Protokoll der Sitzung vom 30.09.2004

Noch im September 2003 waren die Einsichtsfähigen im Sozialministerium, Frau Ministerin Stewens, bereit, mit der freien Wohlfahrtspflege Eckpunkte zu vereinbaren, die ein Mindestmaß einer Struktur der Insolvenzberatung gerade noch hätte aufrechterhalten sollen. Das war alles Makulatur, nachdem die Wahlen vorüber waren und der Ministerpräsident ein neues Konzept verkündet hat, dem sich alles und jedes unterordnen musste.

Was ist jetzt herausgekommen? Herausgekommen ist eine Lösung, von der Sie, Herr Kollege Winter, behaupten, sie sei mit der LAG abgesprochen worden. Das ist doch blanker Zynismus.

Die LAG hatte nämlich überhaupt keine andere Wahl. Sie hatte nur eine Wahl nach dem Motto: Friss Vogel oder stirb. Sie war dem Sterben nahe, und deswegen konnte sie gar nichts anderes tun,

(Beifall bei den GRÜNEN)

als die 800 000 Euro sozusagen als Danaergeschenk entgegenzunehmen, wobei sich jetzt herausstellt, dass es nicht einmal ein Danaergeschenk war, sondern dass es die Vorstufe dessen ist, was befürchtet wird, dass nämlich die Insolvenzberatung in Bayern in Zukunft nicht mehr existieren wird, jedenfalls nicht mehr so existieren wird, wie sie strukturell einmal bestanden hat. Es geht nicht nur um die 800 000 Euro, sondern es geht darum, dass Fachleute entlassen werden müssen, dass Einarbeitungen stattfanden und stattfinden. Das alles ist Makulatur!

Frau Staatsministerin Stewens, es ist im Grunde genommen völlig neben der Sache, wenn Sie den Leuten den Rat geben, sie sollten doch zum Anwalt gehen, um sich dort beraten zu lassen. Dies kündet davon, dass Sie sich mit dieser Materie offensichtlich nicht näher beschäftigt haben. Zum Ersten ist die Beratung bei Anwälten etwas anderes als in den Beratungsstellen. In den Beratungs

stellen erhalten Sie ein sehr viel umfassenderes Angebot bis hin zur psychosozialen Betreuung. Zum Zweiten zeigen Zahlenvergleiche: Wenn solche Insolvenzverfahren erfolgreich begonnen werden, dann sind sie unter dem Strich wirtschaftlicher als die anwaltliche Beratung.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Zum Dritten – Frau Kollegin Ackermann hat schon darauf hingewiesen –, liegt das, was die Anwälte erhalten, unter den Gestehungskosten. Deswegen finden Sie kaum qualifizierte Anwälte. Angesichts der Vielzahl jener, die bereit sind, sich in diese Materie einzuarbeiten, ist dies erstaunlich.

Das Ergebnis ist also nicht eine Verlagerung hin zu mehr Beratung über die Anwälte – auf die Folgen ist schon hingewiesen worden –, sondern ein Stillstand dieser Beratung. Dies hat nicht nur für die Betroffenen Folgen. Das hat Folgen für die dahinter stehenden Familien. Sie haben sich letzte Woche wieder in die Brust geworfen und gesagt: Bayern ist das Familienland. Wenn es aber um das Eingemachte geht, wenn es um konkrete Hilfen geht, versagen Sie den Familien die Hilfe. Das zeigt sich sehr deutlich bei der Insolvenzberatung.

Deswegen können wir an die Einsichtsfähigen innerhalb der CSU nur appellieren: Hören Sie sich an, was die Fachleute in drei Wochen zu sagen haben, und entscheiden Sie dann beim Haushalt 2005/2006 in einer Weise, mit der die Insolvenzberatung in Bayern eine Zukunft hat. Dies ist auch ein Stück soziales Bayern.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Kollege, ich wollte Sie nicht unterbrechen. Erlauben Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Obermeier?

Bitte schön, Herr Kollege.

Herr Kollege Wahnschaffe, wenn Sie sagen, dass es auf dem Markt nicht genügend Anwälte gibt, wie erklären Sie sich dann, dass es innerhalb der Anwaltschaft seit ca. 1999, 2000 den Fachanwalt für Insolvenzrecht gibt und dass in diesem Bereich die Zahlen exorbitant ansteigen?

Herr Kollege, mir ist natürlich bekannt, dass die Zahl der Anwälte deutlich zugenommen hat. Dies wäre ein neues Betätigungsfeld. Es gibt aber sehr gewichtige Stimmen aus der Anwaltschaft, die sagen, dass diese Insolvenzberatung – da werden Sie mir als Kollege zustimmen – nicht kostendeckend ist. Deswegen gibt es zu wenig qualifizierte Beratung, die den Menschen weiterhilft. Das ist eine sehr komplexe und komplizierte Materie. Deswegen ist Ihre Aussage, so wie Sie sie getroffen haben, nicht richtig.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Wahnschaffe. Frau Kollegin Ackermann hat sich nochmals zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Kollege Winter, ich finde Ihren Beitrag, den Sie im Namen der CSU-Fraktion gebracht haben, erbärmlich. Sich auf haushaltsrechtliche Vorschriften zurückzuziehen, wenn es um Menschen geht und wenn es darum geht, einen ganzen Berufszweig kaputtzumachen, finde ich nicht nur erbärmlich, sondern auch einfallslos und herzlos.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Im Übrigen sind Sie auch noch auf dem falschen Dampfer. Sie haben noch nicht einmal Recht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Es ist nämlich so, dass dieser Antrag in Zusammenarbeit mit der Ausschussassistentin des Landtagsamts genau so formuliert wurde, um das Argument zu verhindern, das wir von Ihrer Seite natürlich befürchten mussten. Er ist absolut korrekt formuliert. Er ist haushaltstechnisch in Ordnung. Ihre Ausrede entfällt komplett. Bekennen Sie doch einfach Farbe und sagen Sie, worum es Ihnen geht. Sie wollen Klientelpolitik betreiben und sind gleichgültig gegenüber den Hilfesuchenden. Deshalb sind Sie dagegen, dass die Insolvenzberatung in der Form, in der sie jetzt stattfindet, weitergeführt werden soll.

Im Übrigen wären Sie gut beraten, für die Fortführung der Insolvenzberatung zu stimmen; denn wenn irgendwann einmal Ihre Vorschläge zum Arbeitsrecht Wirklichkeit werden, wird sich die Arbeitslosenzahl verdoppeln. Bekennen Sie Farbe und helfen Sie den Menschen. Lassen Sie sich nicht auf ein Spiel ein, bei dem Sie nur verlieren können.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin. Für die Staatsregierung hat sich Frau Staatsministerin Stewens zu Wort gemeldet. Bitte schön, Frau Staatsministerin.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Wahnschaffe, was ist denn im Bereich der Insolvenzberatung tatsächlich passiert? Ich habe drei Jahre mit den kommunalen Spitzenverbänden und mit der Wohlfahrtspflege verhandelt. Wir haben ein unabhängiges Institut eingeschaltet, das dann auch Pauschalen errechnet hat. Die psychosoziale Beratung – das war genau ein Gegenstand des Streites und der Auseinandersetzung – gehört nicht zur Insolvenzberatung. Sie ist ein rein außergerichtlicher Einigungsversuch. Übrigens ist die Insolvenzberatung nicht so wahnsinnig erfolgreich. In nur ca. 20 bis 30 % der Fälle kann das Gerichtsverfahren vermieden werden; in weit über 70 % der Fälle wird das Gerichtsverfahren durchgeführt.

(Zuruf des Abgeordneten Joachim Wahnschaffe (SPD))

Zu Ihrer Argumentation möchte ich Ihnen ganz klar sagen: Als wir im letzten Jahr für die außergerichtliche Insolvenzberatung gar keine Mittel mehr im Haushalt vorgesehen hatten, hat der Landtag nachgebessert. Herr Kollege Wahnschaffe, wir haben im Jahr 2004 für die Insolvenzberatung mehr Mittel gehabt als im Jahr 2003, im Jahr 2003 nämlich 1,5 Millionen Euro und im Jahr 2004 1,9 Millionen Euro. Das Problem ist, dass eine Million Euro für die Abfinanzierung der Beratungsfälle aus dem Jahr 2003 verwendet worden sind. Dies geschah in Absprache mit den Trägern der freien und öffentlichen Wohlfahrtspflege. Die gut 800 000 Euro sind draufgelegt worden. Wir haben uns mit den Trägern der Wohlfahrtspflege zusammengesetzt und gefragt: Wie sollen wir nach euren Wünschen diese Mittel verwenden? Das waren mehr Mittel als im Jahr 2003. Die Träger der Wohlfahrtspflege haben gesagt, dass ihnen die Abfinanzierung am allerliebsten sei und dass sie mit den 800 000 Euro über das Jahr für die außergerichtliche Insolvenzberatung hinkämen. Sie haben von uns sozusagen ein Budget erhalten. Das ist in Absprache mit ihnen geschehen. Sie haben in diesem Jahr circa 1,9 Millionen Euro für außergerichtliche Insolvenzberatung gehabt. Vor diesem Hintergrund sagen die Vertreter der Wohlfahrtsverbände jetzt, dass sie die außergerichtliche Insolvenzberatung bis zum Jahresende im Wesentlichen weiterführen werden; denn sie haben mehr Geld als im letzten Jahr bekommen.

Jetzt möchte ich Ihnen dazu nochmals eines sagen. Die Schuldnerberatungen erklären überschuldeten Mitbürgerinnen und Mitbürgern täglich, dass sie nicht mehr ausgeben dürfen als sie einnehmen. Genau das machen wir zurzeit mit dem Haushalt des Freistaates.

Wir wollen nicht mehr ausgeben als wir einnehmen. In der Wirtschaft oder einem Privathaushalt würden Sie sonst in der Insolvenzberatung landen. Da wollen wir nicht hin. Deswegen wollen wir einen solide durchfinanzierten Haushalt und unseren Kindern und den Mitbürgern sagen: Wir leben nicht ständig weiter über unsere Verhältnisse.

(Beifall bei der CSU – Christine Stahl (GRÜNE): Deswegen nehmen wir zehnmal soviel auf wie in den vergangenen Jahren!)

Nun zum Urteil des VG München. Frau Kollegin Ackermann, der Freistaat hat gegen das Urteil Berufung eingelegt und der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die Klage daraufhin aus formalen Gründen abgewiesen. Man muss hier schon die Wahrheit sagen. Das möchte ich nur anmahnen.

Frau Kollegin Ackermann, Sie haben weiterhin gesagt, die Anwälte seien nicht gewillt, die Beratung zu übernehmen. Wir hatten im Jahr 2003 4700 Anträge auf Eröffnung des gerichtlichen Verbraucherinsolvenzverfahrens. Bei diesen 4700 Fällen ist jeweils eine außergerichtliche Insolvenzberatung vorgeschaltet gewesen. In diesem Jahr gab es 2600 außergerichtliche Insolvenzberatungen. Das bedeutet, 1100 Beratungen wurden von anderen, vor allem von den Anwälten geleistet.

Sie sehen daran, dass sich im Markt etwas bewegt. Das sind die nackten, kalten Zahlen. Wie geht es weiter? Wir haben im Doppelhaushalt 2005/2006 für die Insolvenzberatung jeweils 800 000 Euro eingestellt. Das ist genau die Summe, die wir im Nachtragshaushalt für die neue Insolvenzberatung eingestellt haben. Ich werde mich jetzt mit der Landesarbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege zusammensetzen, aber auch mit den Rechtsanwälten und den Anwaltsverbänden, um die Situation zu besprechen, damit die Mittel zielgerichtet und exakt ausgegeben werden.

(Beifall bei der CSU)

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Dazu werden die Anträge wieder getrennt. Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 15/1694, das ist der Antrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD. Wer ist dagegen? – Das ist die CSU-Fraktion. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 15/1703, das ist der Antrag der SPD-Fraktion, seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Wer ist dagegen? – Das ist die CSU-Fraktion. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich darf zwischendurch das Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum interfraktionellen Dringlichkeitsantrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN betreffend „Chancengleichheit sichern – Lernmittelfreiheit erhalten“, Drucksache 15/1692, bekannt geben: Mit Ja haben 51 und mit Nein 90 Kolleginnen und Kollegen gestimmt. Es gab zwei Enthaltungen. Damit ist der Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 3)

Außerhalb der Tagesordnung gebe ich gemäß § 26 Absatz 2 der Geschäftsordnung folgende von der SPD-Fraktion mitgeteilte Ausschussumbesetzungen bekannt: Für Herrn Dr. Linus Förster, der den Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport verlässt, wurde als neues Ausschussmitglied Frau Kollegin Angelika Weikert benannt. Die Stelle von Frau Angelika Weikert, die bisher Mitglied im Ausschuss für Umwelt und Verbraucherschutz war, nimmt nunmehr Frau Kollegin Susann Biedefeld ein. Ich bitte um entsprechende Kenntnisnahme.

Bevor wir mit der Behandlung der Dringlichkeitsanträge fortfahren, darf ich für die Fraktionen bekannt geben, dass die CSU-Fraktion noch 26 Minuten zur Verfügung hat, die SPD-Fraktion ebenfalls noch 26 Minuten und die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN 15 Minuten.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich rufe auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Joachim Herrmann, Dr. Otmar Bernhard, Markus Sackmann und anderer und Fraktion (CSU) Strikte Einhaltung europäischer Verpflichtungen (Drucksache 15/1695)

Ich eröffne die Aussprache und darf Herrn Kollegen Zeller das Wort erteilen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die CSUFraktion hat diesen Dringlichkeitsantrag eingebracht, mit dem wir die Staatsregierung auffordern, sich weiterhin gegenüber dem Bund und vor allem der Europäischen Union für die strikte Einhaltung der Stabilitätskriterien und anderer EU-Vorgaben einzusetzen.

Ganz Europa war in den letzten Tagen erschüttert, als wir die Schlagzeilen über die nicht korrekten Angaben des Landes Griechenland gegenüber der Europäischen Union bezüglich der Neuverschuldung in den letzten Haushalten dieses Landes vernommen haben. Dieses Verhalten Griechenlands ist ein ganz schwerer Schlag für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in Europa, gegen unsere europäische Währung und – ich gehe noch weiter – gegenüber der Europäischen Union. Dies gilt vor allem nach der Erweiterung um unsere neuen Partnerstaaten in Mittel- und Osteuropa. Dies war ein schwerer Schlag gegen das Vertrauen in die Entwicklung Europas, die in den vergangenen 40 bis 50 Jahren ohne Zweifel eine Erfolgsstory gewesen ist.

Wir sind der Meinung, dass wir alles tun müssen, damit die im Euro-Stabilitätspakt vorgesehenen Sanktionsmechanismen auch tatsächlich angewandt werden. Ich weiß sehr wohl, dass gerade vonseiten der Bundesregierung diesbezüglich eine Zurückhaltung besteht nach dem Motto: Wer selber im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen. Ich möchte den Berlinern keineswegs vorwerfen, dass sie mit ihren Haushaltsangaben gegenüber Brüssel getrickst hätten. Wir wissen aber alle, dass die große Vorbildfunktion Deutschlands in Europa bezüglich der stabilen Währung, wie wir sie mit der D-Mark hatten, von der jetzigen Bundesregierung mehr als vernachlässigt wird, um dies einmal so deutlich zu formulieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben die politische Verantwortung, uns innerhalb der Europäischen Union und den einzelnen Mitgliedstaaten mit den Defiziten auseinander zu setzen. Wir sehen beispielsweise, dass nicht unbedeutende Länder wie Frankreich, Deutschland und Italien kleinlaut mit ihren Haushaltsdefiziten umgehen, und eine breite Diskussion darüber nicht eröffnen. Sie versuchen vielmehr, diese Defizite unter den Teppich zu kehren.

Die EU muss sich um entsprechende Regelungen und Kapazitäten für die sachgerechte Kontrolle der von den Mitgliedstaaten übermittelten Daten bemühen. Nach einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ sind angeblich nur 20 Mitarbeiter für die Kontrolle der übermittelten Haushaltsdaten aller europäischen Länder zustän