Protokoll der Sitzung vom 11.11.2004

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie, meine Herren und Damen von der CSU, nehmen für sich in Anspruch, Glaubensgrundsätze frei praktizieren zu dürfen, verwehren diese Möglichkeit jedoch anderen Kulturen und Glaubensgemeinschaften. Sie definieren per Gesetz, wer zu unserer Gesellschaft gehört und wer nicht. Das hat meines Erachtens überhaupt nichts mit christlich zu tun; das ist religiöser Fundamentalismus.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Weshalb hat es so lange gedauert, bis der Gesetzentwurf vom 18. Februar dieses Jahres auf die Tagesordnung kam? Wurde vielleicht doch darüber gegrübelt, ob der Entwurf so bleiben kann, nachdem in der Anhörung vom Kopftuchverbot wenig übrig geblieben ist?

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Spaenle?

Ich würde erst gerne meine Gedanken vortragen, damit Sie sehen, wohin ich mit meiner Argumentation möchte. Vielleicht bringt es Ihnen sogar etwas, wenn Sie ein bisschen zuhören, und vielleicht bringt das die eine oder andere Erleuchtung.

(Dr. Ludwig Spaenle (CSU): Sie sollten lieber Käse machen, statt Käse reden!)

- Ich bin mit der Hoffnung in die Bütt gegangen, dass mein Redebeitrag tatsächlich etwas zur Belebung beiträgt. Ich danke Ihnen, Herr Spaenle, und ich danke Ihnen, Herr Welnhofer. Wenn das so weitergeht, kann das hier eine spannende Geschichte werden.

Herr Eisenreich, ich weiß nicht, ob Sie bei der Anhörung dabei waren; jedenfalls haben der Verfassungsrechtler Professor Huber von der LMU und Professor Masing von der Universität Augsburg ein Verbot für unnötig gehalten. Sie haben auch gesagt, dass die Vorgabe des Verfassungsgerichts – anders, als Sie das jetzt darstellen wollen – ein Verbot überhaupt nicht verlangt. Das Verfassungsgericht verlangt das zum einen nicht, weil die bestehenden Sanktionsmöglichkeiten im Beamtenrecht ausreichen, und zum anderen war es der Meinung, dass es sich um eine politische Entscheidung handelt.

Wenn man sich jedoch für ein Verbot von religiösen Symbolen und Kleidungsstücken entscheidet – das ist schon möglich, und diese Möglichkeit haben Sie hier genutzt –, darf ein damit einhergehender Gesetzentwurf nicht derart willkürlich sein, wie es der Ihre ist, und darf nicht willkürlich Entscheidungen hinsichtlich der Symbole, die betroffen sein sollen, Tür und Tor öffnen. Selbstverständlich fragt man sich – das hat Herr Kollege Schindler auch schon getan –, welche Symbole das im Detail sein werden. Ist zum Beispiel auch der muslimische Bart als Pendant zur Kopfbedeckung gemeint, oder verzichtet man darauf, weil sehr schwer feststellbar ist, welcher Bartträger Muslim ist?

(Beifall bei den GRÜNEN – Dr. Sepp Dürr (GRÜ- NE): Rasieren!)

Meine Herren und Damen, wo ist die Grenze? Sie machen es sich mit Ihrem Kopftuchverbot wirklich zu einfach.

(Zuruf des Abgeordneten Ernst Weidenbusch (CSU))

- Darüber können wir nachher auch reden. Ich freue mich immer wieder auf Ihre Beiträge, Herr Weidenbusch, aber leider sind sie nicht geeignet, um uns in der Sache weiterzubringen.

(Beifall bei den GRÜNEN – Zurufe von der CSU)

- Sie kennen doch Ihren Kollegen; dazu brauche ich weiter nichts zu sagen. – In diesem Zusammenhang möchte ich bestätigen, was meine Kollegen gesagt haben, und darauf hinweisen, dass das Gesetz zum Kopftuchverbot in Baden-Württemberg nicht mit dem bayerischen Gesetzentwurf vergleichbar ist. Es ist anders formuliert, und wir können die Gerichtsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts natürlich nicht spiegelbildlich darauf anwenden. Wohl aber hat das Bundesverwaltungsgericht – auch ein Bundesverwaltungsgericht hat Bedeutung für Bayern, weil es ein Bundesgericht ist; das mag Ihnen vielleicht nicht gefallen, aber dem ist so – Grundsätze formuliert, die auch hier eine gewisse Bedeutung haben. So betont das Bundesverwaltungsgericht, dass eine vereinzelnde Betrachtung nicht zulässig ist. So heißt

es da: „Ausnahmen für bestimmte Formen religiös motivierter Kleidung in bestimmten Regionen kommen nicht in Betracht.“ In der bisherigen Debatte wurde von Ihnen immer wieder gesagt, Bayern sei so religiös und tiefgläubig, dass es schlicht und einfach nicht vermittelbar sei, wenn das Kopftuch nicht verboten würde. Meine Herren und Damen, diese Argumentation ist mit diesem Gerichtsentscheid obsolet geworden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die katholische Kirche hat die Brisanz für ihre Kopftuchträgerinnen im öffentlichen Dienst jedenfalls sofort erkannt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nun ist es müßig zu spekulieren, weshalb Sie wegen einer Lehramtsanwärterin und zweier weiterer Beamtinnen den Untergang des Abendlandes verkünden. Die Lehramtsanwärterin hat mittlerweile das Handtuch geworfen, weil sie ihre Religion doch nicht aufgeben möchte. Dann ging es um zwei weitere – wohlgemerkt: bereits verbeamtete – Kopftuchträgerinnen an einer privaten deutschislamischen Schule, also an keiner staatlichen Schule. Deswegen also sind Sie in missionarischen Eifer verfallen, haben diesen Gesetzentwurf aus der Tasche gezogen, ihn dann ewig liegen lassen und ihn jetzt zur Zweiten Lesung vorgelegt.

Zurück zum Gesetzentwurf zur Änderung des BayEUG, der, anders als guter Käse, durchs Liegen nicht besser geworden ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dazu möchte ich vorab zur Erinnerung Kerninhalte des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 24.09.2003 vortragen. Ein eigenes Gesetz ist danach nur notwendig, wenn ein generelles Verbot zum Tragen von religiösen und weltanschaulichen Symbolen ergehen soll. Die Staatsregierung ist zum Erlass eines Gesetzes nicht verpflichtet, wie bereits festgestellt; sie trifft eine politische Entscheidung, wenn sie es dennoch tut. Dann aber muss diese gesetzliche Grundlage verfassungsrechtlich wasserdicht sein. Ich möchte in vier Punkten aufführen, weshalb Ihre Regelung das auf keinen Fall ist.

Erstens. Das Verfassungsgericht hat nicht den Weg eröffnet, zwischen den Religionen zu unterscheiden. Christliche Bezüge sind im Unterricht zwar zulässig, aber eine einseitige Beförderung eben nicht – ich zitiere:

Die Schule muss für andere weltanschauliche und religiöse Inhalte und Werte offen sein. In dieser Offenheit bewahrt der freiheitliche Staat des Grundgesetzes seine religiöse und weltanschauliche Neutralität.

Meine Herren und Damen, Sie aber verschließen sich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zweitens. Ein privates Bekenntnis, das durch ein Symbol nach außen gezeigt wird, ist zulässig. Die bloße Möglichkeit, dadurch irgendwelche Missverständnisse bei einzelnen bayerischen Schülern und Schülerinnen oder Eltern hervorzurufen, genügt für ein Verbot jedoch nicht. Ihr Gesetzentwurf enthält folgende Formulierung:

…sofern die Symbole oder Kleidungsstücke bei den Schülerinnen und Schülern oder den Eltern auch als Ausdruck einer Haltung verstanden werden können, die mit den verfassungsrechtlichen Grundwerten und Bildungszielen der Verfassung einschließlich den christlich-abendländischen Bildungs- und Kulturwerten nicht vereinbar ist.

Bei einer solchen Formulierung werden zwangsläufig – das prophezeie ich Ihnen – die Gerichte zur genaueren Auslegung der Inhalte herangezogen werden. Mit Rechtsklarheit hat ein solcher Entwurf meines Erachtens überhaupt nichts zu tun.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Drittens. Der Zugang zum öffentlichen Dienst wird nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung gewährt, unabhängig von religiösen Bekenntnissen. Zwar dürfen Dienstpflichten festgelegt werden, die in die Glaubensfreiheit eingreifen, doch treten dann ganz strenge rechtliche Bedingungen ein, die eingehalten werden müssen. Für die Feststellung, ob ein Verstoß gegen Dienstpflicht vorliegt, genügt zum Beispiel nicht, dass möglicherweise Schüler und Schülerinnen beeinflusst werden, sondern es bedarf einer konkreten Gefährdung, um die Religions- und Glaubensfreiheit von Lehrenden beschränken zu dürfen.

Das heißt, eine bekennende katholische, evangelische oder muslimische Lehrerin darf ihre Schülerinnen genauso wenig missionieren. Den Missionierungsversuch generell, ohne Bezug zum Einzelfall, nur aus dem Kopftuch, aus diesem einen Kleidungsstück ableiten zu wollen, ist unzulässig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Denn damit wird das Sein sanktioniert, nicht das individuelle Handeln. In Ihrem Gesetzentwurf fehlt genau dieser Bezug.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Selbstverständlich haben Eltern und Schülerinnen das Recht auf einen Unterricht, der frei von politischer Propaganda oder auch ungewollter religiöser Missionierung ist. Ich denke, da sind wir uns einig. Deshalb legen die Lehramtsanwärterinnen als spätere Staatsdienerinnen, die dem Zurückhaltungsgebot unterliegen, einen Eid auf unsere Verfassung ab. Das wissen wir ja. Ein Verstoß kann dann bereits sanktioniert werden. Doch machen wir uns nichts vor: Eine Gewähr dafür, dass unsere Kinder deshalb jederzeit im Sinne unserer Verfassung und ihrer Grundwerte erzogen werden, gibt es schon jetzt nicht. Wer kontrolliert denn Lehrer? – Und ich nenne bewusst

die männliche Form. Wer kontrolliert denn Lehrer, ob sie Mädchen und Jungen im Sinne des Artikels 3 Absatz 2 des Grundgesetzes oder des Artikels 118 Absatz 2 der Bayerischen Verfassung, wo es um die Gleichberechtigung von Mann und Frau geht, erziehen? – Das kontrolliert doch jetzt schon niemand.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wird denn wirklich kontrolliert, ob im Sinne der Völkerversöhnung – die Sie in der Begründung Ihres Gesetzentwurfes aufführen als eines der hehren Bildungsziele, die ich voll unterstütze – gehandelt wird? Im Umkehrschluss frage ich mich: Entspricht es denn der Völkerversöhnung, wenn Kopftuchträgerinnen mit radikalen Islamistinnen gleichgesetzt werden? Ich denke: Nein.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wie bei der Ausgrenzung von Menschen mit Migrationshintergrund misst die Bayerische Staatsregierung die verschiedenen bei uns beheimateten Kulturen mit zweierlei Maß. Laut Begründung des Gesetzentwurfes bleiben äußere Symbole und Kleidungsstücke, die den verfassungsrechtlichen Grundwerten und Bildungszielen der Verfassung einschließlich den christlich-abendländischen Bildungs- und Kulturwerten entsprechen – etwa die Tracht von Ordensschwestern –, zulässig. Das steht in der Begründung. Ich möchte hier anmerken, wenn es einmal zu Verfassungsstreitigkeiten kommen sollte, wird diese Begründung selbstverständlich zur Auslegung herangezogen. Da nützt es Ihnen überhaupt nichts, wenn in dem Gesetzestext, auf den Sie sich berufen, eine etwas vagere Formulierung enthalten ist.

Im Folgenden werden in der Gesetzesbegründung auch jüdische Symbole dazugezählt, weil sich jüdische Gemeinden ebenso wie die Kirchen vorbehaltlos zu den verfassungsrechtlichen Grundwerten und Bildungszielen bekennen würden. Das ist richtig. Aber ich frage Sie: Muslimische Lehrerinnen, die den Eid auf unsere Verfassung abgelegt haben, verhalten sich also nicht entsprechend diesen Zielen? – Das behaupten Sie einfach. Jemand, der ein Kopftuch trägt, verhält sich nicht entsprechend dem abgelegten Eid, also auch nicht die zwei verbeamteten Lehrerinnen, die wir hier haben. Was unterstellen Sie eigentlich diesen Frauen? – Das ist für mich überhaupt nicht nachvollziehbar, um nicht zu sagen, es ist mir schleierhaft.

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN)

Unterstellen Sie wirklich, wie es hier anklang, dass Kopftuchträgerinnen gegen die Gleichberechtigung sind? Ich frage Sie: Sind orthodoxe Juden und konservative Katholiken der Hort des Feminismus?

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN – Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Ist die CSU der Hort des Feminismus?)

Wenn Sie sich plötzlich berufen fühlen, gegen die Unterdrückung von Frauen zu kämpfen, dann fangen Sie bei allen gesellschaftlichen Gruppen damit an und dann fan

gen Sie vor allem in Ihrer eigenen Fraktion damit an; denn aus Frauensicht ist der Frauenanteil dort sehr niedrig. Aber vielleicht ändert sich das, wenn Herr Goppel Ehrenfeminist wird. Denn wie Pressemeldungen in den vergangenen Monaten zu entnehmen war, hat er sich an die Spitze der Frauenbewegung gestellt, seit es das Kopftuch gibt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zurück zum Verfassungsrecht. Ich komme zum vierten Punkt, den wir für kritisch halten. Frau Hohlmeier, es nimmt Ihnen wirklich niemand übel, dass Sie keine Juristin sind. Ich als Juristin mische mich auch möglichst nicht in die Bildungspolitik ein; denn ich denke, da gibt es Berufenere. Aber ich nehme es Ihnen übel, wenn Sie als Nichtjuristin versuchen, sich Entscheidungen des Verfassungsgerichts zurechtzubiegen. Ich erwarte schon von Ihnen, Frau Hohlmeier, dass Sie sich trotz der hohen Arbeitsbelastung und der Skandale, die Sie auszubaden haben, juristisch einwandfreien Rat holen und ein entsprechendes Gesetz abliefern.