprache mit einem höheren Stundenkontingent.

Insgesamt ist das G 8 bayerischer Prägung die adäquate Antwort auf die gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen, denen gegenüber wir uns nicht verschließen können. Das achtjährige Gymnasium wird die altbewährte Tradition des bayerischen Gymnasiums fortführen. Im neuen Gymnasium werden sowohl die individuelle Förderung des Schülers oder der Schülerin als auch die Nachhaltigkeit des Lernens und die Gesamtheit und die Geschlossenheit der Konzeption im Mittelpunkt stehen. Neu ist der Schwerpunkt bei Natur und Technik in der Unterstufe, der ebenfalls in unserem Konzept enthalten ist. Zu nennen sind außerdem die Einführung der Profilstunden für die gymnasialen Ausbildungsrichtungen und die 14 Intensivierungsstunden.

Die schriftlichen Anfragen der SPD zeigen, dass sie einiges noch nicht begriffen hat. Ich greife nur die Anfrage heraus, in der es heißt, wir sollen erst einmal feststellen, an welchen Gymnasien welche Form von Mittagsbetreuung von welchem Träger mit welchem Personal durchgeführt wird. Dann sollen wir allgemeine Modalitäten festlegen, wie Mittagsversorgung an bayerischen Gymnasien auszusehen hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich kann dazu nur sagen: Das bayerische Gymnasium wird nicht neu erfunden. An vielen Gymnasien gibt es bereits eine Mittagsbetreuung. In Niederbayern zum Beispiel bieten bereits 75 % der Gymnasien eine Mittagsversorgung an. Das hat nur noch niemand von Ihnen gemerkt. Ich muss den Verantwortlichen im Lande draußen nicht alles vorschreiben. Das heißt, die Schulen werden von sich aus Regelungen finden, die auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind. Wir brauchen nicht ein Mehr an Richtlinien, sondern ein Mehr an Eigenverantwortung, selbst wenn es da und dort nicht sofort klappt und es Kritik gibt. Es wird also keine staatliche Essensversorgung mit Richtlinien und Ernährungstipps geben. Stattdessen vertraue ich auf die Verantwortung vor Ort.

Ich komme zur Frage des Konnexitätsprinzips. Wir haben das erforderliche Konsultationsverfahren mit den kommunalen Spitzenverbänden durchgeführt. Ich habe darüber hinaus im Rahmen von vielen Veranstaltungen Einzelgespräche mit den Sachaufwandsträgern geführt. Dabei ist die im Gesetzesvorblatt angeführte umfassende Einigung erzielt worden. Das Staatsministerium der Finanzen war beteiligt. Im Rahmen der Verbandsanhörung wurde der Gesetzentwurf 17 Adressaten zugesandt. Insgesamt haben sich 11 Verbände geäußert. Die Landeselternvereinigung verfolgt den Kurs einer aktiven Mitgestaltung des neuen Gymnasiums. Der Bayerische Philologenverband lehnt die Einführung des G 8 mit den bekannten Argumenten ab. Die Direktorenvereinigung lehnt die Einführung des G 8 nicht grundsätzlich ab und hat sich an der Ausgestaltung beteiligt. Sie legt besonderen Wert auf eine Verstärkung der Eigenverantwortung des Gymnasiums beispielsweise bei der Bereitstellung und Nutzung von Intensivierungsstunden. Der Landesbezirk des Bundesverbandes der Schulen in freier Trägerschaft begrüßt die Einführung des G 8. Katholische und Evangelische Kirche sowie

Evangelische Schulstiftung erheben keine Einwände, und die GEW hat mitgeteilt, die Einführung des G 8 werde zwar kontrovers diskutiert, aber vor allem im Rahmen der Ganztagsschule für sinnvoll gehalten.

Das Staatsministerium für Unterricht und Kultus wird die vorgetragenen Argumente bei der anstehenden Änderung der Schulordnung für die Gymnasien in Bayern erneut in seine Überlegungen einbeziehen, soweit sie sich nicht gegen die Einführung des G 8 als solches richten. Die Wünsche und Anregungen zu finanziellen Fragen werden bei der Änderung des Schulfinanzierungsgesetzes geprüft. Anlässlich dieser Änderung erfolgt erneut eine Anhörung der Verbände.

(Beifall bei der CSU)

Frau Ministerin, ich danke Ihnen. Ihre Redezeit betrug 16 Minuten. Damit verlängert sich die Redezeit für die Fraktionen um jeweils 6 Minuten. Das heißt nicht, dass diese Zeit ausgeschöpft werden muss. Es ist aber meine Pflicht, Ihnen das bekannt zu geben.

Ich eröffne damit die allgemeine Aussprache und darf für die SPD-Fraktion Ihnen, Frau Kollegin Schieder, das Wort erteilen. Bitte, Frau Kollegin.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nun ist er also da, der Gesetzentwurf zur Änderung des Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes mit dem Ziel der Verkürzung der gymnasialen Schulzeit von neun auf acht Jahre. Dazu könnte man einerseits sagen, es ist Zeit geworden, dass der Gesetzentwurf endlich vorgelegt wird; denn es war schon sehr eigenartig, dass man seitens des Kultusministeriums bereits im Dezember 2003 den Schulen mitgeteilt hat, dass die Sache entschieden ist, und überall verkündet hat, dass man über diese Entscheidung gar nicht mehr diskutieren kann und darf. Hier im Bayerischen Landtag, wo wirklich entschieden werden muss, hat man nahezu jede Diskussion über das Thema vermieden, sodass man den Eindruck gewinnen konnte, der Landtag hätte in der Frage so gut wie nichts mitzureden, geschweige denn mit zu entscheiden. Das ist die eine Seite.

Andererseits muss man nach einem halben Jahr harten Ringens in der Sache feststellen, dass es viel besser und hilfreicher gewesen wäre, Sie hätten den Gesetzentwurf nicht vorgelegt, sondern Sie hätten die Entscheidung über die Verkürzung der gymnasialen Schulzeit ausgesetzt und hätten unseren Vorschlag und den Vorschlag des Philologenverbandes aufgegriffen und ein zweijähriges Moratorium festgelegt; denn dann wäre wirklich Zeit gewesen, eine intensive, offene und echte Diskussion über das Für und Wider eines G 8 zu führen.

(Beifall bei der SPD)

Frau Ministerin, ich habe mich über Ihre Rede heute wundern müssen. Wenn man Ihnen zugehört hat und boshaft wäre, könnte man meinen, das Schlechteste, was es je gegeben hat, ist das heutige G 9, das sogar schädlich für die Zukunft unserer Kinder ist.

(Beifall bei der SPD)

Ihre früheren Aussagen so ins Gegenteil zu verkehren und etwas ganz anders zu behaupten als das, was Sie vor der Wahl richtigerweise gesagt haben – so einfach kann man es sich nicht machen!

Ein Moratorium hätte uns die Zeit gelassen, um nach einer überlegten und fundierten Entscheidung, die durchaus für das G 8 hätte ausfallen können, zu suchen und gegebenenfalls eine Schulzeitverkürzung ausreichend vorzubereiten. Denn es ist nicht wahr, Frau Ministerin, dass unsere jungen Menschen in gravierender Art und Weise benachteiligt würden, wenn Bayern als eines der größeren Bundesländer als letztes Land einen doppelten Abiturjahrgang auf den Arbeitsmarkt oder an die Universitäten bringen würde.

Man kann durchaus auch die Meinung vertreten, dass dies sogar zum Vorteil der jungen Menschen wäre, weil wir dann über mehr Erfahrung darüber verfügen würden, wie man diesem doppelten Abiturjahrgang gerecht werden und Nachteile für die jungen Menschen vermeiden kann.

Es ist doch nicht zu leugnen, dass seit Verkündung des Ministerpräsidenten, das G 8 einführen zu wollen, zwar nun ein halbes Jahr vergangen ist, dass aber weder die Staatsregierung noch die CSU-Fraktion in ausreichendem Maße den Betroffenen vor Ort – den Schülerinnen und Schülern, den Schulleitern, den Eltern sowie den Lehrerinnen und Lehrern, aber auch den Sachaufwandsträgern – sagen kann, wie die konkrete Umsetzung des Ganzen erfolgen soll. Es sind für mich immer noch weit mehr Fragen offen, als beantwortet sind. Sie haben die schriftlichen Anfragen angesprochen, deren Antworten Sie uns gestern zugeleitet haben. Die Antworten belegen für mich eindeutig, dass weit mehr Fragen offen als beantwortet sind bzw. Fragen in unzureichendem Maße beantwortet werden konnten. Sie konnten uns nicht in ausreichendem Maße einen Einblick darüber verschaffen, was Sie nun eigentlich wollen. Aus den Antworten ergibt sich nämlich, dass Sie kaum einen Überblick über die räumlichen Gegebenheiten und die Bedürfnisse und auch kaum eine Vorstellung davon haben, wie vor Ort die Mittagsverpflegung sowie die Beaufsichtigung von Schülerinnen und Schülern in der Mittagspause organisiert werden können.

Wir haben nicht von Ihnen verlangt, dass Sie den Schulen alles klitzeklein vorschreiben. Für so dumm brauchen Sie uns nicht zu halten; das steht auch in unseren Anfragen nicht drin. Sie verweisen lapidar auf die Sachaufwandsträger und auf deren Eigenverantwortung sowie auf die so genannten IZBB-Mittel und werfen durch Ihre Antworten neue Fragen auf, statt die gestellten zu beantworten. Jetzt schreiben Sie nämlich plötzlich, diese IZBB-Mittel könnten für erforderliche Baumaßnahmen hergenommen werden, wenn diese Maßnahmen in ein pädagogisches Konzept eingebettet sind. Bis jetzt haben Sie den Sachaufwandsträgern aber etwas anderes erzählt. Sie haben gesagt, das G 8 bilde sozusagen eine Ausnahme und es reiche schon alleine aus, dass nachmittags Unterricht stattfinde. Deswegen könne die 90%ige Förderung – die zusammen mit den 10 Prozent, die Sie übernehmen, zu

einer 100%igen Förderung führt – in Anspruch genommen werden, wenn zum Beispiel Bistros oder Räumlichkeiten, in denen Essen ausgegeben werden könne, gebaut werden könnten.

Herr Sibler, da brauchen Sie nicht den Kopf zu schütteln. Die Landräte waren doch einbestellt – unserer war auch dort –, und den Sachaufwandsträgern ist das so gesagt worden. Auch in dem Zwischenbericht, der uns im Bildungsausschuss gegeben worden ist, hat der Vertreter des Kultusministeriums gesagt, dass mit dem Bund ausgehandelt worden ist, es gebe im Fall des G 8 sozusagen die zweite Herangehensweise für die Verwendung der Mittel. Ich bin einmal gespannt, was herauskommen wird. Das verändert nämlich die Sachlage für die Sachaufwandsträger enorm. Wenn es nämlich ein pädagogisches Konzept dazu geben muss, dann braucht man dafür Personal.

(Beifall bei der SPD)

Sie wissen ja, dass der größte Teil der Kosten dieses Personals vom Sachaufwandsträger selber getragen werden muss. Man braucht kein Prophet zu sein, um errechnen zu können, welche großen finanziellen Belastungen auf die Sachaufwandsträger zukommen. In diesem Zusammenhang müssen Sie die Debatte über die Konnexität mit den Sachaufwandsträgern führen. Ich habe bisher nichts darüber gelesen, dass über dieses Thema gesprochen worden wäre.

Sie haben auch nur sehr vage Vorstellungen von der konkreten Unterrichtsgestaltung, zum Beispiel für diese Intensivierungsstunden. Sie ignorieren in ganz unverantwortlicher Weise die wirklichen Probleme der Schülerinnen und Schüler, zum Beispiel den unzweifelhaft erhöhten Druck, dem die Schülerinnen und Schüler ausgesetzt sein werden. Sie ignorieren auch die Gefahr, dass die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die das Abitur nicht erreichen wird bzw. größere Schwierigkeiten haben wird, das Abitur zu erreichen, zunehmen wird. Das ist auch das kritische Ergebnis der Schulversuche und auch das Ergebnis aller Erfahrungen in anderen Bundesländern. Sie sagen: „Das gibt es nicht, das wissen wir nicht, das erfinden sie“, um sich nicht irgendwelche Gegenmaßnahmen überlegen zu müssen und um sich nicht Gedanken darüber machen zu müssen, was Sie tun könnten.

Mir hat ein Jesuitenpater aus Baden-Württemberg, der bestimmt nicht der Sozialdemokratie angehört, der dort an einem achtjährigen Gymnasium als Lehrer tätig ist, erzählt, dass für ihn unzweifelhaft die Konsequenz der Einführung eines G 8 sein muss, gleichzeitig einen bedarfsgerechten Ausbau an Ganztagsschulangeboten an den Gymnasien sicherzustellen. Es ist wichtig, dass zum Beispiel an den Gymnasien, die mehrzügige Jahrgänge haben, die drei oder vier Klassen pro Jahrgang haben, eine Klasse als Ganztagsklasse geführt wird, um den Schülerinnen und Schülern, die größere Probleme bekommen werden und die dem Druck nicht gewachsen sein werden, die Möglichkeit zu geben, ihr Defizit auszugleichen.

Sie legen eine Stundentafel vor; das ist richtig. Diese Stundentafel versucht sehr geschickt, den Kritikern den

Wind aus den Segeln zu nehmen, indem so getan wird, als gäbe es keinen Unterschied zwischen dem G 8 und dem G 9. Die Notwendigkeit eines zusätzlichen Nachmittagsunterrichts wird als ganz gering dargestellt. Ob diese Stundentafel wirklich so realistisch ist, werden wir sehen, wenn uns der Lehrplan vorliegen wird, nachdem er die von Ihnen erwähnte Überprüfung an den 17 Gymnasien durchlaufen hat. Wir werden sehen, ob darin wirklich der notwendige Stoff untergebracht werden kann, der gelehrt werden muss. Wir wollen, dass die Qualität der gymnasialen Ausbildung erhalten bleibt und dass es nicht zu einem Sinken des Niveaus kommt. Ich bin gespannt, ob die Entrümpelung des Lehrplans auch wirklich stattfindet. Unsere Erfahrungen mit derartigen Aktionen – Herr Sibler, das geben Sie doch selber zu; sogar auch Herr Huber, so habe ich gelesen – waren bisher immer, dass die Schriftgröße oder das Layout geändert worden sind und ein paar Unterpunkte herausgestrichen wurden, aber der Inhalt der Lehrpläne und der Stoffumfang gleich geblieben sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)