Protokoll der Sitzung vom 10.11.2005

Kolleginnen und Kollegen der CSU, es ist auffällig, dass Sie das Thema Integration immer dann entdecken, wenn irgendwo in Europa gescheiterte Integration zu Gewalt eskaliert.

Danach haben Sie es jeweils schnell vergessen. Wir fi nden es äußerst dreist, dass Sie jedes Mal nichts Besseres zu tun haben, als Ängste in der Bevölkerung zu provozieren, vor Gewalt, vor Ausländern, vor Muslimen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Als Erster haben Sie, Herr Minister Beckstein, Vorurteile gegenüber Muslimen geschürt und zwar haben Sie ohne weiteres und ohne Anlass einen Zusammenhang zwischen den brennenden Autos in Frankreich und Muslimen hergestellt. Dafür gab es keinen Grund und dafür gibt es keinen Grund, außer, Sie wollen die Leute verängstigen und sich selber als starken Mann aufspielen. Offenbar haben Sie keinerlei Ahnung von den französischen Verhältnissen, weder was das Ausmaß der dortigen Spannungen angeht, noch was Antrieb und Begründung der Krawalle betrifft.

Zum Ausmaß, Herr Minister: Am 25. Oktober dieses Jahres, also noch vor den Unruhen, hat Ihr Innenministerkollege Sarkozy bekannt, dass in diesem Jahr in Frankreich schon 9000 Polizeiwagen in Brand gesteckt oder auf andere Weise zerstört worden. Das sind 30 Stück am Tag, Herr Minister. Das sind die französischen Verhältnisse, vor denen Sie hier warnen. Was hat das mit unseren Verhältnissen zu tun? Sind bei uns 9000 Polizeiautos weg? Was soll das? Sarkozy will bei der Bekämpfung der Ausschreitungen den starken Staat demonstrieren. Das gefällt Ihnen natürlich, Herr Minister. Nur wissen Sie offensichtlich nicht, dass der französische Staat gar nicht so stark ist, dass die Krise in Frankreich auch deshalb entstanden ist, weil sich der Staat weitgehend aus den Problemvierteln zurückgezogen hat. Er hat die Viertel und ihre Bewohner mit ihren Problemen allein gelassen. Er hat nur die Polizei und natürlich ihre 9000 Autos zurückgelassen. Ein Staat lässt sich aber nicht allein mit Law and Order aufrechterhalten.

(Joachim Herrmann (CSU): Ohne aber auch nicht!)

Es gibt keinen Staat ohne funktionierende Zivilgesellschaft. Ohne Unterstützung des Staates und der Kommunen, Kollege Kreuzer, funktioniert heute keine Zivilgesellschaft.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das ist die einzige Lehre aus Frankreich, die Sie auch bei den Haushaltsberatungen berücksichtigen sollten, wenn es um die Stärkung des Ehrenamtes und um sozialpolitische Maßnahmen gehen wird.

Warum fallen Ihnen, Herr Minister Beckstein, im Zusammenhang mit Ausschreitungen als erstes immer die Muslime ein, auch noch öffentlich? Wo sind Ihre Gründe dafür? Bisher sind keine islamistisch geprägten Parolen in Frankreich bekannt geworden. Oder haben Sie einen anderen Kenntnisstand? Es ist vor allem soziale Vernachlässigung, die sich dort in Gewalt ausdrückt. Mit dem Islam haben die Krawalle überhaupt nichts zu tun, aber rein gar nicht, im Gegenteil. Soweit wir wissen, sind gerade die muslimischen Gemeinden diejenigen, die sich gegen Gewalt und zwischen die jugendlichen Angreifer und die Polizei gestellt haben. Warum kommen Sie uns dann, Herr Minister Beckstein und Kollegen der CSU immer mit diesem Vergleich? Warum zündelt unser Innenminister schon wieder, obwohl er doch für unsere Sicherheit zuständig ist?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Warum schürt er bei den Menschen Angst?

Kolleginnen und Kollegen der CSU, wir fordern Sie auf, lassen Sie endlich das Zündeln sein und stellen Sie sich endlich einer kritischen Auseinandersetzung mit den Problemen der Integration, denn sie sind auch in Bayern wahrlich groß genug. Es geht nicht darum, französische Verhältnisse zu verhindern, sondern es geht darum, die bayerischen Verhältnisse endlich zu verbessern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ihr Antrag, Kolleginnen und Kollegen der CSU ist leider eine integrationspolitische Bankrotterklärung. Sie behaupten, dass man die Menschen zu ihrem Glück zwingen müsse. Erst lassen Sie sie im Stich und dann verhöhnen Sie auch noch die Opfer Ihrer Politik.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie behaupten tatsächlich, dass sich vor allem Angehörige der zweiten und dritten Generation von Zuwanderern zunehmend von anderen Teilen des gesellschaftlichen und politischen Lebens abkapselten. Das sagen Sie. Glauben Sie im Ernst, dass sich bereits die Kinder im Kindergarten freiwillig in die Ecke stellen, dass sie in der Schule darum betteln für dumm gehalten zu werden, nur weil sie die Sprache nicht verstehen?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wollen Sie wirklich behaupten, diese Kinder und Jugendlichen verweigerten sich aus freien Stücken der Integration und verzichteten liebend gerne auf ihre Berufs- und Lebenschancen? Glauben Sie wirklich so einen Mist, glauben Sie das? Sie sollten sich schämen für Ihre Schulzuweisungen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Minister Beckstein, in einem haben Sie Recht: Die Politik, so haben Sie gesagt, hat die Integration bei weitem nicht so geschafft, wie gewünscht. Ihre Politik Herr Minister ist es, es sind vor allem Ihre Versäumnisse und die Ihrer Regierung und Ihrer Partei. Dass es in Bayern nicht zu größeren Konfl ikten kommt, liegt vor allem daran, dass Kommunen, Verbände und Initiativen alles tun, was in ihrer Kraft steht. Sie haben in eigener Initiative, und weitgehend von Ihnen allein gelassen, ein soziales Netz aufgebaut und sie tun heute wieder ihr Bestes, um das von Ihnen und der Staatsregierung mutwillig zerrissene soziale Netz mühsam zu fl icken.

Wer Konfl ikte vermeiden will, darf nicht so leichtfertig wie Sie schüren und anheizen; er müsste Brücken bauen und Hindernisse abbauen, umso mehr als Sie für die Probleme, die im Integrationsbereich ja nicht zu leugnen sind, auch in Bayern nicht, die Staatsregierung und Sie von der CSU erhebliche Verantwortung tragen. Durch die sozial ungerechte Bildungspolitik mit der Sie systematisch Versager provozieren, dadurch, dass Sie die Kommunen mit Ihrer Integrationspolitik alleine lassen. Dadurch, dass den Islam als Religion zweiter Klasse behandeln.

Wir GRÜNE freuen uns sehr über den Neubau der Münchner Synagoge an prominenter Stelle. Damit demonstrieren Politik und Gesellschaft, dass das Judentum ein unverzichtbarer Teil unserer Gesellschaft ist. An genauso sichtbarer Stelle können wir uns auch eine Moschee vorstellen. Dies wäre ein Zeichen dafür, dass gleiches Recht für alle gilt. Auch die Menschen islamischer Religion gehören zu uns, zu unserer Gesellschaft.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Und es wäre vor allem für die Migrantinnen und Migranten ein unübersehbares Symbol dafür, dass unser Land allen seinen Bürgern die Grundrechte gewährt. Umgekehrt verlangen wir natürlich von den Angehörigen aller Religionen, nicht nur der islamischen, sondern auch der christlichen Religionen, dass sie unseren Rechtsstaat als Garanten der Grundrechte für alle Menschen akzeptieren. Grundrechte bzw. Rechtsgüter mit Verfassungsrang, wie Schulpfl icht, Gleichberechtigung und andere Freiheitsrechte auch von Mitgliedern der Religionsgemeinschaften setzen der Religionsfreiheit Grenzen.

Wenn es aber, Herr Minister Beckstein, in Bayern Gesetzes- oder gar Grundrechtsverstöße geben sollte – das beginnt bei den Mädchen, die nicht am ganzen Schulleben teilhaben dürfen, dass geht bis zur Zwangsheirat oder zu den unehrenhaften Frauenmorden – dann erwarten wir von Ihnen, Herr Minister, dass Sie gefälligst Ihre Arbeit machen, dass Sie dafür sorgen, dass die Grundrechte dieser Mädchen und Frauen nicht beeinträchtigt werden. Das erwarten wir von Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn sich bestätigen sollte, dass sich die Verstöße gegen elementare Grundrechte in Bayern ausbreiten, dann hätte ich gerne mal von Ihnen Belege. Wenn das so wäre, dann tragen Sie, Kolleginnen und Kollegen von der CSU und dieser Minister hier die Verantwortung. Falls es hier Versäumnisse gibt, dann fordern wir, sie schleunigst zu korrigieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ein sich noch so stark gebärdender Staat bleibt schwach ohne starke Zivilgesellschaft. Die Zivilgesellschaft ist stark, wenn sich die Menschen in ihr zu Hause fühlen, in ihren Vierteln in der Gesellschaft. Ein Jugendzentrum, so sagt der Augsburger Sozialreferent Hummel, das die Besucher selbst angestrichen haben, werden sie nicht anzünden. Selbst in Kreuzberg ist man mit den alljährlichen Krawallen nicht dadurch fertig geworden, dass man noch mehr Polizei geschickt hat, sondern indem man die Zivilgesellschaft gestärkt hat. In diesem Jahr haben die Bewohner von Kreuzberg ein Bürgerfest organisiert. Auf den Plätzen, so schreibt die Süddeutsche Zeitung, wo früher Steine fl ogen, wurde getanzt, wo Autos brannten, gab es Bratwurst.

Hoffentlich hat die nicht auch gebrannt.

Die gleichen Jugendlichen, die früher Autos abfackelten, schützten nun die Bühnen der

Bands, die Musik machten. Man verteidigt nun seinen Kiez, man zerstört ihn nicht mehr, sagt der zuständige Quartiermanager, weil sich die Menschen dort zu Hause fühlen, weil sie sich ernst genommen fühlen.

Sorgen Sie endlich dafür, Kolleginnen und Kollegen, dass sich die Eingewanderten bei uns zu Hause fühlen können. All unsere Vorschläge, die den Migrantinnen und Migranten mehr Teilhabe einräumen wollen, etwa durch eine institutionalisierte Interessensvertretung, durch die Erleichterung von Einbürgerungen, sind von Ihnen ebenso abgelehnt worden, Kolleginnen und Kollegen der CSU, wie Maßnahmen zur Förderung der Chancen von Migrantinnen und Migranten, etwa durch verbesserten Zugang zu Bildungseinrichtungen oder durch Förderung von Mehrsprachigkeit. Anstatt neue Maßnahmen einzuleiten, haben Sie sogar die Mittel für die bisherigen drastisch zusammengestrichen.

Minister Beckstein, Sie haben bei der Abfassung des Zuwanderungsgesetzes gesagt, die nachholende Integration sei jetzt die entscheidende Aufgabe. Aber alles, was von diesen Sprüchen der bayerischen Politik jetzt noch übrig ist, ist allein die Forderung, deutsch zu lernen. Geld geben Sie dafür keines. Integration besteht aber nicht nur aus Deutschlernen. Die Förderung des Deutschunterrichts ist wichtig und richtig, aber sie ersetzt keine Integrationspolitik. Die Ausschließlichkeit, mit der Sie die Förderung von Deutsch betonen, ist absurd. Für Sie ist die Schuldzuweisung an die Eingewanderten und ihrer Kinder natürlich bequem: Wer die Sprache nicht kann, ist selbst schuld. Das ist aber eine erbärmliche Pädagogik.

(Zuruf des Abgeordneten Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU))

Kinder sind nicht überfordert, wenn sie mehr als eine Sprache sprechen, Kollege Waschler. Kinder muss man nicht vor ihrer Muttersprache schützen.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Wie erbärmlich diese politische Pädagogik ist, zeigt der Käse, mit dem der Vorsitzende des Philologenverbandes daherkommt. Dieser Typ sagt, unser Dialekt sei schuld, wenn das Land bei Pisa schlechter abschneidet. Er hält uns Dialektsprecher für blöd. Auch das ist ein Ergebnis Ihrer Bildungspolitik, Kolleginnen und Kollegen der CSU, weil Sie alles über einen Kamm scheren. Wo Vielfalt verachtet wird, kommt Einfalt heraus.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In Ihrem Antrag steht ein richtiger Satz: „Der Schlüssel zu einem zukunftsfähigen Zusammenleben mit Menschen anderer kultureller Prägung ist deren erfolgreiche Integration in unsere Gesellschaft.“ Voraussetzung dafür aber ist, dass Sie mit Ihrer Politik – jetzt zitiere ich wieder aus Ihrem Antrag – „die Achtung vor Menschen anderer Religion, Kultur und Herkunft“ erbringen, die Sie, Kolleginnen und Kollegen von der CSU zu Recht von den Eingewanderten fordern. Da haben Sie noch viel zu tun.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN)

Für die Staatsregierung hat Herr Staatsminister Dr. Beckstein ums Wort gebeten. Bitte, Herr Staatsminister.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Dürr, lassen Sie mich zunächst einmal ganz klar sagen: Sie haben mich mehrfach in einer grob verfälschenden Weise zitiert. Ich weise das als uninformiert und unverschämt zurück.

(Beifall bei der CSU)

Es ist eine ungehörige Unverschämtheit, dass Sie behaupten, ich hätte irgendwo den Islam für brennende Autos verantwortlich gemacht; das weise ich insbesondere zurück. Ich habe das nicht gemacht.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Sie haben den Zusammenhang hergestellt!)

Ich sage Ihnen: Wer aus parteipolitischen Gründen – –

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Sie waren das!)

Ich habe das nirgends gemacht.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Natürlich!)